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Chronologie der Werder-Rückrunde: (Nicht für möglich gehaltenes) Wunder verpasst!

30. Mai 2017 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion

Anfang der 2000er-Jahre begeisterte der SV Werder unter der Regie von Thomas Schaaf durch erfrischenden Offensivfußball, die Angriffsreihen waren geprägt durch Stars á la Klose, Micoud, Özil, Diego. Nach neun Jahren Europapokal in Folge trat aber 2010 die Phase der großen Ernüchterung ein, die sich durch einen schleichenden Abgang bis hin zum Abstiegskandidaten äußerte. In den vergangenen Monaten hellte sich das Stimmungsbild an der Weser aber zusehends wieder auf, die Fans skandierten: „Der SVW ist wieder da!“ Zurecht? Eine Chronologie.

 

Bei Prozessen des Wandels und einer fortlaufend positiven Entwicklung stellt sich natürlich immer eine Frage: Wo ging es los, was war der vielzitierte „changing point“? Im Falle Werders muss man diesen wohl auf Sonntag, den 18.09.2016 datieren. Denn an diesem Tag, nicht einmal 24 Stunden nach der desaströsen 4:1-Niederlage im Gladbacher Borussia-Park, bei der man nach 41 Minuten infolge hanebüchener Abwehrfehler schon mit 0:4 zurücklag, wurde Viktor Skripnik nach fast zwei Jahren im Amt als Werder-Trainer entlassen.

Auch wenn Skripnik lange Zeit Sympathieträger und Ikone bei den Fans war, so offenbarte seine Mannschaft doch in jedem Spiel katastrophalere taktische Mängel, die irgendwann auch durch Einsatz- und Kampfgeist nicht mehr kaschiert werden konnten. Aber auch unter Nachfolger Alexander Nouri, seines Zeichens befördert von der U23, setzte sich der wankelmütige Kurs fort. Niederlagen folgten gegen Mainz (1:2), in Leipzig (1:3), gegen Freiburg (1:3), auf Schalke (1:3), gegen Frankfurt (1:2), Siege hingegen nur gegen Wolfsburg (2:1) und Leverkusen (2:1), außerdem eine Punkteteilung mit Darmstadt (2:2). Fast schon zwangsläufig geriet auch Skripnik-Nachfolger Nouri in Bedrängnis, konnte aber durch fünf ungeschlagene Spiele vor der Winterpause (Hamburg, Ingolstadt, Berlin, Köln, Hoffenheim) zumindest über die Festtage ein bisschen Ruhe an der Weser einkehren lassen, auch wenn die tabellarische Lage mit Platz 15 nach wie vor bedrohlich erschien.

Das änderte sich auch im neuen Jahr nicht, wenngleich Werder fortan öffentlich Anerkennung für die gezeigten Leistungen erhielt, trotz Niederlagen gegen Dortmund (1:2), Bayern (1:2), Ausgburg (2:3) und Gladbach (0:1). Grund dafür war vor allem, dass diese mitunter sehr unglücklich zustande kamen, man bedenke einmal das Spiel in der Augsburger WWK-Arena, das absolut überlegen gestaltet wurde, eine Leistung, die man sich aber durch zwei schwerwiegende Abwehrfehler in den letzten fünf Minuten zunichte machte. Nach dem Spiel gegen die Borussia vom Niederrhein am 20. Spieltag waren die Grün-Weißen auf den Relegationsplatz abgerutscht, hatten nur einen Punkt Vorsprung auf einen direkten Abstiegsplatz, damals belegt von Ingolstadt. Irgendetwas muss aber passiert sein nach dieser Niederlage (mal abgesehen davon, dass das kommende Spiel in Mainz öffentlich schon als „Endspiel“ für Coach Nouri tituliert wurde), denn dieses erneut unglücklich, gleichwohl aber verdient verlorene Heimspiel sollte für fast drei Monate das Letzte bleiben.

 

21. Spieltag: 1.FSV Mainz 05 – SV Werder Bremen 0:2 (0:2)

Ob es mit Glück zusammenhängt, mit einem aus dieser Situation neu erwachsenden Teamgeist, mit der vorläufigen Rückkehr zur Viererkette, mit der demonstrativen Stärkung von Nouris Position in der Öffentlichkeit kann nur spekuliert werden, womöglich war es ein Mix aus all diesen Faktoren. Jedenfalls gelang es den Werderanern Mitte Februar in der Coface-Arena erstmals seit gefühlten Ewigkeiten, ein Spiel mehr oder minder glücklich mit einem Sieg abzuschließen – und das auch noch zu Null! 13:8 Torschüsse für die Nullfünfer, 63% Ballbesitz sprechen eigentlich eine klare Sprache, doch dank Keeper Felix Wiedwald, zuvor auch alles andere als unumstritten und nur durch den Platzverweis von Jaroslav Drobny gegen den BVB überhaupt wieder mit einer Bewährungschance, zitterten die Grün-Weißen das Spiel irgendwie über die Ziellinie. Gewonnen, das war das Wichtistge, das „Wie“ spielte keine Rolle. Bitter nur: Winterneuzugang Thomas Delaney, Torschütze per Freistoß und auch schon in den Spielen zuvor unverkennbarer Stabilisator, verletzte sich bei einer Rettungstat schwer, zog sich einen Mittelgesichtsbruch zu, Kapitän Clemens Fritz holte sich außerdem seine fünfte gelbe Karte ab, sodass im kommenden Spiel gegen den VfL Wolfsburg die stabilitätsbringende Doppelsechs schon wieder umgebaut werden musste.

 

22. Spieltag: VfL Wolfsburg – SV Werder Bremen 1:2 (1:2)

 

Auch in der Autostadt war das Glück ein grün-weißer Freund. Zwar führte Werder bereits nach 18 Minuten durch einen Doppelpack von Serge Gnabry mit 2:0, bekam aber prompt im Gegenzug durch Mayoral das 1:2 eingeschenkt. Im Anschluss beschränkten sich die Bremer aufs Verteidigen, der Sieg kam aber eher durch die Wolfsburger Unfähigkeit, den Ball aus besten Positionen im Tor unterzubringen, zustande. 27:7 Torschüsse und 71% Ballbesitz für die Wölfe spiegelten statistisch wider, was sich auf dem Platz abspielte. Und auch der Schiedsrichter Wolfgang Stark hatte seinen Anteil am Ergebnis, verweigerte dem VFL etwa in der 56. Minute einen durchaus berechtigen Elfmeter (Bauer an Knoche). Aber auch in der Volkswagenarena waren all diese Faktoren auf Seite der Hanseaten, in Kombination mit einem wieder überragenden Felix Wiedwald im Kasten (kickerNote 1,5, zum zweiten Mal in Folge „Man of the Match“ und Teil der „Elf des Spieltages“) gelang so der zweite glückliche Sieg in Folge.

(Photo by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

 

23. Spieltag: SV Werder Bremen – SV Darmstadt 98 2:0 (0:0)

Dem schloss sich acht Tage später sogar der Dreier-Dreipack an, wenn auch selbst das Heimspiel gegen den schon damals abgeschlagenen Letzten ähnlich verlief, wie die beiden Spiele zuvor: Überlegenheit des Gegners, Effektivität bei Werder, Glück aufseiten der Bremer. Dass selbst die spielerisch arg limitierten Darmstädter auf 15 Torschüsse kamen und damit auf sechs mehr als die Bremer, dass der Gast fast 60% Ballbesitz hatte, lässt wohl schon einiges über das Bremer Spiel vermuten, der „Kicker“ bemerkte zurecht „Werder grottenschlecht“. Und dennoch: Ein später Doppelpack (75., 92.), dieses Mal von Max Kruse, einer der beiden Treffer gar per Elfmeter, bescherte Grün und Weiß einen weiteren Erfolg gegen einen direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt. „Man of the Match“ dabei erneut: Felix Wiedwald, der Werder gerade in der ersten Hälfte mit überragenden Paraden, u. a, gegen Aytac Sulu nach einer Ecke, überhaupt im Spiel hielt.

 

24. Spieltag: Bayer 04 Leverkusen – SV Werder Bremen 1:1 (1:0)

 

Mit der Überzeugung von drei Siegen in Folge reisten die Bremer an einem Freitagabend nach Leverkusen, zum Debüt für Tayfun Korkut auf der Trainerbank der „Werkself“. Interessant: Werder agierte erstmals wieder mit Dreierkette, und das zahlte sich aus, denn die Bremer waren mindestens ebenbürtig, beherrschten die zweite Hälfte gar überwiegend, hatten die zwingenderen Torchancen, trafen durch das erste Saisontor von Claudio Pizarro (79.). Dass Felix Wiedwald in der 96. Minute einen (berechtigten) Elfmeter parierte, machte die Punkteteilung letzten Endes zwar vielleicht etwas glücklich, dennoch kam sie aber hochverdient zustande. Gleichzeitig setzen sich zwei Serien fort:

Felix Wiedwald wurde – zum nunmehr vierten Mal in Folge – „Man of the Match“, Werder verlor zum vierten Mal in Serie nicht. Allerdings zog sich Kapitän Clemens Fritz in einem Zweikampf einen Syndesmosebandriss zu, sodass, wie später verkündet wurde, diese Partie seine letzte im Werder-Dress sein sollte.

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

 

25. Spieltag: SV Werder Bremen – RB Leipzig 3:0 (1:0)

Der erste richtige Belastungstest dieser Mini-Serie stand Werder dann mit dem Heimspiel gegen den starken Aufsteiger aus Leipzig bevor, wobei dieser mit zwei Spielen ohne Sieg nach Bremen reiste. Taktisch vertraute Alex Nouri erneut auf die mittlerweile eingespielte Dreierkette mit Veljkovic, Sané und Moisander sowie Robert Bauer und Theodor Gebre Selassie als „Außenbahnspieler“, die die drei zentralen Verteidiger bei Bedarf im Sinne einer Fünferabwehrreihe unterstützen. Vielleicht auch deswegen beendet diese Partie die Serie der „Glück gehabt“-Matches, denn Werder war gegen die „Bullen“ von Beginn an überlegen, münzte diese Überlegenheit nach 33 Minuten durch einen Kunstschuss von Aushilfskapitän Junuzovic in eine Führung um, und verlegte sich anschließend aufs Kontern, wobei die Defensive von den Roten Bullen auch nie ernsthaft in Verlegenheit gebracht werden konnte. Natürlich fiel das 2:0 in der 59. Minute zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt, ebenso aber auch durch einen genialen Freistoßtrick durch die „Ösi“-Connection Junuzovic/Grillitsch. Das 3:0 in der 90. Minute hatte dann spieltaktisch kaum noch Auswirkungen. Besonders bemerkenswert an diesem Ergebnis: Werder fehlten kurzfristig die beiden mutmaßlich wichtigsten Offensivspieler Serge Gnabry und Max Kruse, zudem noch der verletzte Leader Fritz, bemerkbar wurde das auf dem Platz aber, dem Ergebnis entsprechend, kaum. Trotz des mittlerweile fünften Spiels in Folge ohne Niederlage steckten die Bremer zu diesem Zeitpunkt, trotz Platz 13, noch immer massiv im Abstiegskampf, zwei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz stellten schließlich keinesfalls ein beruhigendes Polster dar. Aber wie bekannte Kultkommentator Fritz von Thurn und Taxis bereits zu diesem Zeitpunkt „Mit diesem Werder ist zu rechnen!“ mutmaßte – er sollte Recht behalten.

 

26. Spieltag: SC Freiburg – SV Werder Bremen 3:5 (0:2)

Das erste richtiggehende Torfestival, ganz wie in „alten Bremer Zeiten“, ereignete sich schließlich Anfang April im Breisgau. In einem offensiv geführten Schlagabtausch hatte Werder, wieder mit einer Dreierkette am Start, stets Feldvorteile, ließ sich vom Europa-League-Aspiranten nie den Schneid abkaufen. Aus der starken Bremer Mannschaft stachen dieses Mal Max Kruse (Kicker Note 1,5) und Thomas Delaney (1) heraus, der gleichzeitig auch zum „Man of the match“ gekürt wurde, immerhin war er an vier der fünf Bremer Tore beteiligt, erzielte für einen Mittelfeldspieler herausragende drei Treffer selbst. Auch wenn erstmals nach mehreren Spielen wieder mehr als zwei Gegentore hingenommen werden mussten, präsentierte sich die Mannschaft überraschend stabil, ließ sich etwa durch den 3:1-Anschlusstreffer (Petersen, 65.) nicht aus dem Konzept bringen, wobei auch hier anzumerken ist, dass die Tore zu psychologisch sehr wirkungsvollen Zeitpunkten fielen, direkt vor (45.+2) sowie direkt nach der Pause (47.). Zugleich gelang mit dem Sprung auf Platz 12 durch diese Partie erstmals ein kleiner Befreiungsschlag im Abstiegskampf, zumal die Punktedifferenz zum 17. Ingolstadt auf zehn Zähler anwuchs. Die nunmehr sechs Partien ohne Niederlage, aus denen insgesamt 16 Punkte geholt wurden, merkte man der Mannschaft nun mehr und mehr an, Werder spielte schlichtweg nicht mehr wie ein Absteiger, die größte Abstiegsgefahr schien, wenn auch punktetechnisch nur eingeschränkt, souverän gebannt.

(Photo by Michael Kienzler/Bongarts/Getty Images)

 

27. Spieltag: SV Werder Bremen – FC Schalke 04 3:0 (1:0)

Mit der Partie gegen die kriselnden Gelsenkirchener bot sich Werder die Chance, zum dritten Mal in Folge eine deutlich höher einzuschätzende Mannschaft in die Schranken zu weisen. Und genau dies gelang den Bremern, ähnlich wie gegen Freiburg und Leipzig, in beeindruckender Weise. Dabei stellte der Heimerfolg gegen die Schalker fast ein Spiegelbild des Sieges gegen den Aufsteiger aus Sachsen dar:

Max Kruse brillierte als Antreiber in der Offensive und war an zwei Treffern direkt beteiligt, mehr Ballbesitz beim Gegner (60%), aber brutale Effektivität aufseiten der Grün-Weißen. Dennoch lässt sich auch hier sagen: Der Sieg ging verdient an die Gastgeber, denn Schalke schaffte es nie über einen längeren Zeitraum das Tor von Felix Wiedwald in Bedrängnis zu bringen. Mit Ausnahme des Spiels in Freiburg hielten sich die Gegentore so in nunmehr sieben aufeinanderfolgenden Spielen in einem sehr humanen Rahmen, vier der Begegnungen wurden gar ohne Gegentor bestritten – absolut werderuntypisch. Dieser Umstand ist wohl größtenteils auf die Arbeit von Alexander Nouri zurückzuführen, der mit seiner fast konsequent umgesetzten Idee der Dreierkette, die bei gegnerischem Ballbesitz zur Fünferreihe wird, endlich die fast schon notorischen Defensivprobleme der Bremer in den Griff bekommen zu haben schien.

Die Abwehr, welche in der Hinrunde noch katastrophale 36 Gegentore kassiert hatte, stellte auf einmal die Grundlage für den Erfolg dar – und das mit fast unverändertem Spielermaterial. Die Kunst, welche ebenfalls Nouri zuzurechnen ist, gestaltet sich überdies durch die Herstellung einer gesunden Balance zwischen Defensive und Offensive, denn der letztgenannte Mannschaftsteil stellte schon von Saisonbeginn an mit seinen Hochkarätern Kruse, Gnabry, Pizarro, Bartels, Junuzovic eine zuverlässige Waffe dar, die aber durch die immens hohe Zahl an Gegentoren immer wieder konterkariert wurde.

 

28. Spieltag: Eintracht Frankfurt – SV Werder Bremen 2:2 (0:2)

Ob dieser Hintergründe saß Nouri als Chefcoach natürlich auch immer fester im Sattel, zunehmend wurde seine Zukunft ob des nur bis Saisonende laufenden Vertrags Bestandteil der öffentlichen Debatte und gerade einige Fans sorgten sich, dass der soeben entdeckte, vermeintliche Erfolgscoach im Mai nach der Saison den Hut nehmen könnte, auch wenn beide Seiten stets betonten, „nicht überstürzt“ eine Entscheidung in Form eines neuen Kontrakts treffen wollten. Dass die Bremer Mannschaft englische Wochen nicht gewohnt ist, merkte man ihr dann auch in der Freitagabendpartie gegen die Eintracht relativ deutlich an, sie ging zwar mit einer 2:0-Führung (Tore durch Junuzovic (37.), Bartels (43.)) in Führung. In der zweiten Hälfte konnten man den Gastgebern aber kaum noch etwas entgegensetzen und am Ende froh sein, dass nach den Treffern von Gacinovic (48.) und Fabian (73, Foulelfmeter) überhaupt noch ein Punkt übrig blieb am Ende, denn gerade nach dem schnellen Anschlusstreffer direkt nach der Pause gab es kaum noch Offensivbemühungen der Gäste, 16:8 Torschüsse und über 60% Ballbesitz der SGE unterstreichen diese These eindrucksvoll. Die Siegesserie war damit zwar gestoppt, zum Klassenerhalt bedurfte es aber nur noch eines Sieges und dann, ja dann könnte man sich angesichts von nur fünf Punkten Rückstand auf den sechsten Platz auch guten Gewissens nach oben orientieren.

 

 

Paul Bekker


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