Der unfassbare Lauf des Harry Kane

30. September 2017 | News | BY Manuel Behlert

Mit 24 Jahren gehört er bereits zu den absoluten Topstürmern auf der Welt. Zwar ist eine Rangliste immer schwer auszumachen, aber die Konstanz und die derzeitige Form sprechen auf jeden Fall dafür, dass man Harry Kane in die allerhöchste Kategorie einordnen muss. Sein Weg war geprägt von einigen Leihgeschäften, und einem plötzlichen Durchbruch, der wohl gewaltiger war, als er es sich selbst vorstellen konnte. 

Was sind die Gründe für die nunmehr langfristig anhaltende Torserie des englischen Nationalspielers? Kane ist kein unglaublicher Dribbler oder Techniker, aber ist auf seine eigene Art absolut speziell und vor allem wertvoll. Für Tottenham und für England. 

Spielpraxis durch zahlreiche Leihen

Kane, der bereits seit 2004 in der Jugendakademie der Tottenham Hotspurs tätig war, erzielte in der U18-Mannschaft der Spurs in der Saison 2009/10 sehr gute 18 Tore in 22 Spielen, machte damit erstmals auf sich aufmerksam und weckte das Interesse der Verantwortlichen für die erste Mannschaft. Zu dieser Zeit befand sich die Nachwuchsarbeit in England etwas in einem Wandel, es wurde bei einigen Klubs vermehrt auf Spieler aus der eigenen Jugend gesetzt, Talente bekamen die Chance, sich zumindest bei Leihvereinen zu entwickeln.

Das erste Leihgeschäft wurde im Januar 2011 mit Leyton Orient eingegangen. Hier konnte sich Kane in der 3. Liga präsentieren, erzielte 5 Tore in 18 Spielen. Die Hinrunde der darauffolgenden Saison absolvierte er bei den Spurs, debütierte in der Europa League, wo er sechsmal auflief. In der Wintertransferperiode ging es nach Millwall in die Championship, dort spielte Kane 22-mal und erzielte 7 Tore. In der Saison 2012/13 debütierte der Angreifer für die Spurs in der Liga, wurde am Ende der Sommertransferphase aber nach Norwich, im Winter dann nach einer unglücklichen Zeit zu Leicester City weiterverliehen, wo er seine ersten zwei Treffer in der Premier League markieren konnte.

Endlich fest etabliert

Das Hin- und Hergeschiebe ertrug Harry Kane ohne zu murren. Er musste sich fast jedes halbe Jahr irgendwo anders akklimatisieren, spielte und trainierte zwischendurch wieder bei Tottenham und musste jeden Tag damit rechnen, dass er wieder zu einem neuen Klub verfrachtet wird. Ab der Saison 2013/14 sollte das aber ein Ende haben. Unter Trainer Andre Villas Boas (ab Dezember Tim Sherwood) erhielt Kane endlich die Chance, die er sich erhofft hatte, allerdings setzte ihn in der Hinrunde zweitweise eine Rückenverletzung außer Gefecht.

(Photo by Clive Rose/Getty Images)

19 Pflichtspiele, 4 Tore und 2 Vorlagen konnte Kane am Ende der Saison aufweisen, zudem starke 13 Scorerpunkte in 8 Spielen bei der Nachwuchsmannschaft. Vor allem am Ende der Spielzeit konnte er in der Premier League glänzen, Sherwood setzte ihn aber noch dosiert ein. Im Sommer 2014 mit der Amtsübernahme von Mauricio Pochettino sollte sich auch die Karriere von Harry Kane maßgeblich verändern.

Plötzlich Toptorjäger!

Zu Beginn der Saison hatte Kane in der Premier League noch Ladehemmungen. Sein erstes Tor erzielte er gegen Aston Villa am 10. Spieltag, zuvor traf er aber bereits in der Europa League. Bezeichnend: Am 16. Spieltag erzielte Kane seinen 3. Saisontreffer, am 27. Spieltag bereits seinen 16. Dieser Winter war für den Angreifer extrem wichtig, die Anpassungen des Trainers schienen auf die gesamte Mannschaft eine positive Auswirkung zu haben, die Spurs hatten einen klaren Plan, spielten strukturiert und diszipliniert. Am Neujahrstag 2015 schoss Kane gegen Chelsea 2 Tore und legte beim 5:3-Sieg noch zwei weitere vor.

Am Saisonende stand Kane bei 31 Toren und 6 Vorlagen in 51 Pflichtspielen. Man war sich noch nicht sicher, ob der 1,88m große Rechtsfuß lediglich ein guter Stürmer ist, der auf einer Erfolgswelle bedingt durch den neuen Trainer schwebt oder ob er auch nachhaltig diese Quote bestätigen oder sogar verbessern kann. Der Spieler selbst schien sich darüber keine Gedanken machen. Er arbeitete akribisch und verstand sich gut mit Pochettino, fühlte sich durch die Erfolge bestätigt und sah, dass der Weg definitiv der richtige ist.

Quote bestätigen? Übertreffen!

Kane machte im Prinzip einfach so weiter. Pochettino bastelte weiter an seinem System, wollte die Spurs in die Champions League führen und vor allem die defensive Stabilität herstellen, die zuvor mitunter fehlte. Auch beim englischen Angreifer war eine Veränderung zu sehen. Er blieb zwar ein im Strafraum immer brandgefährlicher Angreifer, aber er änderte seinen Spielstil und übernahm mehr Verantwortung, führte Defensivzweikämpfe und arbeitete mehr für die Mannschaft. Genau das war auch der entscheidende Schritt, der ihn für das Kapitänsamt infrage kommen ließ. Die Ausbeute am Saisonende: 28 Tore und 2 Vorlagen.

(Photo by Dan Istitene/Getty Images)

In der vergangenen Saison, der bisher stärksten unter Pochettino, fiel Kane zu Saisonbeginn für einige Spiele aus, führte die Mannschaft allerdings auch fünfmal als Kapitän auf das Feld. Der Entwicklungsprozess von Kane ging weiter, in 38 Pflichtspielen und bei knapp 900 Spielminuten weniger als in der vorherigen Saison sprangen 35 Tore und 7 Vorlagen heraus. Kane war also endgültig in der europäischen Spitze angekommen. Und er hat vor, dass sich daran nichts ändert. Aktuell hat er 9 Pflichtspiele auf dem Buckel, 11 Tore und eine Vorlage stehen auf seinem Konto, auch beim 4:0 gegen Huddersfield erzielte er erneut zwei Treffer.

Besondere Fähigkeiten und ein Problem für den Verein

Harry Kane ist weder ein begnadeter Dribbler noch ein Stürmer, der sich durch seine unfassbare Technik auszeichnet, zurückfallen lässt und Angriffe initiiert. Er ist aber dennoch eine moderne Ausgabe eines klassischen Mittelstürmers, der ideal in dieses System passt. Ob Kane auch bei einem anderen Klub so erfolgreich sein könnte, ist schwer zu beantworten. Klar ist, dass er mit seinen Fähigkeiten maßgeschneidert für die Spurs ist und Pochettino das auch zu schätzen weiß. Kane kann sich sehr gut durchsetzen, seinen Körper super einsetzen und entwickelt im Dribbling eine Dynamik, die für die Verteidiger kaum aufzuhalten ist.

Sein Abschluss ist präzise, mit seiner Größe ist Kane sehr gut geeignet für Luftzweikämpfe, überdies wirkt er außerordentlich beweglich und weiß genau in welche Räume er beim Konterspiel zu bewegen hat. Er ist also viel mehr als ein reiner Torjäger, sondern der Anführer im Angriffsspiel, der durch Eriksen, Alli oder Son fortlaufend gut unterstützt wird. Doch ein Problem gibt es, das diese Personalie betrifft. Denn: Harry Kane zu ersetzen ist nahezu unmöglich. Einen Stürmer in ähnlicher Qualität zu bekommen, ist schon schwer genug.

Doch einen Spieler zu verpflichten, der, wenn Kane nicht spielt, ähnliche Aufgaben übernimmt und dem man gleichzeitig vermitteln kann, dass er nur die Nummer 2 ist, ist eine fast unlösbare Aufgabe. Vincent Janssen wurde 2016 für über 20 Millionen Euro aus Alkmaar verpflichtet, spielt mittlerweile aber schon wieder auf Leihbasis bei Fenerbahce. In diesem Sommer wurde der erfahrene Fernando Llorente von Swansea City verpflichtet. Die Rollen im Angriff sind klar verteilt, Llorente ist ohne zu Murren die Nummer 2. Doch was, wenn Kane tatsächlich einmal lange ausfallen sollte? Dem Spieler ist zu wünschen, dass es nicht dazu kommt.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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