Leipzig | CL-Doppelpack – wie Nagelsmann Angelino zur Offensivwaffe formte

21. Oktober 2020 | News | BY Marc Schwitzky

News | Angelino hat in bislang sechs Pflichtspielen dieser Saison bereits vier Tore geschossen – als Außenverteidiger. Das ist kein Zufall, blickt man auf die Spielweise von RB Leipzig.

Angelino der Matchwinner in der Champions League

„Das erste Tor ist schon Richtung Weltklasse“ attestierte Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann (33) seinem Doppeltorschützen Angelino (23) am Dienstagabend. Seinen ersten Treffer im Champions-League-Gruppenspiel gegen den Istanbul Basaksehir FK (2:0) erzielte der Spanier in der 16. Minute, als er einen Chipball von Kevin Kampl (30) technisch herausragend verarbeitete und anschließend eiskalt einnetzte. Nur vier Minuten später erzielte Angelino sein zweites Tor, indem er einen Konter mitlief und im Strafraum bedient wurde. Tore Nummer drei und vier für den Außenverteidiger in dieser noch jungen Saison – und sie kommen für den Matchwinner vom Dienstag nicht von ungefähr.

Auch in der Bundesliga hat Angelino bereits zweimal getroffen: Gegen Schalke 04 (4:0) traf er zum zwischenzeitlichen 2:0, gegen den FC Augsburg (2:0) brachte er RB Leipzig in Führung. Der spanische U21-Nationalspieler hat unter Trainer Nagelsmann seine Torgefahr entdeckt und diese hat System, denn im Vergleich zur vergangenen Saison hat sich Angelinos Rolle im Leipziger Spiel noch einmal gewandelt. Die Leihgabe von Manchester City (Leipzig besitzt eine Kaufoption) ist stets als offensiv ausgerichteter Außenverteidiger bekannt gewesen, doch so extrem wie in den letzten Spiel lebte er es wohl noch nie aus.

Nagelsmann passt Leipzig-Fußball an

Grund dafür ist die Ausrichtung unter Trainer Nagelsmann. Leipzig spielt meist in einem 3-4-2-1-System, also mit einer Dreierkette und hochstehenden Außenspielern. Doch hier kommt der Kniff: Von den zwei Schienenspielern steht eigentlich nur Angelino auffällig weit vorne. Ein Blick auf die Heatmap im Spiel gegen Basaksehir verrät, dass Angelino meist in der gegnerischen Hälfte zu finden war und mehr Ballkontakte im gegnerischen Strafraum hatte als im eigenen. Sein Flügelpendant Nordi Mukiele (22) stand hingegen deutlich tiefer und war kaum ein Faktor für die Offensive.

Klare Absicht von Nagelsmann, der einen schiefen Angriffsfußball spielen lässt. Gegen den Ball reiht sich Angelino in die defensive Fünferkette ein, mit Ball agiert er als Linksaußen. Startet er einen seiner vielen Offensivausflüge, formiert sich Leipzig Abwehr zur Viererkette. Marcel Halstenberg (29), gelernte Linksverteidiger, rückt von seiner Innenverteidiger-Position auf den Flügel, die Innenverteidigung besteht dann aus Dayo Upamecano (21) wie Willi Orban (27) und Mukiele wird zum klassischen Rechtsverteidiger. So sichert Leipzig seine Defensive bei eigenem Ballverlust ab, da die Lücke des zurücksprintenden Angelinos zugemacht werden kann.

Die Vorteile der Rolle von Angelino

Die offensive Rolle Angelinos zeigt sich auch in den Zahlen. Der Flügelspieler ist weniger in den Spielaufbau eingebunden, während Mukiele gegen Basaksehir 78 Ballkontakte verzeichnete, waren es bei Angelino nur 46. Da der Spanier jedoch immer wieder Abspielfehler in seinem Spiel hat, nimmt Nagelsmann so ein wenig Risiko aus der Spieleröffnung.

So kann sich Angelino vielmehr seinen offensiven Qualitäten widmen. Am Dienstag verzeichnete er die meisten Schüsse aller Leipziger, sein dritter Abschluss wäre ebenfalls beinahe drin gewesen und tuschierte nur das Außennetz. Die vielen Chancen speisen sich aus der Unberechenbarkeit Angelinos. Da er kein klassischer Angreifer ist und vielmehr aus der tiefe angestürmt kommt, sind seine Läufe in den Strafraum kaum zu verteidigen. Dem Gegner fällt es schwer, jemanden auf Angelino abzustellen, da dieser nicht wie ein Stürmer ohnehin am eigenen Sechzehner zu finden ist.

Eine weitere Verbesserung im Gegensatz zur vergangenen Saison ist, wie sich Angelino nach vorne einschaltet. In der Saison 2019/20 stand der Flügelspieler meist sehr weit außen auf der linken Seite, um Flanken schlagen zu können. Diese hatten bei ihm jedoch eine sehr große Streuung und kamen selten präzise an. Diesen Defizits hat man sich dadurch entledigt, indem Angelino nun viel öfter in den Strafraum zieht und dafür ein Zentrumsspieler wie Kampl oder Emil Forsberg (28) nach Außen wandert.

Nagelsmann erwähnt Pep-Schule

Im Kader von RB Leipzig hat sich finanziell bedingt zur neuen Saison nur wenig verändert. Trainer Nagelsmann hat aus der Not jedoch eine Tugend gemacht und mit Angelino als plakativstes Beispiel gezeigt, wie mit vorhandenen Mitteln etwas neues entstehen kann, das den Gegner vor Probleme stellt. „Er will immer gewinnen und auch nach dem Training noch etwas machen“, lobte Nagelsmann Angelinos Einstellung dahingehend. „Er ist enorm wissbegierig, hört zu und setzt die Dinge um. So passt man sich an und zeigt gute Leistungen.“

Der Trainer der Leipziger weist in Zuge der taktischen Intelligenz Angelinos aber auch auf dessen Fußballschule hin. „Er kam von einem sehr sehr guten Trainer“, erklärt Nagelsmann. Angelino wurde zuvor von Manchester-City-Coach Pep Guardiola (49) trainiert. „Ich muss da auch wenig Lob von mir wegnehmen. Er ist halt super ausgebildet und deshalb war die Anpassungszeit womöglich etwas geringer als bei anderen Spielern.“ Angelino ist bis Saisonende ausgeliehen, absolviert er genug Spiele, muss ihn Leipzig für 18 Millionen Euro kaufen. Bestätigt er seine Form nachhaltig, wird RB diese Summe wohl ohne Grummeln überweisen.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Marc Schwitzky

Marc Schwitzky

Erst entfachte Marcelinho die Liebe zum Spiel, dann lieferte Jürgen Klopp die taktische Offenbarung nach. Freund des intensiven schnellen Spiels und der Talentförderung. Bundesliga-Experte und Wortspielakrobat. Seit 2020 im 90PLUS-Team.


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