Nagelsmann vs. Favre: Warum Ersterer der Richtige für den BVB ist

10. April 2018 | News | BY David Theis

Kovac, Hasenhüttl…Favre und Nagelsmann: Bei Borussia Dortmund werden derzeit viele Trainernamen gehandelt. Nicht all diese Gerüchte fußen auf verlässlichen Quellen – nicht all diese Trainer sind für den BVB überhaupt erreichbar. Wie groß ein finanzieller Kraftakt für Watzke und Co. im Einzelfall wäre – das ist jedoch heute nicht mein Thema. Vielmehr möchte ich Argumente dafür aufzeigen, warum Nagelsmann die richtige Wahl für den BVB wäre… im Gegensatz zu Lucien Favre, der aktuell als Favorit auf den schwarzgelben Trainerposten gehandelt wird.

Die Frage, was Julian Nagelsmann zu einer so guten Wahl für den BVB machen könnte, ist dabei unweigerlich mit der Frage verbunden, was gegen Lucien Favre spricht. Der Schweizer gilt derzeit als mit Abstand wahrscheinlichster Trainer-Kandidat. Allein, warum… das will mir noch nicht wirklich einleuchten. Denn Favre und die Ausgangssituation(en) der Borussia passen nur auf den ersten Blick zueinander. Es ist nun sicher nicht die feine Art, ein Lob für den Einen mit einer (langen) Kritik am Anderen zu beginnen, doch: Favres letzter Titel liegt mehr als elf Jahre zurück – und das kommt nicht von ungefähr. Zwar ist der Fußball des kauzigen Schweizers beizeiten schön anzuschauen und Favre besonders bei den taktikaffinen Fußballfreunden durchaus beliebt, doch seine Makel ziehen sich wie ein roter Faden durch die Laufbahn des Fußballlehrers. Zum einen wäre da sein etwas eigenwilliger Charakter – etwas, mit dem man in Dortmund derzeit eigentlich vorsichtig umgehen sollte, will man den Totalschaden für das Vereinsimage, den der Rosenkrieg zwischen Aki Watzke und Thomas Tuchel jüngst verursachte, nicht wiederholen.

(Photo by CHARLY TRIBALLEAU/AFP/Getty Images)

Was gegen Favre spricht

Zu einem Streit gehören selbstverständlich immer mindestens zwei Parteien, jedoch hat Favre es bei keinem seiner Arbeitgeber länger als fünf Jahre ausgehalten – unvergessen bleiben dabei seine holprigen Abgänge in Mönchengladbach und Berlin. Nun ist der Fußball ohnehin ein schnelllebiges Geschäft, in dem fünf Jahre wie ein halbe Ewigkeit wirken, doch muss es Borussia Dortmunds Anspruch sein, eine neue Ära zu begründen. Noch mehr Unruhe im Stil der vergangenen 18 Monate kann sich der Club nicht erlauben – weder seinen Börsenwert, noch seinen sportlichen Erfolg, noch sein Markenimage betreffend. Davon abgesehen muss der BVB gegenüber dem FC Bayern einen immensen finanziellen Nachteil ausgleichen und befindet sich mit RB Leipzig bestenfalls auf Augenhöhe. Da hilft eine ruhige Arbeitsatmosphäre durchaus weiter – denn die kann man für Geld nicht kaufen. Dieses Rezept war während der Ära Klopp das erfolgreichste in der schwarzgelben Vereinsgeschichte. Ein langfristiger Plan sollte also bei der Wahl des neuen Teamchefs oberste Priorität haben. Ob mit Favre langfristig zu planen ist: Fraglich. Zudem verläuft seine zweite Saison mit dem OGC Nizza alles andere als überwältigend: Man tut sich sowohl mit der Kreation eigener, als auch dem Verhindern fremder Chancen deutlich zu schwer. Nicht überraschen können daher eine negative Tordifferenz und erhebliche Mühen, einen (gemessen am hochkarätig besetzten Kader) enttäuschenden siebten Platz zu halten.

The space that actually matters on a soccer field is really small–it’s just the space immediately around the ball. Your opponent can have a couple men in acres of space 40 yards away in really dangerous positions […] but that only matters if you can get the ball to them. (Favres Defensivphilosophie, erklärt von Jake Meador)

Unterschiedliche Spielstile

Fraglich ist zudem, woher das Gerücht, Favre lasse rasanten Offensivfußball à la Klopp spielen, auch heute noch seine Nahrung erhält. Denn Favres Teams mögen in der Regel den Ballbesitzvorteil auf ihrer Seite wissen und gut im offensiven Umschaltverhalten geschult sein… doch das Kernstück ihres Fußballs war immer eine gut organisierte Raumdeckung, in der jeder Spieler die Lücke zum Nebenmann im Blick zu behalten und sich entsprechend (horizontal) zu verschieben hat, bis der Gegner möglichst in einem Außenraum isoliert ist. Dennoch funktioniert Favres Gegenpressing in der Regel gut. Damit ist der Schweizer sicherlich eine Art Anti-Bosz, was die Defensive anbelangt. Sein Offensivspiel betreffend ist er jedoch, und das dürfte für BVB-Fans fast entscheidender sein, ganz sicher kein Anti-Stöger. Denn Favres Teams stehen tief und sind Meister der Re-Aktion – nicht des gekonnten Ausspielens defensiv-destruktiver Gegner. Mit denen aber wird der BVB auch in den kommenden Jahren zurechtkommen müssen – denn der Fokus seiner nationalen Konkurrenz liegt mehrheitlich auf Pressing und Gegentorvermeidung. Die meisten Bundesligisten überlassen dem Gegner den kreativen Part, um dann auf Konter zu lauern. Leider tut der BVB sich in der Post-Tuchel-Ära erheblich schwerer mit dem Bespielen solch engmaschiger Defensivbollwerke – ganz genau so wie Favres aktueller Club, der im erst zweiten Ligue 1-Jahr des Ex-Gladbachers bereits taktisch „entschlüsselt“ scheint. So greifen Nizzas Gegner allzu oft (erfolgreich) zu dem Stilmittel, dessen sich auch Bundesligisten gerne, wenn es gegen eine gute Raumdeckung, zugestellte Passwege und einen Gegner geht, der das Zentrum zu kontrollieren weiß: Lange Bälle über die Raumdeckung, zweiter Ball, Gegenpressing, Ballgewinn. Eine nachhaltige Antwort hierauf scheint Favre bislang noch nicht gefunden zu haben.

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Was Nagelsmann anders macht

Man suche für die Zukunft Spieler, die „auch mal dazwischenhauen“, wurde Hans-Joachim Watzke erst neulich zitiert. Ohne einen solchen Halbsatz mit zu viel Bedeutung aufladen zu wollen: Dass der BVB, vor allem unter Peter Bosz, 2017/2018 allzu oft wie eine Mannschaft aussah, die in den Zweikämpfen körperlich nicht mithalten kann, scheint Dortmunds Manager nicht geschmeckt zu haben. Ein aggressiverer, den prägenden BVB-Spielelementen des letzten Jahrzehnts ähnlicherer Stil, soll also für die Zukunft her. Daher überrascht das kolportierte Interesse am Viererketten-Verschieber Favre, der Ballgewinne vor allem durch eine kluge Raumdeckung erzwingt. Julian Nagelsmanns Teams agiert da schon deutlich ruppiger (und ist weniger einseitig auf nur eine Deckungsvariante festgelegt). Doch nicht nur diesen Aspekt betreffend scheint Hoffenheims Jungtrainer die passenderen strategischen Voraussetzungen für den BVB im Gepäck zu haben: Während Favre ungern das Spielsystem wechselt und stattdessen an Details seines „Plan A“ feilt, ist der erst 30-jährige Landsberger ein ausdrücklicher Verfechter von formationsübergreifenden Prinzipien.

Julian Nagelsmanns Taktik aus dem Spiel Hoffenheim vs Schalke, 2016/2017, aufbereitet von Spielverlagerung.de.

Will heißen: Es geht nur darum, die richtigen Räume mit den richtigen Spielern zu besetzen. Welche das sind – das entscheidet auch der Gegner. Nagelsmann ist also ein Mann, der einen breiten Kader schätzt. In der Tat erscheint ein Trainer, der unterschiedlichste Formationen gleich gut beherrscht, als deutlich geeigneter für einen viel zu großen Personalstab voller (eigentlich) talentierter Spieler – die sich jedoch alle erst im ein oder anderen Spielsystem neu beweisen dürfen sollten, eh die Borussia sie aufs Abstellgleis verfrachtet. Ohnehin werden die Herren Watzke und Zorc nur einen kleinen Teil der als Verkaufskandidaten gehandelten Tojan, Sokratis, Guerreiro, Durm, Castro, Sahin oder Yarmolenko gewinnbringend loswerden können. Es wäre sicher nicht unklug, fände der neue BVB-Trainer für die Übrigbleibenden zumindest irgendeine Rolle in seinem Kader. Ganz gleich, wer neuer Coach wird in Dortmund: Das Installieren einer funktionierenden Spielidee um einen Kader voller großer Namen ohne Topform und vermutlich eine stattliche Anzahl von Neuzugängen, wird eine Mammutaufgabe. Ein formationsflexibler Trainer dürfte hier die deutlich besseren Option für den BVB sein, der sicherlich den Wunsch hegt, jeden Spielerverkauf zu vermeiden, der nicht unbedingt nötig ist. Denn am Transfermarkt wird Schwarzgelb ohnehin alle Hände voll zu tun haben. Abgesehen davon fällt es nicht schwer, sich Borussias Beste in Nagelsmanns perfekt exerziertem 5-3-2 aus der Vorsaison vorzustellen.

Schwarzgelb: Halb Fußballclub, halb Marke

Die Transferstrategie des BVB ist schnell erklärt: Durch aufwändiges Scouting und aggressive Abwerbemethoden sollen Spieler wie Dembélé, Pulisic, Sancho, Zagadou oder Gómez gewonnen und später gewinnbringend verkauft werden. So sollen die eigentlichen Transferziele der Borussia, die Maxi Philipps, Marco Reus‘ und Mo Dahouds dieser Welt langfristig an den Verein gebunden werden. Um solche vielumworbenen Talente jedoch davon überzeugen zu können, dass der BVB eine bessere Entwicklung als Barca, PSG oder Man City garantiert, muss sich die Borussia eine gewisse Strahlkraft erhalten.

„Ich habe mich davon verabschiedet, von Perfektion zu träumen. Jeder Mensch macht Fehler.“ (Julian Nagelsmann im Gespräch mit dem sid)

Wirbt man noch länger mit bosz’schem Chaos oder stöger’schem Schlafwagenfußball, ist dieser mühsam aufgebaute Ruf als hippes Fußballprojekt wohl dahin. Was läge also näher, als eine neue Klopp-Dynastie mit einem jungen Trainer zu begründen, der für ruppigen, taktisch hochflexiblen Fußball steht, der zwar in seinen Details nicht so perfekt wie Lucien Favres Plan A – doch dafür offensiver ist und mehr unterschiedlichen Spielertypen ihre Einsatzchancen ermöglicht?

Fazit:

Will der BVB seinen gebetsmühlenartig vorgetragenen Anspruch, Deutschlands „zweiter Leuchtturm“ zu sein, wirklich in allen Vereinsbereichen leben, ist die Verpflichtung des perfektionistischen Bundesligaveteranen Favre einfach zu wenig. Will Hans-Joachim Watzke eine „Ansage“ für die Zukunft machen, so ist es an ihm, dafür zu sorgen, dass der FC Bayern und RB Leipzig Deutschlands spannendstes Trainertalent nicht bekommen. Eine Entscheidung pro Nagelsmann wäre hier kurzfristig sicher im gleichen Maße risikoreich, wie Nagelsmanns Fußball im Vergleich zum Fußball Favres. Und doch wäre es nach zwei biederen Kompromissen (Bosz, Stöger) endlich eine Fortsetzung der Reihe Klopp – Tuchel – ?. Will der BVB zudem dafür Rechnung tragen, dass zumindest weite Teile seines ungeordnet zusammengekauften (aber gleichwohl talentierten) Kaders einem neuen Trainer mehr Hilfe denn Bürde sind, ist er mit einem kompromisslosen Systemfanatiker wie Favre sicher schlecht beraten.

 

David Theis

War schon ein Fußball-Nerd bevor es Laptops gab. Schläft mit einer Ausgabe von "Der Schlüssel zum Spiel" unterm Kopfkissen. Seit 2017 bei 90PLUS.


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