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Kölns Planung ohne Modeste: Ausgewogene Flexibilität

8. Juli 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Der Transfer von Anthony Modeste zu Tianjin Quanjian ist nur noch Formsache. Den 29-jährigen Topstürmer zieht es nach China, wo er deutlich mehr Geld verdienen kann. Beim 1. FC Köln hinterlässt Modeste, der sich besonders in der abgelaufenen Saison in einer herausragenden Verfassung befand, eine große Lücke. Aber Jörg Schmadtke und Peter Stöger haben bereits vorgesorgt und mit Jhon Cordoba einen Stürmer verpflichtet. Doch das reicht noch nicht. Denn der Effzeh muss sich mit der Mehrfachbelastung auseinandersetzen.

Fast 36 Millionen Euro nehmen die Kölner durch den Verkauf von Modeste ein. 17 Millionen Euro flossen nach Mainz um den angesprochenen Cordoba loszueisen, weitere 7 Millionen Euro gingen an den VfL Wolfsburg. Damit sicherte sich der „Effzeh“ die Dienste von U20-Nationalspieler Jannes Horn. Das heißt, dass nach dem Modeste-Verkauf noch finanzielle Mittel vorhanden sind. Doch wo sollten diese im Idealfall eingesetzt werden?

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Verantwortung verteilen

Klar ist, dass Jhon Cordoba einen Spieler wie Anthony Modeste nicht 1:1 ersetzen kann. Das soll und das muss er aber auch gar nicht. Die Qualitäten von Modeste waren vielseitig. Er war sowohl ein abschlussstarker Spieler, aber brachte auch die nötige Robustheit mit, konnte Bälle festmachen, seinen wuchtigen Körper einsetzen und hat selbst wenn ihm der Torerfolg verwehrt blieb eine wichtige Rolle im jeweiligen Spiel eingenommen. Totalausfälle? Selten. Zumal er mit steigender Torquote mehr und mehr den Respekt der gegnerischen Verteidiger entgegengebracht bekam.

Daher ist es umso wichtiger, dass man es in Köln schafft, die Verantwortung, die Modeste im Sturmzentrum trug, auf mehrere Schultern zu verteilen. Mit Guirassy, Rudnevs, Zoller, Osako und Neuzugang Cordoba stehen nominell 5 Spieler für das Sturmzentrum im Aufgebot, wobei gerade Zoller und Osako bei den häufigen Systemwechseln Stögers auch eine Rolle hinter den Spitzen oder hinter einer Spitze einnehmen können. Auch die Flügelspieler um Risse oder Bittencourt sind in der Pflicht, müssen ihrerseits effizienter werden und sich noch mehr in Richtung Torabschluss einbringen. Die „One-Man-Show“ im Sturm ist vorbei.

Cordoba? Kein klassischer Torjäger!

Jhon Cordoba ist in seiner bisherigen Karriere noch nie durch eine herausragende Torquote aufgefallen. 17 Scorerpunkte in 51 Bundesligaspielen für Mainz sind ordentlich, aber keine beeindruckende Ausbeute. Cordoba beeindruckt mit anderen Qualitäten. Er arbeitet unheimlich viel für seine Mannschaft, beschäftigt die Verteidiger und fühlt sich besonders wohl, wenn er regelmäßig in Laufduelle und Zweikämpfe geschickt wird. Der Kolumbianer reibt sich auf, versucht seine Mitspieler in eine gute Position zu manövrieren und bewegt sich nicht nur im Sturmzentrum, sondern lässt sich gegebenenfalls etwas fallen, weicht auf die Außenbahn aus.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

In Köln weiß man, welche Qualitäten man sich mit Cordoba in die Mannschaft holt. Und der wuchtige 24-jährige könnte in der Tat sehr gut in das Offensivkonzept von Peter Stöger passen. 17 Millionen Euro erscheinen auf den ersten Blick viel, aber Cordoba kann in Köln definitiv den nächsten Schritt machen und sich noch einmal verbessern. Auch Modeste verbesserte seine Quote in Köln im Gegensatz zu seiner Zeit bei der TSG Hoffenheim. Dort erzielte er zwölf (2013/14 und sieben (2014/15) Bundesligatore. In Köln waren es in der ersten Saison prompt 15 Treffer, in der vergangenen Saison sogar 25. Stöger kann mit Spielertypen dieser Art umgehen und er kann ihnen vor allem eine homogene Umgebung schaffen, in der diese Spieler gut funktionieren.

Flexibilität und Variantenreichtum

Die Zeit unter Peter Stöger, Jörg Schmadtke und co. ist eine der ruhigeren Phasen, die der 1. FC Köln in den letzten Jahren erlebt. Die detaillierte und akribische Planung aller Verantwortlichen zahlt sich aus, zudem ist die Entwicklung im Verein kontinuierlich, findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der Qualifikation für die Europa League. Die Kölner haben sich diesen Wettbewerb verdient, daran besteht kein Zweifel. Für die Verantwortlichen entsteht dadurch eine neue, spannende Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Ohne Zielspieler und Torjäger Modeste muss die Mannschaft noch flexibler auftreten. Stöger ließ bereits in der letzten Saison verschiedene Systeme spielen, passte die Mannschaft an den Gegner und an die eigenen, personellen Gegebenheiten an, konnte auch im Spiel reagieren und die Formation und die Ausrichtung ändern.

Diese Flexibilität, gekoppelt mit einem breiten, auf den Europapokal ausgerichteten Kader, ist von enormer Bedeutung für den Effzeh. Es ist nicht möglich, den Kader auf jeder Position mit einer enormen individuellen Klasse auszustatten, umso wichtiger ist die taktische Komponente. Stögers Plan ging bisher in Köln vollends auf, es gab kaum länger andauernde, schwächere Phasen und Spieler wie Timo Horn, Jonas Hector, Dominique Heintz oder Marcel Risse haben ihr Potenzial ausgeschöpft, sich verbessert und sind zu einem elementaren Mosaikstein im Kader geworden.

Viele Möglichkeiten im Kader

Der derzeitige Kader des Effzeh gibt bereits einiges her. Abgesehen von Modeste gibt es momentan kein Anzeichen für den Verlust eines wichtigen Spielers. Zwar ging der talentierte Hartel und die Leihe von Subotic endete, aber diese Abgänge sind zu verschmerzen. Die Verpflichtung von Jannes Horn unterstreicht die flexible Ausrichtung. Horn kann sowohl als linker Verteidiger in der Vierkette agieren, als auch den Part links vor einer Dreierkette oder sogar links in einer Dreierkette übernehmen. Mit 20 Jahren ist Horn außerdem noch formbar, kann sich entwickeln und wird trotz der Konkurrenz durch Nationalspieler Hector und Konstantin Rausch auf seine Einsätze kommen. Denn: Auch Hector und Rausch sind flexibel einsetzbar und haben dies bereits häufig unter Beweis gestellt.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Im zentralen Mittelfeld haben die Kölner mit Lehmann, Höger, Jojic und Özcan gute Möglichkeiten und können die Ausrichtung nach Belieben verändern. Lehmann ist ein erfahrener Anführer, Höger ein Arbeiter, Jojic ein dynamischer, auch offensiv agiler Spieler und Salih Özcan ein unbekümmertes Talent, das Spielmacherqualitäten aufweist. Clemens, Bittencourt und Risse auf den Flügeln sind überdies enorm wichtig, besitzen allesamt unterschiedliche Qualitäten. Vor allem Marcel Risse spielte vor seiner Verletzung in der vergangenen Saison eine fantastische Saison, erzielte traumhafte Tore und rief sein Potenzial ab. Der Kreubandriss im Dezember warf ihn erst einmal aus der Bahn, aber zur kommenden Saison wird er wieder angreifen. Auch im Sturm ist vieles möglich, Osako kann hängend agieren, Zoller fühlt sich vor allem mit einem Sturmkollegen wohl und Neuzugang Cordoba ist ohnehin ein Spieler, der es mag, wenn er seine Freiheiten bekommt und das Sturmzentrum durch seine Mitspieler auch anderweitig besetzt werden kann.

Weitere Transfers wahrscheinlich

Wichtig wird sein, dass man die Zeit der Vorbereitung ideal nutzt und nach dem endgültig fixen Modeste-Deal keine Zeit verliert um den Kader final zusammenzustellen. Derzeit stehen, Modeste herausgerechnet, 23 Spieler (3. Torhüter Müller einberechnet) im Aufgebot des 1. FC Köln. Das heißt, dass durchaus noch die ein oder andere Ergänzung vorgenommen werden kann. Betrachtet man den Kader und behält man im Hinterkopf, dass sich der Effzeh so flexibel wie möglich aufstellen möchte, fällt auf, dass es zwei Positionen gibt, auf denen auf den ersten Blick noch Nachholbedarf herrscht. Zum Einen ist das die Innenverteidigung. Mit Sörensen, Maroh und Heintz stehen dort „nur“ drei Spieler zur Verfügung. Dort ist es definitiv möglich noch einen Spieler zu integrieren.

Denn: Stöger lässt mitunter in einer 3er- respektive 5er-Kette spielen, gerade gegen offensivstarke Gegner ist das ein gutes Mittel. In der Vergangenheit brachte man den Ex-Kölner Kevin Wimmer, zurzeit bei Tottenham unter Vertrag, mit dem Verein in Verbindung. Doch die „Spurs“ haben trotz der Tatsache, dass Wimmer kaum zum Einsatz kommt, kein Interesse, den Verteidiger verhältnismäßig günstig abzugeben. Zwar haben die Kölner noch finanzielle Rücklagen, einen Überschuss nach dem Modeste-Deal und können mit Europapokaleinnahmen planen, aber ein Transfer von Wimmer würde ablösetechnisch in etwa die Größenordnung von Cordoba haben, das ist derzeit unrealistisch.

Auch im Mittelfeld könnte sich noch etwas tun. Sowohl im Zentrum las auch auf den Außenbahnen besteht die Möglichkeit eines Neuzuganges. Im Zentrum sind sowohl der junge Özcan, in Sachen Konstanz, als auch der erfahrene Lehmann mit seinen 34 Jahren kleine Fragezeichen für eine Saison mit der Doppelbelastung. Es ist nicht gesichert, dass beide über die gesamte Saison hinweg die nötigen Leistungen abrufen können. Intern wurde diese Thematik sicher diskutiert, auch ob man einen Spieler nach Köln holt, der sowohl außen als auch in der Mitte agieren kann. Die vergangenen Transferperioden haben gezeigt, dass die Fans des Effzeh darauf vertrauen können, dass Schmadtke und Stöger die Neuzugänge genau planen und passende Spieler verpflichten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Jörg Schmadtke bereits Kontakt zu weiteren, potenziellen Neuzugängen aufgenommen hat.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Europapokal und Rotation

Ein größerer Kader, bestehend aus 25 oder 26 Spielern, würde eine konstante Rotation ermöglichen. Dass dieser Kader dann so ausgewogen wie möglich zusammengestellt sein wird, ist auch dem bevorstehenden Modeste-Abgang zu verdanken. Die kommende Saison beinhaltet eine neue Situation für die Kölner, auch die Spieler „kennen“ die Mehrfachbelastung nicht, werden ebenfalls mit neuen Aufgaben konfrontiert. Umso wichtiger ist es, dass der Trainer verschiedene Formationen aufbieten und vor allem ohne einen großen Qualitätsverlust rotieren kann. Köln sieht die Europa League nicht nur als Abenteuer, sondern hat dort auch Ziele und sieht potenzielle, weitere Einnahmen auf sich zukommen.

Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass Mannschaften wie Schalke, Gladbach, Leverkusen oder Wolfsburg nun die Chance haben, sich Woche für Woche auf ihre Bundesligaspiele vorzubereiten, die Möglichkeiten einer akribischen Einstellung auf den jeweiligen Gegner nun ihrerseits nutzen können. Diese Möglichkeiten haben die Kölner häufig nicht. Trotzdem ist man beim Effzeh zuversichtlich, und das zurecht. Denn wenn die ein oder andere Ergänzung an den Rhein wechselt, der Kader frühzeitig zusammengestellt ist und man von dem ganz großen Verletzungspech verschont bleibt, könnte die kommende Saison ein weiterer Schritt nach vorne werden. Und das trotz oder gerade wegen dem Modeste-Abgang.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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