Manchester United | Umgang mit Pogba wird zur Farce
17. Dezember 2018 | Spotlight | BY Marius Merck
Der französische Weltmeister sitzt nun mittlerweile seit mehreren Spielen auf der Bank. Bei dem schwachen Auftritt der „Red Devils“ an der Anfield Road verzichtete Trainer José Mourinho erstmals völlig auf seine Dienste. Ein weitere Zusammenarbeit der beiden Protagonisten ist unter solchen Umständen kaum denkbar.
Von der Weltrekord-Summe aufs Abstellgleis
Man stelle sich folgenden Sachverhalt vor: Mit nur 23 Jahren wird ein Spieler durch eine Summe von rund 100 Millionen Euro Ablöse der vorläufig teuerste Kicker aller Zeiten. Mit 25 Jahren gewinnt jener Spieler mit seiner Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft und spielt bei dem Triumph eine maßgebliche Rolle, trifft unter anderem im Finale. Sein Arbeitgeber hat derweil große Probleme im Spiel nach vorne, technisch ist keiner seiner Mitspieler auch nur annähernd auf seinem Niveau. Dennoch wird jener Spieler von seinem Coach für nicht gut genug befunden, um seinem Team im für die Fans wichtigsten Auswärtsspiel der Spielzeit auch nur eine Sekunde weiterhelfen zu dürfen.
So abstrus dies auf den ersten Blick klingen mag, genau so stellt sich die momentane Lage von Paul Pogba bei Manchester United dar. Dass der Franzose und Mourinho nicht das beste Verhältnis zueinander haben, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis und dennoch schockieren die neuen Abgründe. Der Mittelfeldspieler hat in der laufenden Runde bereits das Amts des zweiten Kapitäns entzogen bekommen und saß mehrmals auf der Bank. Im gestrigen Spiel beim Erzrivalen Liverpool wurde derart deutlich, wie sehr Pogba der Mannschaft eigentlich weiterhelfen könnte. United hatte große Probleme den Ball aus der eigenen Hälfte zu spielen, die meist verwendete Option war in der Regel ein langer Ball auf Romelu Lukaku, welcher gerade bei der Kontrolle solcher Zuspiele große Probleme aufweist. Somit gab es eigentlich keinen spielerischen Ansatz.
Die defensive Ausrichtung Mourinhos an der Anfield Road war zu erwarten, bei einem Blick auf die bisherige Saison Liverpools derzeit womöglich der überhaupt einzig denkbare Ansatz um in eine solche Partie zu gehen. Gemessen am Potential des Spielers und vor allem an den Leistungen seiner Mitspieler wirkt der Verzicht auf Pogba dennoch wie eine Farce. Ander Herrera, Nemanja Matic oder Marouane Fellaini mögen zwar die primären „Mourinho-Kriterien“ wie taktische Disziplin oder bedingungslose Loyalität viel eher als Pogba erfüllen, kann das aber der Maßstab sein, wenn der Franzose einst sogar etwas wie das überaus teure Antrittsgeschenk seines Coaches war?
Eine langfristige weitere Zusammenarbeit kann zurzeit jedenfalls fast völlig ausgeschlossen werden. Die Situation ist einzig zu einem reinen Machtkampf geraten. Wie kann sonst der gestrige Verzicht erklärt werden, wenn nicht in einer reinen Demonstration, wer denn der eigentliche Chef im Klub ist. Was man Mourinho zumindest zugute halten muss: Kein anderer Mittelfeldspieler verliert in der dieser Spielzeit laut einer kürzlich veröffentlichten Statistik mehr Bälle als der Weltmeister. Die daraufhin häufig zur Schau gestellte Körpersprache des Franzosen kann und muss ebenso kritisiert werden. Dies ist aber vor allem erst seit Beginn dieser Saison derart der Fall.
Man hatte gedacht, dass Pogba nach dem Turnier in Russland als reiferer Spieler zu den „Red Devils“ zurückkehrt, ja sogar, dass er der nach außen stets proklamierten Leader-Rolle nun auch tatsächlich gerecht werden kann. Zumindest füllte er diese im Team der Franzosen, glaubt man den Berichten oder betrachtet diverse Videos aus der Kabine vor den Spielen, besser aus als jemals bei seinem Arbeitgeber. Doch Mourinho redet schon während der Endrunde die Leistungen seines Spieler als Experte im TV klein. Gab es zuvor zwischen den beiden Spannungen, so wandelten sich jene spätestens ab da in eine handfeste Abneigung um. Denn es gab eigentlich keinen plausiblen Grund, einen eigenen Spieler im Moment seines größten Erfolgs in der noch immer jungen Karriere derart in der Öffentlichkeit zu kritisieren.
Dass Pogba ein sehr extrovertierter Charakter ist, war schon vor seiner Rückkehr von Juventus kein Geheimnis. Über einen eigenen Hashtag in den sozialen Medien vor dem Stadtderby gegen City lässt sich genauso streiten wie über diverse Aussagen über Mourinhos Taktik nach den Spielen. Hatte Pogba damit aber nicht im Kern eigentlich Recht? Die eben erwähnte Kritik wurde übrigens nach einem 1:1 zuhause gegen einen Aufsteiger vorgebracht – als Reaktion folgte der Entzug der Binde. Man könnte sich hier genauso fragen, weshalb der Spieler sich genötigt fühlt mit seinem Anliegen eher an Öffentlichkeit zu treten.
Denn zumindest die offensiven Qualitäten sind der Mannschaft absolut gegeben. Man mag sich in diesem Zusammenhang nur einmal vorstellen, was ein Pep Guardiola so alles aus Anthony Martial, Marcus Rashford, Juan Mata oder Alexis Sanchez herausholen würde. Die Annahme Pogbas, dass die gewählte Taktik die Fähigkeiten der Spieler beschränkt, kann Mourinho bei Betrachtung der Spiele eigentlich kaum widerlegen. Der langjährige United-Kapitän Roy Keane äußerte sich als Experte im TV-Studio gestern nach Abpfiff:
Er sitzt auf der Bank, obwohl er fit ist. Wenn man dann nicht mal eingewechselt wird, kann man davon ausgehen, dass seine Tage gezählt sind. Im Januar wird wohl eher nichts passieren, aber im Sommer sollte man ihn abgeben, was auch keine große Sache ist, denn er hat den Verein bereits zuvor verlassen.
Sky Sports
Betrachtet man gerade die Leistung der Mittelfeldspieler kann man eigentlich gerade nicht zu der Annahme kommen, dass ein möglicher Abgang keine große Sache wäre. Es wäre viel eher nur das Ergebnis von grandiosen Miss-Management. Denn der Verein wird sich fragen müssen, in welcher Ausrichtung die Zukunft gestaltet werden soll. Hält man weiterhin an Mourinho fest, dann wird man ihm wohl eher den Rücken stärken, als dies noch im Sommer der Fall bei dem Drama um einen neuen Innenverteidiger war. In diesem Sachverhalt sollte der Portugiese bei einem Blick auf die bisherige Spielzeit übrigens Recht behalten: Bereits jetzt hat das Team mehr Gegentore kassiert als in der kompletten vergangenen Saison.
In jenem Szenario wäre aber auch der Verbleib von Pogba ausgeschlossen. Jener junge Spieler, welcher vor noch zweieinhalb Jahren mit großer Euphorie zu seinem zweiten Engagement zu United zurückkehrte. Dieses Szenario wäre absolut zu vermeiden gewesen, hätte Mourinho ein wenig mehr Fingerspitzengefühl an den Tag gelegt. Oder simpler gesagt: Hätte er vor allem in dem Kalenderjahr 2018 Pogba nicht dauerhaft willkürlich schlecht behandelt. Vor allem in einer Weise, in welcher es auch stets der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben ist.
Bevor sich die Verantwortlichen für ein solches Szenario entscheiden, dürfte ein kurzer Blick auf die jüngere Vergangenheit Mourinhos nicht schaden: Einen ähnlichen Umgang pflegte er nämlich beispielsweise auch mit Kevin De Bruyne bei Chelsea. Der moderne Fußball produziert eben nicht mehr in einer großen Masse solche Spielertypen wie John Terry, Frank Lampard oder gefühlt 85% der „Haudegen“ aus dem Inter-Kader von 2010, mit welchem der Portugiese das Triple holte. Wenn man nicht in der Lage ist auf solche Veränderungen adäquat zu reagieren, darf genauso die Frage gestellt werden, ob nicht eher der Übungsleiter sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat.
Es sieht zurzeit übrigens nicht danach aus, als würde Mourinho diesen Machtkampf verlieren. So stand der Trainer im Herbst vor dem Spiel im Old Trafford gegen Newcastle viel eher in der Kritik, als dies gerade der Fall ist. Nach 20 Minuten lag der Rekordmeister zuhause mit 0:2 zurück. Auf Vorschlag Pogbas beorderte Mourinho den Spieler selbst etwas mehr in die Defensive. Am Ende gewannen die „Red Devils“ mit 3:2 – woran Pogba durch eine starke Leistung in den zweiten 45 Minuten einen wesentlichen Anteil hatte.
Der Feind hatte damit seinem Feind ironischerweise wohl den Job gerettet.
(Photo PAUL ELLIS/AFP/Getty Images)
Marius Merck
Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.