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U21 EM |Allrounder Aouar: Irgendwo zwischen Iniesta und Juninho

15. Juni 2019 | Spotlight | BY Nico Scheck

Spotlight | Es gibt nicht viele Fußballer, die nahezu alles können. Und noch weniger, die nahezu alles richtig gut können, also wirklich so richtig gut. Houssem Aouar gehört zu diesen wenigen Kickern – mit gerade einmal 20 Jahren! Es braucht keine Glaskugel, um zu prophezeien: Der Junge wird mal ein ganz Großer! 

Champions League, Gruppenphase, Olympique Lyon in Ballbesitz. Nahe der Mittellinie kommt es zum Zweikampf zwischen Aouar und Manchester Citys Sergio Agüero. Verliert Aouar diesen, ist der Stürmer-Star frei durch. Doch Aouar bleibt unaufgeregt und verpasst einem der besten Mittelstürmer weltweit einen Beinschuss. Als wäre es nichts. Als ginge es um nichts. Sergio wer?

Houssem Aouar bildet zusammen mit Tanguy Ndombélé das Herzstück in Lyons Mittelfeld. Auf seinem Rücken prangt die Nummer acht, eben jene sagenumwobene Nummer, die einst das Trikot von Klub-Legende Juninho zierte. 

(Photo by JEFF PACHOUD / AFP)

Dass man bei OL dem damals 19-Jährigen diese Rückennummer zugeteilt hat, spricht Bände. Aouar weiß das:

Jeder verbindet mit dieser Nummer Juninho. Das bedeutet, der Klub zählt auf mich und vertraut mir.

Sky Sports News HD

Recht hat er. Mit elf Jahren wechselte er vom AC Villeurbanne, einem Verein aus dem Nachbarort Villeurbanne, zu Olympique. 

Dort durchlief Aouar alle Stufen, debütierte in der Saison 2016/17 für die erste Mannschaft und stieg im Folgejahr direkt zum Stammspieler auf. 44 Pflichtspiele, sieben Tore, sechs Assists – nicht schlecht für einen 19-jährigen zentralen Mittelfeldspieler. Doch Aouar ist noch mehr, viel mehr. 

Iniesta ist „die Messlatte“

Ein strammer Schuss, die Kugel im Netz und Aouar rennt zur Eckfahne. Der rechte Finger an die Schläfe gelegt und der stolze Blick in eine völlig eskalierende Menge von OL-Fans. Der Blick sagt alles: ‚Habt ihr das gesehen?‘ Natürlich, alle haben es gesehen!

Es ist eine der großen Fähigkeiten des französischen U21-Nationalspielers: der Abschluss. Hinzu kommen Kreativität, ein nur schwer zu stoppendes Dribbling und eine kluge Defensivarbeit. Aouar ist mit 1,75m nicht sonderlich groß und auch physisch gehört er nicht zur Marke Türsteher. 

(Photo by Adam Pretty/Bongarts/Getty Images)

Doch Aouar ist schnell im Kopf, schneller als die meisten seiner Gegenspieler. Er weiß schon vorher, wo der Ball landet, noch bevor es sein Gegenüber weiß. Antizipation ist das Zauberwort. Und Aouar beherrscht es schon jetzt außerordentlich gut. 

Aufgrund dieser Vielseitigkeit und auch seiner Spielweise sieht unter anderem „beIN Sports“-Reporter Matt Spiro nicht umsonst Parallelen zu Barça-Ikone Andrés Iniesta. Aouar schmeichelt der Vergleich, so betonte er gegenüber „Sky“: „Er ist für mich die Messlatte für diese Position.“ Klare Ansage! 

Aouar: Dauerbrenner, Erfolgsgarant

Wie wichtig Aouar für seine Mannschaft ist, stellte er auch in der abgelaufenen Spielzeit unter Beweis. 47 Pflichtspieleinsätze, einen Großteil davon über die volle Distanz. Aouar zahlte das Vertrauen zurück: Mit Einsatz, mit tollen Dribblings, vielen abgefangenen Bällen und vor allem mit: 18 direkten Torbeteiligungen!

Dabei ist es fast egal, ob der Rechtsfuß als Sechser, als Achter oder als Linksaußen aufläuft. Auf jeder dieser Positionen nimmt Aouar Einfluss auf das Spiel des siebenfachen französischen Meisters (auf jeder Position mindestens eine Torbeteiligung in der Saison 18/19). 

Es braucht keine ausgeprägte Fußball-Exertise, um zu erkennen: Eklatante Schwächen sucht man bei dem Franzosen mit algerischen Wurzeln vergebens. Selbst auf der ganz großen Bühne, der Champions League, trumpfte Aouar unaufgeregt auf. Nervosität? Nie gehört! 

(Photo by JEAN-PHILIPPE KSIAZEK / AFP)

Manchester City biss sich zweimal die Zähne an Lyon aus (2:1; 2:2), Aouar zählte zu den Besten auf dem Feld, ganz zum Leidwesen von Agüero. Beim 0:0 im Achtelfinal-Hinspiel gegen den großen FC Barcelona prüfte er Marc-André der Stegen gleich zu Beginn der Partie mit einem satten Schuss ins rechte Eck, im Rückspiel saß Aouar nur auf der Bank – die Partie endete 1:5 aus Sicht der Franzosen. 

Juninho kämpft um seinen Erben

Was Lyon einst erkannte, weiß mittlerweile wohl jeder in der Branche. Aouar ist ein Juwel, ein Diamant, der schon jetzt zu den besten Mittelfeldspielern der Ligue 1 zählt. Wenig verwunderlich also, dass längst die Elite Europas an dem Shootingstar baggert. 

Der FC Chelsea soll schon Ende 2018 vorgefühlt haben, der FC Liverpool und Manchester City knapp fünf Monate später. Interesse, dem die Lyon-Verantwortlichen mit gemischten Gefühlen gegenüber stehen. „Ich hoffe, wir bekommen nicht zu viele Angebote“, gestand etwa Juninho, mittlerweile Sportdirektor bei Olympique, angesprochen auf seinen Erben.

Sein Boss Jean-Michel Aulas sieht die Lage realistisch und betonte, dass er den Verbleib von Ndombélé und Aouar „nicht garantieren“ könne. Immerhin: Bei einem Wechsel in diesem Transfersommer winkt eine ordentliche Ablöse. Auf 45 Millionen Euro (transfermarkt.de) wird der Marktwert von Aouar geschätzt, hinzu kommt der noch laufende Vertrag bis 2023. 

(Photo by LEON KUEGELER / AFP)

Ein Abgang von Aouar wäre ein Verlust, keine Frage, aber wohl einer mit einem finanziell lukrativen Trostpflaster. 

Zuvor wird sich Aouar aber bei der U21-EM in Italien und San Marino für Frankreich verausgaben. Der Titel soll her. Knüpft Aouar in einem ohnehin schon gut besetzten Kader an die starken Leistungen aus der Saison an, stehen die Chancen alles andere als schlecht. 

Und in einem Jahr steht dann die EM der A-Nationalmannschaften an. Möglicherweise dann schon mit Aouar – einem 1,75m-Mann, der wohl mal ein ganz Großer wird.

Nico Scheck

(Photo by JEAN-PHILIPPE KSIAZEK / AFP) 

Nico Scheck

Aufgewachsen mit Elber, verzaubert von Ronaldinho. Talent reichte nur für die Kreisliga, also ging es in den Journalismus. Seit 2017: 90PLUS. Manchmal: SEO. Immer: Fußball. Joga Bonito statt Catenaccio.


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