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Alles Rodger(s)? – Der FC Liverpool auf der Suche nach Kontinuität

22. Oktober 2015 | Spotlight | BY Chris McCarthy


Die vergangene Saison lief für den FC Liverpool enttäuschend. Die Reds fielen in alte Muster zurück, Trainer Rodgers war öffentlich angezählt. Nun erhält der Nordire aber eine weitere Chance. Kann Liverpool die ersehnte Kontinuität unter Rodgers finden?

 

2012/2013 – Der Umbruch

Die erste Saison von Brendan Rodgers stand ganz unter der Überschrift „Umbruch“. Altlasten und Fehleinkäufe wurden ausgemistet und junge talentierte Spieler sollten die Eckpfeiler des neuen FC Liverpool werden. Die Rechnung ging nicht auf. Borini und Allen konnten nicht auf Anhieb überzeugen und man legte einen Fehlstart hin: Rodgers musste bis zum 6 Spieltag warten, ehe er seinen ersten „Dreier“ als Liverpool Trainer einfahren konnte.

Obwohl die Hinrunde keinesfalls optimal verlief und man nur schwer in Fahrt kam, schenkte Rodgers in dieser Zeit einem 17-jährigen das Vertrauen. Raheem Sterling gelang der Durchbruch! Nachdem der technisch versierte Engländer in der Vorsaison unter Daglish bei den Profis reinschnuppern durfte, spielte sich Sterling bereits am 2. Spieltag in die Stammelf und verlängerte im Dezember 2012 seinen Vertrag.

Nach der Hinrunde standen die Reds auf einem enttäuschenden 10. Platz, was eine weitere Einkaufstour zur Folge hatte: Dieses Mal mit mehr Erfolg. Daniel Sturridge und Philippe Coutinho erwiesen sich als Volltreffer und entlasteten Goalgetter Luis Suarez. Neben den 30 Toren des Uruguayers sorgten Coutinho und Sturridge mit ihren insgesamt 13 Toren und 12 Assists in der Rückrunde für eine Wiederbelebung der Offensive.

Letztendlich konnten sich die Reds im Vergleich zum Vorjahr immerhin um einen Platz verbessern und landeten auf Rang 7.

Enttäuschend war allerdings das Abschneiden in den anderen Wettbewerben: Ein blamables Ausscheiden gegen Drittligist Oldham in der 4. Runde des FA Cups, die Mission Titelverteidigung des Ligapokals misslang im Achtelfinale (ausgerechnet gegen Swansea) und in der Europa League scheiterte man bereits in der 2. Runde an Zenit.

Durch erhebliche spielerische Fortschritte waren die teilweise enttäuschenden Ergebnisse in Zeiten des Umbruchs dennoch zu verzeihen.

 

2013/2014 – Verblendung?

Der Sommer wurde erneut genutzt um sich von Flops zu trennen. Stewart Downing und Andy Carroll wurden mit einem Verlust von €40,5m verkauft. Der teuerste Einkauf des Transferfensters war Mamadou Sakho. Der Innenverteidiger von PSG kostete stolze €19m und sollte zusammen mit dem neuen Keeper Simon Mignolet die wackelige Reds-Defensive stabilisieren. Hauptthema des Sommers war die Personalie Luis Suarez. Der Superstar und Hoffnungsträger flirtete heftig mit dem FC Arsenal, doch der knallharte Stand des Clubs (Trainingsausschluss) und das Missverständnis um eine Ausstiegsklausel („40+1“) zwangen den bissigen Uruguayer zum Verbleib. Die Offensive war also gut besetzt und wurde zusätzlich in der Breite verstärkt (Aspas, Luis Alberto, Victor Moses).

Nach der Hinrunde und einem zufriedenstellenden Platz fünf ahnte noch keiner, dass dies eine Rekordsaison werden sollte. Die Jungs von der Anfield Road legten nämlich eine beeindruckende Serie hin, blieben zwischen dem 20. und dem 35. Spieltag ungeschlagen und gewannen ganze elfmal in Folge. Hauptsächlich war dies dem gefährlichste Sturmduo der Liga zu verdanken: Luis Suarez und Daniel Sturridge – kurz SAS – die mit unglaublichen 53 Toren und 30 Assists maßgeblich am Vereinsrekord von 101 Saisontoren beteiligt waren.

Obwohl man im Ligapokal (3. Runde) und im FA-Cup (Achtelfinale) erneut früh ausschied, durften die treuen Anhänger des Traditionsvereins plötzlich völlig unverhofft von der Meisterschaft träumen. Ein katastrophaler Ausrutscher von Kapitän Steven Gerrard gegen Chelsea (0-2) und ein 3:3 nach 3:0-Führung bei Crystal Palace am vorletzten Spieltag, sorgten jedoch für Ernüchterung. Obwohl der 2. Platz vor der Saison mit Kusshand genommen worden wäre, war die Art und Weise, wie man die Meisterschaft verspielte, äußerst schmerzhaft und frustrierend.

Insgesamt stand dennoch ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr und eine sehr erfolgreiche Saison für Brendan Rodgers.

Eine Saison, auf die man aufbauen kann….oder?

 

2014/2015 – Ernüchterung

Leider nein!

Luis Suarez setzte sich, keine 6 Monate nach seiner Vertragsverlängerung und keine 12 Monate nach dem Transfer-Fiasko mit Arsenal, letztendlich durch und wechselte für stolze 81 Millionen Euro zum FC Barcelona.

Lösungsansatz war, a la Tottenham mit Gareth Bale, Suarez durch mehrere durchschnittliche Spieler zu ersetzen:

Liverpool reinvestierte nicht nur die Suarez-Millionen, man legte sogar noch 70 Millionen oben drauf und holte für mehr als 150 Millionen Euro neues „Material“. Lallana, Markovic, Lovren und Co. sollten den Vizemeister aus dem Vorjahr noch weiter verstärken und zusammen mit der neuen Sturmhoffnung Mario Balotelli die abgewanderte Lebensversicherung ersetzen. Hier beging Brendan Rodgers seine ersten signifikanten Fehler – doch dazu später mehr.

Wie erwartet taten sich die Jungs von Rodgers sehr schwer den Abgang von Suarez zu kompensieren. Umso bitterer war, dass Daniel Sturridge aufgrund diverser Verletzungen nur auf zwölf Premier-League-Spiele (4 Tore) kam und Mario Balotelli komplett floppte (1 Saisontor).

Das in vielen Bereichen umgebaute und von ständigen taktischen Änderungen belastete Team fand zu keinem Rhythmus. Auch in der ersten Champions-League-Saison seit 2009 war daher bereits nach der Gruppenphase – in der Europa League bereits in der Zwischenrunde gegen Besiktas – Schluss.

Die nationalen Pokalwettbewerbe verliefen dafür erfreulicher: Im Ligapokal scheiterte man letztendlich im Halbfinale nach Verlängerung gegen Chelsea und im FA Cup musste eigentlich nur noch Aston Villa bezwungen werden, um das Pokalfinale zu erreichen. Die Villans erwiesen sich jedoch als Stolperstein und eine schwache Liverpooler Leistung bedeutete auch hier das Halbfinalaus.

Im Frühjahr 2015, mit Ausnahme des Ausscheidens im FA-Cup, fanden Stevie G und Co. endlich zu etwas Konstanz und setzten mit eine Serie von 13 Spielen ohne Niederlage den Grundstein für die Europa-League-Qualifikation und letztendlich Platz 5.

Nach dem Abgang von Suarez, den Verletzungen von Sturridge und der daraus resultierenden Spielzeit ohne Torjäger (interner Torschützenkönig war Steven Gerrard mit 9 Treffern!) eigentlich akzeptabel. Nicht hilfreich dafür: Die unklare Zukunft von Supertalent Raheem Sterling, der Titel gewinnen will! Sein Agent spielte die Situation zu früh unnötig auf. Das sorgte für Unruhe im Verein und eine Formkrise beim jungen Engländer.

Doch es hätte vielleicht etwas besser laufen können, denn die Kritik am voreilig deklarierten Wundertrainer nimmt zu. Vorstand und Trainer sind sich einig, dass Fortschritte gemacht werden müssen und Fehler begangen wurden.

 

Überbewertung der Rückrunde 2013/2014

Die Saison 2013/2014 mit Vizemeisterschaft und dem internen Vereinsrekord von 101 Saisontoren war durchaus bemerkenswert, jedoch wurde sie wohl nicht nur von den Fans etwas überbewertet. Klar, in der Rückrunde zeigte man einen extrem ansehnlichen Fußball und spielte fast jeden Gegner an die Wand (Beispiel 5:1 gegen Arsenal), jedoch hätten zwei überaus wichtige Punkte bei der Zukunftsplanung nicht außer Acht gelassen werden sollen:

  • Das Team spielte sich in einen absoluten Rausch. Jeder der selbst einmal die Schuhe geschnürt hat weiß, was die Psyche und Selbstvertrauen für einen enormen Einfluss auf die Leistung haben. Die Reds fühlten sich unschlagbar und hatten kaum einen negativen Gedanken im Kopf. Solch eine Phase ist nie von Dauer und erst recht nicht planbar.
  • Die Offensive war rekordverdächtig unterwegs und kaschierte daher die extrem wackelige Defensive. 101:50 ist kein gutes Torverhältnis für einen Titelanwärter, 50 Gegentore eindeutig zu viel! Die schwache Abwehr wurde nach dem Abgang von Suarez und dem Ausfall von Sturridge regelrecht entblößt. Das aktuelle Torverhältnis von 52:48 spricht Bände! Nur 2 Gegentore weniger bei 49 (!) weniger erzielten Treffern bedeuten einen Absturz von Platz 2 auf Platz 6. Vorbei sind die Zeiten der 5:3-, 4:3- oder gar 6:3-Resultate. Drei Gegentore kannst du dir selbst mit einer außergewöhnlichen Offensive nur ab und zu mal erlauben und dass diese nach dem Abgang von Suarez enorm an Qualität einbüßen würde, war klar. Denn Suarez erzielte nicht nur einen Haufen Tore, er beschäftigte auch komplette Defensivreihen, machte seine Mitspieler besser und schaffte somit Freiräume für seine Mitspieler.

 

Die Transferfensterphilosophie

Rodgers erkannte zwar teilweise, dass die oberen zwei Punkte verantwortlich für die überraschende Saison 2013/2014 waren, doch sein Lösungsansatz war etwas naiv. Tottenham bewies bereits im Vorjahr, dass man durch mehrere teure und individuell gute Einzelspieler (unabhängig von System und Eigenschaften) keinen Weltstar ersetzen kann. Die Transferphilosophie weckt Zweifel:

  • In Lallana, Lambert und Lovren verpflichtete man zwar talentierte Spieler, doch letztendlich waren sie allesamt Teil eines hervorragend funktionierenden Konzepts in Southampton, dass Spieler besser aussehen lässt als sie vielleicht tatsächlich sind. Es ist kein Zufall, dass keiner der „hochkarätigen“ Saints-Abgänge bislang bei ihren neuen Arbeitgebern vollends überzeugen konnten
  • Rodgers holte zu viele überbewertete und vor allem überteuerte Spieler. Joe Allen, Sakho, Balotelli, Lallana, Lovren, Markovic und Moreno konnten bisher ihren hohen Ablösesummen nicht gerecht werden. Sie sind alle zweifelsohne talentiert, jedoch nicht so wie annonciert. Das bedeutet nicht nur, dass man sich finanziell die Hände bindet, sondern auch, dass diese Spieler an übertrieben Erwartungen gemessen werden. Die Folgen sind ein unnatürlicher Druck für die Spieler, ein ungeduldiges und somit auch unruhiges Umfeld. Es ist kein Wunder, dass die „Schnäppchen“ Coutinho (10 Millionnen) und Sturridge (15 Millionen) die echten Volltreffer sind.
  • Quantität statt Qualität: Besonders im Sommer 2013 hatte man ein Faible für spanische Spieler, die nicht unbedingt billig waren, aber sich als absolute Flops entpuppten: Luis Alberto (8 Millionen), Iago Aspas (9 Millionen) und Thiago Ilori (8,25 Millionen). Das Scouting und vor allem die Prüfung auf System- und Ligatauglichkeit muss deutlich verbessert werden.

Insgesamt wurden die Neuzugänge den 276 Millionen Euro, die Rodgers in den Kader steckte, nicht mal ansatzweise gerecht. Der Trainer und die Scouting-Abteilung müssen ein besseres Händchen beweisen, denn bei einem Transferminus von 134 Millionen Euro muss deutlich mehr erwartet werden.

 

Ständige Änderungen in der Formation

Teamchemie und Konstanz mussten bei den vielen personellen Veränderungen erst erarbeitet werden, das ist schwer genug. Brendan Rodgers belastete seinen Kader jedoch unnötig zusätzlich, indem er mit einer Vielzahl an taktischen Varianten experimentierte – und das von Spiel zu Spiel!

Am ersten Spieltag lief Liverpool in einem 4-2-3-1 auf, ehe man bereits am zweiten Spieltag bei Man City ein 4-1-4-1 favorisierte. Insgesamt liefen die Reds in 38 Spieltagen in neun verschiedenen Formationen auf. Nur am 3-4-3 hielt man länger als 3 Spieltage am Stück fest (7). Zufälligerweise war man auch genau zu zu dieser Zeit ungeschlagen.

In diesem Bereich ist vor allem Geduld und Ruhe gefordert.

 

Fazit

Brendan Rodgers ist ein kompetenter Trainer. Er ist weder der erhoffte Heilsbringer, für den ihn die Fans nach der unglaublichen Rückrunde 2013/2014 hielten, noch der einzige Sündenbock für die vergangene Saison.

Zu Beginn stellten wir uns die Frage, ob der FC Liverpool unter Rodgers endlich Kontinuität finden kann und wir stellen fest, dass das natürlich nicht nur in der Macht des Nordiren steht. Der Trainer hat definitiv Fehler gemacht, doch hat der Vorstand vielleicht mehr und vor allem schwerwiegendere Fehler zu verantworten?

Nach neun Jahren ohne bedeutenden Titel herrscht beim Traditionsverein ein großer Erfolgsdruck, zu einer Zeit, in der eigentlich Geduld und Ruhe erforderlich ist. Als Rodgers übernahm, war klar, dass es einen Umbruch geben musste und der erfolgt nicht einfach über Nacht. Die Verpflichtungen, die der Club jedoch speziell 2014 auf dem Transfermarkt tätigte, zeigten ein Stück weit Panik.

Wollte man nach der Vizemeisterschaft den Prozess beschleunigen und einige erforderliche Kapitel bei der Entwicklung zu einem Top-Team überspringen? Wollte man, anstatt eine Mannschaft reifen zu lassen, zu früh bei allen Wettbewerben eine bedeutende Rolle spielen? Dieses Gefühl bringt Rodgers nicht nur in eine extrem ungünstige Lage, es schafft auch einen ungeheuren Druck auf den gesamten Club!

Der Verein muss seine Erwartungen drosseln, einen natürlichen Entwicklungsprozess zulassen und seinem erarbeiteten Konzept vertrauen. Dabei darf man sich auch nicht von zwischenzeitlichen Hochs oder Tiefs und den Wechseldrohungen eines Suarez & Sterling beirren lassen.

Das Ziel muss sein, sich treu zu sein, etwas Nachhaltiges aufzubauen und dies wachsen und reifen zu lassen – denn in der aktuellen Situation hätte es sogar der große Bill Shankly extrem schwer gehabt, die so lang ersehnte Kontinuität zu finden.

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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