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„Die Bundesliga steckt im Philosophie-Dilemma“

4. Januar 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Die Hinrunde der Fußball Bundesliga ist vorbei und auch in dieser Halbserie war wieder einiges los. Es gab spektakuläre und torreiche Spiele, Überraschungen im negativen und auch im positiven Sinne, Trainerwechsel, Sieges- und Negativserien und einige Spieler, die sich in den Vordergrund spielen konnten. Wir blicken auf die Hinrunde zurück, wagen aber auch einen Ausblick auf die Rückrunde und kümmern uns um einige interessante Fragen. Mit von der Partie ist neben unseren Redakteuren Nico Scheck, Marius Merck und Christoph Albers auch Journalist Johannes Mittermeier, unter anderem bekannt von „Eurosport“ und „Focus“. 

 

Videobeweis? Uneinigkeit!

90PLUS: Die Hinrunde der Fußball Bundesliga ist vorbei und auch in dieser Halbserie war wieder einiges los. Bevor wir zu den sportlich relevanten Themen kommen, muss zunächst einmal der Videobeweis angesprochen werden, der die Fußballfans spaltet. Wie steht ihr zum Videobeweis? Unnötig, weil doch so viel diskutiert wird? Oder ist er doch eine gute Einführung, die nur noch etwas verfeinert werden muss, beispielsweise durch das Veranschaulichen prekärer Situationen im Stadion?

J. Mittermeier: Ich bin Traditionalist mit Neigung zum Nostalgiker und muss deshalb aufpassen, die Vergangenheit nicht zu glorifizieren. Was ich vom Videobeweis halten soll, weiß ich allerdings auch nach einer
Halbserie nicht. Beim Live-Tickern fiel mir auf, dass man immer kurz zuckt und wartet, um nicht Gefahr zu laufen, etwas Falsches hinauszuposaunen. Im Stadion nervt es halt beim Torjubel. Trotzdem: Kann die konkrete Umsetzung verbessert werden, bin ich eher für den Videobeweis als dagegen – weil es schon das Potential gibt, dass es dadurch fairer wird.

C. Albers: Bisher ist der Videobeweis keine wirkliche Hilfe. Er sorgt für große Diskussionen und angesichts der
Fehlentscheidungen, die trotzdem getroffen werden, muss der Nutzen ebenfalls in Frage gestellt werden. In anderen Ligen, wie zum Beispiel in der Serie A, funktioniert er allerdings deutlich besser, sodass es Hoffnung gibt. Wichtig ist aber, dass es klar definierte Richtlinien zum Einsatz gibt. Diesen Eindruck habe ich bisher nicht gewonnen. Ich persönlich brauche ihn nicht, vor allem aufgrund der wirklich kuriosen Momente nach Toren, wenn niemand sich so recht freuen mag, aus Angst, dass es doch nicht zählt. Das nimmt dem Sport mehr, als es ihm gibt.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

N. Scheck: Die Diskussionen rund um den Videobeweis sind meiner Meinung nach überflüssig. Dass eine derart neue und im Vergleich zu anderen Mitteln komplexe Technologie eine gewisse Anlaufzeit benötigen würde, ist nur logisch. Sowohl für die Schiedsrichter als auch die Spieler und letztlich den Zuschauer bedeutet der Videobeweis doch eine recht große Umstellung, die nicht von heute auf morgen geschehen kann. Ich verstehe die Fußballfans, die dem Ganzen kritisch gegenüberstehen und damit argumentieren, dass Fehlentscheidungen und die dazugehörigen Emotionen Teil des Sports sind. Auch für mich als Zuschauer ist es etwas komisch, bei einem Tor nicht unbedingt direkt jubeln zu können. Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Videobeweis den Fußball insgesamt schon jetzt deutlich fairer gemacht hat. Klar, manche Entscheidungen werden immer noch falsch oder zumindest fragwürdig getroffen, doch lohnt sich der Videobeweis nicht trotzdem, wenn diese Fehler dadurch auf ein Minimum reduziert werden können? Ich
finde schon. Natürlich muss die Technik noch verfeinert werden, der Zuschauer muss die Möglichkeit haben, die Entscheidungsfindung nachzuvollziehen.

 

Destruktivität als Bundesliga-Problem

90PLUS: Nach einem schwierigen Saisonstart hat der FC Bayern unter Jupp Heynckes wieder zurück in die Spur gefunden und führt die Ligatabelle zur Winterpause mit einem deutlichen Vorsprung an. Trotz einer Stabilisierung ist der Rekordmeister nicht etwa in unerreichbare Sphären vorgestoßen, eher ist die unkonstante Konkurrenz ausschlaggebend. Kommt auf die Bundesliga ein gravierendes Qualitätsproblem zu und was müssen Mannschaften wie Dortmund, Leipzig und die im Vergleich zur Vorsaison verbesserten Schalker, Gladbacher und Leverkusen machen, um diesen Trend zu stoppen?

M. Merck: Das Gefälle hinter den Bayern scheint in diesem Jahr in der Tat dichter, aber auch distanzierter. Während sich gewisse Teams (Schalke, Leverkusen) im Vergleich zum Vorjahr verbessert haben, suchen andere ihre Form (BVB, RBL, Hoffenheim). Aufgrund dieser Umstände ist der Vorsprung des Rekordmeisters nochmal angewachsen. Gerade die Dortmunder schienen zu Saisonbeginn näher herangerückt zu sein, die Formkrise im Herbst machte allerdings alles zunichte. Bei RB merkt man im Vergleich zur Vorsaison die Dreifachbelastung, qualitativ hat das Team eigentlich keine Einbußen hinnehmen müssen. Entscheidend wird sein, ob sich aus der Verfolgerfeld ein Team besonders hervortun und darauf aufbauen kann, ähnlich wie es der BVB im Zeitraum von 2010 bis 2013 schaffte. Andernfalls droht der Bundesliga über weitere Jahre ein Münchener Alleingang.

J. Mittermeier: Für mich befindet sich die Bundesliga in einem Philosophie-Dilemma. Es ist in weiten Teilen eine Defensivliga geworden, mit destruktiv instruierten Mannschaften, die den Ball lieber dem Gegner überlassen. Das hat natürlich mit Qualität zu tun, nichts fällt schwerer, als das Spiel zu gestalten. Dieser Zustand ist in meinen Augen der Hauptgrund dafür, warum es international so schleppend läuft. Dass Bayern deutlich vorne liegt, kann weder Ruhmesblatt für München noch den Rest vom Fest sein.

N. Scheck: Die unkonstante Form der sogenannten Konkurrenz der Bayern ist definitiv alamierend. Gerade international hat man leider schon im Herbst gesehen, dass die deutschen Teams weit weg von der Spitze sind. Dies zeigt sich eben auch in der Bundesliga, wo ein zwischendurch kriselnder FC Bayern München (samt Trainerwechsel) mittlerweile alleine an der Tabellenspitze seine Kreise zieht. Insbesondere Teams wie der VFL Wolfsburg oder Bayer Leverkusen (trotz verbesserter Form) enttäuschen mich von Jahr zu Jahr mehr. Trainerwechsel und neue Transfers liegen oft deutlich unter den vorhandenen Möglichkeiten, gerade wenn man Teams wie den SC Freiburg zum Vergleich nimmt. Die Leipziger sehe ich auf einem sehr guten Weg und den BVB hätte ich normalerweise auch in die Kategorie „Gute Arbeit“ eingeordnet, doch das letzte Jahr muss einem etwas Sorgen bereiten. Mit den Fällen Tuchel, Dembele und Bosz haben die Dortmunder 2017 mit sehr vielen größeren Problemen zu kämpfen gehabt. Folglich geht also vor allem darum, dass wieder etwas Ruhe bei den Borussen einkehrt. Stöger könnte dafür vorerst der richtige Mann sein. Gelingt dies, wird auch der BVB wieder zu alter Stärke zurückfinden, vorausgesetzt, man behält das glückliche Händchen in Sachen Transfers. Insgesamt sehe ich ein Innovationsproblem, mit dem man die finanziellen Rückstande auf die Premier League (als Beispiel) kaschieren könnte.

 

Christian Streich? Sensationell!

90PLUS: Neben den eben bereits angesprochenen Schalkern hinterließen auch der FC Augsburg und Eintracht Frankfurt einen wirklich guten Eindruck in der Hinrunde, sind die ersten beiden „Verfolger“ der „üblichen Verdächtigen“. Auch der Schlussspurt des SC Freiburg war beeindruckend. Welche Mannschaft ist für euch bisher die größte Überraschung und wie dürfte der Werdegang eben dieser Mannschaft in der Rückrunde aussehen?

M. Merck: Was Christian Streich in Freiburg leistet, ist schlichtweg sensationell. Im Sommer verloren die Breisgauer mit Vincenzo Grifo und Maximilian Philipp die maßgeblichen Akteure in der Offensive. Zudem brach sich Florian Niederlechner die Kniescheibe, Neuzugang Ravet – für welchen für Freiburger Verhältnisse eine ordentliche Summe hingelegt wurde – hat noch große Anpassungsprobleme. Und trotz all dieser Widrigkeiten überwintert der SCF auf einem komfortablen 13. Platz. Natürlich hat der Schlussspurt ein wenig dazu beigetragen, jedoch haben die Freiburger über die gesamte Vorrunde gute Leistungen gebracht, sich nur
meistens vor dem gegnerischen Tor nicht belohnt. Das soll natürlich nicht das Gesamtbild verzerren: Auch in der Rückrunde wird es für Freiburg nur um den Klassenerhalt gehen. Die letzten Wochen dürften dafür ordentlich Selbstvertrauen geben – damit hat der Klub einmal mehr das absolute Maximum aus seinen Möglichkeiten herausgeholt.

(Photo by Alexander Scheuber/Bongarts/Getty Images)

C. Albers: Für mich sind es die bereits in der Frage angesprochenen Augsburger. Gerade der FCA profitiert auch von der guten Defensivstruktur und der darauf aufbauenden Spielidee. Mit der Taktik gelingt es ihnen auch qualitativ bessere Gegner zu bezwingen, was großen Respekt verdient. Da bei ihnen aber auch vieles an der guten Form hängt, erwarte ich, dass sie in der Rückrunde etwas nachlassen werden. Zumal auch die Gegner nach und nach Mittel gegen sie finden dürften. Ich erwarte, dass sie am Ende irgendwo zwischen Platz 12-14 landen.

N. Scheck: Neben den Schalkern, die sich unter Tedesco wirklich sehr gut entwickelt haben, gefällt mir
insbesondere der SC Freiburg gemessen an der vorhandenen Finanzkraft am besten. Dabei kann man jedoch schon eigentlich nicht mehr von einer Überraschung sprechen. Schließlich weiß sich das Team von Trainer Christian Streich schon seit Jahren in der Bundesliga zu behaupten. Für mich ist Freiburg das Paradebeispiel dafür, was möglich ist, wenn man seine Mittel effizient nutzt. Sowohl der Trainer als auch die Vereinsführung leisten eine sensationelle Arbeit. Obwohl man im Sommer mit Grifo (zu Gladbach) und Philipp (zum
BVB) die beiden besten Offensivakteure verloren hat, zudem die lange Verletzung von Stürmer Niederlechner hinnehmen musste und zwischendurch auf dem vorletzten Tabellenplatz lag, kam nie eine Trainerdiskussion auf. Das hat sich ausgezahlt: Derzeit rangiert der Sportklub auf dem 13. Tabellenplatz und ich bin mir sicher, dass man auch in diesem Jahr den Klassenerhalt frühzeitig klar machen wird.

 

Wolfsburg-Kader enttäuschend zusammengestellt

90PLUS: Neben Überraschungen gibt es natürlich auch Enttäuschungen. Der VfL Wolfsburg befindet sich beispielsweise wieder einmal in der unteren Tabellenhälfte und kommt nicht wirklich vom Fleck. Wo seht ihr die Gründe für die Stagnation, obwohl der Kader zumindest über individuelle Klasse verfügt? Und welche anderen „Flops“ würdet ihr gerne noch nennen?

J. Mittermeier: Wenn ich diese Frage schlüssig beantworten könnte, würde ich es mir von VW teuer bezahlen lassen. Wolfsburgs Team hat sicher kein Champions-League- Format, besonders ohne Mario Gomez, von dem
ich immer noch viel halte. Irgendwie wirkt das Konstrukt unausgegoren, man muss sich nur die ständigen Personalwechsel anschauen, auf wie neben dem Platz. Dennoch sollte Europa eigentlich drin sein. Mainz habe ich da unten erwartet, und Köln läuft inzwischen fast außer Konkurrenz.

C. Albers: Beim VfL sehe ich das größte Problem in der fehlenden Konstanz und der, daraus resultierend,
mangelhaften Kaderplanung. Der Kader verfügt über viel individuelle Klasse, aber es ist trotzdem schwer die Spieler in ein System zu gießen, in dem alle ihre Stärken optimal einbringen können. Dazu bräuchte es eine einheitliche Spielidee und Konstanz, um diese umzusetzen. Beides fehlt derzeit. Köln ist natürlich ein Flop, ohne Frage, der HSV, gemessen an der Tabellensituation, ganz klar auch. Und für mich definitiv auch der BVB.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

M. Merck: Seit der Vizemeisterschaft im Jahr 2015 wurde es verpasst die Mannschaft Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Wenn man sich die heutige Startelf anschaut, dann findet man kaum noch Spieler aus der fantastischen Rückrunde 2014/15. Dabei sollte man zumindest davon ausgehen, dass einige Spieler aus dem damaligen Team auch noch heute Stützen für den Verein könnten. Seit der Ankunft von Martin Schmidt erkennt man wenigstens, dass es wieder in eine gewisse Richtung gehen soll. Als weiterer „Flop“ muss hier einfach der BVB genannt werden: Nach einem solchen Saisonstart derart einzubrechen und sich damit gewisse Chancen frühzeitig zunichte zu machen, ist einfach nur enttäuschend.

 

Spannender Kampf um die CL: Leipzig und Dortmund vorne

90PLUS: Davon ausgehend, dass die Meisterschaft dem FC Bayern München so gut wie nicht mehr zu nehmen ist: Welche 3 Mannschaften haben eurer Meinung nach die besten Chancen auf die Qualifikation zur Champions League? Hinter dem Rekordmeister tobt ein spannender Kampf, Platz 2 und Platz 8 trennen lediglich 4 Punkte in der Tabelle.

C. Albers: Ich sehe Leipzig auf jeden Fall wieder in der Champions League. Auch der BVB wird, aufgrund der
enormen individuellen Klasse, wieder in die Königsklasse einziehen, obwohl bei ihnen sicherlich einiges im Argen liegt. Außerdem traue ich es auch Schalke 04 zu, die gute Hinrunde zu bestätigen und unter den ersten 4 zu landen. Bei Hoffenheim fehlt die Qualität und bei Gladbach die Balance. Mit Leverkusen tue ich mich schwer, ihnen traue ich es ansonsten noch am ehesten zu.

J. Mittermeier: Ich glaube nicht, dass Schalke am Saisonende auf Platz zwei steht; da war bisher auch viel Spielglück dabei, womit ich S04 nichts absprechen will. Dortmund traue ich mir nicht mehr einschätzen, Leipzig
sollte ohne Mehrfachbelastung deutlich stärker bzw. konstanter sein, Leverkusen kann schrecklich schön und schrecklich wackelig auftreten. Machen wir es kurz: Zweiter Leipzig, Dritter Dortmund, Vierter Leverkusen.

N. Scheck: Ich rechne damit, dass Deutschland in der Königsklasse in der nächsten Saison neben den
Bayern vom BVB, Leipzig und den Schalkern vertreten wird. Dortmund wird sich in der Rückrunde wieder fangen und sich die Vizemeisterschaft sichern, gefolgt von Leipzig und den Schalkern, bei denen ich auch in der Rückrunde keinen großartigen Einbruch erwarte.

M. Merck: Aufgrund der individuellen Qualität sind hier immer noch klar der BVB und Leipzig zu nennen. Vor allem die Zweitgenannten dürften wegen der Mehrfachbelastung die Winterpause nötig gehabt haben. Auf der anderen Seite wirken Bayer Leverkusen und vor allem Schalke 04 ziemlich eingespielt und gefestigt. Daher werden die verbleibenden Plätze wohl an ein Trio aus diesem Quartett gehen. Am ehesten droht meines Erachtens der „Werkself“ das Rausrutschen aus dieser Gruppe.

 

90PLUS: In der Bundesliga setzte sich zuletzt ein Trend durch: Viele junge Trainer sind im Amt, angefangen bei Julian Nagelsmann, über Domenico Tedesco hin zu Manuel Baum oder aber Florian Kohfeldt. Welcher dieser jungen Trainer hat euch am meisten beeindruckt und denkt ihr, dass dieser Trend auch in den kommenden Jahren anhalten wird?

J. Mittermeier: Darf ich Niko Kovac ergänzen? Bin ein großer Fan, auch wegen seiner menschlichen Attitüde. Ich hoffe und erwarte, er geht seinen Weg. Der Trend zur Jugend wird anhalten, oder glaubt jemand, dass
Christoph Daum, Mirko Slomka & Co. nochmal einen deutschen Spitzenklub trainieren? Ausnahmen
gibt es immer, aber keine Allgemeingültigkeit mehr. Die Zukunft hat längst begonnen.

M. Merck: Der Trend ist absolut begrüßenswert, endlich scheint sich Qualität in fast allen Maßen gegenüber früheren Verdiensten durchzusetzen. Natürlich kann eine gewisse Erfahrung als Spieler von großen Wert sein, auf der anderen Seite ist es zu begrüßen, dass es nicht mehr als maßgeblicher Faktor erachtet wird. Oder wer will denn weiterhin sehen, wie ehemalige Profis teilweise Jobs ausüben, welchen sie nicht im Ansatz gewachsen sind? Tedesco ist von der ganzen jungen Garde in dieser Saison etwas herauszustellen. Schon lange hat kein Trainer mehr in dem unruhigen Schalker Umfeld sich derart schnell einen Namen gemacht. Die Aufholjagd im verrückten Derby kann als sein taktisches Meisterstück gesehen werden. An ihm sollten die „Königsblauen“ noch lange Freude haben.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

N. Scheck: Neben Julian Nagelsmann, der mich schon in der vergangenen Saison sehr überzeugt hat und
seine Fähigkeiten als Trainer in dieser Spielzeit bisher bestätigt, bin ich auch von der Arbeit von Domenico Tedesco angenehm überrascht. Meiner Meinung nach ist es vor allem sein Verdienst, dass S04 aktuell auf dem zweiten Tabellenplatz steht. Eine unkonstant spielende Mannschaft derart schnell auf Kurs zu bringen, ist definitiv eine große Leistung und verdient Respekt. Doch bisher musste Tedesco auch noch keine Phase miterleben, in der es mal nicht so lief. Es bleibt also abzuwarten, ob er auch dann die richtigen Schlüsse ziehen kann und vor allem, ob die Vereinsführung ihm dann trotzdem den Rücken stärkt. Ob der Trend, auf junge Trainer zu setzen, in den nächsten Jahren anhält, hängt wohl vor allem davon ab, ob die Vereine damit erfolgreich sind. Denn bisher ist dies definitiv der Fall. Angefangen bei Nagelsmann bei Hoffenheim über Tedesco bei den Schalkern bis hin zu Manuel Baum beim FC Augsburg scheint sich das Vertrauen der Vereinsbosse in junge Trainer auszuzahlen. Auch hier muss man abwarten, ob der Erfolg von Dauer ist oder ob sich dieser Trend bei Misserfolgen einstellt. Doch bisher scheint das ein guter Weg zu sein.

 

Größerer Transfer? Wenn, dann beim BVB

90PLUS: Die Winterpause bedeutet auch immer, dass der Transfermarkt öffnet. Der FC Bayern verpflichtete bereits Sandro Wagner, Simon Terodde schließt sich dem Effzeh an, Freiburg verpflichtet Lucas Höler, Gomez kehrt nach Stuttgart zurück, Brekalo dafür nach Wolfsburg und Mainz tütete Anthony Ujah ein. Auffallend: All diese Spieler sind Angreifer. Seht ihr in diesem Winter noch Potenzial für einen „großen“ Transfer und wenn ja, bei welchem Verein würdet ihr am ehesten Nachholbedarf sehen?

M. Merck: Selten haben Vereine mit einer guten Offensive eine „richtige“ Ergebniskrise, von daher ist es logisch bei der Kaderoptimierung zuerst auf den Angriff zu schauen: Schießt man keine Tore, gewinnt man keine Spiele. Gerade bei den meisten Teams aus dem Mittelfeld und dem unteren Tabellenbereich gab in dem offensiven Zusammenspiel einige Probleme, deswegen wirkt der gewählte Ansatz zutreffend. „Große“ Transfers sind in diesem Fenster für die Bundesliga eher weniger zu erwarten. Allerdings wird ein solcher Deal oftmals am Namen festgemacht, viel wichtiger ist der Mehrwert für das Team. Deshalb war für mich im letzten Januar auch Thomas Delaney von Werder ein sogenannter „großer“ Transfer, da er entscheidend zur Rettung beitrug und sich als wahrer Glückgriff entpuppte. Interessant werden die nächsten Wochen vor allem aus Schalker Sicht (Geht neben Goretzka auch Meyer? Kommen Uth und Kempf ablösefrei?).

C. Albers: Da die Rückrunde bereits am 12. Januar wieder startet, erwarte ich nicht, dass es noch einen richtig
dicken Transfer geben wird. Einige Teams werden sicherlich noch die eine oder andere Lücke schließen wollen, doch dabei erwarte ich eher kleinere oder mittlere Lösungen. Am ehesten sehe ich beim BVB das Potenzial für einen größeren Transfer, gerade in der Verteidigung.

N. Scheck: Derzeit gehe ich nicht davon aus, dass in diesem Winter in der Bundesliga noch große Transfers über die Bühne gehen werden. Zwar ist sicherlich der ein oder andere Verein aufgrund der aktuellen Tabellensituation oder personeller Probleme zum Handeln gezwungen, einen großen Transfer sehe ich da aber trotzdem nicht. Dazu gibt der Markt in der Winterpause zu wenig her. Einzig die Gerüchte um einen Wechsel von Yannick Carrasco (Atletico Madrid) zum FC Bayern München hätten Potenzial dazu, doch auch diesen Transfer halte ich, zumindest in diesem Winter, für sehr unwahrscheinlich.

 

Einigkeit bei Tuchel – wer steigt ab?

90PLUS: Abschließend noch 4 kurze Prognosen für die Zukunft: Wer beerbt Jupp Heynckes als Trainer des FC Bayern, welche beiden Mannschaften steigen direkt ab, wer holt sich die Torjägerkanone in der Liga und wie sieht die Zukunft von Peter Stöger im Sommer aus?

C. Albers: Da es Peter Neururer wohl doch nicht wird, tippe ich auf Thomas Tuchel. Köln ist für mich klar, zudem tippe ich auf Mainz. Torjägerkanone geht Robert Lewandowski. Peter Stöger übernimmt einen Bundesligisten, der nicht Borussia Dortmund heißt.

J. Mittermeier: Heynckes-Nachfolge: Thomas Tuchel, trotz aller Vorbehalte. Direkte Absteiger: Köln und Mainz. Torjägerkanone: Robert Lewandowski, obwohl ich ihn durchaus kritisch sehe – er braucht für meinen Geschmack zu viele Chancen. Peter Stöger: Nach der Saison ist Schluss beim BVB, aber nicht zwingend in der Bundesliga.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

M. Merck: Im Sommer kann der neue Bayern-Trainer nur Thomas Tuchel heißen. Der Deutsche hat in Mainz
alles aus der Mannschaft herausgeholt, seine leider zu kurz geratene Arbeit beim BVB bewegt sich in
ähnlichen Sphären. In diesem Jahr hätte Dortmund mit ihm (und damit vielleicht auch mit Ousmane
Dembélé) die Bayern womöglich richtig ärgern können. Aus seinen Fehlern im zwischenmenschlichen
Bereich wird der akribische Tuchel gelernt haben, weswegen er sich in der Endausscheidung durchsetzen wird. Für den „Effzeh“ dürfte der Rückstand bereits ein wenig zu groß sein – angesichts der letzten Runde ein fast schon unglaublich bitterer Zustand. Neben der Kölner scheint vor allem der HSV ernsthaft gefährdet zu sein. Der Weg der Hamburger vermehrt auf eigene junge Spieler zu setzen mag zwar lobenswert erscheinen, ob im Abstiegskampf davon profitiert werden kann, muss angezweifelt werden. Die Torjägerkanone geht nach 2014 und 2016 zum dritten Mal an Robert Lewandowski. Der Pole wird mit seiner dritten Kanone und seiner insgesamt sechsten Meisterschaft als der beste ausländische Stürmer in die Bundesliga-Geschichte eingehen – bevor er im nächsten Sommer mit seiner wohl vorletzten Chance auf einen Sprung ins Ausland für mächtig Unruhe sorgen wird. Peter Stöger wirkt in seinen ersten Wochen wie der richtige Mann für den BVB. Wenn er die direkte Qualifikation für die Champions League schaffen sollte, wird der Verein mit dem Österreicher verlängern. Nur weil gewisse junge Trainer durchaus begehrenswert erscheinen, muss man sich nicht
von einer potentiell besseren Lösung trennen.

N. Scheck: Thomas Tuchel beerbt Jupp Heynckes, der 1. FC Köln und der 1. FSV Mainz 05 steigen direkt ab, Robert Lewandowski wird wenig überraschend Torschützenkönig in der Liga und Peter Stöger muss sich im Sommer einen neuen Verein suchen.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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