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Corentin Tolisso: Wer ist Bayerns Neuzugang?

14. Juni 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Nun ist es offiziell! Corentin Tolisso wechselt von Olympique Lyon zum deutschen Rekordmeister FC Bayern München, unterschreibt einen Vertrag bis 2022! Nach Niklas Süle, Sebastian Rudy und Serge Gnabry ist Tolisso bereits der vierte Neuzugang des FC Bayern. Der 22-jährige gilt als großes Talent, hatte ebenfalls das Interesse von anderen europäischen Topklubs geweckt und soll nun das Mittelfeld der Bayern bereichern. Doch wer ist dieser Tolisso eigentlich?

Der Talentepool in Frankreich ist nahezu unermesslich. Die Vereine der Ligue 1 schaffen es derzeit in jeder Saison zahlreiche gute Spieler hervorzubringen, diese angemessen zu fördern und für die Spitzenklubs im In- und Ausland zu formen. Neben Namen wie Dembele, Mbappe, Varane, Umtiti, Mendy oder Lemar gehört auch Tolisso, der im März diesen Jahres für die A-Nationalmannchaft debütierte, zu einem erlesenen Kreis hochtalentierter Akteure, die den Fußball mit ihrer Landesauswahl in den kommenden Jahren prägen könnten.

Gute Ausbildung in Lyon

Tolisso verbrachte seine Jugend in Lyon, wurde dort in den Nachwuchsabteilungen sehr gut ausgebildet. Seit seinem 13. Lebensjahr spielte er beim französischen Topklub. Olympique bringt ohnehin schon seit vielen Jahren regelmäßig gute Spieler hervor. Unter anderem Hugo Lloris, Hatem Ben Arfa, Karim Benzema und Alexandre Lacazette absolvierten wichtige Jahre in der Jugendakademie und in der Reservemannschaft des Vereins. Der erste Profivertrag für Tolisso wurde im Oktober 2013 fixiert, bereits zwei Monate zuvor gab er gegen Nizza sein Ligadebüt für Lyon. In seiner Debütsaison absolvierte er 25 Pflichtspiele, gerade zu Saisonende spielte er regelmäßig.

(Photo by FRANCK FIFE/AFP/Getty Images)

Schon zu Beginn seiner Profikarriere wurde Tolisso dort eingesetzt, wo er gerade gebraucht wurde. Er spielte im zentralen, defensiven Mittelfeld oder als Rechtsverteidiger, zeigte überall ansprechende Leistungen und sammelte in der Europa League erste internationale Erfahrungen. Zudem spielte er für die U19 und U20-Auswahl der französischen Nationalmannschaft, später etablierte er sich langfristig in der U21 der Equipe Tricolore. Auch in der U21, die er insgesamt fünfmal als Kapitän auf das Feld führte, wurde er hin- und hergeschoben. Zentrales Mittelfeld, offensives Mittelfeld, rechtes Mittelfeld – Tolisso stellte seine Polyvalenz unter Beweis.

Sukzessive Verbesserung

In der Folge entwickelte sich Tolisso rasch zum unverzichtbaren Stammspieler für Lyon. Bereits in der Saison 2014/15 sammelte er über 3700 Pflichtspielminuten, wurde aber nun überwiegend im Mittelfeld eingesetzt, hatte nur och 7 Einsätze als Außenverteidiger, allen voran zum Saisonbeginn. Der Rhythmus im Mittelfeld tat ihm gut, Tolisso wurde immer sicherer in seinen Aktionen, traute sich mehr zu und erzielte prompt 7 Ligatore. Das lag vor allem daran, dass er im Mittelfeld alle Freiheiten hatte, sich in die Offensive einschalten und auch auf der Außenbahn auftauchen konnte. Kapitän Gonalons war für die Balance zuständig, stabilisierte das Zentrum und ermöglichte Tolisso diverse Ausflüge.

Tolisso wurde stetig besser, hatte nicht mit nennenswerten Verletzungen zu kämpfen und arbeitete weiter hart an sich. Ihn der Saison 2015/16 konnte er in 6 Spielen in die Königsklasse hineinschnuppern, spielte die komplette Gruppenphase durch. Hier gelangen ihm 11 Scorerpunkte in der Liga, er wurde noch effizienter, lernte die Balance zwischen Defensive und Offensive noch besser einzuschätzen. Auch die vergangene Saison war erneut ein Schritt nach vorne. 14 Europapokalspiele, 47 Pflichtspiele insgesamt, dabei 14 Tore und 7 Vorlagen, zudem nur 3 gelbe und eine rote Karte: Der 22-jährige war spätestens jetzt in Europa heiß begehrt. Nach drei kompletten Spielzeiten bei Olympique Lyon und der Konstanz in seinen Leistungen ist es nur logisch, dass nun der nächste Karriereschritt anvisiert wird.

Kein direkter Alonso-Ersatz

Ein direkter Ersatz für Xabi Alonso, der seine Karriere in diesem Sommer beendete, ist Tolisso allerdings nicht. Alonso bestach durch seine Übersicht, seine präzisen kurzen und langen Bälle und nicht zuletzt durch seine Ausstrahlung auf dem Platz. Tolisso ist kein Spieler, der permanent Angriffe aus der Tiefe des Platzes mit öffnenden Pässen initiiert, auch wenn sein Passspiel keinesfalls unterdurchschnittlich ist und er versucht, das Spiel mit präzisen Diagonalbällen zu eröffnen – auch hier sollten mit der Erfahrung, die er sich in der nächsten Phase seiner Karriere aneignet, noch Verbesserungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. Der kreative Aspekt geht ihm lediglich mitunter etwas ab, wenngleich auch hier noch zu erwarten ist, dass die Entwicklung in den kommenden Jahren vorangetrieben wird.

(Photo by ROMAIN LAFABREGUE/AFP/Getty Images)

Corentin Tolisso ist vielmehr ein dynamischer, laufstarker Spieler mit umfassenden Defensiv- und Offensivvfähigkeiten, einer mehr als soliden Passquote, der einen hohen Aufwand betreibt und sich für keinen Weg zu schade ist. Trotzdem bereitet er Tore vor, hat das Auge für seinen Mitspieler. Der 22-jährige sucht gerne selbst den Abschluss, besitzt eine gute Schusstechnik und seine Spielintelligenz hilft ihm in gute Schusspositionen zu kommen. Tolisso ist taktisch sehr gut ausgebildet, besitzt eine gute Auffassungsgabe und eine ausgeprägte Handlungsschnelligkeit, muss allerdings noch an einigen Dingen arbeiten, beispielsweise an seinem schwachen linken Fuß, den er nur ungern im Passspiel benutzt. Sein Wert für die Defensive ist nicht unerheblich, Tolisso stopft viele Lücken, kann Zweikämpfe gewinnen und daraufhin vor allem mit seiner Dynamik Gegenangriffe einleiten.

Perspektiven des Bayern-Mittelfeldes

Mit dem Transfer von Corentin Tolisso dürften die Transferplanungen im Mittelfeld des FC Bayern abgeschlossen sein. Mit Sebastian Rudy und ihm wurden zwei Spieler verpflichtet, mit Xabi Alonso (Karriereende) und Joshua Kimmich (Rechtsverteidiger) sind zwei Spieler nicht mehr für das Mittelfeld vorgesehen. Sofern sich bei Renato Sanches kein Abgang mehr andeutet, dürfte auch nichts mehr passieren. Interessanter ist aber vor allem die weitere, perspektivische Planung. Denn der FC Bayern befindet sich insgesamt in einem personellen Umbruch und will die Planstellen im Kader langfristig adäquat besetzen. Das Interesse an Leon Goretzka vom FC Schalke 04 sollte durch die Tolisso-Verpflichtung nicht erloschen sein. Denn: Es ist durchaus denkbar, dass Arturo Vidal den FC Bayern in den kommenden 1-3 Jahren verlässt, auch wenn es dafür zurzeit keine konkreten Hinweise gibt.

Vidals Vertrag läuft „nur“ noch bis 2019 und aufgrund seiner häufigen Blessuren nach Länderspielen mit der chilenischen Auswahl, die zwar nicht immer zu Ausfällen, aber doch zu Fitnessproblemen oder zumindest Schmerzen führen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich der Verein zweimal überlegt, ob man den derzeit 30-jährigen mit einem neuen, langfristigen Vertrag ausstattet. Mit Tolisso, Sanches und dem etwaigen Neuzugang Goretzka wäre man für diesen Fall optimal gerüstet, könnte diese Position auf mehrere Schultern verteilen. Ebenfalls denkbar ist, dass man sich die Flexibilität sowohl von Rudy als auch vor allem von Tolisso zunutze machen könnte, sofern das Projekt Kimmich auf der Rechtsverteidigerposition scheitern sollte. Aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik und muss in Ruhe weiterverfolgt werden. Klar ist jedenfalls, dass dieser Neuzugang dem FC Bayern durchaus weiterhelfen kann, nicht nur perspektivisch, sondern bereits sofort.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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