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Den Ambitionen nicht würdig: Das fatale Bild des FC Bayern auf dem Transfermarkt

27. Juni 2019 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Nachspielzeit | Die Saison 2018/19 ist noch nicht allzu lange vorüber, dennoch lässt sich bei den Vereinen bereits ein kleines Zwischenfazit hinsichtlich der Transferbemühungen ziehen. Welche Problemstellen wurden frühzeitig erkannt, auf welche Abgänge, die möglicherweise schon früh feststanden, wurde reagiert? Und wie?

Ein jeder Klub strebt an den Kader für eine Saison zum Trainingsauftakt in weiten Teilen beisammen zu haben, sodass man zwar noch auf dem Markt agieren kann, eine grundsätzliche Ausrichtung aber schon erkennbar ist. Das macht es für die Spieler in Sachen Integration, für den Trainer in Bereichen der Generierung der Automatismen einfacher. Und: Es herrscht Ruhe, wenn nicht noch 3, 4 oder gar mehr Positionen unbesetzt sind. Der mediale Druck ist geringer. Natürlich funktioniert es in den seltensten Fällen, dass alle Planungen zum Tag X, dem eben genannten Trainingsauftakt, abgeschlossen sind.

Was bisher geschah

Früh stand fest, dass Franck Ribery und Arjen Robben den FC Bayern München verlassen werden. Und schon im Winter versuchte man beim Rekordmeister den jungen Callum Hudson-Odoi vom FC Chelsea zu verpflichten, unterbreitete den „Blues“ mehrere Angebote, bestätigte das Interesse sogar öffentlich. Und das mehrfach. Überraschenderweise gefielen diese öffentlichen Aussagen den Verantwortlichen des FC Chelsea überhaupt nicht und so ist bis heute der Stand, dass Hudson-Odoi mehreren Medienberichten zufolge zwar weiterhin gerne nach München wechseln würde, die „Blues“ einem Wechsel aber einen Riegel vorschieben und liebend gerne mit dem Youngster verlängern und ihn mit einer Charmeoffensive locken wollen. Doch zurück zu den bereits feststehenden Bewegungen im Kader.

(Photo by Michael Regan/Getty Images)

Arjen Robben, Franck Ribery, Rafinha, James Rodriguez und Mats Hummels haben den Verein bereits verlassen. Mit Renato Sanches, der den Verein verlassen will und Jerome Boateng, der abgegeben werden soll, könnten bis zu 7 Spieler in diesem Sommer wechseln. Betrachtet man den Kader der vergangenen Saison und sieht ihn – wohlwollend – als gerade noch ausreichend besetzt an, dann stellt man fest, dass nach den Verpflichtungen von Benjamin Pavard und Lucas Hernandez noch bis zu 5 Spieler fehlen. Denn auch wenn Fiete Arp durchaus als talentiert gilt, dürfte er noch eine gewisse Anlaufzeit in München benötigen, wenn er es überhaupt zeitnah auf ein entsprechendes Niveau schafft.

Dass diese Rechnung mit bis zu 5 neuen Spielern, die noch fehlen, nicht einfach aus der Luft gegriffen ist, unterstreicht die Aussage von Niko Kovac im „Kicker“. Der Trainer des Rekordmeisters ging nämlich in die Offensive und forderte gleich vier neue Spieler. Doch was tut sich momentan überhaupt? Diese Frage beschäftigt viele Fans des Rekordmeisters, denn die Berichte, die man zurzeit vernimmt, liefern guten Grund zur Sorge.

Absagen und Probleme, wohin man schaut

Den Anfang macht die Defensive. Mit Kimmich, Pavard, Süle, Boateng, Hernandez und Alaba stehen derzeit 6 Defensivspieler im Aufgebot – für 4 Positionen. Zuletzt baggerte der FC Bayern intensiv an Ozan Kabak vom VfB Stuttgart, der die Schwaben für eine festgeschriebene Ablösesumme in Höhe von 15 Millionen Euro verlassen darf. Doch Kabak entscheidet sich, so berichten mehrere Medien übereinstimmend, für den FC Schalke 04. Der Rekordmeister geht also leer aus, Kabak wäre eine Investition in die Zukunft gewesen. Während dieser „verpasste“ Transfer keinen Weltuntergang darstellt, muss man sich fragen, ob es einen Plan B gibt. Denn: Die Besetzung der Defensive ist jetzt relativ dünn und riskant, geht Boateng, dann muss definitiv gehandelt werden. Gerüchte um einen weiteren Verteidiger gibt es zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht.

Die Planstelle im defensiven Mittelfeld ist ebenfalls vakant. Man sucht in München einen Spieler, der vor der Abwehr spielt und „mit dem Ball umgehen“ kann, der also Thiago entlasten, das durch den James-Abgang größer gewordene Kreativitätsvakuum schließen soll. Schnell wurde klar: Rodrigo Hernandez von Atletico Madrid ist der „auserwählte“ Spieler für diese Position, bringt er doch alle Voraussetzungen mit. Doch da sich Manchester City schnell in die Personalie einmischte und das bessere Gesamtpaket bietet, wird sich Rodri – auch wenn es noch nicht offiziell ist – für die „Skyblues“ entscheiden. Das Problem ist, dass es wenige andere passende Spielertypen auf dem Markt gibt, man im Prinzip eher nach einem 8er mit fußballerischen Fähigkeiten fanden müsste. Allerdings, so heißt es im „Kicker“, ist derzeit überhaupt nicht sicher, ob man überhaupt tätig wird. Die offensichtliche Entwicklung vom 70-Millionen-Wunsch zur Grundsatzfrage auf dieser Position ist ein Indiz für eine wachsende Planlosigkeit.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Die größte Baustelle bleibt aber die Offensive. Lewandowski, Gnabry, Coman, Müller (und Arp & Davies) stehen derzeit im Aufgebot. Das ist viel zu wenig. Leroy Sane gilt als absoluter Wunschkandidat, doch dieser hat sich noch nicht entschieden, wie seine Karriere weiter fortlaufen soll. Als Alternative wird Ousmane Dembele ins Spiel gebracht, er wird – wie Sane auch – enorm teuer und alles andere als einfach zu verpflichten sein. Die Namen, die in der Offensive sonst mit dem Rekordmeister in Verbindung gebracht werden, sind Yannick Carrasco, Julian Draxler, Timo Werner und Steven Bergwijn. Aufgrund der nicht gerade identischen Spielertypen Bleitb die Frage: Was will man in München eigentlich? Für welche Art Fußball will man stehen?

Offene Fragen, schlechte Außendarstellung

Natürlich kann man sagen, dass der Transfermarkt noch nicht offiziell geöffnet hat und noch bis Ende August Zeit ist um entsprechende Deals voranzutreiben. Doch das stimmt auch nur bedingt, denn wenn nicht zum Trainingsauftakt, dann will man als Verein doch zumindest kurz vor dem Pflichtspielstart einen ausgewogenen Kader beisammen haben. Derzeit bekommt man aber den Eindruck, dass das nicht der Fall sein wird. Und gerade im Fall Leroy Sane steht man unter Zeitdruck, denn in England schließt das Transferfenster schon Anfang August, in dieser Personalie sollte schnell Klarheit herrschen. Eine weitere Frage ist die nach dem Reiz, den der FC Bayern auf internationale Topspieler ausstrahlt, welchen größeren Plan der Klub verfolgt. Und genau da kommen mehrere Faktoren ins Spiel.

(Photo by Matthew Lewis/Getty Images)

Die Außendarstellung der Verantwortlichen ist, gelinde gesagt, desaströs. Uli Hoeneß sorgte vor wenigen Monaten in einer „Sport1“-Talkrunde für Schweißperlen auf der Stirn einiger Verantwortlicher. Wie sich nun herausstellte aber bei den Verantwortlichen des FC Bayern, denn seine Aussage („Wenn Sie wüssten, wen wir schon alles sicher haben“) flog dem Präsidenten mittlerweile nicht erst einmal um die Ohren. Denn klar ist, dass sich seitdem quasi überhaupt nichts getan hat, abgesehen von Absagen, Problemen und Abgängen. Auch die zahlreichen Updates hinsichtlich der Personalie Leroy Sane („Haben Interesse / „Werden es versuchen“ / „Wird sehr schwer“) sorgten zunächst für eine falsche Erwartungshaltung. Ohnehin fällt auf, dass man sich in München häufig zu Personalien äußert, und zwar nicht mehr auf die typische „Wenn es etwas zu vermelden gibt, werden wir es tun“-Art.

Doch nicht nur Hoeneß allein sorgt mit solchen Aussagen für Unruhe, sämtliche Entscheidungsträger, also auch Hasan Salihamidzic und Karl-Heinz Rummenigge greifen mit ihren Aussagen aktiv in die Verhandlungen ein. Denn nicht nur bei den an den Gesprächen beteiligten Vereinen, sondern auch bei den Spielern kommt diese Außendarstellung nicht gut an. Denn trotz aller öffentlich bestätigten Bemühungen geschieht derzeit, wie bereits erwähnt, sehr wenig. Natürlich ist es nicht auszuschließen, dass es einen Durchbruch in den Verhandlungen geben wird, aber bei Hudson-Odoi hat Chelsea gute Chancen auf eine Verlängerung, Kabak hat sich gegen den FC Bayern entschieden, Rodri ein für ihn besseres Projekt ausgewählt. Diese Entwicklungen sollten den Verantwortlichen zu denken geben, es muss weniger geredet, mehr gehandelt werden.

Stand Ende Juni: Eine Kehrtwende muss her

Denn der FC Bayern sieht sich als Klub, der den Anspruch hat zur europäischen Spitze zu gehören. Natürlich gibt es immer Rückschläge und Veränderungen, doch man muss negative Entwicklungen rechtzeitig erkennen und diesen entgegensteuern. Real Madrid tut dies gerade, auch andere Großklubs scheinen im Sommer sehr aktiv zu sein, waren es phasenweise bereits. Beim FC Bayern muss nun eine Kehrtwende her, in der Außendarstellung, in der Art und Weise, wie man an den Transfers arbeitet. Es müssen Erfolge auf dem Transfermarkt eingefahren werden, sonst steht man im Trainingslager in der Tat – übertrieben formuliert – mit 15 Profis und ein paar Jugendspielern auf dem Platz. 2 Monate bis das Transferfenster schließt erscheinen lange, doch Verhandlungen führen nicht von jetzt auf gleich zum Erfolg und gerade wenn negative Signale von einem Spieler zu vernehmen sind, muss ein anderer Plan verfolgt werden.

Möglicherweise tappen einige Medien auch im Dunkeln und die Situation des Rekordmeisters stellt sich im Hintergrund etwas anders dar. Auszuschließen ist das nicht, jedoch zeigen die letzten Erfahrungen, dass die Skepsis, die auch in diesem Artikel durchscheint, angebracht ist. Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß gehen in absehbarer Zeit in den Ruhestand, Hasan Salihamidzic hingegen muss sich beweisen – und das nachhaltig. Und auch wenn man als Außenstehender nicht alle internen Abläufe kennen und bewerten kann, so muss man doch feststellen, dass eine vorsichtige, aber natürlich noch nicht abschließende Kritik am Sportdirektor und seiner bisherigen Arbeitsweise formuliert werden darf.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Der FC Bayern München hat mit Spielern wie Kimmich, Süle, Hernandez, Tolisso, Goretzka, Gnabry, Coman & co. eine solide Basis, auch an jungen Spielern. Es muss in diesem Sommer nicht einmal eine komplette Runderneuerung her, sondern die offenkundigen Lücken im Kader müssen clever geschlossen werden. Verpasst man das, droht eine Negativentwicklung, die nicht nur personelle Konsequenzen im Bereich der Entscheidungsträger, sondern auch innerhalb der Mannschaft nach sich ziehen kann. Und das gilt es zu vermeiden. Der FC Bayern München und alle Beteiligten sollten nicht nur von einem Umbruch reden, sondern ihn endlich auch gestalten. Mit Ergebnissen. Und weniger Bestandsaufnahmen in den Medien.

Manuel Behlert

(Photo by Alexandra Beier/Bongarts/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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