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Deportivo La Coruña um 2000: Die Kunst der akribischen Arbeit

7. Mai 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Zählt man aktuell die besten Teams in Spanien auf, dann werden unweigerlich Klubs wie Real Madrid, der FC Barcelona, Atletico Madrid oder der FC Sevilla genannt. Vor rund 20 Jahren mischte aber eine andere Mannschaft die höchste spanische Spielklasse auf und erlebte grandiose Jahre: Deportivo La Coruña.

Doch wie kam es dazu, dass eine Mannschaft, die im Sommer 1998 nach einem zwölften Platz in der Primera Division mittelmäßiger kaum hätte sein können, plötzlich durchstartete? Im Sommer 1998 entschied sich Deportivo La Coruña für einen Wechsel auf der Trainerbank. José Manuel Corral, der die Mannschaft lediglich eine Saison lang betreute, wurde durch Javier Iruretagoyena Amiano, kurz „Irureta“, ersetzt. 

(Photo by MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images)

Die Vorschusslorbeeren waren groß, schließlich wurde Irureta mit Celta Vigo gerade starker Sechster. Die Entscheidung der Verantwortlichen von „Depor“ sollte nachhaltig positiven Einfluss haben. Doch der Reihe nach.

La Coruña verfeinert die Basis

Bei der Übernahme Iruretas war der Kader weit entfernt von einem Trümmerhaufen, der komplett runderneuert werden musste. Im Gegenteil: Der ein oder andere spannende Spieler stand bereits im Aufgebot von Deportivo La Coruña, die Mannschaft hatte durchaus Potenzial. Lionel Scaloni, ein junger Abwehrspieler, gehörte zu den vielversprechendsten Talenten bei „Depor“, im Mittelfeld tummelten sich mit dem in den kommenden Jahren überragenden Djalminha und dem aufstrebenden Flavio Conceicao bereits zwei Spieler mit sehr guten Anlagen.

Was ebenfalls von Bedeutung war: Im Sommer 1998 verließ keiner der Topspieler den Klub. Nun gut, böse Zungen behaupten, es habe sich in der Saison zuvor auch kaum jemand für einen größeren Klub empfohlen, aber dieser Umstand sorgte dafür, dass Deportivo La Coruña mit einigen klugen Investitionen für Furore sorgen konnte. Stephane Ziani, Gabriel Schürrer, Romero – die Namen der Neuzugänge sorgen zunächst nicht für einen großen „Aha“-Effekt, dennoch waren sie für die weitere Entwicklung wichtig.

Mandatory Credit: Allsport UK /Allsport

Unter Trainer Irureta entwickelte sich ein Spielstil mit Wiedererkennungswert. Depor spielte schneller, schnörkelloser und lernte gleichzeitig im Ballbesitzspiel dazu. Schnell wurde der Klub zu einem Gegner, der für die Topteams eine große Hürde darstellte. Am 13. Spieltag schlug La Coruña durch Tore von Hadji und Fran den FC Barcelona unter der Leitung von Louis van Gaal mit Spielern wie Xavi, Cocu, Rivaldo und Kluivert mit 2:1, am 19. Spieltag fegte man Guus Hiddinks Real Madrid mit 4:0 aus dem heimischen Riazor. 

63 Punkte am Saisonende bedeuteten Platz sechs für die Deportivistas. Die Teilnahme am UEFA Cup war gesichert, die Attraktivität des Klubs im Hinblick auf neue Spielertransfers wurde gesteigert. Und: Auch in der Copa del Rey, dem spanischen Pokalwettbewerb, ging es weit. Erst im Halbfinale war Schluss, nach einem 0:0 und einer 0:1-Niederlage gegen Atletico Madrid.

Depor: Revolution 2.0 als Basis für den Triumph

Der Erkenntnisgewinn der ersten Irureta-Saison war also, dass die Anpassungen im Kader – auch wenn Ziani nach nur einem Jahr wieder zurück nach Frankreich wechselte – sehr sinnvoll waren und, dass der Spielstil des Trainers zur Mannschaft passte. Im nächsten Schritt ging es nun darum, dieser Mannschaft noch wichtige Elemente hinzuzufügen, die bis dato noch nicht vorhanden waren.

Und wieder einmal tätigte Depor kluge Investitionen. Slavisa Jokanovic kam aus Teneriffa, Victor Sanchez aus Santander, Cesar Martin aus Oviedo – diese Spieler sollten sich gut einfügen und die Mannschaft noch variabler machen. Zum Toptransfer wurde aber ein niederländischer Stürmer, der für mehr als acht Millionen Euro aus Teneriffa nach La Coruña wechselte: Roy Makaay.

(Photo by PATRICK HERTZOG/AFP via Getty Images)

Diese Ablösesumme sollte sich als Schnäppchen entpuppen, denn Makaay avancierte sofort zum Anführer im Sturm, erzielte schon bei seinem Debüt am ersten Spieltag gegen Deportivo Alaves einen Dreierpack. Makaay war der Knipser, der ideal zum schnörkellosen, direkten Spiel von Depor passte und der nur wenige Chancen benötigte, um ein Spiel zu entscheiden.

Schnell zeigte sich, dass Deportivo La Coruña ungemein schwer zu besiegen ist. Am 4. Spieltag konnte die Mannschaft ein 1:1 im Estadio Santiago Bernabeu bei Real Madrid erreichen. Im weiteren Verlauf der Hinrunde wurden der FC Barcelona, Atletico Madrid und ein starkes Celta Vigo bezwungen, nach 16 Spieltagen hatte Depor erst zwei Niederlagen und zwei Remis auf dem Konto. 

Real Madrid wird Kanonenfutter – La Coruña feiert den Titel

Auf dem Weg von einer guten zu einer sehr guten Mannschaft gibt es diese Schlüsselspiele. Diese Momente, die möglicherweise sogar eine Mannschaft selbst überraschen, sie staunen lassen, wie gut sie eigentlich schon ist. Einen solchen Moment erlebte Deportivo La Coruña am 6. Februar 2000 gegen Real Madrid. Das Riazor bebte. Auch wenn Depor auf Platz eins der Tabelle stand: Real Madrid, der große Weltverein aus der Hauptstadt überstrahlte natürlich alles. Der freche Emporkömmling sah sich als Herausforderer, der den Finger in die Wunde des Branchenprimus legen wollte. Und das tat er auch.

Makaay und Djalminha sorgten schon in den ersten 20 Minuten für eine 2:0-Führung der Gastgeber. Morientes konnte vor dem Seitenwechsel zwar noch verkürzen, doch in der zweiten Halbzeit gab es kein Halten mehr. Real Madrid konnte den Angriffen von Depor nicht mehr folgen. Victor Sanchez, Turu Flores, Turo Flores, 5:1. Das Debakel nahm seinen Lauf. Das 5:2 von Fernando Hierro war lediglich noch Ergebniskosmetik, an diesem Tag wurde der Grundstein für die Meisterschaft gelegt.

69 Punkte waren es am Saisonende, die dafür sorgten, dass Deportivo La Coruña den Meistertitel in der Primera Division feierte. Angeführt von einem Roy Makaay, der 22 Ligatore beisteuerte, dirigiert von einem Mittelfeldzentrum um Djalminha, der noch besser wurde, und abgesichert von einer konsequenten Defensive wurde der Titel am Ende auch verdient gefeiert. Vier Punkte lag man vor dem FC Barcelona, gar sieben vor Real Madrid – in einer verrückten Saison in Spanien. Denn der FC Sevilla und Atletico Madrid gehörten zu den Absteigern, Real Saragossa wurde Vierter. 

Abenteuer Champions League, Stabilisierung auf hohem Niveau

Der Titel in Spaniens höchster Spielklasse sorgte natürlich für Aufmerksamkeit. Real Madrid „revanchierte“ sich – und verpflichtete Flavio Conceicao für satte 25 Millionen Euro. Immerhin: Andere Stützen wie Roy Makaay und Djalminha blieben La Coruña treu. Verstärkt wurde die Mannschaft durch Diego Tristan, einem Stürmer, der von Mallorca kam und fortan ein kongeniales Duo mit Makaay bilden sollte.

Weitere Neuzugänge wie Aldo Duscher (Sporting), Emerson (Teneriffa) oder Joan Capdevila (Atletico) rundeten die Bemühungen Depors ab, machten die  Mannschaft auch in der Breite stärker und stellten somit die Tauglichkeit für die Aufgaben im Europapokal her. Es ist nicht einfach, eine Mannschaft aus dem Mittelfeld der Tabelle schnell zum Meistertitel zu entwickeln, noch schwerer ist es hingegen, diese Mannschaft dann auf extrem hohem Niveau zu halten, ihr die nötige Reife zu verleihen, auch international für Furore zu sorgen. Denn in der Meistersaison war im UEFA Cup gegen Arsenal früh Schluss, das Hinspiel wurde gar mit 1:5 verloren.

Trainerfuchs Irureta hätte allerdings nicht solche Erfolge gefeiert, wenn er nicht auch für die Saison 2000/01 einen Plan in der Hinterhand gehabt hätte. Seine Mannschaft meisterte die Doppelbelastung, setzte sich in der Liga sehr schnell in der Spitzengruppe fest und kämpfte erneut um den Titel.  Die erste Gruppenphase der Champions League mit Panathinaikos, dem HSV und Juventus wurde ungeschlagen beendet, erst im Viertelfinale endete die Reise gegen Leeds United (0:3, 2:0).

Mandatory Credit: Laurence Griffiths/ALLSPORT

In der Liga wurde Depor Vizemeister, schlug den FC Barcelona im Camp Nou und schien sich peu a peu als feste Kraft im oberen Bereich der Tabelle zu etablieren. Neben der schon in Frühzeiten unter Iruretas Leitung gezeigten Effizienz und dem schnörkellosen Spiel entwickelte Depor auch eine gewisse Variabilität. 

4-4-1-1, 4-2-3-1, 4-2-2, Roy Makaay als alleinige Spitze und Zielspieler vor einem Spielgestalter wie Djalminha, Makaay als kongenialer Partner von Tristan, der oft um ihn herum wirbelte – all diese Anpassungen funktionierten, wenn sie denn gegen die richtigen Gegner angewendet wurden.

La Coruña hält sein Level

Während die Konkurrenz in Spanien auf den Einbruch der Deportivistas wartete, machte der Klub einfach munter damit weiter, kluge Entscheidungen zu treffen. Auf dem aktuellen Status wollte man sich nicht ausruhen, es folgten erneut clevere Neuzugänge, allen voran Juan Carlos Valeron. Der Mittelfeldspieler war ein Wunschspieler Iruretas und sollte für noch mehr Kontrolle sorgen.

Der von der Konkurrenz erhoffte Einbruch erfolgte nicht. Im heimischen Riazor war Deportivo La Coruña eine Macht, der Glaube an die eigene Stärke konnte Berge versetzten. 13 Siege in 19 Spielen waren eine beeindruckende Bilanz, in der Königsklasse schlug man Manchester United zweimal in der Gruppenphase, gewann später zweimal gegen Arsenal, einmal gegen Juventus. Sollte der unbeirrte Weg dieses Klubs auch in Europa zu einem Titel führen? Nach der zweiten Gruppenphase kam es erneut zum Duell mit Manchester United – und wieder platzen die Träume gegen eine englische Mannschaft. Mit 0:2 und 2:3 gingen die Spiele verloren.

Doch das Viertelfinale in Europas wichtigster Spielklasse und Platz 2 in der Primera Division, gesichert durch einen 3:0-Erfolg am letzten Spieltag gegen das zuvor auf Platz 2 stehende Real Madrid sollten Grund genug sein, zufrieden auf die Saison zurückzublicken. Achja, die Königlichen mussten sich schon im März im Finale der Copa del Rey gegen Deportivo La Coruña mit 1:2 geschlagen geben. Sergio und Tristan trafen für die Galizier.

La Coruña: Die Tücken des Erfolgs

Auch im Sommer 2002 konnte Deportivo La Coruña seine Mannschaft zusammenhalten. Und mehr noch Roberto Acuña (Saragossa), Jorge Andrade (Porto) und vor allem Albert Luque (Mallorca) verstärkten das Team. Und schon zu Beginn der Saison schien alles so weitergehen zu können, wie bisher. Drei der ersten vier Ligaspiele wurden gewonnen, Roy Makaay sorgte mit einem Dreierpack für einen 3:2-Sieg in der Champions League beim FC Bayern, auch im Rückspiel traf der Niederländer, als Depor mit 2:1 gewann.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Die Mannschaft von Trainer Irureta spielte weiterhin auf sehr hohem Niveau, kleine Konstanzdellen traten allerdings auf. Die Gründe sind vielschichtig, Depor konnte sich nicht noch einmal neu erfinden, die Gegner fanden zunehmend Mittel gegen das typische Spiel der Mannschaft. Und: Spieler, die in den Vorjahren kaum Schwächen zeigten, offenbarten einige Schwankungen in ihren Leistungen.

National reichte es noch für Platz drei und eine erneute Qualifikation für die Champions League, zudem wurde das Halbfinale der Copa del Rey erreicht. International war aber in der zweiten Gruppenphase der Königsklasse Schluss. Hatte die Mannschaft ihr Leistungsmaximum erreicht? Ging international einfach nicht mehr? Der Abgang von Roy Makaay 2003 zum FC Bayern war ein Dämpfer und dennoch wurde international – ohne große Namen, die das Team verstärkten, 2004 der größte Erfolg gefeiert. Depor unterlag erst im Halbfinale dem späteren Sieger, dem FC Porto unter Trainer José Mourinho.

Die Saison 2003/04 mit Platz drei in La Liga und dem angesprochenen Halbfinale der Champions League sollte das letzte Aufbäumen von Deportivo La Coruña sein. Ein Klub, der nicht zu den finanziellen Big Playern zählt, muss sich eben andauernd neu erfinden. Trainer Irureta hatte über Jahre hinweg genau das geschafft, doch die Entwicklung hatte nun ihr Ende erreicht. Sinnbildlich dafür stand die Saison 2004/05, als ohne Sieg in der Gruppenphase der Königsklasse Schluss war und Depor am Ende der Saison in der Primera Division da stand, wo die Reise vor Irureta begann: Im Mittelfeld der Tabelle.

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Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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