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Der BVB vor dem Topspiel gegen Bayern: Lust auf mehr!

7. November 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Am Samstagabend um 18:30 Uhr empfängt Borussia Dortmund den FC Bayern München im heimischen Signal Iduna Park. Auch wenn der Gast aus München in den letzten Jahren regelmäßig und zumeist überlegen die deutsche Meisterschaft gewann, waren die Duelle mit der Borussia etwas ganz Besonderes. Im Vergleich zu den letzten Spielen sind die Vorzeichen in dieser Saison etwas anders, wodurch das Spiel sogar noch etwas an Bedeutung gewinnt. 

 

Wir werfen einen Blick auf das Spiel am Samstag – und zwar aus der Sicht beider Teams, beginnend mit Borussia Dortmund!

 

Kluge Entscheidungen im Sommer

Der gute Saisonstart von Borussia Dortmund mit der Tabellenführung in der Bundesliga, dem Überwintern im Pokal und den guten Auftritten in der UEFA Champions League ist kein Zufall. Der BVB hat die richtigen Schlüsse aus der letzten Saison gezogen und sich auf allen Ebenen besser aufgestellt. Sebastian Kehl ist der neue Leiter der Lizenzspielerabteilung, Lucien Favre ist der neue Trainer, Matthias Sammer fungiert als Berater und scheint ohnehin in den letzten Jahren – überall wo es ihn hinzieht – für den Erfolg zu sorgen – und nicht zuletzt wurde der Kader auf Vordermann gebracht, auch wenn hier noch einige Anpassungen in den kommenden Transferperiode erforderlich sind.

Zu Saisonbeginn arbeitete Favre noch intensiv an allen Stellschrauben, führte die Mannschaft sukzessive an seine Art und Weise den Fußball zu verstehen und zu spielen heran und erkannte stetige Fortschritte. Es schien früh klar zu sein, dass mit der Zeit immer mehr Rädchen ineinander greifen und der BVB, wenn er ins Rollen kommt, nur schwer aufzuhalten ist. Das Offensivpotenzial mit Reus, Sancho, Pulisic und co. ist unumstritten, Paco Alcacer zeigte früh seine Klasse und traf zu Beginn fast wie er will. Und wenn dann noch Spieler wie Jacob Bruun Larsen ein großes Selbstvertrauen mitbringen und dies auch auf dem Platz unter Beweis stellen, kann nach allen Regeln der Kunst rotiert werden – und das ohne den großen Qualitätsverlust.

(Photo by Ronny Hartmann/Bongarts/Getty Images)

Die Entscheidungen im Sommer, der Zusammenhalt und die Einigkeit im Verein in Verbindung mit der frühzeitig sichtbaren Entwicklung und dem erkennbaren Plan sorgten dafür, dass sich in der Dortmunder Mannschaft ein extrem positives Gefühl ausbreitete. Die jungen Spieler trauen sich viel zu, wissen, dass sie Fehler machen dürfen. Ein Spieler wie Sancho, der mittlerweile extrem viele Scorerpunkte auf dem Konto hat, wurde zu Saisonbeginn punktuell aufgebaut und heiß gemacht und irgendwann permanent „von der Leine“ gelassen. Maßnahmen, die durchdacht sind. Maßnahmen, die fruchten. Genau das ist es, was Borussia Dortmund nach der letzten Saison brauchte.

 

Gute Resultate, Nuancen zu verbessern

Natürlich ist, bei aller Freude über die bisherigen Leistungen der Borussia, noch nicht alles Gold, was glänzt. Es gab Punktverluste zu beklagen und es gab vor allem auch Phasen, in denen der BVB-Motor nicht so rund lief, wie sich Lucien Favre das vorstellte. In den ersten Saisonwochen war dies häufiger der Fall, wie das 1:0 in Brügge zustande kam, konnte sich kaum jemand erklären. Das spielt aber keine Rolle, am Ende zählen nämlich nur die Resultate. Und der Umgang mit schwächeren Phasen, mit Leistungen, die nicht zu 100 % dem Anspruch gerecht werden. Denn genau in diesen Phasen und in diesen Spielen zeigte die Mannschaft der Borussia Charakter. Dass sie dazu fähig ist, liegt einerseits an den guten Ideen, der Flexibilität unter Favre, andererseits aber auch an der neuen Zusammenstellung in der Mannschaft, Spielertypen wie Witsel oder Delaney und einer starken Breite im Kader.

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images,)

Auch wenn die Verteidigung wirklich gut zueinander passt und vor allem Akanji und Diallo gut miteinander harmonieren, individuelle Fehler schleichen sich immer noch ein, der BVB ist nicht unverwundbar. Das zeigte sich unter anderem gegen den FC Augsburg, als man in einem turbulenten Spiel drei Gegentore kassierte. Die Qualität der Schwarzgelben ist aber, dass man in jeder Situation, in jeder Phase des Spiels das Tempo erhöhen und Tore erzielen kann. Und die Mannschaft weiß das. Unter Lucien Favre wird zwar wieder mehr Wert auf Ballbesitz, ein geordnetes Aufbauspiel gelegt, aber Dortmund kann einen Gegner noch immer (oder vielleicht wieder) überrennen, mit schnellen Kombinationen die gegnerischen Defensivreihen durcheinanderwirbeln.

Aber Dortmund kann eben auch den Ball halten, das Spiel beruhigen. Und das ist entscheidend, denn es ist nicht möglich über 90 Minuten das allerhöchste Tempo an den Tag zu legen. Bei all den positiven Erkenntnissen rund um Borussia Dortmund gibt es aber weiterhin Elemente, die verbessert werden müssen – und zwar abseits der Kaderoptimierung. Dortmund muss noch flexibler spielen, noch stabiler stehen, noch effizienter spielen. Lucien Favre – und das weiß man nicht erst seit dem Amtsantritt bei der Borussia – ist ein Perfektionist. Das kann sicherlich nerven, zeigt aber, dass der Trainer das Optimum aus der Mannschaft herausholen will. Und die bisherige Entwicklung zeigt, dass die Mannschaft selbst das Optimum erreichen will.

Man wächst mit seinen Aufgaben

In der bisherigen Saison schaffte es Borussia Dortmund zumeist auch in engen Spielen die nötige Ruhe zu bewahren. Das 4:3 gegen den FC Augsburg wurde bereits angesprochen, aber auch der 4:2-Erfolg in Leverkusen (nach 0:2-Rückstand) ist ein Beispiel dafür, dass sich Dortmund auch in kritischen Situationen zu helfen weiß. Lucien Favre hat seiner Mannschaft eingeimpft, dass sie nicht die Ruhe verlieren und nicht das Spielkonzept über den Haufen werfen darf. Auch wenn Anpassungen vorgenommen werden und das Spiel insgesamt offensiver ausgerichtet wird, behält die Mannschaft überwiegend die Ordnung. Aber nicht nur in den turbulenten Spielen mit zahlreichen Treffern ist dies der Fall, Dortmund findet auch häufig in eben jenen Spielen, die klassisch als „Geduldsspiele“ bezeichnet werden, Lösungen.

Im Hinspiel der Champions League gegen Atletico Madrid überstand Dortmund nach der Pause eine Druckphase der Spanier, schlug danach eiskalt zu und schraubte das Ergebnis in die Höhe, gegen einen gut pressenden und engagierten VfL Wolfsburg erzielte man das entscheidende Tor, beim Auswärtsspiel gegen aggressive und gut eingestellte Kraichgauer aus Hoffenheim ließ man sich auch von einem Platzverweis nicht beeindrucken und fuhr am Ende ein wichtiges Remis ein. Und auch mit einer durcheinandergewürfelten Elf in einem schweren Spiel im DFB-Pokal gegen Union Berlin wurde man kaum nervös, nutzte am Ende der Verlängerung die Chance per Elfmeter und zog in die nächste Runde ein.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Dortmund hat – egal ob man ein Spiel dominiert oder nicht – Lösungen parat. Favre hat Lösungen parat. Und: Der Kader gibt mehrere Formationen, verschiedene Herangehensweisen her. Bei allem berechtigten Lob muss aber auch bedacht werden, dass erst der erste Schritt einer längerfristigen Entwicklung gegangen wurde. Dortmund bietet durchaus etwas an, Dortmund macht Fehler und Dortmund hatte in den engen Spielen Phasen, in denen sich das Blatt auch hätte wenden können. Entscheidend für die Bewertung der bisherigen Saison ist das aber nicht, denn auch mit 3-4 Punkten weniger wäre niemand im Verein unzufrieden. Im Gegenteil.

Die letzten Eindrücke

Nach dem furiosen 4:0-Heimerfolg in der Champions League gegen Atletico sollte ein Heimsieg gegen eine gefährliche, aber individuell unterlegene Hertha folgen. Doch der Gast aus Berlin nutzte die Fehler des BVB und konnte sich mit einem Punkt belohnen. Solche Spiele gehören zum Lernprozess dazu, diesmal war es der junge Innenverteidiger Zagadou, der nach einem eigentlich sehr guten Spiel einen Elfmeter verursachte. Das anschließende Spiel gegen Union Berlin wurde bereits angesprochen, hier zählte am Ende nur das Weiterkommen, auch wenn Favre im Nachgang dieser Partie sicher in der Analyse einige Verbesserungen angeregt hat.

Das Spiel in der Bundesliga beim VfL Wolfsburg kann man bei Borussia Dortmund sicherlich schnell mit den Worten „notwendiger Arbeitssieg“ kategorisieren. Die „Wölfe“ hätten einen Elfmeter zugesprochen bekommen können, das Tor fiel in der Entstehung zumindest ein wenig glücklich. Am Ende zählten aber nur die drei Punkte. Gegen Atletico Madrid in der Champions League stand Borussia Dortmund in der gesamten Spielzeit unter Druck. Die „Colchoneros“ legten ein aggressives, intensives Pressing an den Tag, ließen den BVB sein typisches Spiel nicht aufziehen. Atletico tat, was es brillant beherrscht. Die Defensive war stabil, die Konter blitzschnell aufgezogen. Aus solchen Spielen kann der BVB in seinem jetzigen Entwicklungsstatus nur lernen. Bezeichnend: Jan Oblak musste keinen Schuss auf sein Tor abwehren. Die Ausgangslage in der Champions League ist aber weiterhin überragend, denn der direkte Vergleich mit Atletico wurde gewonnen, der Gruppensieg scheint weiterhin nur eine Pflichtaufgabe zu sein. Und diese Ausgangsposition hätte jeder bei Borussia Dortmund vor der Saison gerne unterschrieben.

Den Finger in die Wunde legen

Lucien Favre wird Borussia Dortmund auf das Spiel am Wochenende gegen den FC Bayern München sehr gut einstellen. Auch wenn die Begegnung im Wanda Metropolitano gegen Atletico Madrid kräftezehrend war: Der BVB ist insgesamt in einer guten Verfassung und weiß um die Bedeutung dieses Spiels. Mit 4 Punkten Vorsprung auf den FC Bayern hat man keinen großen Druck – aber eine sehr gute Chance. Mit einem Sieg würde man den Rekordmeister distanzieren und für noch mehr Unruhe in München sorgen. Doch das ist nur ein Nebeneffekt, für die Entwicklung der Mannschaft ist es umso wichtiger auch auf nationaler Ebene gegen den nächsten Topklub zu bestehen.

(Photo by INA FASSBENDER / AFP)

Borussia Dortmund bringt genügend Qualität mit um selbst einen FC Bayern in guter Verfassung vor Probleme zu stellen. Doch der Rekordmeister ist angeschlagen – und Dortmund befindet sich dementsprechend keinesfalls in einer Außenseiterrolle. Trotz der jungen Mannschaft wirkt Dortmund in vielen Spielen, in vielen Situationen sehr reif. Und die Offensivabteilung besticht mit Spielfreude, Tempo und Zielstrebigkeit. Gegen einen FC Bayern, der naturgemäß viel Ballbesitz haben wird, bieten sich automatisch Lücken. Und die Defensivprobleme der Kovac-Elf wird Lucien Favre auch erkannt haben. Es liegt nicht an der Qualität beim FC Bayern, sondern vielmehr an der Konzentration, an leichten Fehlern, die auf diesem Niveau nicht passieren dürfen.

Dortmund muss sich – wie auch in den bisherigen Spielen gegen starke Gegner – zutrauen offensiv an die Partie heranzugehen. Sancho, Reus, Pulisic/Bruun Larsen und Alcacer werden Räume bekommen und den derzeitigen Tabellendritten aus München fordern können. Und Lucien Favre wird seiner Mannschaft mit auf den Weg geben, dass dieser FCB zurzeit schlagbar ist, dass dieser FCB in seiner jetzigen Verfassung nachdenkt, deutlich mehr unter Druck steht als es bei Borussia Dortmund der Fall ist. Und: Im Gegensatz zum FC Bayern wäre ein Punktverlust oder eine Niederlage für den BVB kein Beinbruch, solange die Ansätze, die Favre als wichtig erachtet, auch auf dem Platz umgesetzt werden.

Zusammenfassend muss man festhalten, dass die Vorzeichen vor diesem Duell in den letzten Jahren selten so gut für Borussia Dortmund standen. Der BVB ist gefestigt, auch wenn man in Madrid verloren hat. Der FC Bayern hat den Druck, aber derzeit offenbar nicht die Mittel um für den großen Befreiungsschlag zu sorgen. Dortmund kann, es muss nicht. Aber die Borussia hat Lust auf mehr. Und bei aller Bescheidenheit, allem Appellieren an die Entwicklungsschritte, die sukzessive zu gehen sind: Dortmund hat Lust auf mehr.

 

(Photo by Ronny Hartmann/Bongarts/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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