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Der Held, den keiner kan(n)té

11. Dezember 2015 | Spotlight | BY Chris McCarthy


Wenn man an das Überraschungsteam aus Leicester denkt, dann kommen einem zunächst einmal der Tor-Rekord von Jamie Vardy (12 Spiele in Folge) oder die spektakulären Leistungen von Riyad Mahrez (7 Tore & 5 Assists) in den Sinn. Kaum einer redet von Neuzugang N’Golo Kanté, kaum einer außerhalb der Premier League kennt ihn überhaupt, dabei ist der „box to box“- Mittelfeldspieler der heimliche und unerwartete Held der Foxes.

 

Unverhofft kommt oft

Der Werdegang von N’Golo Kanté ist mit einem Wort zu beschreiben – unspektakulär. Nachdem der gebürtige Pariser mit malischen Wurzeln bei einem unterklassigen Verein aus Suresnes das Kicken lernte, wechselte er mit 19 in das Reserveteam des Zweitligisten US Boulogne.

Nach  seinem späten Profidebüt im Mai 2012 wurde Kanté in der dritten französischen Liga zum Stammspieler und wechselte 2013 schließlich zum Zweitligisten SM Caen. Dort spielte er sich direkt in die erste Elf und war maßgeblich am Aufstieg 2014 beteiligt. Der Leistungsträger des SM Caen drängte sich in der folgenden Saison, seiner ersten im französischen Oberhaus, in den Fokus einiger internationaler Teams und sorgte für Aufsehen: Von allen Spielern der fünf europäischen Top-Ligen fing der Spätzünder 2014/2015 die meisten Bälle ab und beging die meisten Tacklings!

 

Unverhofft kommt oft Teil 2

Der Abgang von Esteban Cambiasso war für viele Fans von Leicester City schwer zu verkraften. Zwar war der Argentinier eine wichtige Präsenz auf dem Platz und machte sich durch seine Erfahrung und Routine unverzichtbar, doch der Leicester Spieler des Jahres war auch nicht mehr der Jüngste. Auch wenn es an Majestätsbeleidigung grenzte, Cambiasso machte durch seine altersbedingte Passivität das Spiel langsam und hatte Probleme mit dem Tempo. Den Routinier zog es nach der Saison ohnehin nach Griechenland, folglich suchte Coach Ranieri einen Nachfolger für das zentrale Mittelfeld.

Der neue Trainer, erst einige Tage bei Leicester im Amt, war wenig begeistert als Co-Trainer und Leiter der Rekrutierung, Steve Walsh von einem gewissen N’Golo Kanté berichtete.

Klar, seine Highlights in der Ligue1 lassen sich sehen, denn das Energiebündel fällt durch Leidenschaft, Willen und starkes Passspiel auf. Doch seine fragilen 1,69m seien den physischen Anforderungen der Premier League nicht gewachsen, so der Italiener.

Eigentlich wollte Claudio Ranieri ohnehin  Jordan Veretout vom FC Nantes verpflichten und eigentlich wollte Kanté nach Marseille. Am Ende holte Olympique jedoch Lassana Diarra (auch weil sich Caen quer stellte) und Veretout ging zu Aston Villa. Somit entschied sich Leicester dann doch für Kanté und Kanté für Leicester. Ein typischer Transfer-Wirrwarr also, der ungeahnte Früchte tragen sollte.

 

Rasanter Aufstieg

Auch wenn Kanté für Leicester nicht ganz günstig war (€8m Ablöse), erwarteten nicht viele, dass er sich so schnell und eindeutig im Konkurrenzkampf mit Gökhan Inler durchsetzen würde. Die Verpflichtung von Inler, der unter anderem bei Schalke auf dem Zettel stand, sorgte nämlich für deutlich mehr Aufsehen als die von Kanté. Bereits nach wenigen Spielen wurde den Zuschauern, aber vor allem Claudio Ranieri klar, was Steve Walsh in dem 24-jährigen Mittelfeldmotor sah. Kanté stellte seine Gegner in Windeseile zu, demonstrierte dabei einen ausgewöhnlichen Antritt und enormes taktisches Bewusstsein. Die meisten abgefangenen Bälle in ganz Europa 2014/2015 waren also kein Zufall! Auch diese Saison führt Kanté die Premier League in dieser Kategorie deutlich an:

Spieler

Verein

Interceptions

N’Golo Kanté

Leicester

76

Yohan Cabaye

Crystal Palace

63

Laurent Koscielny

Arsenal

61

Idrissa Gueye

Aston Villa

55

Wes Morgan

Leicester

50

[opta]

 

Seine aggressive Spielweise spiegelt sich auch in der folgenden Statistik wieder. Kanté führte die zweitmeisten Tacklings der Liga aus und erhielt dabei nur zwei Gelbe Karten.

 

Spieler

Verein

Tacklings p.Sp.

Lucas Leiva

Liverpool

5

N’Golo Kanté

Leicester

4

Erik Pieters

Stoke

3,9

Mousa Dembélé

Tottenham

3,9

Jordan Amavi

Aston Villa

3,6

[opta]

„The Rash“(=Hautausschlag), wie ihn Kollege Drinkwater aufgrund seiner aggressiven Hartnäckigkeit liebevoll nennt, ist jedoch nicht nur ein reiner Zerstörer:  Sein Spiel ist bei weitem vielfältiger als das. Sobald er den Ball erobert kommen sein hoher Fußballverstand und seine Spielintelligenz zum Vorschein. Entweder treibt Kanté mit seinem starken Antritt den Ball in das gegnerische Drittel oder er leitet durch seine klugen Pässe (Passquote  82,1% – vereinsinterne Bestmarke) das exzellente Umschaltspiel der Foxes ein. So oder so, N’Golo Kanté ist meistens der Initiator der Angriffe und die treibende Kraft aus dem Mittelfeld.

Ranieri über Kanté:

„Er ist fantastisch, weil er die Situationen sehr gut liest. Er zieht den Ball an. Er ist sehr klug und sehr schnell in seinen Bewegungen. Er kann ein Liebling werden, nicht nur für die Fans, sondern auch für seine Mitspieler. Wenn wir uns die Videos ansehen, in denen  er den Ball jagt, sagt jeder WOW“

[Express]

 

(Photo by Harry Hubbard/Getty Images)

Der Held, den keiner kan(n)té

Mittlerweile stört sich kein Mensch an der fragilen und jugendlichen Erscheinung Kantés, auch wenn er auf dem Trainingsgelände kürzlich gefragt wurde, ob er auf seine Eltern warte.

Während Mahrez und Vardy weiter Schlagzeilen machen und Rekorde brechen, wird N’Golo Kanté mit jeder Minute unverzichtbarer und zum eigentlichen Schlüsselspieler des überraschenden Tabellenführers. Nach nur einer Saison in einer ersten Liga, ist er wohl einer der besten Neuzugänge der Premier League. Und selbst ein Claudio Ranieri, der seit knapp 30 Jahren als Trainer arbeitet, musste seinem Assistenz-Trainer Walsh gestehen:

„Steve, höre nie wieder auf mich! Ich habe keine Ahnung wovon ich rede!“

[Telegraph]

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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