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Der Klassiker: Bayerns große Chance

25. Mai 2020 | Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | Am frühen Dienstagabend steigt das Topduell der Bundesliga, der FC Bayern ist zu Gast in Dortmund. Mit einem Sieg können die Münchener zwar vieles in Sachen Meisterschaft klarmachen, trotzdem gibt es noch einige Schwachstellen.

FC Bayern: Souverän – und trotzdem unsicher

Ergebnistechnisch ist der FC Bayern optimal aus der Pause gekommen. Einem 2:0 an der alten Försterei ließen sie ein 5:2 gegen Eintracht Frankfurt folgen. Auch die Revanche für das Hinspiel, als der FC Bayern in Frankfurt 1:5 unterlag, ist damit geglückt. Robert Lewandowski steht zudem schon bei 27 Saisontoren und darf mit einem Auge noch auf den ewigen Rekord von Gerd Müller schielen. Der Mannschaft von Hansi Flick gelangen nach 27 Spielen bereits 80 Tore – ein neuer Bundesligarekord zu diesem Zeitpunkt. Dortmund kann also kommen.

(Photo by ANDREAS GEBERT/POOL/AFP via Getty Images)

Oder auch nicht. Wenngleich die Statistiken eine eindeutige Sprache sprechen, gibt es im Bayern-Spiel noch einige Unebenheiten. Lediglich 45 Sekunden brauchte der FC Bayern in der zweiten Hälfte, um das Spiel vorzuentscheiden. Als Robert Lewandowski eine maßgenaue Coman-Flanke zum 3:0 einköpfte, schien absolut nichts mehr für die Eintracht zu sprechen.

Doch plötzlich kam Spannung auf, Frankfurt traf zweimal – jeweils nach einem Eckball. Beim ersten Tor der Frankfurter stimmte die Zuteilung der Münchener nicht, Hintereggers verunglückte Kopfball-Bogenlampe wurde für ihn selbst zur Torvorlage, weil im Fünfmeterraum ein riesiges Loch klaffte. Vor dem 2:3 schlich sich Hinteregger von Pavard davon und profitierte davon, dass Robert Lewandowski unter dem Ball durchtauchte.

Bayern ließ zu viel zu

Bayern erholte sich von den Rückschlägen zwar und stellte mit dem 4:2 und 5:2 den alten Abstand wieder her, trotzdem hätte die Eintracht hier auch weitere Treffer erzielen können. Und genau das ist gegen den BVB die große Gefahr.

(Photo by ANDREAS GEBERT/POOL/AFP via Getty Images)

Die Mannschaft von Lucien Favre bestach nach der Bundesligapause vor allem durch präzise, extrem sauber ausgespielte Konter. Beispielhaft dafür der Treffer von Thorgan Hazard im Derby. Haaland auf Brandt, der auf Hazard und der Belgier versenkt den Ball direkt. Von hinten nach vorne mit zwei Pässen in neun Sekunden. Bayern muss also auf die Balance achten, mit Bedacht nach vorne spielen und im Gegenpressing hellwach sein.

Die Krux mit der Chancenverwertung

Gerade ohne die Dominanz von Thiago im Mittelfeld – der spanische Nationalspieler wird mit Adduktorenproblemen ausfallen – könnten diese Überfallangriffe zum Problem werden. Zwar ist auch Thiago nicht wirklich als Sprinter bekannt, dafür kann er aber solche Situationen mit seiner Spielintelligenz, Ballsicherheit und Zweikampfstärke wie kaum ein anderer im Trikot der Münchener verhindern, teilweise noch, bevor sie entstehen.

Leon Goretzka ist im Vergleich zu ihm die offensivere Variante. Sollte er sich auf einen seiner Ausflüge in den Strafraum begeben, wird es bei der Konterabsicherung umso mehr auf Joshua Kimmich und die Viererkette ankommen. Nicht zuletzt auch, weil Borussia Dortmund, was die Torschützen angeht, zuletzt äußerst variabel war. Besonders Raphael Guerreiro präsentiert sich in bestechender Form. In den letzten zwei Spielen traf der Europameister dreimal.

Bayerns xG sehr gut, trotzdem besteht Verbesserungsbedarf

Noch etwas unterscheidet die beiden Mannschaften voneinander: Die Chancenverwertung. Im Derby traf Borussia Dortmund mit allen vier Schüssen, die auf den Kasten von Markus Schubert kamen. Dortmunds xG (expected Goals), der Wert, der besagt, wie viele Tore eine Mannschaft, basierend auf der Qualität der Chancen, die sie sich erarbeitet, erzielen wird, lag im Derby bei 1,3. Das heißt: Mit den Chancen, die Dortmund hatte, wäre zu erwarten gewesen, dass sie einen, maximal zwei, Treffer erzielen. Getroffen haben sie viermal.

(Photo by Andreas Gebert/Pool via Getty Images)

Zwar hat auch Bayern im Spiel gegen Frankfurt seinen xG-Wert von 3,54 überboten, doch gerade in Halbzeit eins haben sie es verpasst, das Ergebnis so zu gestalten, dass sich Frankfurt keine Chance mehr zum (Fast-)Comeback eröffnet. Robert Lewandowskis Lattenschuss war noch Pech, kurz danach vergab Benjamin Pavard die Führung leichtfertig, als er aus kürzester Distanz genau auf Kevin Trapp köpfte. Erst der vierte Versuch von Leon Goretzka war dann auch erfolgreich. Ein solcher Verschnitt an Chancen könnte im Topspiel nach hinten losgehen.

FC Bayern unter Hansi Flick: Spielstark und variabel

Aber trotzdem hat sich die Mannschaft unter Hansi Flick enorm weiterentwickelt. Thomas Müller, bei Flicks Vorgänger Niko Kovac nur gefragt „wenn Not am Mann sein sollte“, hat seinen Einfluss aufs Spiel deutlich erweitert. Zwar ist er auch früher schon mit Toren und Assists aufgefallen, unter Flick reißt er das Spiel im Stile eines Zehners an sich.

Gegen die SGE tauchte er urplötzlich auf dem linken Flügel auf und spielte den Ball mustergültig in den Rücken der Abwehr. Leon Goretzka musste nur noch vollstrecken. Auch den unorthodoxen Volley-Chip auf Kingsley Coman, der Robert Lewandowski das 3:0 auflegte, spielen so nicht viele. Zudem hilft er dem Bayern-Spiel durch sein intelligentes Pressing. Gerade in Dortmund, ohne Thiago auf dem Feld, muss Müller diese Qualitäten ausspielen.

Müller, Davies und Lewandowski – Bayerns entscheidende Faktoren

Eine andere Möglichkeit für die Bayern, den BVB zu knacken, ist über die Flügel. Alphonso Davies gegen Lukasz Piszczek oder Mats Hummels ist geschwindigkeitstechnisch ein Mismatch. Den Kanadier allein auf sein Tempo zu reduzieren, wäre jedoch fatal. Davies besticht vor allem auch durch Spielintelligenz. Gegen Frankfurt bereitete er das 2:0 von Thomas Müller mit einer cleveren Flanke vor. Bei seinem Treffer zum 4:2 spekulierte er auf die Unachtsamkeit von Gelson Fernandes und lief durch.

(Photo by ANDREAS GEBERT/POOL/AFP via Getty Images)

Genau diese Kombination aus Intelligenz und Schnelligkeit macht ihn für Bayern extrem wertvoll – und für die Gegner zum ständigen Unruheherd. Nachzufragen beim FC Chelsea. Auch beim 4:0 der Bayern im Hinspiel gehörte er – obwohl er damals eine seiner ersten Partien über die komplette Distanz bestritt – zu den besten Akteuren auf dem Platz. Sowohl Jadon Sancho, der nach 36 Minuten ausgewechselt wurde, als auch Achraf Hakimi wurden von ihm neutralisiert.

Robert Lewandowski: Bayerns uneigennützige Lebensversicherung

Dann wäre da noch Robert Lewandowski. Der Pole spielt die Saison seines Lebens. Nach 27 Bundesligaspielen steht er bei 27 Toren, kein Stürmer in Europa hat mehr. Mit links, mit rechts, per Kopf, vom Punkt, per Freistoß, innerhalb und außerhalb des Strafraums – Lewandowski hat in dieser Saison schon alle nur denkbaren Varianten eines Tores durchdekliniert.

Zudem scheint er mit der Zeit eine gewisse Übersicht dazugewonnen zu haben. Zwar besteht das Gros seiner Scorer weiterhin aus Toren – was für einen Stürmer keineswegs verwerflich ist – allerdings beherrscht er auch die hohe Kunst der Vorlage. Das wiederum ist für einen Stürmer alles andere als selbstverständlich.

FC Bayern: Nur wenige personelle Veränderungen

Taktisch dürfte sich am Dienstag im Vergleich zum Spiel gegen Frankfurt nicht viel verändern. Der Rekordmeister trat gegen die Eintracht in einem verkappten 4-2-3-1 auf, mit Leon Goretzka einen Halbtonschritt hinter Thomas Müller. Das Mittelfeld aus eben jenen beiden, sowie Joshua Kimmich dürfte bestehen bleiben.

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Kingsley Coman könnte wieder auf seiner angestammten linken Seite spielen, Serge Gnabry, gegen die Eintracht noch auf der Bank, dürfte für Ivan Perisic in die Startelf rücken und den Part rechts-offensiv übernehmen. Dem kroatischen Vizeweltmeister war die lange Bundesligapause plus Verletzung anzumerken.

Effizienz und Spielkontrolle: Bayerns Chancen zum Sieg

Das Ziel der Münchener am Dienstagabend ist klar: Gewinnen. Ihr Vorsprung auf Dortmund beträgt vier Punkte, bei deren sieben wäre die Frage nach der Meisterschaft höchstwahrscheinlich beantwortet. Sehr wahrscheinlich auch bei einem Unentschieden, trotz noch ausstehender Begegnungen der Bayern in Leverkusen und gegen Borussia Mönchengladbach. Sollte Dortmund die Partie – wie letzte Saison – für sich entscheiden, könnte es bei nur noch einem Punkt Differenz und eben jenen erwähnten Spielen auf ein Fotofinish hinauslaufen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch der BVB am 33. Spieltag auswärts in Leipzig noch einen großen Gegner vor der Brust hat, der in der kommenden Saison ganz gern in der Champions League spielen würde.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Für den FC Bayern wird es in Dortmund darauf ankommen, die zuletzt gezeigte Spielstärke auf den Rasen zu bringen. Die Treffer Nummer eins und drei gegen Frankfurt waren mustergültig, direkt und mit viel Zug zum Tor ausgespielt. Allerdings müssen diese dann auch zeitnah im Tor landen, denn Borussia Dortmund präsentierte sich zuletzt äußerst effektiv.

Zudem gilt es, die Vorstöße des BVB wenn möglich schon im Keim zu ersticken. Das ist ihnen im Hinspiel mit sehr frühem und aggressivem Pressing gut gelungen. Besonders auf Julian Brandt, der zuletzt viel initiierte und damit Raphael Guerreiro oder Erling Haaland in Szene setzte, gilt es dahingehend aufzupassen. Jadon Sancho war nach der Pause lediglich Reservist, von Innenbandproblemen war bei ihm die Rede. Ob er gegen den FC Bayern in die Startelf zurückkehrt, ist noch offen. In Wolfsburg hat auch er seine Effizienz unter Beweis gestellt, als er 13 Minuten nach seiner Einwechslung für Achraf Hakimi auflegte. Die fehlende Stimmung dürfte hüben wie drüben nicht zum Faktor werden, das haben beide Mannschaften in den letzten Spielen hinlänglich bewiesen. Der FC Bayern wird mit viel Selbstvertrauen kommen. Denn im Titelrennen ist dieses Spiel vor allem eines: eine große Chance.

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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