Spotlight

Die kurze Geschichte eines Überraschungsteams – Atalanta Bergamo

17. Januar 2017 | Spotlight | BY Christoph Albers

Atalanta Bergamo hat in Italien in dieser Saison bisher schon für Furore gesorgt, eine Mannschaft, die niemand auf dem Zettel hatte, ärgert regelmäßig „die Großen“ kämpft mit um die europäischen Plätze. Doch es gibt erste Verluste zu beklagen. Wie konnte es dazu kommen und wohin führt der Weg? Ein kurzes Porträt einer Überraschungsmannschaft.

 

Die Vorgeschichte

Seit dem direkten Wiederaufstieg in die Serie A 2011 machte es sich Atalanta in der unteren Tabellenhälfte so richtig bequem. Fünfmal in Folge beendete man die Saison zwischen Platz 11 und Platz 17, es war mal mehr und mal weniger knapp im Kampf gegen den Abstieg, aber der Klassenerhalt glückte am Ende immer. Ein wirklicher Fortschritt war nicht zu erkennen, aber solange man das Mindestziel, den Klassenerhalt, erreichte, durfte man schon durchaus zufrieden sein. Die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb schien ohnehin utopisch zu sein, schließlich hat die Serie A nur noch fünf europäische Startplätze (über die Liga) und da drängen sich dann ja doch immer die üblichen Verdächtigen, Juventus Turin, AS Rom, SSC Neapel, Inter Mailand, AC Milan, Lazio Rom und die Fiorentina…

Doch ein Beispiel machte zuletzt Hoffnung, Sassuolo konnte sich in der vergangenen Saison doch für die Europa League qualifizieren, im Gegensatz zu Lazio und dem AC Milan. Ohnehin schwächeln die „Großen“ in der Vergangenheit des Öfteren, auch Inter und die Fiorentina tun sich schwer mit Konstanz. Dennoch ist klar, dass es einer außergewöhnlichen Saison bedarf, um sich da einzumischen.

Vor der Saison

Nach dem 13. Platz in der Abschlusstabelle gab es dann im Sommer einige Veränderungen. Zunächst wurde der Trainer gewechselt, Edoardo Reja wurde nach ca. 15 Monaten im Amt durch Gian Piero Gasperini ersetzt. Gasperini ist, wie Reja, ein sehr erfahrener Mann, der auch schon beim CFC Genoa, US Palermo, FC Crotone und bei Inter Mailand auf der Bank saß. Mit ihm kam auch eine neue taktische Ausrichtung, im Gegensatz zu Reja setzt er nämlich auf eine Dreierkette und lässt seine Mannschaft in einem 3-4-3 spielen, dass für viel Flexibilität steht.

Zudem wurde auch der Kader deutlich überarbeitet. Mit Marten de Roon wurde ein absoluter Leistungsträger für die stolze Summe von 15 Mio. € an den FC Middlesbrough abgegeben, zudem verließen auch Luca Cigarini, Richmond Boakye und Marco Borriello den Verein. Dazu endeten die Leihen von Gabriel Paletta, Alessandro Diamanti und Serge Gakpe. Allesamt Spieler, die eine größere Rolle in der Vorsaison inne hatten. Darüber hinaus wurden, wie es in Italien üblich ist, etliche Spieler verliehen. So gab es natürlich viel Platz und großen Bedarf für Neuzugänge.

Doch man blieb durchaus Bescheiden, holte zwar auch acht Spieler, erwirtschaftete aber ein Transferplus von ca. 10 Mio. €. Denn von den Neuzugängen sind fünf Spieler nur ausgeliehen und einer kam ablösefrei. Nur Alberto Paloschi (6 Mio. € Ablöse) und Bryan Cabezas (1,6 Mio. €) kamen fest und kosteten Ablöse. Unter den geliehenen waren dafür aber einige Volltreffer, wie Ervin Zukanovic oder Etrit Berisha.

Zusammengefasst war es also eine äußerst erfolgreiche Transferphase für die Lombarden, vor allem, weil man so auch Platz zur Entfaltung für die eigenen Talente schaffte, wovon man sehr profitieren sollte, aber zu später mehr.

(Photo by Tullio M. Puglia/Getty Images)

Die Hinrunde

Ein gelungener Saisonstart ist oftmals die Grundlage für eine gute Saison, in diesem Falle gelang das aber nicht so ganz. Im ersten Spiel traf man nämlich gleich auf Lazio Rom und befand sich nach gerade einmal 33 Spielminuten bereits mit einem 0:3 in Rückstand. Anschließen zeigte die Mannschaft aber immerhin große Moral und verlor am Ende nur knapp mit 3:4, aber Punkte gab es dafür natürlich nicht. Und auch am zweiten Spieltag setzte es eine Niederlage, 1:2 bei Sampdoria. Erst am dritten Spieltag konnte man den ersten Sieg feiern, 2:1 gegen Torino, nur um dann an den kommenden beiden Spieltagen gegen zwei „Teams von unten“ wieder zu verlieren. Nach fünf Spieltagen stand Atalanta demnach mal wieder auf einem Abstiegsplatz, Rang 19. Ein optimaler Start sieht sicherlich anders aus…

Doch dann folgte ein erster Befreiungsschlag, ein 3:1-Sieg bei Aufsteiger Crotone. Daraus entwickelte sich dann ein sagenhafter Lauf von neun ungeschlagenen Spielen, darunter acht (!) Siege, u.a. gegen SSC Neapel, Inter Mailand und AS Rom. Plötzlich hatte Atalanta 28 Punkte auf dem Konto und fand sich auf Platz 5 wieder. So schnell kann es gehen. Am 15. Spieltag kam es dann aber, wie es kommen musste. Serienmeister Juventus empfing das Team der Stunde zum Spitzenspiel und demonstrierte eindrucksvoll seine Macht. Nach 64 Minuten stand es klar 3:0 für die „Bianconeri“, mehr als ein Ehrentreffer zum 1:3 sollte Atalanta nicht mehr gelingen. Der Lauf fand ein jähes Ende, wie so oft in Italien im Juventus Stadium.

Danach setzte es eine 1:3-Pleite gegen Udinese, es folgte ein Remis gegen Milan. Zum Jahresabschluss durfte sich die Mannschaft von Gian Piero Gasperini immerhin noch über einen 2:1-Sieg über Empoli freuen. Zum Hinrundenabschluss, nach dem Jahreswechsel, gab es ein überzeugendes 4:1 gegen Chievo, das der alles in allem tollen Hinrunde absolut gerecht wird. 35 Punkte und Platz 6 sind für die Schwarz-Blauen eine tolle Bilanz und wesentlich mehr als man erwarten durfte, selbst die Champions League-Plätze sind waren nur drei Punkte entfernt. Da kann man schon mal etwas träumen…

(Photo by Valerio Pennicino/Getty Images)

Das Zweite Transferfenster

Aber wie das immer so ist, Erfolg weckt Begehrlichkeiten. Diese Erfahrung musste Atalanta im bisherigen Januar auch machen. Gleich zwei große Talente und Leistungsträger musste Atalanta bisher ziehen lassen. Roberto Gagliardini (22) zog es zu Inter Mailand, zunächst auf Leihbasis bis 2018, ehe er dann, so ist es festgelegt, für 20 Mio. € fest zu Inter wechseln wird. Er kommt aus der Jugend Bergamos und war im zentralen Mittelfeld an der Seite von Franck Kessie gesetzt.

Innenverteidiger Mattia Caldara (22) wechselte dagegen zu Juventus Turin, die Ablöse soll 15 Mio. € betragen. Er wird aber immerhin zunächst auf Leihbasis bis zum Sommer 2018 bleiben. Die Schwächung wird sich also nicht kurzfristig merkbar machen.

Zudem wurden mit Marco Sportiello (24), an Florenz verliehen, und Mauricio Pinilla (32), an Genoa verliehen, zwei unzufriedene Spieler abgegeben. Sportiello ging kurioserweise als Stammtorwart in die Saison und wurde anschließend von dem geliehenen Berisha verdrängt. Als Ersatz für ihn wurde Pierluigi Gollini (21) von Aston Villa abgegeben.

Zudem wird auch Bergamos wohl größtes Talent, Franck Kessie (20), immer wieder mit einem Wechsel in Verbindung gebracht. Die europäischen Top-Vereine sollen bei ihm Schlange stehen, vor allem der FC Chelsea gilt als äußerst interessiert. Das ist aber auch kein Wunder, der defensive Mittelfeldspieler bringt alles mit, physisch und technisch. Zudem erzielt er auch selbst Tore. Mit seinen sechs Saisontoren ist er Bergamos bester Torschütze in dieser Saison, er wäre der wohl größtmögliche Verlust. Doch das ist er genau genommen ohnehin schon, denn er tritt für die Elfenbeinküste beim Afrika Cup an und fehlt seiner Mannschaft somit. Auch anschließend muss man befürchten, dass er unter den Strapazen leidet und möglicherweise nicht mehr an seine Top-Form rankommt, ein Phänomen, dass schon bei etlichen anderen afrikanischen Profis in der Vergangenheit aufgetreten ist. Daher ist ein Winterwechsel bei ihm ohnehin eher unrealistisch, im Sommer muss man aber wohl mit einem Abgang rechnen.

Insgesamt sieht es so aus, als würde Atalanta seine erfolgreiche Hinrunde gerade ein wenig vergolden. Nachvollziehbar, ist doch die finanzielle Lage in der Serie A äußerst angespannt.

(Photo by Valerio Pennicino/Getty Images)

Die Perspektive

Die Rückrunde hat bereits begonnen, es setzte erneut eine Niederlage gegen Lazio Rom zum Auftakt, was für sich genommen noch kein Grund zur Sorge ist, wie wir wissen. Aber der Abgang von Gagliardini, sowie das Fehlen von Franck Kessie sind herbe Verluste im Kampf um die internationalen Plätze. Zudem wird die Konkurrenz zunehmend stärker, Teams wie Inter und Florenz kommen immer mehr ins Rollen, sodass es wohl äußerst schwer werden wird sich dort zu behaupten.

Atalanta könnte das typische Schicksal der Überraschungsteams treffen, das Abbauen nach einer starken Hinrunde, der Rückfall ins Tabellenmittelfeld und viele Abgänge der Shootingstars. Die Anzeichen sind mehr als deutlich, sodass wir keine großen Hoffnungen haben, dass wir Atalanta nächstes Jahr in einem europäischen Wettbewerb sehen.

Aber vielleicht schafft es Atalanta mit dem eingenommenen Geld eine langfristige Verbesserung herbeizuführen und die untere Tabellenhälfte für mehr als eine Saison zu verlassen. Investitionen in Steine und Beine, gleichermaßen, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Im Pokal ist Atalanta im Übrigen auch schon raus, im Achtelfinale musste man sich, wie konnte es anders sein, Juventus Turin mit 2:3 geschlagen geben.

during the Serie A match between Atalanta BC and AS Roma at Stadio Atleti Azzurri d’Italia on November 20, 2016 in Bergamo, Italy.

Die Mannschaft

Wie schon beschrieben, spielt Atalanta vorwiegend in einem 3-4-3-System. Im Tor hat sich der Albaner Etrit Berisha den Stammplatz erkämpft, ihm soll Neuzugang Gollini jetzt Druck machen. Davor verteidigt eine Dreierkette aus drei gelernten Innenverteidigern. Diese wird besetzt von Andrea Masiello, Rafael Toloi, Ervin Zukanovic oder Mattia Caldara. Masiello ist gesetzt, die übrigen Drei werden regelmäßig rotiert.

Im zentralen Mittelfeld ist Franck Kessie zweifelsohne gesetzt. Auch Jasmin Kurtic ist unantastbar, jedoch spielt er mal offensiver mal defensiver. Weitere Alternativen sind vor allem Remo Freuler und Alberto Grassi. Auf der linken, defensiveren Außenposition spielt Leonardo Spinazzola oder Boukary Drame. Auf der rechten Seite stellt vor allem Andrea Conti das Pendant dar, Konko wäre hier die erste Alternative.

In der offensiven Dreierreihe ist nur der Argentinier Alejandro Gomez unantastbar, er kommt bereits auf 11 direkte Torbeteiligungen in 20 Spielen. Er kommt über den linken Flügel. Über den rechten Flügel kommt meistens Marco D´Alessandro, dem aber vor allem die Torgefahr abgeht. In der Sturmmitte kommt Andrea Petagna auf die meisten Einsätze, mit Alberto Paloschi und Aleksandar Pesic stehen gleich zwei Alternativen parat.

Christoph Albers

Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.


Ähnliche Artikel