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„El Clásico“ im Umbruch – Warum Barcelona und Real derzeit schwächeln

22. Oktober 2020 | Spotlight | BY Christoph Albers

Am Samstag ist es mal wieder soweit, die ewig-junge Geschichte von „El Clásico“ bekommt eine neue Episode. Doch diese Episode zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid mutet etwas trister an als viele der vorherigen.

Beide Teams befinden sich in einer schwierigen Phase, einer Phase des Umbruchs, sodass wohl niemand mehr vom Duell der beiden besten Teams der Welt sprechen würde. An Brisanz verliert das Spiel dadurch trotzdem nicht. Vielleicht sogar im Gegenteil. Doch an die Qualität der jüngeren Vergangenheit wird es wohl nicht ran reichen. Eine Situationsanalyse.

FC Barcelona

Knackpunkt Liverpool

Der FC Barcelona befindet sich seit einigen Monaten im absoluten Ausnahmezustand. Spätestens seit der 0:4-Pleite im Halbfinal-Rückspiel der Champions League Saison 2018/19 beim FC Liverpool. Diese bittere Niederlage brachte die unangenehme Wahrheit mit sich, dass das ebenso bittere Vorjahres-Aus gegen die Roma mehr als nur ein Ausrutscher war. Vielmehr mussten die Katalanen einsehen, dass ein Lionel Messi allein nicht reicht. Die deutlich überalterte Mannschaft würde nicht mehr dazu im Stande sein, die Champions League ein weiteres Mal zu gewinnen. Dass man fast ungeschlagen Meister geworden war, ging vor dieser Tatsache und der immer lauter werdenden Kritik an Trainer Ernesto Valverde beinahe unter. 

Trotzdem durfte Valverde weitermachen und mit den kostspieligen Neuverpflichtungen, Antoine Griezmann, Frenkie de Jong und Junior Firpo, sah man sich auf einem guten Weg, um endlich wieder durchzustarten. Von de Jong versprach man sich eine kleine Verjüngungskur für das Mittelfeld und mit Griezmann sollte endlich wieder ein magisches Trio im Sturm entstehen, und zwar das beste seit „MSN“ (Messi, Suarez, Neymar). Doch es lief nicht so wie erhofft. Griezmann und de Jong taten über die gesamte Saison hinweg schwer, ebenso wie die gesamte Mannschaft und so zogen sich alle Akteure eher runter, als sich gegenseitig zu helfen. 

Barcelonas Tiefpunkt: Das 2:8 gegen den FC Bayern

Die zuvor schon laute Kritik an Ernesto Valverde wurde immer lauter. Nach der Niederlage im Supercopa-Halbfinale gegen Atletico Madrid folgte die Entlassung von Ernesto Valverde – trotz Platz eins in der Liga und dem Einzug ins Achtelfinale der Champions League. Mit Quique Setien wurde kurzerhand eine Notlösung installiert, die allgemein als dritte Wahl angesehen wurde. Xavi Hernandez und Ronald Koeman hatten beide abgesagt. Aber immerhin genoss Setien Sympathien bei den Fans. Die Rückkehr zum „Tiki Taka“ vergangener Tage, von dem man sich spätestens unter Valverde, der einen eher rationalen Ansatz wählte, verabschiedet hatte, wurde herbeigesehnt.

Doch den gewünschten Erfolg brachte auch der Trainerwechsel nicht. Barça spielte uninspirierter denn je und konnte sich lediglich auf tolle Ballbesitz-Werte berufen, die den sportlichen Totalschaden aber auch nicht verhindern konnten. Platz zwei in der Liga, hinter einem maximal durchschnittlichen Real Madrid, das vorzeitige Aus im Pokal und die krachende 2:8-Niederlage in der Champions League gegen den FC Bayern waren einfach zu viel. Der Verein schien zu implodieren. Setien und Abidal wurden entlassen und die Mannschaft wurde umgekrempelt. Neu-Trainer Ronald Koeman machte den radikalen Kurs, rund um die unrühmlichen Verabschiedungen von Rakitic, Suarez und Vidal, bereitwillig mit und musste prompt mitansehen, wie sein Kapitän Lionel Messi den Aufstand probte und seinen Abschied forcierte. 

(Photo by Manu Fernandez/Pool via Getty Images)

In einem letzten großen Kraftakt konnte Präsident Bartomeu diese Katastrophe gerade noch abwenden. Doch seinen Ruf konnte er nicht mehr retten. Seine Skandal-behaftete Amtszeit (Barça-Gate, die Neymar-Ermittlung, …) hatte ihm zu viel Kredit gekostet. Und so war es fast schon folgerichtig, dass seine vereinspolitischen Widersacher ein Misstrauensvotum einleiteten, dass momentan noch läuft. Einen vorzeitigen Rücktritt zog er trotzdem nicht in Betracht.

Ein Neustart auf Bewährung

Und so kam es, dass Neu-Trainer Koeman schon wenige Tage nach Amtsantritt mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass womöglich schon nach der kommenden Präsidentschaftswahl im Frühjahr wieder gehen müsse. Keine leichte Situation für den Niederländer, der für die Chance bei Barcelona sogar auf die EM-Teilnahme mit der niederländischen Nationalmannschaft verzichtete. Doch damit nicht genug. Die angespannte finanzielle Lage des Clubs verhinderte auch die Transfers seiner erklärten Wunschspieler Georginio Wijnaldum und Memphis Depay, sodass der Kader an einigen Stellen etwas ausgedünnte daherkommt.

Mit Sergiño Dest, Miralem Pjanic, Pedri, Trincão und Matheus Fernandes bekam er zwar ein paar frische Kräfte. Doch für einen echten Umbruch reicht das nicht. An den ersten Spieltagen musste Koeman noch auf einen Großteil der Stammkräfte der letzten Jahre setzen – Sergi Roberto, Piqué, Lenglet, Jordi Alba, Busquets und Messi. Aber auch De Jong und Griezmann. Beide spielen eine wichtige Rolle, denn sie sind stark von Koemans Systemumstellung auf ein 4-2-3-1 betroffen. De Jong soll, als echter „Sechser“ neben Busquets, der nicht mehr auf dem Niveau vergangener Tage spielt, wieder zu seiner Form aus Ajax-Tagen finden. Griezmann musste an den ersten Spieltagen wieder mal auf dem Flügel beginnen.

Eine undankbare Aufgabe

Auch wenn Koeman immer wieder betont, dass Spieler immer auf ihren besten Positionen spielen sollten, wie z.B. Coutinho, den er als „Zehner“ aufbietet, so gilt dies doch nicht für Griezmann, der bei Barça keinen Platz zu haben scheint. Der Franzose ist ebenso wie Ousmane Dembélé ein Parade-Beispiel für die verfehlte Einkaufspolitik der Katalanen in den letzten Jahren. Beide kosteten gemeinsam mehr als 250 Millionen Euro. Ein Beleg für die fehlende Kohärenz im Handeln des Vereins.

Koeman versucht natürlich das Beste aus der Situation rauszuholen. Und er zeigt gute Ansätze, wie die flexiblere Ausrichtung der Offensive, die vor allem Ansu Fati extrem zugute kommt. Doch letztendlich bleibt es eine undankbare Aufgabe. Der Saisonstart zeigt bereits, dass diese Spielzeit keine leichte wird und noch viel Arbeit zu erledigen ist. Koeman wird womöglich nicht den kompletten Umbruch zu verantworten haben und die Verantwortung, dass es soweit gekommen ist, trägt er ganz sicher nicht. Doch er muss am Samstag versuchen, bestmöglich von all dem abzulenken.

(Photo by JOSEP LAGO/AFP via Getty Images)

Real Madrid

Man soll gehen wenn es am schönsten ist

Zinedine Zidane konnte mit Real Madrid zwischen 2016 und 2018 dreimal in Folge die Champions League gewinnen und erreichte damit etwas Historisches. Das dürfte ihm spätestens nach dem Finalsieg über den FC Liverpool im Mai 2018 auch mehr als bewusst gewesen sein. Ebenso bewusst war ihm womöglich die Tatsache, dass es von diesem Zeitpunkt an nur noch bergab gehen konnte. Viele seiner Leistungsträger hatten ihren Zenit bereits überschritten. Der Triumph in der „Königsklasse“ bildete das schwierige Jahr, das er erlebte, nicht wirklich ab. Folglich tat er das einzig Richtige und nahm seinen Hut.

Julen Lopetegui folgte ihm nach und musste für diese Chance die Teilnahme an der Weltmeister 2018 als spanischer Nationaltrainer aufgeben. Als „Entschädigung“ dafür, bekam er mit Thibaut Courtois, Vinicius Junior, Alvaro Odriozola und Mariano Diaz vier prominente Neuverpflichtungen an die Hand. Nichtsdestotrotz überwog der Verlust von Superstar Cristiano Ronaldo, der die spanische Hauptstadt gen Turin verließ. 

Diesen Verlust konnte Real Madrid nicht wirklich auffangen und der „Kater“, den Real nach den drei Henkelpotts in Folge durchlebte, schien überdies auch länger anzuhalten. Nach gerade einmal zehn Spieltagen und einer herben 1:5-Klatsche beim FC Barcelona, musste Lopetegui auch schon wieder gehen. Santiago Solari übernahm und konnte sich immerhin knapp fünf Monate im Amt halten, bevor auch seine Zeit abgelaufen war und Zinedine Zidane als Trainer zurückkehrte. 

Real Madrid: Stillstand ist Rückschritt

Doch auch mit „Zizou“ auf der Bank stellte sich der Erfolg nicht unmittelbar ein. Real Madrid beendete die Saison auf Rang drei, schied im Achtelfinale der Champions League gegen Ajax Amsterdam aus und musste sich im Pokal-Halbfinale dem FC Barcelona geschlagen geben – abermals. In der letzten Saison konnten die „Königlichen“ dann zwar mal wieder die Liga für sich entscheiden – dank eines schwachen FC Barcelona und eines tollen Laufs nach dem Re-Start – doch von der Dominanz und Brillanz der vorherigen Jahre war man weit entfernt. So war es auch kein Zufall, dass man in der Champions League wieder mal im Achtelfinale (an Manchester City) scheiterte und im Pokal schon im Viertelfinale ausschied. Und auch der bisherige Saisonstart zeigt, dass die Mannschaft von Zinedine Zidane nicht auf Weltklasse-Niveau agiert, wie z.B. die Spiele gegen Aufsteiger Cadiz oder gegen Real Sociedad (0:0) zeigen. Die 2:3-Niederlage in der Generalprobe gegen Shakhtar war ebenfalls ein deutliches Zeichen.

Real Madrid befindet sich, ebenso wie der FC Barcelona, mitten im Umbruch. Das Grundgerüst der Mannschaft, Sergio Ramos (34), Raphael Varane (27), Dani Carvajal (28), Marcelo (32), Casemiro (28), Toni Kroos (30), Luka Modric (35) und Karim Benzema (32), ist seit Jahren unverändert und etwas in die Jahre gekommen. Das merkt man vor allem Marcelo, der seinen Stammplatz bereits an Ferland Mendy (25) verloren hat, und Luka Modric an. Doch nicht (nur) das Alter per se ist das Problem, sondern viel mehr die Tatsache, dass die Mannschaft sich kaum noch weiterentwickelt. Varane, Carvajal und Casemiro sind im besten Fußballalter, Courtois (28) und Isco (28) ebenfalls, doch in dieser etwas festgefahrenen Umgebung scheint ein weiterer Schritt nicht möglich zu sein.

(Photo by Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

Zidanes Versäumnisse

Trotzdem kann man Real Madrid nicht vorwerfen, keine Verjüngung angestrebt zu haben. Mit Eder Militão (22), Martin Ödegaard (21), Vinicius Junior (20), Rodrigo (19), Luka Jovic (22) oder auch Reinier (19), der allerdings an den BVB verliehen wurde, wurde sehr viel Geld in hoffnungsvolle Talente gesteckt. Bislang blieben jedoch allesamt den Nachweis schuldig, dass sie sich nachhaltig in Reals erster Elf durchsetzen können, auch wenn Vinicius und Ödegaard (bei seiner Leihe zu Real Sociedad) bereits gute Ansätze demonstrierten. Beispiele wie Achraf Hakimi oder Sergio Reguilon zeigen unterdessen, dass auch hochgradig talentierte Spieler an dieser Aufgabe scheitern können. 

Eine wirklich nennenswerte Ausnahme bildet aber mit Sicherheit Federico Valverde (22). Der Mann aus Uruguay zählt mittlerweile zu den Leistungsträgern und ist mit seiner Energie eine echte Bereicherung für das Spiel der „Königlichen“. An dieser Stelle ist insbesondere auch Trainer Zidane gefragt, er muss die jungen Spieler an die Mannschaft heranführen und vielleicht auch mal mit seinen früheren Schlüsselspielern brechen, um einen Fortschritt zu ermöglichen.

Ohnehin ist Zidane nicht von Kritik freizusprechen. Die jüngeren Entwicklungen und die immer wiederkehrenden Probleme, wie z.B. die fehlende Restverteidigung, zeigen, dass auch er es verpasst hat, sich entsprechend zu entwickeln. Auch hier spielen vermutlich persönliche Aspekte eine Rolle. So wirkt es mitunter so, als könnte er Sergio Ramos’ fehlende Disziplin im Positionsspiel, die den „Königlichen“ in Regelmäßigkeit zum Verhängnis wird, nicht regulieren. Es stellt sich folglich die Frage, ob es auch eine Veränderung auf dem Trainerstuhl bedarf, um die Dynamik des Kaders, der in Teilen dem Ende seines Zyklus entgegengeht, entscheidend zu verändern. 

Die Ronaldo-Lücke

Ein weiteres Problem ist, dass nach wie vor kein echter Ersatz für Cristiano Ronaldo präsentiert werden konnte. Der logische Kandidat, Gareth Bale, konnte die Fußstapfen nicht füllen und ist mittlerweile zu Tottenham zurückgekehrt. Der Auserkorene, Eden Hazard, ist gut 15 Monate nach seiner Verpflichtung noch immer nicht bei Real Madrid angekommen. Hazard kommt bisher auf lediglich 16 Ligaspiele, in denen ihm ein Tor gelang. Diese Ausbeute entspricht natürlich in keiner Weise den Erwartungen und angesichts dessen, dass er im Januar 30 wird, mehren sich die Zweifel, dass er sie noch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen wird. 

Diese Gemengelage führt schlussendlich auch dazu, dass die Abhängigkeit von Karim Benzema immer weiter zunimmt. Der Franzose blüht seit Ronaldos Abgang regelrecht auf und trug mit 21 Toren und acht Assists in der abgelaufenen Spielzeit wesentlich zum Gewinn der Meisterschaft bei. Doch auch er ist bereits 32 Jahre alt und muss daher mittelfristig ersetzt werden. Eine weitere schwere Aufgabe. Schließlich schlug Luka Jovic, in den man große Hoffnungen gesetzt hat, bisher so gar nicht ein.

(Photo by JOSE JORDAN/AFP via Getty Images)

Auch die „Königlichen“ befinden sich also in einem großen Umbruch, der einige Unwägbarkeiten mit sich bringt und zu einer echten Zäsur werden könnte. Das Umfeld ist zwar deutlich ruhiger als das des FC Barcelona, doch die sportlichen Herausforderungen sind ähnlich groß. Das Spiel am Samstag sollte also auch stets unter diesen Vorzeichen betrachtet werden – es ist der erste Höhepunkt einer Saison, die für beide eine schwere werden dürfte. 

(Photo by David Ramos/Getty Images)

Christoph Albers

Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.


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