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Emre Mor: Talfahrt eines Ausnahmetalents

2. Mai 2020 | Spotlight | BY Damian Ozako

Emre Mor galt als Versprechen für die Zukunft. Jedem war ersichtlich, warum der Offensivspieler von Borussia Dortmund verpflichtet wurde. Doch aus dem einstigen Ausnahmetalent ist ein Spieler geworden, der sein Potenzial nie vollständig abrufen konnte. 

Emre Mor: Teil des Dortmunder Umbruchs

„Emre Mor ist ein hochveranlagter und in der Offensive vielseitig einsetzbarer junger Spieler mit riesigem Entwicklungspotenzial.“ So äußerte sich Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc zur Verpflichtung des damals 18-Jährigen. Er sollte Teil eines Kaderumbruchs werden, der noch die weiteren Neuzugänge Sebastian Rode, Marc Bartra, Mikel Merino, Ousmane Dembélé und Raphael Guerreiro beinhaltete. Nach einer starken Premierensaison von Thomas Tuchel verließen mit Kapitän Mats Hummels und Mittelfeldstratege Ilkay Gündogan zwei Schlüsselspieler den Verein. Der BVB setzte wie schon in den vergangenen Jahren vor allem auf Talente. In der Rückrunde der Saison wurden bereits Felix Passlack und Christian Pulisic aus der Jugend zu den Profis hochgezogen. Zusammen mit Dembélé, Merino und Mor hatte der BVB direkt mehrere extrem spannende Talente in den eigenen Reihen. Diese sollten sich allerdings unterschiedlich gut entwickeln.

Passlack spielte eine ordentliche Saison und konnte wertvolle Erfahrungen im Profibereich sammeln. Es war jedoch auch ersichtlich, dass der Juniorennationalspieler noch Zeit bräuchte. Merino wurde von Tuchel zwischen der Innenverteidigung und dem Mittelfeld hin- und hergezogen und bekam letztendlich zu wenig Spielzeit, um sich langfristig beim BVB durchzusetzen. Pulisic konnte seine Eindrücke als Shootingstar bestätigen und war regelmäßig in der Startelf wiederzufinden. Dort konnte man ebenfalls Dembélé bestaunen. Der junge Franzose spielte eine atemberaubende Saison und weckte große Begehrlichkeiten im Ausland. 

(WANG ZHAO/AFP via Getty Images)

Anpassungsschwierigkeiten für den „türkischen Messi“

Auf der Strecke blieb Emre Mor. In der Vorbereitung deutete der Neuzugang immer wieder sein Potenzial an. Otto Addo, der damals noch Co-Trainer beim FC Nordjaelland war, zeigte sich extrem begeistert quirligen Mor. Der ehemalige BVB-Profi habe in Sachen Talent noch nichts Besseres als ihn gesehen. „Sein Potenzial ist enorm. Wie er dribbelt, erinnert mich wirklich an Lionel Messi“, so Addo weiter. Das Narrativ vom „türkischen Messi“ war schon längst in den Medien und bei den Fans angekommen. Tuchel versuchte den Hype ein wenig zu bremsen und zu Saisonbeginn waren Dembélé und Pulisic in ihrer Entwicklung weiter. Der Franzose konnte sich bereits in der Ligue 1 einen Namen machen und der US-Amerikaner hat sich in der Bundesliga schon akklimatisieren können. Wenn ein Spieler erst wenige Profispiele in der ersten dänischen Liga absolvieren konnte, ist es verständlich, dass er noch Zeit für weitere Anpassung braucht. 

Trotzdem war Mor von Anfang an eine Kaderoption für Tuchel und durfte im DFB-Pokal, in der Bundesliga und auch in der Champions League als Joker ran. Bei seinem Ligadebüt konnte er auch direkt sein erstes Tor erzielen. Es sollte sein einziger Pflichtspieltreffer für Borussia Dortmund bleiben. Mor konnte sich auf engstem Raum gegen mehrere Spieler durchsetzen und war vom Gegner kaum vom Ball zu trennen. Dies schafften allerdings auch seine Mitspieler nicht. Nicht selten ließ der türkische Nationalspieler, der bereits bei der EM 2016 für Furore sorgte, Gegenspieler stehen und verpasste dann den idealen Moment für das Abspiel. Lieber versuchte er es mit dem Kopf durch die Wand und dribbelte sich irgendwann fest. Ballverluste wie diese werden in der Bundesliga und anderen Topligen gerne bestraft. Dementsprechend reichten Mors gute Ansätze nicht, um für Tuchel eine ernsthafte Alternative für die Startelf darzustellen. 

Tuchel und Mor auf Kriegsfuß

Dieser nahm ihn öffentlich weiter in Schutz und sagte über den jungen Offensivspieler: „Er ist ein außergewöhnliches Talent, von dieser Meinung gehen wir auch nicht weg. Er hat Tempo, Beschleunigung, aber trotzdem ist er zu uns gekommen nach einem halben Jahr als Profi. Das war ein großer Schritt, er unterliegt Leistungsschwankungen. Das ist aber ganz normal.“ Er bescheinigte dem damals 19-Jährigen große Mühen und harte Arbeit. Diesen Beruf auf höchstem Niveau auszuüben, müsse man erst einmal lernen. „Er ist in der Lage ein besonderer Spieler zu werden“, so Tuchel weiter. 

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

So positiv blieb die Beziehung zwischen den beiden nicht immer. Tuchel wollte, dass der Offensivspieler am Tag nach dem 1:4 in München eine Sondereinheit absolviert, da er nur 30 Minuten am Vortag spielte. Dieser protestierte gegen diese Anordnung und seinem Trainer platzte der Kragen. Kurze Zeit später kamen Gerüchte auf, dass Mor von Fitnesstrainer Rainer Schrey in einer Einheit gedemütigt wurde. Dies passierte zu einer Zeit, in der viele Interna von Borussia Dortmund nach außen drangen. So oder so war jedoch klar: Unter Tuchel sollte Mor außen vor bleiben. Er spielte nach all diesen Vorkommnissen keine Rolle mehr. 

Emre Mor verlässt Dortmund

Tuchel wurde nach dem Triumph im DFB-Pokal gefeuert und mit Peter Bosz kam ein Trainer, der dafür bekannt war, ein großer Fan junger Talente zu sein. Viele erhofften sich, dass Mor, der in der Vorbereitung unter dem neuen Coach zwischenzeitlich glänzte, den Durchbruch in Dortmund schaffen sollte. Zunächst gab es öffentlich viel Lob vom Niederländer. Doch auch Bosz konnte letztendlich nicht viel mit dem inzwischen 20-Jährigen anfangen, die Probleme überwiegten.

Borussia Dortmund konnte ihn sogar noch mit Gewinn an den spanischen Erstligisten Celta Vigo verkaufen. Dort kam der türkische Nationalspieler zumindest regelmäßig zum Einsatz. Auch wenn er dabei oftmals nur als Joker agierte. Sollte er so seine ist Stocken geratene Karriere wieder zum Laufen bringen? Nein. Denn schon früh traten neue Probleme auf. In Vigo wurde er für seine egoistische Spielweise kritisiert und leistete sich so einige Fehlgriffe. So erschien er etliche Male zu spät zum Training und wurde deshalb auch zwischenzeitlich aus dem Kader gestrichen. Lokalzeitungen berichteten auch von Handgreiflichkeiten im Training.

(MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images)

In der zweiten Saison in Spanien stand er fast gar nicht mehr im Kader Celta Vigos. Mors fehlende professionelle Einstellung machte ihm deutlich einen Strich durch die Rechnung. Der Klub wollte ihn nun unbedingt loswerden, aber es mangelte an Interessenten für eine feste Verpflichtung. Ein Hoffnungsschimmer war der Ruf von Trainerlegende Fatih Terim. Dieser machte ihn einst zum Nationalspieler und wollte Mor zu Galatasaray holen. Die Türken liehen den Dribbelkünstler aus, was für Euphorie im Klub-Umfeld sorgte. 

Mor scheitert auch bei Galatasaray

Schnell wurde klar, dass es auch dort zu Problemen kommen sollte. Auf dem Platz sorgte er nicht für Schlagzeilen, abseits des Sportlichen allerdings schon. Terim versuchte es mit diversen Mitteln und wollte unbedingt das Potenzial des Flügelspielers abrufen, aber im Training zeigte dieser kaum Anzeichen von Ehrgeiz oder Professionalität. Er geriet sogar mit Radamel Falcao aneinander, der ihn während einer Übungseinheit motivieren wollte. Das ließ sich Mor nicht gefallen. Vorfälle wie dieser sorgten dafür, dass selbst sein großer Förderer Fatih Terim ihn aufgab. 

In Istanbul galt er als Störenfried innerhalb der Mannschaft. Dies und seine keineswegs überzeugenden sportlichen Leistungen sorgten für den Entschluss sich schnell von Mor zu trennen. Galatasaray suchte länger nach einem Abnehmer, da, nicht wirklich überraschend, kaum ein Klub Interesse am Offensivspieler zeigte. Schließlich konnte sich Gala mit Olympiakos Piräus auf ein Leihgeschäft bis zum Ende der Saison einigen. Es gibt Gerüchten zufolge auch eine Kaufpflicht, die ab einer bestimmten Anzahl von Einsätzen greift. Seine Zeit in Griechenland kann aufgrund der außergewöhnlichen Situation, die durch das Coronavirus ausgelöst wurde, noch nicht vollends bewertet werden. In der Liga kam er noch zu keinem Einsatz und landete oftmals sogar auf der Tribüne. Er hatte vor der Unterbrechung nur zwei Kurzeinsätze im Pokal zu verzeichnen. 

(Photo by BULENT KILIC/AFP via Getty Images)

Emre Mor gelobt Besserung

Sollte es der 22-Jährige wirklich schaffen sich zusammenzureißen, dieser Berufung ernsthaft und professionell nachzugehen, könnte er in Griechenland die Wende schaffen. Dort ist der Fokus nicht allzu stark auf ihn gelenkt. Er müsste auf dem Platz sein Temperament unter Kontrolle bringen, seinen Egoismus ablegen und sich zu einem Teamplayer entwickeln. Trainingseinheiten sollte er im Vergleich zu seiner Vergangenheit ernst nehmen und nicht jede Person, die auf ihn einreden will, abweisen. In seiner noch jungen Karriere hat er es sich bereits mit Trainern, Mitspielern und sogar seinem Berater verscherzt. Dieser unterstellte Mor „völlig inkonsequentes und unprofessionelles Handeln“. Im Vorfeld seines Wechsels zu Galatasaray soll er auf eigene Faust verhandelt und behauptet haben, dass er ablösefrei zu haben sei. Eine Fehlinformation. Immer wieder würde Mor lügen, so Erik Alonso, Chef der Berateragentur, die den Offensivspieler unter Vertrag hatte.

Auf Instagram verkündete das ehemalige Supertalent, das einst von einem Engagement bei internationalen Topklubs träumte, dass die letzten Jahre schwierig gewesen seien. Mor betonte jedoch auch, dass er sich seines Talents bewusst sei und hart daran arbeiten werde, der Welt den „echten Emre Mor“ zu präsentieren. 

Der Glaube an eine positive Wende seiner Karriere schwindet, aber ausgeschlossen ist sowas nie. Bleibt nur die Frage, ob Emre Mor wirklich für den Profifußball gemacht ist. Das Spiel hat mittlerweile so viele Facetten, dass hohes Tempo und ein gutes Dribbling bei weitem nicht reichen, um es auf dem höchsten Niveau zu packen. Taktisches Verständnis, Spielintelligenz und Professionalität sind ebenfalls bitter nötig. Vielleicht lernt Mor diese Aspekte in Griechenland.

Damian Ozako

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(STRINGER/AFP via Getty Images)

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


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