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„Er schwingt nicht nur Reden, sondern greift auch durch“: Expertenrunde zur Salihamidzic-Beförderung

12. November 2019 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Spotlight | Nach der Aufsichtsratssitzung beim FC Bayern München am Montagabend wurde verkündet, dass Hasan Salihamidzic im Sommer 2020 zum Sportvorstand beim Rekordmeister befördert wird. Diese Entscheidung wird durchaus auch kritisch gesehen. Justin Kraft (Miasanrot), Manuel Bonke (TZ) und 90PLUS-Redakteur Piet Bosse diskutieren die zentralen Fragen zur Salihamidzic-Beförderung.

Salihamidzic besitzt „unendlichen Fleiß“

90PLUS: Es ist offiziell, was sich zuletzt bereits andeutete. Hasan Salihamidzic wird befördert und neuer Sportvorstand beim Rekordmeister. Blicken wir noch einmal zurück in den Sommer 2017, als „Brazzo“ eingestellt wurde. Hättet ihr in der Personalie Salihamidzic diesen Verlauf erwartet oder kommt die Entwicklung für euch überraschend?

Justin Kraft: Für mich kommt sie sehr überraschend. Ich habe ihn damals sehr kritisch gesehen, mittlerweile sehe ich ihn positiver. Aber allein der Entscheidungsprozess machte auf mich damals den Eindruck, dass er nicht die Wunschlösung war. Das kann wie mit Kovač immer sehr gefährlich sein. Hier ging es – je nachdem wie man zu ihm steht – wohl erstmal gut.

Piet Bosse: Da Salihamidzic als „Liebling“ von Uli Hoeneß gilt, und dieser trotz des nun anstehenden Rückzuges immer noch viel Einfluss beim FC Bayern hat, finde ich die Entscheidung nicht wirklich überraschend. Sie zeigt, dass man in München zu der Entscheidung der Einstellung von Salihamidzic steht. Salihamidzic wurde stets der Rücken gestärkt, was ein Beweis dafür ist, dass man intern in ihm einiges sieht.

 (Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Manuel Bonke: Nach den Absagen von Max Eberl und Philipp Lahm für diese Position kam Salihamidzic im ersten Moment in der Tat wie eine Not-Lösung daher. Und nach seinen ersten öffentlichen Auftritten häuften sich tatsächlich die Zweifel daran, dass Salihamidzic den Verein in dieser Position wirklich prägen kann oder irgendwann gar zum Sportvorstand befördert wird – vor allem, wenn man seine Auftritte mit denen eines Matthias Sammer verglich. Allerdings hat Brazzo als Sportdirektor ähnliche Züge wie als Spieler: Er besitzt einen unendlichen Fleiß. So ungeschickt wie seine Außendarstellung vor allem zu Beginn seiner Amtszeit wirkte, so akribisch arbeitete er intern. Vor allem in den letzten zwölf Monaten hatte sich daher angedeutet, dass Salihamidzic zum Sportvorstand berufen wird.

90PLUS: Nun hat in den letzten Wochen vor allem Uli Hoeneß diese Maßnahme vorangetrieben, nicht alle Mitglieder des Aufsichtsrates sollen vollumfänglich überzeugt gewesen sein, wenn man einigen Medienberichten Glauben schenkt. Wie hat Hasan Salihamidzic eine Mehrheit hinter sich aufstellen können, welche Elemente – auch perspektivisch – hat er intern angesprochen, damit Hoeneß, Rummenigge & co. Ihm diesen Posten zutrauen?

M.B.: Zu Beginn seiner Zeit als Sportdirektor galt Salihamidzic klar als Hoeneß-Mann. Doch es wurde schnell deutlich, dass er sich von Uli Hoeneß emanzipieren möchte. Das kam auch im Bayern-Vorstand gut an. Salihamidzic ging es bei sportlichen Diskussionen mit Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge stets um die Sache und nicht darum, sich bei Entscheidungen blind hinter Hoeneß zu stellen. Große Pluspunkte hat Salihamidzic innerhalb des Vereins auch mit seinen Plänen für die sportliche Ausrichtung gesammelt – sowohl bei den Profis als auch in der Jugend.

Er hat mit Miroslav Klose und Martin Demichelis zwei frühere Weltklasse-Spieler als Trainer in den U-Mannschaften installiert. Ein ähnliches Muster – Ex-Profis im Jugendbereich zu beschäftigen – verfolgt mittlerweile auch der DFB. Brazzos liebstes Kind ist aber die Scouting-Abteilung, die er komplett umgekrempelt hat. Salihamidzic ist überzeugt, dass der FC Bayern nur mit einem gezielten und frühen Scouting auf dem Transfermarkt mit anderen Weltklasse-Klubs mithalten kann, bei denen Geld keine Rolle spielt. Bestes Beispiel dafür ist aktuell Alphonso Davies, der sich immer mehr zu einem Glücksgriff entwickelt. Außerdem schreckt Salihamidzic intern nicht vor unpopulären Entscheidungen zurück, wie die Umstrukturierung der medizinischen Abteilung zeigt. Unter anderem ist Volker Braun nicht mehr Teamarzt und der in der Mannschaft beliebte Physio Christian Huhn nicht mehr Chef-Physio, sondern Helmut Erhard. Heißt: Salihamidzic schwingt nicht nur Reden, er greift auch durch – das ist auch den Entscheidern in München nicht entgangen.

P.B.: Der FC Bayern möchte und muss sich zukunftsorientiert aufstellen. Hoeneß tritt ab, Rummenigge perspektivisch ebenfalls, da ist es wichtig, entscheidende Positionen wie den Sportvorstand so früh wie möglich zu besetzen. Salihamidzic macht für mich den Eindruck, weniger aufbrausend und emotionsorientiert zu sein, wie es bei Uli Hoeneß der Fall ist, auch im Vergleich mit Rummenigge könnte er einen ruhigen Gegenpol darstellen. Salihamidzic ist deshalb für mich eine gute Lösung. Ob er den FC Bayern in Zukunft -ohne Hoeneß und Rummenigge – entscheidend vorantreiben kann, bleibt abzuwarten. Im Hinblick auf das Zusammenspiel mit möglichen Nachfolgern in der Chefetage, wie beispielsweise Oliver Kahn, halte ich Salihamidzic jedenfalls sehr geeignet.

 (Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

J.K.: Also ganz grundsätzlich glaube ich nicht daran, dass nur Hoeneß das durchgedrückt hat. Dass es Leute gegeben habe, die dagegen sind, kann sein. Die Mehrheit hat sich aber für ihn entschieden. Ich persönlich finde das sehr schwer zu bewerten, weil der Verein in der Personalie keine Transparenz zulässt. Was hat er genau gemacht? Was hat er erreicht? Gelobt wird er vor allem für Fleiß, Akribie und Engagement. Wenn der Verein aber so einen Schritt geht, dann nicht aus reiner Nächstenliebe zu Hoeneß. Eines der größten Defizite von Salihamidzic ist seine Außendarstellung. Seine Qualitäten liegen im zwischenmenschlichen Bereich. Viele Berater waren sehr angetan von ihm, insbesondere im Jugendbereich. Dazu scheint er lernfähig zu sein. Wichtige Aufgabenbereiche werden für ihn kurzfristig der Kader und langfristig der Jugendbereich sein.

„Es wird wichtig sein, dass Hoeneß im Hintergrund bleibt“

90PLUS: Die Arbeit von Hasan Salihamidzic von außen detailliert zu bewerten, ist nicht seriös möglich. Die Außendarstellung und Artikulation war in einigen Fällen ausbaufähig, auch in Sachen Kaderplanung und Transfers fehlte bisher der große Knalleffekt, auch wenn sich Salihamidzic insbesondere mit Alphonso Davies einige Fleißpunkte verdienen konnte. Betrachtet man jetzt aber die Aufgaben, die anstehen, sprich Trainersuche, Kaderplanung rund um die möglichen Personalien Sane, Havertz, Coutinho & co und, was nicht vergessen werden darf, elementar wichtige Vertragsverlängerungen wie die eines Thiago, Manuel Neuer oder David Alaba: Habt ihr das Gefühl, dass der Zeitpunkt der Beförderung der richtige ist? Wäre es nicht vielleicht klüger gewesen abzuwarten, welchen Weg Salihamidzic im Umgang mit diesen großen Aufgaben einschlägt?

P.B.: Ich halte den Zeitpunkt für richtig, weil man sich schnellstmöglich neu aufstellen muss, um die Planungen voranzutreiben. Die Beförderung erfolgte, weil man von der Arbeit des Bosniers überzeugt ist. Man traut ihm offenbar zu, den Weg des FC Bayern mitzugestalten. Es stehen Veränderungen im Kader an und bisher wirkte Salihamidzic vielleicht nicht immer glücklick, aber in der neuen Rolle kann er sich beweisen. Es ist aus meiner Sicht jetzt richtig, ihm die Zukunftsplanung zu überlassen. 

M.B: In seiner Amtszeit hat Salihamidzic bereits zwei Trainer-Entlassungen (die er zu 100 Prozent mitgetragen hat) und einen Radikal-Umbruch (Karriereende Arjen Robben und Franck Ribéry) erlebt. Er weiß also, wie man mit großen Aufgaben umgehen muss. Die großen Sommer-Verpflichtungen um Benjamin Pavard und Rekord-Neuzugang Lucas Hernandez hat Salihamidzic weitgehend alleine eingefädelt. Beim Transfer von Leroy Sané war ebenfalls Brazzo federführend und die Rückholaktion nach Deutschland wäre mit großer Wahrscheinlichkeit gelungen, hätte sich Sané nicht am Kreuzband verletzt. Im Sommer steht die nächste 100-Millionen-Offensive bevor (u.a. soll Kai Havertz kommen) und dort hat Salihamidzic als Sportvorstand eine andere Verhandlungsposition als „nur“ als Sportdirektor.

J.K.: Ich würde erstmal bei einer Sache ganz entscheidend widersprechen: Die Kaderplanung war besser, als viele annehmen. Ja, Sané ist gescheitert, aber die B-Lösung war doch als Übergang gut. Fakt ist, dass er sich aber daran messen lassen muss, was im nächsten Sommer bei rumkommt. Dann lässt sich die Übergangslösung bewerten: Strategisch klug oder Notlösung? Sonst ist der Kader bis auf 1-2 Baustellen aber schon sehr gut besetzt. Aktuell hat man Verletzungssorgen und kann ohne Coutinho, Boateng und Thiago den BVB mit 4:0 schlagen. Das ist schon gut. Den Zeitpunkt seriös zu beurteilen ist ebenso schwer wie die Bewertung seiner Arbeit. Da Kahn und Hainer aber bereits eingebunden sind, gehe ich davon aus, dass auch das abgesprochen war.

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90PLUS: Beim FC Bayern ändert sich nun also einiges. Salihamidzic wird Sportvorstand, Oliver Kahn integriert, Uli Hoeneß zieht sich zurück und Karl-Heinz Rummenigge wird sein Amt auch nicht mehr allzu lange ausüben. Seht ihr den Rekordmeister bei den Entscheidungsträgern generell gut aufgestellt, was die Zukunft angeht oder besteht noch Nachholbedarf? Und welche Kandidaten kommen euch in den Sinn, um beim FC Bayern eine möglicherweise tragende Rolle zu spielen?

J.K.: Es wird wichtig sein, dass Hoeneß im Hintergrund bleibt. Seine Konflikte mit Rummenigge haben viele Entscheidungsprozesse verlangsamt. Mit der neuen Zusammensetzung erhoffe ich mir zwar Reibung, aber positive und nicht eine, die die Entscheidungen verschleppt. Außerdem ist mein Gefühl, dass ein weiterer Mann unter oder neben Salihamidzic gut wäre, der ihn bei dem doch sehr weiten Aufgabenfeld unterstützt. Da denke ich vor allem an jemanden von außerhalb. Eberl war immer ein kleiner Wunsch von mir, aber Namedropping ist hier natürlich kompliziert, da das noch kein Thema zu sein scheint.

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

M.B.: Interessant wird die Frage sein, wie der Verein mit einem Präsidenten (Herbert Hainer) umgeht, der sich nicht ins Tagesgeschäft einmischt, wie es Uli Hoeneß tat. Oliver Kahn ist sowohl in wirtschaftlichen als auch in sportlichen Fragen ein absoluter Experte. Salihamidzic kennt den Klub auf Management-Ebene so gut wie kein anderer. Auf dem Papier ist der Verein also gut aufgestellt. Wie es in der Praxis aussieht, ist letztendlich noch nicht seriös zu beantworten. Max Eberl, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sind Namen, die man beim Rekordmeister immer im Hinterkopf hat. Doch in naher Zukunft soll erst einmal das Trio Hainer, Kahn und Salihamidzic den Verein in die nächste Erfolgsära führen.

P.B.: Zwei prägende Figuren wie Hoeneß und Rummenigge sind nicht von jetzt auf gleich zu ersetzen. Sowohl Kahn als auch Salihamidzic haben auf Funktionärsebene noch nicht allzu viel Erfahrung vorzuweisen, generell kann man darüber diskutieren, diesen beiden noch einen erfahrenen Mann an die Seite zu stellen. Ob es soweit kommt, wird sich wohl erst in der Phase des fließenden Übergangs zeigen. 

 (Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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