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FC Bayern | Der Thiago-Abgang und die Folgen: Es wird dünn im Kader

19. September 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Thiago Alcantara verlässt den FC Bayern München nach sieben erfolgreichen Jahren. Der Spanier sucht eine neue Herausforderung und wechselt in die Premier League, schließt sich dem FC Liverpool an. Für den deutschen Rekordmeister ist das ein Abgang mit Folgen.

  • FC Bayern: Der dünne Kader kann zum Problem werden
  • Thiago: Wie ersetzt der Rekordmeister den Alleskönner?
  • Die Verantwortlichen sind gefordert

Nach sieben Jahren: Thiago verlässt den FC Bayern

Vor wenigen Monaten sah es so aus, als würde Thiago Alcantara (29) seinen Vertrag beim FC Bayern München verlängern. Die Parteien waren sich einig, das unterschriftsreife Arbeitspapier lag vor. Doch dann änderte sich etwas. Im Spieler selbst reifte die Verlockung einer neuen Herausforderung. Sieben Jahre in München, geholt seinerzeit von Pep Guardiola und entwickelt von verschiedenen Trainern, sind eine lange Zeit.

Nun werden sich die Wege trennen. Thiago wird nach England wechseln und versuchen, auch der Premier League und dem Fußball des FC Liverpool seinen Stempel aufzudrücken. Für Jürgen Klopp (53) ist der Spanier das dringend benötigte Puzzleteil im Mittelfeld. Für den Spieler selbst sind die „Reds“ Kapitel Nummer drei in einer bisher sehr großen und erfolgreichen Karriere. Die sieben Jahre beim FC Bayern endeten mit dem Triple, den großen Traum vom erneuten Triumph in der Champions League konnte sich Thiago also noch in München erfüllen.

Interner Thiago-Ersatz? Das wird schwierig

Der Transfer hat nicht nur auf Thiago und den FC Liverpool Auswirkungen, sondern logischerweise auch auf den FC Bayern. Das strukturgebende Element im Mittelfeld zu verlieren, ist ein großer Schlag. Der Spanier war wichtig für das Ballbesitzspiel, initiierte viele Angriffe, sorgte für geniale Momente und überzeugte mit seinem sehr guten Gegenpressing. Ein Skillset dieses Ausmaßes ist kaum zu ersetzen. Schon gar nicht in einem Sommer, in dem auch der finanziell sonst sehr gut aufgestellte Rekordmeister sparen muss.

(Photo by MIGUEL A. LOPES/POOL/AFP via Getty Images)

Ein externer Ersatz ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in Sicht. Will man Thiago einigermaßen adäquat ersetzen, muss tief in die Tasche gegriffen werden. Sehr tief. Das ist nach jetzigem Stand der Dinge sehr unwahrscheinlich. Eine interne Lösung ist denkbar, aber alles andere als ideal. Das zeigt der Blick auf das Personal. Die Stammbesetzung im Zentrum ist recht eindeutig: Leon Goretzka und Joshua Kimmich (beide 25) werden auf der Königsposition im Fußball wirbeln. Goretzka besticht durch seine Dynamik und die sehr kluge Besetzung offensiver Räume. Kimmich gibt keinen Ball verloren, ist zweikampfstark und enorm spielintelligent.

Corentin Tolisso (26) ist ein Spieler, der nun häufiger zum Einsatz kommen könnte. Seine Kernkompetenzen liegen aber nicht in der Ballverteilung, vielmehr ist auch der Franzose eher ein Box-to-Box-Spieler, der mit Dynamik und der Besetzung offensive Räume glänzt. Die anderen beiden Optionen im Kader sind Michaël Cuisance und Adrian Fein (beide 21). Beide sind in die Kategorie „Wundertüte“ einzuordnen.

Cuisance zeigte zum Ende der Saison 2019/20 sehr gute Ansätze und ist ein technisch sehr gut ausgebildeter Spieler, Fein agierte beim HSV als Ballverteiler und überzeugte vor allem in der Hinrunde. Für beide Spieler gilt aber, dass noch ein großer Schritt nach vorne zu absolvieren ist. Möglicherweise spielt die aktuelle Besetzung, der eng getaktete Rahmenterminkalender und die Tatsache, dass ein Neuzugang nicht wahrscheinlich ist, diesen beiden jungen Spielern in die Karten.

FC Bayern: Das Problem mit dem dünnen Kader

Der Thiago-Abgang hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Besetzung im Mittelfeld. Im gesamten Kader wird das Personal immer dünner. Ja, der FC Bayern verfügt über den ein oder anderen Spieler, der im Notfall mehrere Positionen abdecken kann. In eine lange Saison zu gehen und mehrere solcher Fälle zu haben, ist aber alles andere als ideal. Ziel muss es sein, jede Position doppelt zu besetzen. Im Optimalfall stehen dann noch junge, hungrige Spieler, die zwischen den Mannschaften pendeln, dahinter.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Im Fall des Rekordmeisters stellt sich das derzeit aber anders dar. Ivan Perisic (31), Philippe Coutinho (28), Alvaro Odriozola (24) und eben Thiago stehen nicht mehr im Aufgebot, Javi Martinez (32) steht vor einem Wechsel zu Athletic. Die Optionen sind rar gesät. Der Kader war in der Vorsaison bereits klein. Den (möglichen) fünf Abgängen stehen bisher lediglich drei Neuzugänge gegenüber. Optimierung in der Breite geht anders, zumal der ein oder andere Youngster ausgeliehen wurde, um anderswo Spielpraxis zu erhalten.

Beim Blick auf den Kader wird das Dilemma deutlicher. Zieht man Martinez und Thiago ab, so stehen noch 19 Feldspieler im Aufgebot des Rekordmeisters. Dazu gehören Neuzugang Tanguy Nianzou (18), Joshua Zirkzee (19) und Fiete Arp (20). Von eine Doppelbesetzung auf allen Positionen ist man in München noch weit entfernt. Einziger Trost: Bis zum 5. Oktober kann noch nachgelegt werden. 

Diese Baustellen müssen Salihamidzic und co. noch angehen

Wäre dieser Transfersommer ein ganz normaler, ohne finanzielle Einschränkungen durch die Pandemie, wären realistische Transferziele für den FC Bayern schnell aufzuzählen. Ein Rechtsverteidiger als Pavard-Backup oder -Konkurrent wäre sinnvoll, Thiago müsste ersetzt werden, ein vierter Flügelspieler sowie im Idealfall noch ein Offensivspieler, der auf mehreren Positionen einsetzbar ist, sollten den Kader komplettieren. Dann stünden 23 Feldspieler im Kader, weitere junge Akteure wie Leon Dajaku (19) oder Jamal Musiala (17) könnten punktuell einspringen. Doch dieser Transfersommer ist kein normaler.

Leroy Sane wird der einzige große Transfer beim FC Bayern bleiben. Von bis zu drei möglichen Neuzugängen wird derzeit in den Medien gesprochen, doch das wird schwierig. Sergiño Dest (19) von Ajax Amsterdam ist ein aussichtsreicher Kandidat beim Rekordmeister. Die Vereine verhandeln derzeit, Dest wäre eine gute Ergänzung auf der Rechtsverteidigerposition. Das wäre enorm wichtig, denn Pavard kann dort nicht jedes Spiel absolvieren und die einzige Ergänzung dort wäre Kimmich, der durch den Thiago-Abgang aber im Mittelfeld unverzichtbar ist. Hier erkennt man schnell, wie riskant die Abdeckung mehrerer Positionen durch einen Spieler ist.

(Photo by Simon Hofmann/Bongarts/Getty Images)

Abgesehen von der bevorstehenden Verpflichtung eines Rechtsverteidigers ist nur schwer abzuschätzen, was sich bis zum 5. Oktober noch tun wird. Bedarf bestünde wie erwähnt auf mehreren Positionen, alle Baustellen zu schließen erscheint aber utopisch. Callum Hudson-Odoi (19) vom FC Chelsea könnte ausgeliehen werden, um die Offensive breiter aufstellen zu können, aber das ist auch der einzige Name, der gegenwärtig kursiert.

Die Verantwortlichen des FC Bayern stehen also durchaus unter Druck. Trainer Hansi Flick (55) fordert mehrere Neuzugänge, betonte auf der Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel gegen Schalke 04 aber auch, dass er sich im Austausch mit Hasan Salihamidzic (43) und dem Scouting befindet. Man wisse, dass noch etwas zu tun sei – und noch ist ja etwas Zeit. In den kommenden Wochen wird man sehen, ob dieser Optimismus begründet ist oder ob die Probleme in Sachen Kaderbreite mit in die erste Saisonhälfte genommen werden. Der Thiago-Transfer erschwert jedenfalls die Gesamtsituation. Einnahmen hin oder her.

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 (Photo by MANU FERNANDEZ/POOL/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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