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Erling Haaland | Ein traditioneller Neuner für Pep Guardiola

9. Mai 2022 | Trending | BY Simon Lüttel

Seit Monaten wird in Europas Sportmedien über die Zukunft von Erling Haaland diskutiert und spekuliert. In den vergangenen Wochen kristallisierte sich Manchester City als Favorit für eine Verpflichtung heraus und nun scheint der Wechsel kurz vor dem Abschluss zu stehen. Passt der Norweger ins Konzept von Pep Guardiola und wäre die teure Neuverpflichtung in Anbetracht der Offensivstärke der Cityzens überhaupt notwendig?

Haaland: Auf höchstem Level angekommen

Als Borussia Dortmund die Verpflichtung von Erling Haaland im Dezember 2020 bestätigte, war der Norweger kein Unbekannter. Bereits in den Monaten vor dem Wechsel in die Bundesliga machte der Mittelstürmer auf sich aufmerksam. Mit acht Treffern in sechs Champions-League-Partien für den FC Red Bull Salzburg sorgte er länderübergreifend für Aufsehen und rückte bereits mit 19 Jahren in den Fokus europäischer Spitzenklubs. Trotz namhafter Konkurrenz im Werben um den Norweger sicherte sich Borussia Dortmund die Dienste des begehrten Mittelstürmers. Eine Ausstiegsklausel in Höhe von 20 Millionen Euro ermöglichte den Transfer.

Haaland benötigte nur wenige Minuten um seine Fähigkeiten in der Bundesliga unter Beweis zu stellen. Drei Minuten nach seiner Einwechslung am 18. Spieltag gegen den FC Augsburg traf der Neuzugang erstmals. Es folgten zwei weitere Treffer, die für einen furiosen 3:5-Sieg des BVB sorgten. Es war nicht die letzte Spitzenleistung. Mit zwei Treffern in den folgenden zwei Bundesliga-Partien sowie einem Doppelpack gegen Paris St.-Germain im Achtelfinale der Königsklasse beseitigte der Norweger jegliche Zweifel an seiner Qualität.

Mit 1,94m Körpergröße und einem Gewicht von 90 Kilogramm zählt Haaland zu den traditionellen Stürmern, die als Zielspieler in vorderster Front agieren. Häufig bewegt der Norweger sich auf Höhe der gegnerischen Abwehrreihe. Trotz seines stämmigen Körperbaus verfügt er über eine herausragende Antritts- und Endgeschwindigkeit. Neben physischen Qualitäten strahlte der Neuner Torgefahr in Strafraumnähe aus. Kleinere technische Unsauberkeiten in Ballan- und mitnahme waren die größten Defizite, die dem Ausnahmetalent in seiner ersten Saison in Schwarz-Gelb attestiert wurden.

Haaland jubelt nach Treffer gegen PSG

(Photo by Ina Fassbender / AFP) (Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Mit jedem Treffer im BVB-Trikot manifestierte der Norweger seinen Top-Stürmer-Status. Die logische Schlussfolgerung einer Quote von 85 Treffern und 23 Vorlagen in 88 Partien ist, dass Spitzenvereine aus ganz Europa ihr Interesse am Offensivspieler bekunden. Nach zweieinhalb Spielzeiten in Deutschland bahnt sich in diesem Sommer ein Abschied an, der durch eine Ausstiegsklausel realisiert werden könnte. Favorit im Werben um den 21-Jährigen soll Manchester City sein, wie zuletzt übereinstimmend berichtet wurde.

Manchester City: Begrenzte Variabilität im Sturmzentrum

Das gesamte Spiel von Manchester City unter Pep Guardiola ist von Variabilität geprägt. Im Regelfall agiert der Tabellenführer in einem facettenreichen 4-3-3, das sich in Ballbesitz zu einem 2-3-5 wandelt. Die Rollen der Einzelspieler sind an ihre Fähigkeiten angepasst und auch die Qualitäten des Gegners werden stets berücksichtigt. Auf jeder Position bietet der Kader mehrere Optionen, in Form von Einzelspielern, die verschiedenste Qualitäten bieten und dem Trainerteam so unzählige Varianten in der Gestaltung von Matchplänen ermöglichen. Lediglich im Sturmzentrum fehlt eine physische Option, ein Vollstrecker, der scheinbar ein Transferziel für den kommenden Sommer ist. Im vergangenen Sommer zeigten die Skyblues Interesse an Harry Kane. Ein Transfer kam nicht zu Stande und Guardiolas vermeintlicher Wunsch nach einem traditionellen Neuner blieb vorerst unerfüllt.

In der laufenden Spielzeit setzte Guardiola, wie bereits in der Vergangenheit, häufig auf das Konzept der falschen Neun, das wahlweise von Kevin de Bruyne, Bernardo Silva, Raheem Sterling oder Phil Foden ausgeführt wurde. Wirft man einen Blick auf die Top-Torschützen der Skyblues in der Premier League, findet man die genannten Offensivspieler. Obwohl kein City-Profi so häufig traf, dass er ernsthaft um den Torschützenkönig konkurrieren kann, stellen sie die zweitbeste Offensive der Premier League und stehen an der Tabellenspitze.

Tore und xG-Werte der Manchester-City-Profis. (Understat)

Allem voran de Bruyne, der in der laufenden Saison seinen xG-Wert (erwartete Tore) um 6,69 überbieten kann, besticht mit Effizienz im Abschluss und unterstreicht seine Weltklasse-Form. In Anbetracht von Guardiolas Vergangenheit beim FC Barcelona ist es nicht verwunderlich, dass es dem 51-Jährigen auch ohne Einbindung eines robusten Zielspielers gelang eine grundsätzlich funktionale und variable Offensive zu bilden.

Obwohl die Ausbeute von 89 Toren in 35 Premier-League-Partien beachtlich ist, hakt es gelegentlich im Offensivspiel der Cityzens. Gegen tiefstehende Gegner, die den Skyblues den Ball überlassen und sich nahezu ausschließlich auf das Verteidigen konzentrieren, lahmt das Offensivspiel phasenweise. Grund dafür ist, dass die technisch versierten City-Profis sich in engen Räumen zwar durchaus zu helfen wissen, doch im Strafraum gegen die robusten Verteidiger im direkten Duell häufig das nachsehen haben.

Mit Gabriel Jesus befindet sich nur ein Spieler im Kader, der als sich als gelernter Stürmer bezeichnen lässt. Das Profil des 1,75m-Große Brasilianer entspricht jedoch ebenfalls nicht dem eines klassischen Mittelstürmers, der als Abschlussspieler fungiert. Die Nummer 9 des Premier-League-Tabellenführers fügt sich den Angaben des Trainer, agiert mannschaftsdienlich und kam in der jüngeren Vergangenheit des Öfteren auf den Flügelpositionen zum Einsatz.

Zuletzt wurde in den Champions-League-Partien gegen Real Madrid ersichtlich, wie relevant Abschlussqualitäten auf höchstem Niveau sind. Letztendlich waren es Rodrygo und Karim Benzema, die das Ausscheiden der Cityzens mit ihren Vollstreckerqualitäten besiegelten.

Dem spielstarken Offensivkollektiv der Cityzens mangelt es keinesfalls an technischer Raffinesse. Was den Kader ergänzen könnte, wäre ein abschlussstarker Akteur für das Sturmzentrum, der vor allem in knappen Partien zum Spielentscheider zugunsten Cityzens avancieren könnte. Dass Erling Haaland so ein Unterschiedsspieler sein kann, bewies er bei Borussia Dortmund in den vergangenen zwei Spielzeiten in aller Häufigkeit.

Guardiola-Teams: Ladehemmung gegen kompakte Defensivsysteme

Wie man der City-Offensive mit einem tiefen Defensivblock die Luft aus den Segeln nimmt, zeigte Atlético Madrid vor wenigen Wochen in der Champions League. Die Engländer kontrollierten den Ball und besetzten die Flügel, den Halbraum und das Zentrum im vorderen Drittel mustergültig. Die Strafraumbesetzung war ebenfalls numerisch ausreichend gegeben, doch obwohl die Cityzens unzählige Pässe spielten, zählten gefährliche Abschlüsse auf das Tor von Jan Oblak über weite Phasen der 180 Spielminuten in Hin- und Rückspiel zur Seltenheit. Ein Zusammenspiel der technischen Extraklasse von Foden und de Bruyne entschied das Aufeinandertreffen zugunsten der Cityzens.

In den letzten Jahren kam es des Öfteren vor, dass Teams, die sich auf das Kreieren eines kompakten Defensivblocks fokussierten und das eigene Offensivspiel vernachlässigten, die Guardiola-Teams an ihre Grenzen brachten. Destruktiver Fußball á la José Mourinho erwies sich als bewährtes Mittel um das spielfreudige Kollektiv zu stoppen. Verwertbare Pässe und Dribblings in den Strafraum werden gegen solche Gegner zur Rarität und oft sind es Einzelaktionen, die spielentscheidend sind. Der Faktor Glück spielt in diesen Partien eine nicht unwesentliche Rolle. Es ist selbsterklärend, dass das nicht im Sinne des katalanischen Trainers sein kann, der nach vollkommener Kontrolle strebt und den Zufall stets minimieren will. Während sich Guardiola mit Forderungen in der Öffentlichkeit stets bedeckt hält, sind die Rufe nach der Verpflichtung eines traditionellen Neuners aus Fan- und Zuschauerkreisen des Klubs omnipräsent.

Mit Erling Haaland wird mit dem englischen Tabellenführer ein Spieler in Verbindung gebracht, dessen bloße Anwesenheit im gegnerischen Strafraum eine Gefahr für den Gegner darstellt. Der bullige Neuner ist den gegnerischen Innenverteidigern auf physischer Ebene im Regelfall ebenbürtig und bevorzugt eine Spielweise, die von Körperlichkeit geprägt. Der Norweger stellte gegen die robustesten Abwehrspieler Europas mehrfach unter Beweis, dass er mit Gegnerdruck umzugehen weiß.

Ballmitnahme, kurzer Antritt, wuchtiger Abschluss ist eine charakteristische Ablaufkette, wenn dem 21-Jährigen der Ball in Strafraumnähe zugespielt wird. Bemerkenswert sind die technischen Fortschritte, die ihm seit seiner Ankunft in Dortmund gelangen.

Abschlüsse von Erling Haaland Bundesliga 2021/22

Abschlüsse von Erling Haaland in der laufenden Bundesliga-Saison. (Quelle: Understat)

Konträr zu den Offensivspielern im aktuellen Kader der Cityzens, ist Haaland ein Stürmer, der sich in die Reihe der traditionellen Neuner einordnen lässt. Dafür, dass Guardiola auch Spieler dieser Sorte in sein Spiel einbinden kann, spricht das Kapitel beim FC Bayern München in seiner Vita. Sowohl Mario Mandzukic, als auch Robert Lewandowski wurden ins Münchener Spiel mustergültig eingebunden und überzeugten mit herausragenden Torquoten.

Pep Guardiola und seine besondere Beziehung zu Mittelstürmern

Obwohl sich im Kader Skyblues zahlreiche geniale Individualisten befinden, brilliert das Team als Kollektiv. Eingehaltene Abstände und Anlaufmuster sind einstudiert. Sollte Haaland in der kommenden Saison das himmelblaue Trikot tragen, müsste er sich den Vorgaben des Trainers fügen. Dass die Integration eines Ausnahmespielers in ein Team mit Weltklasse-Format nicht immer gelingt, zeigt Ibrahimovics Gastspiel beim FC Barcelona in der Spielzeit 2009/10 unter Guardiolas Führung.

Der Schwede war ein Idol Haalands, gehörte zweifellos zu den besten Stürmern der Welt und genoss das Rampenlicht in ähnlichem Maße. Guardiola zählte auf der Trainerbank ebenfalls zu den besten Vertretern ihrer Zunft. Dennoch verlief die Zusammenarbeit zu keinem Zeitpunkt harmonisch. Nach dem Abschied aus Barcelona hielt der Schwede sich nicht mehr zurück und trat mehrfach gegen den taktikaffinen Spanier nach. „Wer mich kauft, kauft einen Ferrari. Und wer einen Ferrari hat, tankt Super. Guardiola tankte Diesel und machte eine Tour ins Grüne. Er hätte besser einen Fiat kaufen sollen“, zählt zu den bekanntesten Zitaten des mittlerweile 40-Jährigen.

Statt auf groß-gewachsene Stürmer á la Ibrahimovic setzte Guardiola auf falsche Neuner, die sich ins Mittelfeld fallen lassen und so Räume für Mittelfeldspieler schaffen. Die Spieler, die als falsche Neun zum Einsatz kommen, glänzen im Regelfall mit technischer Filigranarbeit statt physischer Präsenz. Die Einbindung Messis ins Offensivspiel der Blaugrana gilt als Meilenstein der taktischen Fußballhistorie und beeinflusste das Spiel in globalem Maße. Das Konzept der falschen Neun ist weit älter als Guardiola selbst, doch war nie die vorherrschende Variante. Ein groß-gewachsener Mittelstürmer zählte lange Zeit zur allgemeinen Norm. Guardiola brach dieses ungeschriebene Gesetz und wurde mit 14 gewonnen Titeln in vier Spielzeiten zum erfolgreichsten Trainer der Vereinsgeschichte des FC Barcelona – und das mit Lionel Messi im Sturmzentrum, der lediglich 1,69m misst.

Dass der 51-Jährige trotz der präferierten Variante ohne physischen Zielspieler im Sturmzentrum die Qualitäten von Stürmern wie Haaland zu schätzen weiß, erklärte er in der Pressekonferenz vor dem Aufeinandertreffen mit Borussia Dortmund in der vergangenen Champions-League-Saison. Seit sich das Interesse der Cityzens an dem Norweger konkretisierte, schweigt Guardiola trotz wöchentlicher Nachfragen beharrlich zu der Personalie.

Haaland-Zukunft bald geklärt – Wechsel nach Manchester kurz vor Abschluss

Der Name Haaland fällt in den Sportzeitungen Europas täglich. Lange Zeit war keine klare Tendenz erkennbar. Das änderte sich in den vergangenen Wochen. Die Wahrscheinlichkeit eines Verbleibs beim BVB bewegt sich nach übereinstimmenden Medienberichten im Minimalbereich und Real Madrid, die als größter Konkurrent im Werben um die Dienste Haalands galten, scheinen aus dem Rennen zu sein.

Das renommierte englische Medium The Athletic berichtete am 20. April, dass der 21-Jährige und seine Entourage den Bedingungen eines Wechsels zugestimmt haben sollen. In den vergangenen Tagen konkretisierten sich die Gerüchte und der Wechsel nach zu den Skyblues könnte noch in dieser Woche über die Bühne gehen, wie David Ornstein vermeldete. Bestätigen sich die Gerüchte, darf gespannt darauf geblickt werden, wie die Einbindung Haalands in Guardiolas Positionsspiel gelingt. Einen zweiten Fall Ibrahimovic soll es bei Manchester City nicht geben.


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