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Hopp-Proteste | Neue Tiefpunkte

1. März 2020 | Spotlight | BY Julius Eid

Nachspielzeit | Gestern Nachmittag spielte sich in der Bundesliga Denkwürdiges ab. Doch nicht nur die Fans fielen mit einem Fehlverhalten auf.

Um direkt zu Beginn einmal den Elefanten im Raum anzusprechen, sei klar gesagt, dass die Beleidigungen von Dietmar Hopp nicht in Ordnung sind. Es geht in diesem Text nicht darum, diese zu rechtfertigen. Dennoch ist eine kritische Einordnung der gestrigen Vorgänge vonnöten.

Doppelmoral Galore

Der Streit zwischen Ultragruppierungen und Dietmar Hopp hat am gestrigen Samstag eine neue Eskalationsstufe erreicht. Auf mehreren Plätzen kam es zu Schmähungen des Milliardärs. In Köln sowie in Dortmund wurde daraufhin kurz das Spiel unterbrochen, in Sinsheim ging es sogar noch weiter. Nachdem Bayernfans zweimal Banner mit der Beleidigung „Hurensohn“ in Richtung des Mäzen entrollten, war Stufe 2 des Dreistufenplans der UEFA eingeleitet worden, die Mannschaften verließen kurzzeitig den Platz. Nach Rückkehr auf das Geläuf der Arena wurde bis zum Abpfiff in einer „solidarischen Aktion“ das Fußballspielen eingestellt. Der angegriffene Hopp stand zu diesem Zeitpunkt Arm in Arm mit Karl-Heinz Rummenigge am Spielfeldrand und wurde beklatscht.

Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images

Eine Situation, die man einordnen muss. Natürlich ist es nicht in Ordnung, Hopp zu beleidigen. Und wenn der DFB und die Vereinsfunktionäre in anderen Fällen ähnlich gehandelt hätten, gäbe es weniger an den Vorgängen auszusetzen. Doch die Ignoranz des Verbandes gegenüber vorheriger Ausfälle im Stadion lässt kaum ein anderes Gefühl zu, als dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Wenn Spieler rassistisch angegangen werden, wie gerade in den vergangenen Wochen immer wieder geschehen, bleibt eine solche Reaktion aus – von dem kompletten Hinnehmen von homophoben und sexistischen Bannern ganz zu schweigen. Timo Werner wurde oftmals als „Hurensohn“ bezeichnet, übrigens auch in Hoffenheim: Also eine Einzelperson, die mit dem selben Wort angegangen wird. Eine auch nur ansatzweise vergleichbare Reaktion fiel dazu aus. Man wolle gegen den Hass vorgehen, könne diesen nicht mehr akzeptieren, hieß es im Nachgang des gestrigen Spiels. Als Schalker Fans per Plakat Freiheit für den BVB-Attentäter Sergej W. forderten, blieb eine Bestrafung aus.

Moralisch flexibel

Man ist also beim DFB zumindest moralisch flexibel, was Beleidigungen und geschmacklose Banner angeht. Vorausgesetzt natürlich, es geht nicht um den Premium-Sponsor des eigenen Verbandes. Dieser schale Geschmack ist unlösbar mit der gestrigen Reaktion und den nachfolgenden Aussagen verbunden. Weil man es immer wieder verfehlt hat, ein Zeichen zu setzen für die, welche genauso oder sogar mehr Schutz benötigen.

Manche hoffen nun darauf, dass wenigstens ab jetzt auch bei den anderen genannten Fällen rigoros vorgegangen wird. Ein frommer Wunsch, der aber aufgrund der Vergangenheit doch sehr blauäugig erscheint. Und selbst wenn dies der Startschuss für einen anderen Umgang mit Beleidigungen während eines Spiels ist, bleibt der Eindruck, dass der DFB nur handeln wird, weil er muss und nicht weil er wollte. Wie sich Torunarigha, Werner und Co. wohl dabei fühlen?

Ähnlich allein gelassen, wie der Verband, haben auch die Vereinsfunktionäre diese angegriffenen Spieler und Minderheiten. Dietmar Hopps Hoffenheim selber fiel hier genauso negativ auf, wie jede andere Fan-Szene. Doch Rummenigge äußerte sich beispielsweise nicht zum Fall Torunarigha. Wirklich angefasst wirkte er in den nächsten Tagen auch nicht. Dies stellte sich ganz anders dar, als er gestern von einem absoluten Schamgefühl und einer Schande sprach.

Die Reisen nach Katar werden für ihn selbstverständlich weiter auf dem Plan stehen. Der Fußball ist kein moralisches Geschäft und in weiten Teilen hat man dies zumindest stillschweigend akzeptiert oder nimmt es in Kauf. Doch was in den letzten Tagen an Doppelmoral über dem geneigten Zuschauer ausgegossen wurde, übertrifft das Maß des Erträglichen. Wenn Fritz Keller von einem neuen Tiefpunkt spricht, dann kann er wirklich nicht viel im Fußball gesehen haben, bis jetzt.

Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images

Nicht hinterfragt

Doch nicht nur bei den Funktionären und bei den Ultras wurde sich gestern nicht mit Ruhm bekleckert. Die Berichterstattung war, gelinde gesagt, in Teilen eine Frechheit. Bei Sky sprach man im Nachgang ebenfalls von einem neuen Tiefpunkt. Man meinte natürlich die Beleidigungen und nicht den Fußballjournalismus in Deutschland, hätte aber auch damit recht gehabt. Denn was große Teile der Medienlandschaft gestern lieferten, hatte mit Journalismus nichts zu tun. Jegliche Äußerungen von Rummenigge, Fritz Keller, Max Eberl und Co. wurden einfach so hingenommen, sie wurden gar nicht sachlich eingeordnet. Man ließ die Narrative des DFB nicht nur nicht hinterfragt stehen, man befeuerte sie sogar selber noch. Sei es durch den angesprochenen „Tiefpunkt“ oder durch Quervergleiche des Kommentators zur Geschichte, aus der man doch lernen müsse, wohin Hass führe. Die ganz schweren Geschütze.

Nach dem Spiel wird ein Interview mit einem Angestellten Hoffenheims gezeigt, der lang und breit erklärt, was für ein feiner Kerl Dietmar Hopp ist. Die Verflechtung des Gelobten in den eigenen Verein und damit auch in das Gehalt des Interviewten werden mit keinem Wort erwähnt. Es folgt auch keine Erwähnung von Arbeitnehmerbeschwerden gegen Hopp, auch nicht als Rummenigge den SAP-Gründer als „feinen Ehrenmann“ bezeichnet.

Ähnliches ereignete sich dann im Sportstudio auf dem ZDF. Keller spricht als DFB-Präsident ebenfalls vom neuen Tiefpunkt im Fußball. Ein Nachfragen, ob es da nicht andere Tiefpunkte gab, bleibt aus. Sah man gestern „Alle Spiele, alle Tore“ auf Sky hatte man das Gefühl eines Brennpunktes. Niemand unternahm den Versuch, die gefühlte Staatstrauer mit so etwas wie investigativem Vorgehen zu durchbrechen.

Unerträgliche Quervergleiche

Noch schlimmer als diese unwidersprochenen Aussagen zum Tiefpunkt ist allerdings, dass man in der Berichterstattung ein Framing zulässt, welches nicht nur geschmacklos, sondern sogar gefährlich ist. Schon letzte Woche startete Max Eberl mit einem direkten Bezug des Fadenkreuz-Plakates zu dem rassistischen Anschlag in Hanau diese Farce. Man sollte als vernunftbegabter Mensch einschätzen können, dass dieses Plakat nicht als Aufruf zum Mord zu verstehen ist.

Die Form mag unangebracht sein, aber die Aussage wirkt simpel: „Wir haben dich im Blick, wir lassen dir nicht alles durchgehen.“ Wer das mit einem Anschlag gleichsetzt, der aufgrund eines Rechtsextremisten Menschen das Leben kostete, der wird diesen Opfern nicht nur nicht gerecht, er beschmutzt ihr Andenken. Doch Eberl ist nur eine der Personen, die den Vergleich weiter zulassen und befeuern.

Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images

Zumindest implizit wird das Framing des Fanprotestes gegen Hopp als ähnlich schlimm, wie ein Mordanschlag munter weitergetrieben. So sei es „gerade in Zeiten wie diesen“ besonders wichtig gegen die Banner vorzugehen. Es ist ein einziges Ärgernis, dass Journalisten hier nicht nachhaken. Vielleicht sind Eberl, Rummenigge, Keller und Co. wirklich so von sich selbst besoffen, dass sich die Beleidigung des Kollegen Dietmar Hopp für sie anfühlt, als wäre ein Vergleich mit einem rassistischem Mord angebracht, was das über die Entfernung dieser Funktionäre zum wirklichen Leben und zu ihren eigenen Moralvorstellungen aussagt, dies muss jeder selber entscheiden.

Eine journalistische Berichterstattung hingegen hätte die Pflicht eine Ausgewogenheit des Diskurses zu gewährleisten, ein solches Framing deutlich anzusprechen und zu rekonstruieren. Hintergründe zu liefern, wenn Aussagen in Interviews getätigt werden; kritisch zu sein, nachzufragen. Dies geschah nicht. Und das ist wirklich ein neuer Tiefpunkt. Übrigens sollte man deshalb auch noch einmal genau darüber nachdenken, ob es wirklich wünschenswert ist, dass alle Ultras aus den Stadien verschwinden. Denn im Gegensatz zum Fußballjournalismus sind diese Fans kritisch, machen auf Missstände aufmerksam und sind das Korrektiv, was man leider woanders nicht sein möchte.

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(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Julius Eid

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


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