Spotlight

Luis Suarez – Zwischen Genie und Wahnsinn

25. Juni 2014 | Spotlight | BY Chris McCarthy


24. Juni 2014, WM 2014, letztes Spiel der Gruppe D. Italien und Uruguay streiten sich um den Einzug ins Achtelfinale. Es ist nicht die erhoffte intensive Schlacht zwischen „La celeste“ und dem viermaligen Weltmeister Italien. Fehlpässe und Mittelfeldgeplänkel prägen die Partie und beide Offensivabteilungen agieren ohne Biss. Das nimmt sich Luis Suarez in der 79. Minute zu Herzen und beißt im wahrsten Sinne des Wortes zu…in die Schulter von Italiens Innenverteidiger Giorgio Chiellini. In seiner gewohnt hinterlistigen und doch irgendwie cleveren Art nutzt der Stürmer Uruguays einen intensiven Zweikampf mit dem Abwehrspieler von Juventus Turin um auf unkonventionelle Art und Weise irgendetwas zu erzwingen. Denn Suarez versucht alles, aber auch wirklich alles um zu gewinnen. Eine Schwalbe hier, eine Nicklichkeit da. Der Torschützenkönig der Premier League versucht es mit allen Mitteln!

Doch eigentlich schienen Skandale dieser Größenordnung eine Sache der Vergangenheit zu sein…eigentlich:

Suarez im Dezember 2013, nach einer überragenden und zugleich skandalfreien Hinrunde:

„Ich bin erwachsen geworden, ich denke mehr darüber nach bevor ich handle. Jetzt können die Leute in England nicht mehr über mich reden, weil ich nichts mehr falsch mache. Sie müssen über mich als Fußballer reden.“

Das En|fant ter|ri|b|le [von französisch enfant terrible →  „schreckliches Kind“]:  jmd., der gegen die geltenden [gesellschaftlichen] Regeln verstößt und dadurch seine Umgebung oft schockiert oder in Verlegenheit bringt.

Im Alter von 14 Jahren wechselte der hochtalentierte Luis Alberto Suárez Díaz zum uruguayischen Rekordmeister Nacional. Es dauerte nicht lange, bis es zum ersten Vorfall kam. Mit 16 Jahren verpasste Suarez einem Schiedsrichter einen Kopfstoß und nach Alkohlexzessen und Parties warnte ihn sein damaliger Trainer, dass er niemals spielen werde, wenn er den Fußball nicht ernster nehmen würde.

Worte, die (vorrübergehend) Wirkung hatten: Im Alter von 18 Jahren gab Suarez in der Copa Libertadores sein Debüt für die Profimannschaft und war mit 10 Toren in 27 Spielen maßgeblich an der Meisterschaft 2005/2006 beteiligt. Der dribbelstarke Stürmer sorgte für Aufsehen und beeindruckte Scouts des FC Gröningen, der ihn folglich für €800.000 verpflichtete.

Nach einer Eingewöhnungsphase, in der Suarez fleißig die holländische Sprache lernte, erzielte er in seiner ersten Saison 10 Tore in 29 Spielen (erhielt aber auch 7 gelbe- und eine rote Karte). Ajax war von dem jungen trickreichen Techniker beeindruckt und bot nach dessen Debütsaison in Europa €3,5m für seine Dienste. Gröningen lehnte ab. Suarez versuchte beim holländischen Verband einen Wechsel zu erzwingen, wurde jedoch abgewiesen. Letztendlich erhöhte der holländische Rekordmeister sein Gebot auf €7,5m und verpflichtete „El Pistolero“ zur Saison 2007/2008.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Suarez bildete mit Huntelaar ein überragendes Sturmduo, erzielte in seinen ersten 2 Spielzeiten 39 Tore in 64 Spielen und wurde 2008/2009 zum Ajax Spieler des Jahres ernannt. Doch wie so oft gingen Genie und Wahnsinn Hand in Hand. Das Enfant Terrible erhielt unzählige Gelbe Karten und wurde nach einer Auseinandersetzung mit Teamkollege Albert Luque sogar suspendiert.

In seiner dritten Spielzeit erlebte der frisch ernannte Kapitän seinen endgültigen Durchbruch. Der Uruguayer erzielte wettbewerbsübergreifend sage und schreibe 49 Tore in 48 Spielen, wurde Torschützenkönig der Eredevise (35 Tore in 33 Spielen) und Hollands Fußballer des Jahres.

Es folgte eine starke WM 2010, bei der Suarez 3 Tore und 2 Assists beisteuerte, doch auch am Ende dieses Turniers herrschte ein fader Beigeschmack. Im Viertelfinale traf Uruguay auf das stark aufspielende Ghana. In der Nachspielzeit der Verlängerung stand es 1-1, ehe Luis Suarez durch ein klares Handspiel ein sicheres Tor für Ghana verhinderte. Suarez wurde folgerichtig vom Platz gestellt, Asamoah Gyan trat zum Elfmeter und… verschießt! Uruguay konnte sich schließlich im Elfmeterschießen durchsetzen und zog ins Halbfinale ein.

Luis Suarez feierte sich selbst: „Das war die Parade des Turniers!“ Der nun 23-Jährige und seine „Hand Gottes“ wurden in ganz Uruguay gefeiert und vom Rest der Welt verpönt. La celeste verlor im Halbfinale ohne den kongenialen Sturmpartner von Diego Forlan 2-3 gegen Holland und letztendlich auch 2-3 gegen Deutschland im Spiel um Platz 3.

 

Der Kannibale von Amsterdam

Die Saison 2010/2011 begann mit dem Genie Suarez, das durch seinen 100. Treffer für Ajax in eine Gruppe mit Cruyff, van Basten und Bergkamp stieß. Doch der wahnsinnige Mr. Hyde ließ nicht lange auf sich warten. Beim 0-0, am 20. November 2010, im Ligaspiel gegen den PSV Eindhoven biss Suarez das erste Mal zu. Das Opfer: Mittelfeldspieler Otman Bakkal.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=WptBPHDIIvE]

Der von „De Telegraaf“ ernannte Kannibale von Ajax wurde vom Verein für 2 Spiele suspendiert und erhielt eine Geldstrafe. Der KNVB sperrte Suarez, der sich via Videobotschaft entschuldigte, für 7 Begegnungen.

Ajax begann sich im Winter-Transferfenster Angebote europäischer Vereine anzuhören und verkaufte die Skandalnudel schließlich für €26,5m an den FC Liverpool. Obwohl er Ajax während seiner Sperre verließ, wurde er mit einem Feuerwerk im Stadion respektvoll und offiziell verabschiedet.

Suarez erhielt beim FC Liverpool auf Anhieb die legendäre und geschichtsträchtige Nummer 7 und erzielte in der Rückrunde 4 Tore in 13 Spielen.

 

Staatsfeind Nummer 1

Die anschließende Saison 2011/2012, seine erste komplette Spielzeit in England, verlief ebenfalls nicht sehr spektakulär – zumindest fußballerisch: In 31 Spielen konnte der frisch gebackene Spieler der Copa America 11 Tore verbuchen.

Der hässliche Höhepunkt der Saison war jedoch der 15. Oktober 2011. Suarez wurde beschuldigt beim 1-1 gegen Manchester United, Patrice Evra rassistisch beleidigt zu haben. Die FA ermittelte und Suarez beteuerte auf Twitter und Facebook seine Unschuld:

„Ich kann nur sagen, dass ich immer jeden respektiert habe und respektiere. Wir sind alle gleich. Ich gehe mit der maximalen Illusion auf das Feld, ein kleines Kind zu sein, dass genießt was es tut und nicht im Konflikte zu verursachen.“

Evra behauptete, dass Suarez auf Spanisch sagte, er würde nicht mit Schwarzen reden. Zusätzlich soll der französische Nationalverteidiger fünfmal als „negro“ beschimpft worden sein. Suarez räumte ein, dass Wort „negro“ benutzt zu haben, jedoch sei dies freundlich gemeint gewesen – eine Erklärung, die das Gremium später abwies.

Die FA bestrafte Suarez schließlich am 20. Dezember mit 8 Spielen Sperre und einer Geldstrafe von €50.000. Der FC Liverpool unterstütze sein Sturmjuwel während dieser Phase tatkräftig, erklärte öffentlich seine Überraschung und Enttäuschung über die Strafe. „Reds“ Legende John Barnes bezeichnete die Aktion als eine Hexenjagd und seine Mannschaftskollegen unterstützen ihn mit ihm gewidmeten Aufwärm-T-Shirts, die von vielen als respektlos empfunden wurden.

Beim Rückspiel im Old Trafford im Februar verweigerte Suarez Patrice Evra den Handschlag, eine Aktion für die er und Trainer Daglish sich später entschuldigen mussten.

Zu allem Überfluss wurde der Mann aus Salto später wegen einer Mittelfinger-Geste gegenüber den Fans des FC Fulham mit einem zusätzlichen Spiel Sperre und einer weitere Geldstrafe von €25.000 diszipliniert.

 

Der Kannibale kehrt zurück

Nach der skandalträchtigen Saison 2011/2012 macht Luis Suarez in der folgenden Spielzeit endlich sportliche Schlagzeilen. Nach 33 Saisonspielen standen 23 Tore und 11 Assists auf dem Konto des quirligen Stürmers. Dies führte dazu, dass er als einer der 6 Finalisten zur  Wahl des PFA Fußballer des Jahres aufgelistet wurde. Seine Leistung wurde nur von einem Spieler übertroffen: Gareth Bale, der in seiner Abschiedssaison die Wahl für sich entscheiden konnte.

Suarez wäre nicht Suarez, wenn er nicht auch eine solch überragende Saison mit einem negativen Highlight überschatten könnte. Am 21. April 2013, beim 2-2 gegen Chelsea an der Anfield Road kehrte der Kannibale zurück.

Der Uruguayer biss Branislav Ivanovic beim Stand von 2-1 für die Blues in den Oberarm, eine Tätlichkeit die vom Schiedsrichtergespann nicht gesehen wurde. Um die Kontroverse auf die Spitze zu treiben erzielte kein anderer als Suarez selbst noch den Ausgleich für die Reds in der Nachspielzeit!

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=s4aYvyEjX4U]

Die FA verhängte dem Wiederholungstäter eine Strafe von 10 Spielen, Suarez erhob keinen Einspruch.

 

Genug Hektik für ein Jahr?

Nicht für Suarez, der nach der Saison ein unvergleichliches Wechseltheater begann. Er gab öffentlich bekannt, den FC Liverpool verlassen zu wollen. Im Zuge dessen bot der FC Arsenal £40,000,001, in der Hoffnung eine Ausstiegsklausel zu aktivieren, die jedoch von Suarez, seinen Beratern und somit den Gunners selbst falsch interpretiert worden war. Die Reds lehnten das Gebot ab. Daraufhin erklärte Suarez, dass der Verein ihm versprach ihn gehen zu lassen, sollte man die Champions League verpassen. Trainer Rodgers beteuerte, dass der Verein keine Versprechen gebrochen habe und zeigte sich vom respektlosen Verhalten seines Stürmerstars enttäuscht. Folglich wurde er vom Training suspendiert. Darüber hinaus verkündete Liverpool Besitzer John Henry, dass Suarez den Verein nicht verlassen dürfe.

Der polarisierende Torjäger begann die Umstände zu akzeptieren, nannte die Fans als Grund für seine Meinungsänderung  und entschuldigte sich bei seinen Mannschaftskollegen – jedoch nicht bei Trainer Rodgers.

Suarez kehrte ins Mannschaftstraining zurück und Stand im ersten Spiel nach seiner abgelaufenen Sperre (Biss an Ivanovic) wieder in der Startaufstellung.

Knapp 5 Monate und 19 Hinrunden-Tore später schienen ihm auch die letzten Liverpool Fans, die im Sommer noch sein Trikot verbrannten, zu verzeihen.

Und da sind wir nun, im Dezember 2013. Suarez verlängert seinen Vertrag bis 2018 und wird zum Football Supporters‘ Federation Player of the Year ernannt. Und das ist auch der Anlass bei dem diese berühmten Worte fielen:

„Lasst mich eins sagen, ich habe in meinem Leben nur 2 Fehler gemacht. Der erste Fehler war, als ich bei Ajax einen Gegner biss und der zweite war als ich Ivanovic biss. Die Geschichte mit Evra war falsch, ich wurde ohne Beweise verurteilt, aber das ist jetzt alles Vergangenheit. Ich war traurig in dem Moment, aber heute bin ich glücklich. Ich bin Erwachsen geworden, ich denke mehr darüber nach bevor ich handle. Jetzt können die Leute in England nicht mehr über mich reden, weil ich nichts mehr falsch mache. Sie müssen über mich als Fußballer reden.“ [Telegraph]

Das taten die Leute auch, nicht nur wegen seinen überragenden Leistungen, seinen 31 Saisontoren für Liverpool, seiner Wunderheilung nach einer Meniskus-OP und dem darauffolgenden Doppelpack gegen England…bis jetzt…bis zu dieser 79. Minute, in der das Enfant Terrible sein Image wohl endgültig ruinierte…

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


Ähnliche Artikel