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Manchester United gegen Manchester City: Das paradoxe Derby

7. März 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Lange Jahre war Manchester United der Branchenprimus in England, während Manchester City mit finanzieller Hilfe der reichen Besitzer zum „Noisy Neighbour“ aufstieg. Die Spiele zwischen beiden Mannschaften galten als das Nonplusultra in England, waren nicht selten spektakulär.

Am Wochenende steht erneut das Derby zwischen dem roten und blauen Teil Manchesters im altehrwürdigen Old Trafford auf dem Programm – und verkommt irgendwie zur Randnotiz.  

(Photo by Michael Steele/Getty Images)

Manchester-Derby ohne die große Aufmerksamkeit

Das Duell dieser beiden Mannschaften, auf das in der jüngeren Vergangenheit nicht nur von den Anhängern der Stadtrivalen hingefiebert wurde, sondern das auch neutrale Fans vor den Fernsehbildschirm lockte, erregt vor dem nun anstehenden Spiel keine außerordentlich große mediale Aufmerksamkeit. Das mag vielleicht daran liegen, dass beide Kontrahenten in der laufenden Saison schon zum vierten Mal aufeinander treffen, vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Qualität einfach nicht mehr der vergangener Duelle entspricht.

Zumindest tabellarisch ist die Bedeutung für Manchester United nicht von der Hand zu weisen. Die Red Devils wollen in die Champions League, befinden sich in Schlagdistanz zum FC Chelsea und ein Sieg im Derby würde natürlich ein Zeichen an die Konkurrenz senden. Für City ist die Liga fast schon egal. Man liegt 22 Punkte hinter dem Liverpool FC und hat bereits sieben Zähler Vorsprung auf Leicester City. Die Champions League ist quasi gebucht, die Meisterschaft nur noch rechnerisch möglich.

(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)

Pep Guardiola, der mit den Skyblues vergangene Woche den Carabao-Cup gewann, schielt lieber auf die anderen Wettbewerbe. Im FA-Cup und in der Champions League hat seine Mannschaft große Ambitionen und die Chance auf Silberware, die Liga ist ein Zubrot, wenn auch der Alltag, der nicht vollends vernachlässigt werden darf. Außerdem: Ein Derby hat zumindest für die Fans immer einen elementaren Wert – und sei es, um auf der Arbeit, beim Spaziergang oder im Pub tönen zu können, dass man die Vorherrschaft in der Stadt inne hat.

Manchester United: Ambitionen treffen auf Realität

Mit großen Ambitionen war Manchester United in die Saison gestartet. Paul Pogba, der von Real Madrid umworben wurde und wohl weiter wird, wurde gehalten, hinzu kamen gute Neuzugänge wie Harry Maguire und Aaron Wan-Bissaka. Doch schnell wurde klar, dass die Experten, die schon vor der Saison den Finger bezüglich der Kaderplanung in die Wunde legten, Recht hatten.

Die Zusammenstellung war weder Fisch noch Fleisch, eine klare Struktur und Ausrichtung, an der man sich orientieren kann, höchstens im Ansatz erkennbar. Englische Spieler sollen eine große Rolle bei Manchester United spielen und junge Spieler sollen eingebaut werden, was bisher – unter anderem bei Daniel James, Mason Greenwood oder Brandon Williams – auch gelingt, gleichzeitig ist der Kader weiterhin durchzogen von viel Durchschnitt.

Um die individuelle Klasse zu erhöhen verpflichteten die Red Devils im Winter Bruno Fernandes. Nun ist der Portugiese bekanntermaßen kein Engländer und hat zumindest nicht mehr den Talentestatus inne, doch seine Verpflichtung könnte sich als kluger Schachzug erweisen, die ersten Eindrücke sind mehr als positiv. Dennoch fehlt weiterhin die Konstanz in den Leistungen und der eingeschlagene Weg birgt Risiken, solange die Mischung im Kader nicht homogen genug ist.

Sancho, Grealish & Co.: Arbeit an der Basis

Mit vielen Spielern wird Manchester United gegenwärtig in Verbindung gebracht. Jadon Sancho von Borussia Dortmund soll Priorität genießen, Jude Bellingham von Birmingham City hat ebenfalls das Interesse der Red Devils geweckt. Auch Ben Chilwell, Jack Grealish oder Declan Rice stehen auf der Liste der Verantwortlichen, die bereit sind, viel Geld auszugeben, um mittelfristig wieder die Rolle im Konzert der Großen zu spielen, welche den Ansprüchen des Klubs gerecht wird.

Der englische Rekordmeister arbeitet derzeit also daran, eine Basis herzustellen, die entwicklungsfähig ist und gleichzeitig Transferperiode für Transferperiode weniger Anpassungen bedarf. Der große Name des Klubs lockt noch immer, Manchester United verliert seine Anziehungskraft nicht so schnell, obwohl man die Spitze der Premier League aus den Augen verloren hat. Die angesprochene Basis ist aber nur der erste Schritt. Ole Gunnar Solskjaer muss nicht wenige Kritiker Lügen strafen, die der Meinung sind, er sei nicht der richtige Mann, um den Glanz alter Zeiten zurück ins Old Trafford zu bringen.

 (Photo by OLI SCARFF/AFP via Getty Images)

CEO Ed Woodward stellt sich demonstrativ hinter Solskjaer, verspricht ihm entsprechende Mittel für den Sommer. Sollten im Klub aber nicht alle überzeugt sein, ist das bereits angesprochene Risiko wieder ein Faktor – und Solskjaer schnell unter Druck. Dass diese Themen bei Manchester United derzeit medial die bestimmenden sind, spricht deutlich dafür, dass der Klub in einer Identitätsfindungsphase steckt. Man könnte fast meinen, das Derby sei derzeit zweitrangig.

Manchester City: Viele offene Fragen

Als Pep Guardiola als Trainer von Manchester City vorgestellt wurde, waren die Ziele für die kommenden Jahre klar. Auf nationaler Ebene sollte (mit-)dominiert werden, international musste der Anspruch sein, nicht nur ein Kandidat auf den berühmten Henkelpott zu sein, sondern diesen auch in die Höhe strecken zu können.

Mit klugen Köpfen, guten Spielern und vielen Scheich-Millionen schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis dieses Szenario eintritt. National erfüllte Manchester City die Erwartungen, doch international blieb der große Erfolg bis heute aus.

(Photo by Laurence Griffiths/Getty Images)

Derzeit ist die Königsklasse rund um die Cityzens das große, allgegenwärtige Thema, aber nicht, weil die Guardiola-Elf vor dem Gewinn eben dieser steht, sondern weil die UEFA den Klub mit einem Ausschluss belegt hat. Zwar ziehen die Engländer mit einem Einspruch vor den internationalen Sportgerichtshof, der Ausgang der Verhandlung ist aber ungewiss. Zumindest ist es denkbar, dass in dieser Saison die letzte Chance bis 2023 besteht, den Titel nach Manchester zu holen. Doch ist die Mannschaft von Pep Guardiola international überhaupt titelreif?

Der Trainer selbst war es, welcher der Mannschaft noch im Herbst auf einer Pressekonferenz attestierte, eben diese Reife nicht mitzubringen. Und in der Tat ist der enorme Rückstand auf den FC Liverpool in der Liga nicht nur durch herausragende Leistungen der Reds, sondern auch durch Fahrlässigkeit der Skyblues zu erklären. Selbst beim Sieg in Madrid im Hinspiel des Achtelfinales der Champions League offenbarte die Guardiola-Elf einige Schwächen.

Hier und jetzt vs. Zukunftsplanung

Nicht nur Manchester United, sondern auch dem Stadtrivalen kann man eine nicht ideale Kaderplanung attestieren. Während die Red Devils schon ausführliche Pläne für die Zukunft entwerfen, konzentriert sich Manchester City auf die aktuelle Situation.

 (Photo by JAVIER SORIANO / AFP)

Der Grund liegt auf der Hand, denn ohne Gewissheit hinsichtlich der Verbannung aus den UEFA-Wettbewerben fehlt eben auch eine Planungssicherheit auf dem Transfermarkt. Welche Spieler würden zwei Jahre auf den Europapokal verzichten? Wird Pep Guardiola nach 2021 noch als Trainer der Mannschaft aktiv sein? Diese Fragen schweben über dem Klub – und beeinflussen maßgeblich die Marschroute in dieser Saison.

Trotzdem muss die Planung für die kommende Saison schnellstmöglich angegangen werden – für jedes mögliche Szenario! Vor allem in der Defensive herrscht Nachholbedarf, sollten Topspieler wechseln, müssen entsprechende Pläne in der Schublade liegen. All dies unter einen Hut zu bekommen, wird eine schwere Aufgabe.

(K)Ein Spiel wie jedes andere

Manchester United und Manchester City haben vor dem direkten Duell viele Probleme zu bewältigen und befinden sich mehr oder weniger in einer grundsätzlichen Selbstfindungsphase. Haben beide Teams bei all dem Trubel noch Ressourcen, um sich vollumfänglich auf das Derby zu konzentrieren? Die Vorzeichen erwecken jedenfalls den Anschein, als wäre dieses Spiel einfach nur eine normale Ligapartie.

Doch wenn die Zuschauer im Old Trafford die einlaufenden Mannschaften mit lautstarkem Applaus empfangen, jeder Zweikampf gefeiert wird und die Spieler auf dem Feld Betriebstemperatur erreichen, wird schnell eine Derbyatmosphäre erreicht. Ein Duell zweier Stadtrivalen hat immer eine gewisse Brisanz – und wenn es nur darum geht, wer im Pub um die Ecke größere Töne spucken kann.

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(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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