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Nagelsmanns Rotation und Anpassung in der Analyse

26. Oktober 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Dass die Entwicklung der TSG 1899 Hoffenheim ganz eng mit Julian Nagelsmann verbunden ist, ist offensichtlich. Der junge Trainer hat endlich ein gelungenes Defensivkonzept entwickelt, die Mannschaft mit klugen Transfers verstärkt und den Klub nicht nur aus der Abstiegszone befreit, sondern danach auch auf Platz 4 in der Liga geführt. In dieser Saison hat Nagelsmann mit den Kraichgauern die Aufgabe Mehrfachbelastung zu meistern – und zeigt in den ersten Wochen der Saison interessante Ansätze.

Nach dem Verlust von Sebastian Rudy und Niklas Süle, weiteren Abgängen, unter anderem von Fabian Schär und Jeremy Toljan war es nicht einfach gute und passende Neuzugänge zu finden. Die Qualifikation zur Champions League scheiterte, Hoffenheim „musste“ in die Europa League und vor allem musste Trainer Nagelsmann ein funktionierendes Rotationskonzept entwickeln.

Rotation statt Kontinuität

In der vergangenen Saison 2016/17 konnte sich die TSG Hoffenheim auf die Bundesliga konzentrieren. Im DFB-Pokal schied man in der 2. Runde beim 1. FC Köln aus und am Europapokal nahm das Nagelsmann-Team nicht teil. Dadurch konnte die TSG in der Liga auf eine eingespielte Mannschaft setzen, punktuelle Rotation auf wenigen Positionen im Hinblick auf den jeweiligen Gegner wurde trotzdem durchgeführt. Die Stützen waren Baumann, Kaderabek, Hübner, Süle, Vogt, Demirbay, Rudy, Amiri, Wagner und Kramaric, diese Spieler kamen in einem Großteil der Spiele zum Einsatz und führten die Mannschaft in die Spitzengruppe.

(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images)

In der laufenden Saison musste Julian Nagelsmann von dieser Herangehensweise abrücken. Mit den Leihe von Serge Gnabry und Felix Passlack, den Verpflichtungen von Zulj, Grillitsch, Nordtveit, Hoogma und Schulz wurde in die Breite investiert, Robin Hack und Stefan Posch wurden aus der eigenen Jugend integriert. Die Voraussetzungen für eine gesunde Rotation in den zahlreichen englischen Wochen wurden früh geschaffen, der 30-jährige Nagelsmann musste nun Lösungen finden, um trotzdem immer eine gut eingestellte und sich zumindest einigermaßen im Rhythmus befindliche Mannschaft aufzustellen und weiterhin Erfolge zu feiern. Das Risiko, zumindest etwas aus der Spitzengruppe herauszufallen, bestand definitiv.

Probleme mit Verletzungen

Bei der gestiegenen Anzahl an Pflichtspielen ist es natürlich auch wichtig, dass die Schlüsselspieler möglichst selten verletzt sind, damit man aus einem großen Repertoire an Spielern wählen kann. Doch genau das funktionierte bisher in dieser Saison nicht. Akpoguma, Nordtveit, Vogt, Hübner, Bicakcic, Posch, Geiger, Demirbay, Amiri, Zulj, Gnabry, Wagner, Szalai und Uth – all diese Spieler fielen bisher aus oder fehlen zurzeit aufgrund von Blessuren oder hartnäckigeren Verletzungen. Im Zuge der Rotation war es nicht einfach, immer 11 Spieler in einer guten Form auf den Platz zu stellen, Nagelsmann ging damit aber professionell um und konnte bisher ordentliche Resultate einfahren.

(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images)

Doch dafür benötigte er etwas Zeit. Während es national bisher wirklich gut läuft, die Mannschaft in der Liga auf Platz 4 steht, zeigten sich zu Beginn der Saison, als die Qualifikation zur Königsklasse gegen Liverpool auf dem Programm stand, einige Defizite. Nagelsmann musste den Trainingsbetrieb neu regulieren, andere Mechanismen einführen und auch seine anspruchsvolle Spielidee etwas anpassen. Der große Aufwand, den die Hoffenheimer in der Saison 2016/17 betrieben, musste mit der Mehrfachbelastung in Einklang gebracht werden und gerade in der frühen Zeit der Saison hatte Hoffenheim noch nicht die Form, die man benötigt hätte, um Liverpool vor größere Probleme zu stellen. Mittlerweile sieht das anders aus, auch dank Nagelsmann.

Pflichtspiele 1-5: Stotternde Anfänge

Das erste Pflichtspiel der Saison bestritt die TSG beim Pokalspiel Erfurt, das man mit 1:0 gewinnen konnte. Hier hatte Julian Nagelsmann eine Elf auf den Platz geschickt, die so wohl nie mehr auflaufen wird. Mit Kobel, Schulz, Polanski und Bicakcic standen zum Teil eher Ergänzungsspieler auf dem Platz. Zum 2. Pflichtspiel veränderte die TSG Hoffenheim ihre Startelf gleich auf 6 Positionen, bei der knappen Heimniederlage gegen Liverpool zeigte man sich gerade zu Beginn relativ gut, mit Baumann, Hübner, Kaderabek und Zuber rückten potenzielle Stammkräfte in die erste Elf, Gnabry und Rupp sollten zusätzlich für neue Impulse sorgen.

Nach der Liverpool-Niederlage stand die TSG zu Saisonbeginn schon etwas unter Druck, das Heimspiel gegen ein vor allem in der vergangenen Rückrunde über weite Strecken starkes Werder Bremen war bereits sehr wichtig. Wieder wurde auf 6 Positionen rotiert, Nordtveit, Toljan, der junge Geiger und das Offensivtrio Amiri, Uth und Szalai spielten von Beginn an, der eingewechselte Kramaric besorgte den Siegtreffer. Nagelsmann zeigte erstmals in dieser Saison ein Händchen für die richtigen Anpassungen im Spielverlauf, ein ausgeruhter Kramaric hatte einen guten und vor allem sofort einsetzenden Effekt auf das Spiel der Mannschaft, der Saisonauftakt wurde gewonnen.

Dass man noch ein Stück von der gewünschten und erforderlichen Konstanz entfernt ist, zeigte sich in den kommenden zwei Begegnungen. Beim FC Liverpool verlor man mit 2:4 und war besonders in der Anfangsphase schläfrig, produzierte zu viele individuelle Fehler und die Abstimmung passte nicht. Nagelsmann veränderte seine Elf diesmal auf 4 Positionen, doch bis auf einige ordentliche Phasen in der Offensive war dieses Spiel ein Rückschritt. Nordtveit als Part in der Dreierkette war überfordert, selbst Vogt produzierte unglaubliche Fehler. Beim anschließenden 2:2 in Leverkusen wurden 5 Veränderungen vorgenommen, es gab weiterhin Defensivprobleme und Nagelsmann war zwar nicht besorgt, aber dennoch unzufrieden.

Ein erstes Zwischenfazit und ein langfristiger Plan

Der Saisonstart mit 2 Siegen in 5 Pflichtspielen, einer davon gegen einen unterklassigen Gegner im Pokal, war also nicht gerade übermäßig zufriedenstellend. Doch Julian Nagelsmann wusste, dass so ein Start drohen könnte. Bewusst rotierte er schon jetzt viel, obwohl er von Beginn an auch erst einmal für einen gewissen Rhythmus hätte sorgen können. Zwar startete man eher holprig, allerdings steckte ein langfristiger Plan dahinter, der sich in den kommenden Wochen schnell offenbaren sollte.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Die kommende Länderspielpause sollte genutzt werden um weitere Abläufe zu automatisieren, weiter an den Stellschrauben zu drehen und fußballerische Akzente zu setzen. Nagelsmanns langfristiger Plan sah vor, dass so schnell wie möglich alle Spieler miteinander harmonieren, damit trotz zahlreicher Anpassungen die größtmögliche Homogenität generiert wird. Dass das etwas Zeit in Anspruch nehmen wird, wurde bewusst in Kauf genommen. Die nächsten Spiele sollten zeigen, dass der Trend bei der TSG in die richtige Richtung geht und dass die Ideen des jungen Coaches die richtigen sind.

Pflichtspiele 6 und 7: Highlights und Probleme

Da die TSG Hoffenheim nicht über eine derart große Bandbreite an Nationalspielern verfügt, wie es bei den absoluten Topklubs der Fall ist, konnte man sich gut auf den FC Bayern vorbereiten. Bereits in der Vorsaison konnte die TSG gegen den Rekordmeister ungeschlagen bleiben, diese Serie sollte sich fortführen. Nagelsmann schickte eine hochmotivierte, gut eingestellte Mannschaft auf den Platz, welche die vorherigen Fehler größtenteils vermied und offensiv genau die Fehler, die der FC Bayern produzierte, eiskalt nutzen konnte.

So gut wie jeder bisher eingesetzte Spieler hatte das Gefühl wichtig zu sein, konnte sich bereits beweisen, ein Beispiel für den positiven Effekt dieser Maßnahmen war Dennis Geiger. Der talentierte zentrale Mittelfeldspieler, der in der Vorbereitung auf sich aufmerksam machen konnte und peu a peu aufgebaut wurde, spielte gegen den FC Bayern sehr ordentlich, übernahm in späteren Spielen bereits Verantwortung und hatte kein Problem damit zwischendurch wieder auf der Bank oder gar der Tribüne platznehmen zu müssen.

Ein kleiner Rückschlag folgte nach dem Spiel gegen den FC Bayern. Im ersten Heimspiel in der Gruppenphase der Europa League zeigte Hoffenheim, auf 5 Positionen verändert, gute Ansätze, aber verlor gegen ein effizientes Braga zuhause mit 1:2. Nach der Führung von Wagner verloren die Kraichgauer etwas den Faden, in diesem Spiel hatte Nagelsmann nicht sehr viele gute Optionen auf der Bank, die Anpassungen im Spiel fruchteten nicht. Hoffenheim war immer noch nicht da, wo man hinwollte.

Pflichtspiele 8-11: Positive Leistungsentwicklung

Am 4. Spieltag der Bundesliga stand das Heimspiel gegen Hertha BSC an. Die TSG begann sich allmählich an die Mehrfachbelastung zu gewöhnen, aber ging noch etwas zu fahrlässig mit den eigenen Kräften um, vergab wieder zu viele Chancen und spielte nach 1:0-Führung lediglich 1:1. Am darauffolgenden Mittwoch ging es für Hoffenheim nach Mainz, Nagelsmann rotierte erneut auf 5 Positionen, die Mannschaft benötigte zu viel Anlaufzeit, lag schnell 0:2 hinten. Doch dann entwickelte die TSG immer mehr Schwung, kam noch vor der Halbzeit zum Ausgleich und wollte mehr.

Nagelsmann brachte zum Seitenwechsel den offensiveren Demirbay für Passlack, 10 Minuten später Stürmer Kramaric für den defensiven Polanski. Die TSG erspielte sich fortan Vorteile, war jederzeit gefährlich, brachte später den unbekümmerten Geiger für Amiri und behielt die gute Struktur in der 2. Halbzeit bei. Der Lohn folge spät: Mark Uth erzielte in der Nachspielzeit den vielumjubelten Siegtreffer für Hoffenheim, auch weil Nagelsmann die immer noch vorherrschenden rotationsbedingten Rhythmusprobleme mit klugen Anpassungen kaschieren konnte.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Im Duell mit Schalke 04 sollte der zweite Sieg in Folge gefeiert werden – und das gelang Hoffenheim auch. Zum dritten Mal in Serie spielte die gleiche Dreierkette, die Defensive ließ zwar einige Chancen zu, wirkte aber stabiler als zuletzt. Hoffenheim ging mit 1:0 in Führung, brachte in der 2. Halbzeit Wagner, der den Ball festmachen sollte und schoss kurz vor dem Ende durch Rupp das 2:0. Die TSG befand sich nun in der Spitzengruppe! Entsprechend motiviert fuhr man nach Bulgarien, wo es in der Europa League die 2. Niederlage im 2. Spiel setzte. Hier schlugen die Akzente, die Nagelsmann durch die Wechsel setzte, leider fehl.

Kluges In-Game-Coaching als Schlüssel

Mit seinen 30 Jahren verfügt Julian Nagelsmann bereits über ein großes Repertoire an taktischen Innovationen. Er verfügt bei er TSG Hoffenheim über einige Spieler, die auf mehreren Positionen eingesetzt werden können, hat vor allem im Mittelfeld zahlreiche Optionen und kann jederzeit sowohl defensive als auch offensive Akzente setzen. Er hat nicht den einen Masterplan, der zum Erfolg führen soll, sondern mehrere Ideen für ein Spiel im Kopf, die je nach Spielsituation und vor allem Spielstand zum Einsatz kommen.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Natürlich fruchten nicht alle Anpassungen, aber Nagelsmann befindet sich – ebenso wie die Mannschaft – auch noch in einem Entwicklungsprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Die internationale Erfahrung, die anfänglichen Probleme mit der Konstanz: All das sind Erfahrungswerte, die der talentierte Coach mitnehmen, einordnen und verarbeiten muss. Klar ist, dass man nicht für jedes Spiel die perfekte Einstellung vorab vornehmen kann.

Die Variabilität, die bereits seit Amtsantritt von Nagelsmann zur Priorität gemacht wurde, hilft bei Anpassungen während des Spiels immens. Mit einfachen Kommandos lässt sich das Spielsystem umstellen, der Trainer der TSG erkennt häufig Schwächen des Gegners und versucht diese zu nutzen. Nicht selten hat in dieser Saison ein Joker den Erfolg direkt oder zumindest indirekt herbeigeführt, jeder im Kader weiß, dass er auch von der Bank kommend eine tragende Rolle spielen kann.

Pflichtspiele 12 und 13: Zu viele Gegentore

Die eingangs angesprochenen Personalprobleme spielten Julian Nagelsmann beim Spiel in Freiburg einen Streich. Spieler wie Uth, Gnabry, Demirbay und Amiri fehlten im Spiel bei den Breisgauern, der junge Hack und der strukturgebende Rupp verletzten sich im Laufe des Spiels. Gegen einen an diesem Tag guten SC Freiburg zweimal verletzungsbedingt wechseln zu müssen und ohnehin wenige Offensivoptionen zu haben, war zu viel. Die erste Niederlage in der Bundesligasaison resultierte, Freiburg gewann mit 3:2.

Nach dem 3 Gegentoren in Freiburg sollte im Duell mit dem unangenehmen FC Augsburg eine Reaktion folgen. Und Hoffenheim spielte gut, wurde von Trainer Nagelsmann gut eingestellt, legte den Finger in die Wunde des FCA und spielte sich zahlreiche Torchancen heraus. Doch die defensive Stabilität war wieder nicht über 90 Minuten vorhanden, Gregoritsch erzielte nach 75 Minuten das 1:1, ein unglückliches Eigentor von Vogt stellte kurz vor dem Ende den Endstand von 2:2 her. Vor dem wichtigen Spiel gegen Basaksehir musste man sich etwas einfallen lassen.

Pflichtspiele 14 und 15: Europapokalerfolg und späte Wut

Gegen die erfahrenen Türken musste man wieder in die Spur finden und eine taktisch gute Leistung abrufen, um zu gewinnen. Nagelsmann vertraute erneut den jungen Posch (Innenverteidigung) und Geiger (Mittelfeldzentrum), schoss sich nach einer defensiv stabilen ersten Halbzeit zwischen der 52. und 75. Minute einen 3:0-Vorsprung heraus und konnte danach das Tempo rausnehmen. Die TSG legte mehr Wert auf die Defensive, wollte nicht wie in den ersten beiden Spielen eiskalt erwischt werden. Und das zahlte sich aus, international hat man weiterhin alle Chancen auf die K.O.-Phase.

Die oben abgebildete Aufstellung beim Auswärtsspiel in Wolfsburg bedeutete 4 Veränderungen im Vergleich zum Spiel gegen Basaksehir. Die defensive Dreierreihe blieb identisch, die Offensive wurde angepasst, um die größtmögliche Frische auf dem Platz zu haben. Nagelsmann musste gegen eine gut eingestellte Wolfsburger Mannschaft wieder viel anpassen, wechselte zwischen einer Dreier- und Viererkette, setzte Akzente durch die Einwechslung von Schulz, der für mehr Tempo sorgen sollte und ging durch einen berechtigten Demirbay-Elfmeter in Führung. Der späte Ausgleich in der 90. Minute nach einem hohen Ball sorgte für Unmut, denn zuvor verteidigte man weitgehend gut.

Platzierung gut, Ausbeute nicht unbedingt

Nach 9 Spieltagen in der Bundesliga steht die TSG Hoffenheim als auf Platz 4. Dass man am Ende der Spielzeit um die Europapokalplätze mitspielen will, ist klar. Für Julian Nagelsmann spielt aber gerade zu Saisonbeginn eher die fußballerische Entwicklung und die Punktausbeute eine entscheidende Rolle. Diese Ausbeute ist mit 16 von 27 möglichen Punkten in der Liga nicht ideal. Hoffenheim hätte auch gut und gerne bei 20 Punkten stehen können, die Punktverluste gegen Augsburg und Wolfsburg kamen erst in der Schlussphase zustande und sind ärgerlich.

(Photo by AMELIE QUERFURTH/AFP/Getty Images)

Wichtig ist aber, dass man von Beginn an im oberen Bereich der Tabelle steht. Nur einmal konnte Hoffenheim in der Liga geschlagen werden, in jedem Spiel wurden sich einige Gelegenheiten herausgespielt Die Konzentrations- und Konstanzprobleme müssen weiter angegangen werden, je mehr Spieler fit zur Verfügung stehen, desto besser kann man die Belastung verteilen. Derzeit fehlen mit Nordtveit (Knieprobleme), Bicakcic (Kreuzbandzerrung), Geiger (muskuläre Probleme), Zulj (Schambeinentzündung), Gnabry (Muskelverletzung im Oberschenkel) und Szalai (Adduktorenverletzung) gleich 6 Spieler, Amiri musste zuletzt kürzertreten und Hübner ist zu allem Überfluss am Wochenende in der Liga gesperrt. Das aufzufangen ist nicht einfach.

Nagelsmann im Lernprozess

Die TSG Hoffenheim hat kein verpflichtendes Ziel ausgegeben, sondern will eine ordentliche Saison spielen, Erfahrungen sammeln und die Spieler auf ein höheres Niveau manövrieren. Auf ein höheres Niveau will sich auch Julian Nagelsmann begeben, der nicht nur ein junger, sondern auch ein sehr innovativer, technikaffiner Trainer ist, der technische Elemente einbaut, seine Spieler per App „überwacht“ und die jeweilige Stimmung der einzelnen Akteure damit einfängt. Die Akribie und Leidenschaft, mit der auch die letzten Prozentpunkte an Leistungsvermögen herausgekitzelt werden sollen, beeindruckt.

(Photo by AMELIE QUERFURTH/AFP/Getty Images)

Da er noch keine langjährigen Erfahrungswerte besitzt und noch nicht weiß ob seine Konzeption hinsichtlich der Trainingselemente, der Belastungssteuerung und Rotation optimal funktioniert, ist es auch für den Coach wichtig, sich alle Entwicklungen genauestens zu merken. Welche Auswirkungen haben welche Anpassungen im Training, welche Schwerpunkte sind wann wichtig? Natürlich sind diese Fragen Teil der Trainerausbildung, langfristig mit einer Mannschaft zusammen zu arbeiten ist trotzdem etwas anderes.

Bisher macht der jüngste Cheftrainer im deutschen Profifußball seine Sache sehr gut. Die Entscheidung Nagelsmann zu installieren hat sich für die TSG ausgezahlt, der Trainer gibt nun das Vertrauen zurück. Jeder kleine Rückschlag, jeder späte Gegentreffer und jeder fehlgeschlagene Rotationsansatz, der im Spiel korrigiert werden muss, trägt zum Lernprozess bei, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Mit dieser geringen Erfahrungsbasis eine solch radikale, positive Veränderung bei einem Klub herbeizuführen, zeigt auf jeden Fall, was in dem 30-jährigen steckt.

Pokal in Bremen, nächste Aufgaben

Auch zum Pokalspiel in Bremen veränderte Julian Nagelsmann seine Mannschaft natürlich wieder. Mit Kobel, Akpoguma oder Hack standen erneut Ergänzungsspieler in der Startelf, die zuvor selten die Chance bekamen. Gerade Ersatztorhüter Kobel wird nicht gerade häufig die Gelegenheit bekommen. Gegen einen nach zuletzt schwachen Resultaten nicht gerade unglaublich gefestigten Gegner begann die TSG gut, Werder hatte wenig starke Szenen. Nach der Führung für Werder stabilisierten sich die Norddeutschen, Hoffenheim scheiterte häufig an Pavlenka, schied im Endeffekt aus. Ob es schlimm ist, dass diese Belastung nun wegfällt? Wohl eher nicht.

Die nächsten Aufgaben der TSG Hoffenheim könnten richtungsweisend sein. In der Bundesliga empfängt man eine Gladbacher Mannschaft, die eher eine Wundertüte ist, ehe man in der Europa League zu Basaksehir muss. Im darauffolgenden Ligaspiel vor der Länderspielpause geht es zu einem angeschlagenen 1. FC Köln. Hoffenheim ist definitiv in der Lage, alle diese Spiele zu gewinnen, gerade wenn peu a peu die Leistungsträger wieder zurückkehren. Gelingt das, wird man die Kraichgauer nicht so schnell aus der Spitzengruppe der Liga verdrängen können.

Nagelsmann und die Rotation: Fazit

Julian Nagelsmann und sein Trainerteam haben sich auf das Rotationskonzept festgelegt, sich dazu entschieden, dass man die langfristige Einteilung der Kräfte über einen schnellen, gesamtmannschaftlichen Rhythmus stellt. Hoffenheim ist mittlerweile eine Spitzenmannschaft in der Liga, die Auftritte gegen Schalke und Bayern unterstrichen dies auch in dieser Saison. Zwar kommen noch einige schwere Spiele bis zur Winterpause aber nach der Hälfte der Hinrunde steht man genau da, wo man sich selbst auch sieht.

Dass eine solche Saison wie die Spielzeit 16/17 schwer zu wiederholen ist, weiß man im Kraichgau. Die TSG ist aber auf einem guten Weg, um auch 2018/19 im internationalen Wettbewerb vertreten zu sein, die Rotation von Nagelsmann muss sich zwar noch weiter einspielen, aber gerade wenn die Verletzungssorgen geringer werden, dürfte dies gelingen. Man kann schwer einschätzen, wie die Saison der Hoffenheimer ohne 4-6 Wechsel pro Spiel verlaufen wäre, aber sehr viel besser hätte es zum jetzigen Zeitpunkt wohl kaum ausgesehen. Und gerade wenn in der Rückserie mehr Körner zur Verfügung stehen, hat sich alles ausgezahlt und das Konzept von Julian Nagelsmann ging auf. Erneut.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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