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Pochettinos fehlende Krönung – Der Anfang vom Ende bei Tottenham

22. November 2019 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Spotlight | Es war ein Paukenschlag, als die Tottenham Hotspurs am Dienstagabend bekannt gaben, dass man sich von Mauricio Pochettino trennen wird. Die Entlassung kam zu diesem Zeitpunkt vielleicht etwas überraschend, ihr lag aber ein monatelanger Prozess zugrunde. Am Ende war sie vor allem eines: unumgänglich.

Pochettino fehlte die Krönung

Erinnern wir uns zurück an den Abend des 8. Mai 2019. Die Tottenham Hotspurs hatten gerade das Endspiel in der UEFA Champions League erreicht und sich mit 3:2 bei Ajax Amsterdam durchgesetzt. Gegen das Überraschungsteam der Königsklasse mussten die Spurs alles aus sich herausholen. Mauricio Pochettino, der Trainer der Spurs, schaffte es mit seiner Mannschaft einen 2:0-Rückstand aufzuholen, Lucas Moura erzielte dabei einen Hattrick in der 2. Halbzeit.

 (Photo by Dan Mullan/Getty Images )

Die Spurs und Pochettino waren Höhepunkt ihrer bisherigen Zusammenarbeit angekommen. Das Endspiel sollte die Krönung einer konsequenten Entwicklung sein, doch rund um dieses Spiel taten sich intern erste Risse auf. Pochettino, der mit Herzblut und Akribie arbeitete, sich selbst und die Mannschaft in vielen Teilbereichen weiterentwickelte, mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand, erkannte, dass es in dieser Form nicht weitergehen konnte und würde. 

Die Spurs, die von Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft, dem Glauben an die eigene Stärke und einer taktischen Flexibilität lebten, verloren das Endspiel. Sie verloren es gegen einen FC Liverpool, der ebenfalls auf diesen Moment hingearbeitet hatte und am Finaltag für die Spurs nicht zu bezwingen war. Die viele Arbeit, die Mannschaft und Trainerteam investierten, blieb am Ende ungekrönt. Man konnte Stolz auf die eigenen Leistungen sein, dennoch blieb unter dem Strich festzuhalten, dass kein Titel gewonnen wurde.

Levy, Pochettino & die Harmonieproblematik

Beeindruckend war, dass die Tottenham Hotspurs das Endspiel ohne jegliche Neuzugänge vor der Saison erreichten. Eine Achse aus erfahrenen Innenverteidigern wie Vertonghen und Alderweireld, einem kompakten Mittelfeldzentrum, einem genialen Spielmacher Eriksen, einem Freigeist wie Heung-min Son und dem teilweise schon beängstigend effizienten Harry Kane war der Schlüssel. Und um diese Achse herum konnte Pochettino etwas aufbauen, seine Ideen verwirklichen. Gerüchte um eine gewisse Unzufriedenheit über die Transferpolitik gab es schon zu diesem Zeitpunkt, der Kader war dünn, aber gut, die letzte Entwicklungsphase war erreicht.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Natürlich sorgte der Stadionneubau dafür, dass die Spurs finanziell nicht in dem Maße handlungsfähig waren und sind, wie es bei anderen Topklubs in England der Fall ist. Teure Spielerverkäufe gab es zudem auch nicht, Daniel Levy ist als sehr sturer, schwieriger Verhandlungspartner bekannt. Was Vorteil auf der Verkaufsseite ist, entpuppt sich nicht selten als Nachteil auf der Einkaufsseite. Von Geiz kann hier zwar nicht unbedingt die Rede sein, jede bevorstehende Investition wird aber mehrfach überprüft, jedes Pfund mehr ist ein Thema für sich.

Und das sorgte dafür, dass die Beziehung zwischen Levy und Pochettino augenscheinlich nicht als vollumfänglich harmonisch zu bezeichnen war. Pochettino wusste, dass es schwer werden würde, das hohe Level aufrecht zu erhalten, er wusste, dass er würde kämpfen müssen, um die Neuzugänge zu verpflichten, die er sich wünscht. Und Pochettino wusste, dass viel Arbeit auf ihn zu kommt. Einige Spieler mussten aus einem mentalen Tief geholt werden, die Verträge einiger Topspiele liefen nur noch kurze Zeit und Harry Kane, Christian Eriksen & co. machten sich Gedanken, wie ihre eigene Zukunft aussehen kann und ob sie den Verein möglicherweise – zumindest mittelfristig – verlassen, um anderswo größere Titelchancen zu haben.

Intern wuchs also offenbar das Gefühl, dass das Endspiel in der Champions League für Tottenham eine einmalige Chance darstellte, zumindest für die nächsten Jahre. Das erkannte auch Mauricio Pochettino und deswegen kam es wenig überraschend, dass er mit einem Rücktritt und einer neuen Aufgabe kokettierte – nach dem Endspiel. Zuletzt berichteten englische Medien, dass Pochettino überrascht gewesen sei, dass im Sommer die Verpflichtung von Tanguy Ndombele, der mehr als 50 Millionen Pfund kostete und der neue Rekordtransfer der Spurs wurde, so schnell über die Bühne ging.

Die Transferpolitik als Anfang vom Ende?

Pochettino wurden also durchaus Zugeständnisse gemacht, aber diese reichten nicht aus. Giovani Lo Celso verstärkte zwar neben Ndombele das Mittelfeld, hier bediente sich Tottenham aber des Transfermodells der Leihe mit anschließender Kaufoption. Und der Transfer des talentierten Ryan Sessegnon zog sich lange hin. Interesse bekundeten die Spurs auch noch an Paulo Dybala. Pochettino wünschte sich mehr Ergänzungen im Kader, prophezeite intern, dass eine schwierige Saison bevorstehen würde.

Doch der Argentinier von Juventus Turin konnte im Endeffekt nicht verpflichtet werden, auch sonst wurde der Kader nicht weiter verstärkt. Insbesondere der Abgang von Kieran Trippier schmerzte, weil kein neuer Rechtsverteidiger als Ersatz verpflichtet wurde. Pochettinos Bedenken hinsichtlich des unausgewogenen Kaders sollten sich bewahrheiten, denn schon zu Beginn der Saison spielte die Mannschaft nicht auf ihrem gewohnten Niveau, ließ fußballerische Elemente vermissen, produzierte zu viele Fehler. Statt einer stabilen, kompakten Mannschaft stand nun eine verunsicherte, auch mental instabile Mannschaft auf dem Platz. Zudem gab es erstmals unter Pochettino auch Nebenkriegsschauplätze innerhalb des Teams, allen voran sorgten die Wechselgedanken von Christian Eriksen für Unruhe.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Diese Probleme kamen aber alle nicht überraschend. Pochettino hatte genau dies befürchtet, hatte genau dies intern angesprochen. Die Veränderungen im Kader hätten im Sommer deutlich größer ausfallen müssen, neue Impulse und neuer Konkurrenzkampf in allen Mannschaftsteilen wäre wichtig gewesen, um aus Enttäuschung Motivation zu kreieren. Außerdem war der Spielstil in den letzten Jahren enorm kräftezehrend, allein aus diesem Grund wäre eine größere Breite oder eine Angleichung der Qualität der Ersatzspieler sinnvoll gewesen.

Auch der Trainer ist sicher nicht völlig von der Schuld freizusprechen und hat einen Anteil daran, dass sich die Situation derart negativ entwickelt hat, aber dass nach Jahren der sehr guten Zusammenarbeit die Wünsche des Trainers nicht oder nur widerwillig erfüllt wurden, spielt eine entscheidende Rolle. Am Ende gab es intern zu tiefe Risse, Daniel Levy wollte den Argentinier sogar von einem Rücktritt überzeugen – doch dieser lehnte ab. Der Rest ist bekannt.

Zeit für den Neuanfang – für beide!

Die Trennung kann für beide Seiten eine Befreiung sein. Die Tottenham Hotspurs haben schnell einen neuen Trainer gefunden und den Portugiesen Jose Mourinho vorgestellt. Mourinho stellte sich zu Beginn sofort vor die Mannschaft, redete sie stark. Und genau das ist eine der Fähigkeiten, die den exzentrischen Trainer auszeichnen. Er stellt sich immer vor seine Spieler, schützt sie, kritisiert die Medien, die Schiedsrichter, den Gegner, um von der Mannschaft abzulenken.

(ISABELLA BONOTTO/AFP/Getty Images)

Nach dem eher ruhigen und in sich gekehrten Pochettino verfügen die Spurs nun über einen nach außen hin sehr energischen Trainer, der in der Zeit ohne Anstellung viel Fußball geschaut und sich weitergebildet hat. Mourinho hat bei Manchester United Fehler gemacht, aber diese analysiert. Und er ist hochmotiviert, dies nun unter Beweis zu stellen. Für die Tottenham Hotspurs beginnt nun eine neue Zeitrechnung. Die Tatsache, dass man Mourinho mit einem langfristigen Vertrag ausgestattet hat, zeigt außerdem, dass man ihm vollumfänglich vertraut und große Ziele hat. Im Winter, das wurde bereits klargestellt, wird es keine neuen Spieler geben – mittelfristig wird man Mourinho aber gewisse Wünsche erfüllen müssen. Das zeigten die letzten Monate mit Pochettino.

Doch nicht nur für den Verein, auch für Mauricio Pochettino bietet sich nun eine großartige Chance. Zahlreiche Vereine haben die jahrelange sehr gute Arbeit des charismatischen Argentiniers verfolgt, Pochettino kann sich im Idealfall den Spitzenklub aussuchen, bei dem er in Zukunft arbeiten will. Klar ist, dass der FC Bayern einen neuen Cheftrainer sucht, frühestens im Winter, spätestens im Sommer. Aber auch bei Manchester United, dem FC Barcelona oder gar Real Madrid könnte mittelfristig Bewegung in die Trainerfrage kommen. Selbst eine etwaige Sprachbarriere spielt mittlerweile keine Rolle mehr, denn Pochettino hätte genügend Zeit, um entsprechende Fähigkeiten zu erlernen.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Zudem hat Pochettino nach enorm intensiven Jahren mit viel Stress nun die Gelegenheit, einmal komplett abzuschalten. Der 47-jährige kann seine Zeit bei den Spurs nun noch einmal in aller Ruhe Revue passieren lassen, sich Gedanken machen, was gut lief und in welchen Teilbereichen seiner Arbeit er sich verbessern oder verändern kann. Dass seine Position auf dem Markt für ihn persönlich überragend ist, steht außer Frage. Mauricio Pochettino wird bei einem sehr guten Verein unterkommen, weil nicht die letzten Wochen, sondern die Jahre zuvor überwiegen. Es wird spannend zu sehen sein, wie sich Pochettino in einer anderen Liga, mit mehr Erfahrung und möglicherweise auch deutlich größeren finanziellen Mitteln schlagen wird. Die Zukunft wird es zeigen.

(Photo by Mike Hewitt/Getty Images)

Manuel Behlert

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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