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Schalke als neuer Bayern-Jäger?

23. November 2017 | Spotlight | BY Nico Scheck

Selten konnte der FC Schalke 04 derart optimitisch zum Revier-Derby nach Dortmund fahren wie es an diesem Samstag der Fall sein wird. Selten stand man in den letzten Jahren vor einem Kräftemessen mit dem BVB vor den Schwarzgelben in der Tabelle. Jetzt rangieren die Knappen nach dem zwölften Spieltag in der Bundesliga auf Tabellenplatz zwei hinter den Bayern und irgendwie hatte damit keiner so wirklich gerechnet.

Nach der sehr enttäuschenden letzten Saison mit Rang zehn am Ende erlebten die Schalker ihren Tiefpunkt der letzten Jahre. Statt die angestrebte Königsklasse zu erreichen, verpasste man sogar bei Weitem die Europa League und muss nun unter der Woche den Münchnern und Co. vom Fernseher aus zu sehen. Das Projekt Weinzierl galt als gescheitert, es brauchte eine neue Lösung. Mit dem noch sehr jungen und unerfahrenen Domenico Tedesco ging Schalke-Manager Christian Heidel ein großes Risiko ein, doch dieses scheint sich nun auszuzahlen.

(Photo credit should read PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images)

 

Tedesco als Heilsbringer

Der 32-jährige setzte mit seinen Knappen direkt am ersten Spieltag beim 2:0-Heimsieg gegen Vizemeister RB Leipzig ein Ausrufezeichen. Doch bis zum siebten Spieltag sah es so aus, als würde in Gelsenkirchen alles beim Altbekannten aus der vergangenen Spielzeit bleiben: Rang neun mit zehn Punkten erinnerten schwer an die Zeiten unter Weinzierl. Doch seitdem läuft es auf Schalke, denn in den letzten sechs Spielen bleib man ungeschlagen und arbeitete sich bis auf den zweiten Platz vor. Daran hat Tedesco einen maßgeblichen Anteil mit 2,07 Punkten pro Spiel. Zum Vergleich: Sein Vorgänger Weinzierl holte nur 1,52 Punkte pro Spiel.

Doch was macht Tedesco anders? Zuerst hat der Neuzugang von Erzgebirge Aue den Blauen ein neues Spielsystem verpasst. Tedesco lässt in einem sehr variablen 5-3-2-System spielen, bei dem ähnlich dem System der deutschen Nationalmannschaft unter Joachim Löw die Außenverteidiger bei eigenem Ballbesitz sehr offensiv agieren und nur bei gegnerischem Ballbesitz in die Abwehrkette rücken. Diese Aufgabe übernehmen meist Daniel Caligiuri und Bastian Oczipka, der im Sommer für 4,5 Millionen Euro von Eintracht Frankfurt nach Gelsenkirchen wechselte.

Auch Eigengewächs Thilo Kehrer in die Innenverteidigung zu stellen erwies sich bisher als absoluter Glücksgriff. Der 21-jährige spielt für sein Alter sehr abgeklärt und lässt hinten kaum etwas zu. Gleiches gilt für seine beiden Nebenleute Naldo und Benjamin Stambouli, der in der letzten Saison noch meist im defensiven Mittelfeld eingesetzt wurde.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

 

Meyer auf der Sechs

Doch die wohl größte Errungenschaft ist Tedesco mit der Versetzung von Max Meyer auf die Position vor der Abwehr gelungen. Nach anfänglichen Problemen ist der Blondschopf nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken. Für viele war der deutsche Nationalspieler schon so gut wie weg. nachdem er im Sommer eine Vertragsverlängerung ablehnte. Zudem hatte er sich auf Schalke in der letzten Saison nicht so entwickelt, wie man sich das vorstellte. Häufig kam Meyer nur von der Bank und wusste nur sehr selten zu überzeugen. Während er zuvor meist im offensiven Mittelfeld als Spielmacher oder auf den Flügeln eingesetzt wurde, schickt Tedesco den 22-jährigen nun als Sechser auf das Feld.

Hier kommen ihm seine Passsicherheit und seine Übersicht zu Gute, seine Präsenz auf dem Platz ist mit der der letzten Jahre nicht zu vergleichen. Natürlich gilt es hier abzuwarten, ob er diese Form über einen längeren Zeitraum halten kann. Doch die Vorzeichen stehen gut, dass Max Meyer in dieser Saison endlich den erhofften nächsten Schritt machen wird. Sollte dies der Fall sein, wird man auf Schalke nur umso mehr seinen im Sommer 2018 auslaufenden Vertrag verlängern möchten.

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

 

 Der neue Star Goretzka

Leon Goretzka absolvierte im Gegensatz zu Meyer schon in der letzten Spielzeit viele gute Spiele und stieg zum Leistungsträger bei den Königsblauen auf. Doch spätestens seit dem Confed-Cup im Sommer und dem Bundesligastart ist er der absolute Star im Schalker Gebilde. Zweikampfstark, passsicher, noch dazu torgefährlich, wie es seine bisher vier Ligatore bei neun Spielen unterstreichen. Es ist also kein Wunder, dass Goretzka derzeit so umworben wird, ein Wechsel im Sommer gilt als sehr wahrscheinlich.

Doch bis dahin dürfte der Rechtsfuß im Schalker Mittelfeld die zentrale Rolle einnehmen. Die letzten drei Bundesligapartien verpasste der 22-jährige aufgrund einer Stressreaktion im Unterschenkelknochen, für das Derby könnte er aber wieder in die Mannschaft zurückkehren. Gerade bei einem so wichtigen Spiel wird der Mittelfeldstar von großer Bedeutung für die Knappen sein, selbst, wenn er nur von der Bank kommen sollte.

 

Die defensive Stabilität

Die neu hinzugewonnene defensive Stabilität geht zum Teil natürlich einher mit den eben genannten Meyer und Goretzka. Doch vor allem ist sie auf das System von Tedesco zurückzuführen. Mit bisher zehn Gegentoren stellt Schalke nach den Bayern (8) die zweitbeste Defensive der Liga und dies ist einer der zwei Hauptgründe, warum Schalke nun auf Platz zwei in der Tabelle rangiert. Der zweite Grund ist die immense Effektivität vor dem gegnerischem Gehäuse. Großchancen werden meist eiskalt genutzt, während man hinten kaum etwas anbrennen lässt. Gegen Schalke ein Tor zu schießen ist derzeit nicht das leichteste Unterfangen und vorne wartet ein treffsicherer Guido Burgstaller mit bisher vier Saisontreffern.

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Das Team wirkt sehr ausbalanciert, jeder weiß, was er zu tun hat. Zwar spielt 04 nicht die Sterne vom Himmel, doch jeder einzelne agiert sehr diszipliniert auf dem Platz und setzt die Idee Tedescos sehr gut um. Zudem kommt den Schalkern eine gewisse Eingespieltheit zu Gute, große Transfers waren im Sommer Mangelware, stattdessen zog man die Kaufoption von Yevhen Konoplyanka, der sich in dieser Saison bisher in einer guten Verfassung zeigte. Außerdem ist der zu Beginn viel diskutierte Wechsel des ehemaligen Kapitäns Benedikt Höwedes kein Thema mehr. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die bereits erwähnten Kehrer, Naldo und Stambouli ihre Aufgaben in der Abwehr bis jetzt mehr als ordentlich erledigen.

Der wohl am meisten unterschätzte Transfer der Königsblauen ist sicherlich der von Amine Harit. Der 20-jährige wechselte im Sommer für acht Millionen Euro vom FC Nantes zu S04 und kam in bisher elf Ligaspielen zum Einsatz. Dabei bereitete er vier Treffer selbst vor und fügte sich auch sonst sehr schnell in den Kreis der ersten 13, 14 Spieler ein. Durch seine Dribbelstärke und seinen starken Antritt verfügt Harit genau über die Fähigkeiten, um Lücken aufzureißen und Chancen zu kreieren. Man kann also ohne Zweifel festhalten, dass Christian Heidel hier einen guten Riecher hatte.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images)

 

Schalke als Bayern-Jäger?

Ist Schalke also der neue Bayern-Jäger? Tabellarisch ja, tatsächlich aber (vorerst) nicht. Sicherlich spielen die Schalker derzeit einen effektiven und erfolgreichen Fußball, doch darf man nicht vergessen, dass Schalke auch deswegen so weit oben in der Tabelle steht, weil Teams wie der BVB oder auch Leipzig noch gewisse Anlaufschwierigkeiten und so schon einige Punkte liegen gelassen haben. Trotzdem ist die Entwicklung auf Schalke sehr positiv zu sehen und war so nicht zu erwarten nach der vergangenen Saison. Mit Tedesco hat Königsblau nun einen Trainer mit einem klaren Plan und einer Spielidee, die noch nicht komplett ausgereift ist, was nach gerade mal zwölf Spieltagen bei einem neuen Trainer auch kaum möglich ist.

Man darf also gespannt sein, wo die Reise unter ihm in dieser Saison hingeht. Im Derby stehen die Chancen gut, dass man zumindest mit einem Punkt, wenn nicht sogar mit einem Sieg aus Dortmund zurückkehrt. Hält man die Form und schraubt noch an einigen Stellen, wird der FC Schalke das internationale Geschäft wohl kein zweites Mal verpassen.

 

Nico Scheck

Aufgewachsen mit Elber, verzaubert von Ronaldinho. Talent reichte nur für die Kreisliga, also ging es in den Journalismus. Seit 2017: 90PLUS. Manchmal: SEO. Immer: Fußball. Joga Bonito statt Catenaccio.


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