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Ole Gunnar Solskjaer und Manchester United: Eine Zusammenarbeit mit Ablaufdatum

4. Dezember 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

„Ole’s at the wheel“ war ein Song, der hohe Wellen schlug. Fans von Manchester United schmetterten ihn nach dem gelungenen Start von Ole Gunnar Solskjaer als Trainer der Red Devils. Mittlerweile sieht man in den sozialen Medien mehr Memes und GIFs nach verlorenen Spielen als ernstgemeinte Beiträge zu diesem Ausspruch. Aus gutem Grund.

  • Ole Gunnar Solskjaer in der Kritik
  • Manchester United fehlt es an Konstanz
  • Für welche Spielidee wollen die Red Devils stehen?

Solskjaer bei Manchester United: Ein Start nach Maß

Im Dezember 2018 trennte sich Manchester United von José Mourinho und beorderte Ole Gunnar Solskjaer auf die Trainerbank. Der Norweger, einst ein treffsicherer Stürmer bei den Red Devils, sollte dem Klub frischen Wind einhauchen. Und die Anfänge waren vielversprechend. Die ersten acht Spiele im Amt gewann der Norweger, dabei konnte seine Mannschaft ein Torverhältnis von 22:5 hinlegen. Es folgten nur wenige Patzer, starke Auftritte wie beim 0:0 gegen den FC Liverpool und wichtige Siege wie das 2:0 bei Chelsea. 

(Photo by CARL RECINE/POOL/AFP via Getty Images)

Selbst der erste kleine Dämpfer in der Champions League, die 0:2-Heimniederlage gegen PSG, wurde mit einem 3:1 im Rückspiel egalisiert. Ole Gunnar Solskjaer, so schien es in den ersten Monaten, war ein Volltreffer. Skeptiker mahnten und verwiesen auf das Auftaktprogramm, bestehend aus Gegnern wie Cardiff, Huddersfield, Bournemouth und Reading. Nach Siegen gegen diese Gegner folgte eine Welle der Euphorie – und das nötige Spielglück in entscheidenden Szenen. 

Saison 2018/19: Erste Ergebniskrise für Solskjaer

Die Frage war: Wie nachhaltig sind die anfänglichen Erfolge? Solskjaer setzte auf brutale Effizienz im Angriff. Junge Spieler wie Marcus Rashford oder Anthony Martial sollten sich bietende Räume nutzen und wenn möglich schnell den Torabschluss suchen. Die Folge: Die Red Devils dominierten die Gegner fast nie über 90 Minuten, konnten aber das Tempo erhöhen und zuschlagen, wann sie wollten. Und das Selbstvertrauen wuchs. Mit zunehmender Belastung wurden die Leistungen anschließend aber durchwachsener, erste Rückschläge mussten verkraftet werden.

Gegen Wolverhampton schied man im FA-Cup (1:2) aus, gegen den FC Barcelona war im Viertelfinale der Champions League (0:1, 0:3) Schluss. Schlimmer als das waren allerdings die gesammelten Resultate der letzten Wochen in der Saison 2018/19. Nur zwei der letzten zwölf Pflichtspiele wurden gewonnen, insgesamt sogar acht dieser Spiele verloren. Darunter mit 0:2 gegen Cardiff und mit 0:4 beim FC Everton. Das Problem war, dass Lösungen fehlten, sobald die Mischung aus Kompaktheit und Effizienz nicht funktionierte. Eine Saisonvorbereitung unter Solskjaer und passende Ergänzungen im Kader sollten dies aber beheben, sagte man sich in Manchester. 

Die zwei Gesichter von Manchester United

„Babyface“ – so nannte man Ole Gunnar Solskjaer zu aktiven Zeiten im Dress von Manchester United. Der Stürmer mit dem jugendlichen Gesicht wirkte unscheinbar, schlug aber eiskalt zu, wenn sich die Chance ergab. Und das konnte man in den guten Phasen auch über sein Manchester United sagen. Harry Maguire (87 Mio. €), Aaron Wan-Bissaka (55 Mio. €) und Daniel James (18 Mio. €): Die Transfers im Sommer 2019 waren auf den ersten Blick sehr clever.

(Photo by MICHAEL REGAN/POOL/AFP via Getty Images)

Maguire sollte die Defensive stabilisieren, Wan-Bissaka auf der rechten Seite für Balance sorgen und James galt mit seiner Geschwindigkeit als idealer Solskjaer-Spieler für die Offensive. Das 4:0 gegen Chelsea zu Saisonbeginn weckte Hoffnungen auf eine grandiose Saison. Von den darauffolgenden acht Ligaspielen konnte aber nur eines gewonnen werden. Die Skeptiker sahen sich bestätigt, noch immer fehlten Lösungen, wenn Plan A nicht funktionierte. 

Auch bedingt durch die Corona-Pandemie ist die Saison 2019/20 nicht leicht zu bewerten. Unter dem Strich zeigten die Red Devils zwei Gesichter. An einem guten Tag gab es Siege gegen Teams wie Tottenham oder Chelsea, zudem wurde Manchester City im Derby gleich zweimal bezwungen. An schlechten Tagen verlor man zuhause gegen Burnley, bei Bournemouth oder gegen Crystal Palace.

Das Ziel, einen Titel zu gewinnen, wurde auch verfehlt. Im FA-Cup war gegen Chelsea (1:3) im Halbfinale Schluss, im EFL-Cup unterlag man im Halbfinale nach Hin- und Rückspiel Manchester City (1:3, 1:0) und im Halbfinale der Europa League gab es eine Niederlage gegen den FC Sevilla (1:2). Immerhin erreichte man die Champions League über die Platzierung in der Premier League.

Manchester United: Die Homogenität im Kader fehlt

Ein Topklub wie Manchester United benötigt mehr als nur gute Ansätze. Viele haben noch die klaren Strukturen aus der Ära Ferguson vor Augen, die vielen Titel, die dieser Verein in der Vergangenheit gewonnen hat. Mit Ole Gunnar Solskjaer hatten die Verantwortlichen bis hierhin Geduld. Doch wie lange hält diese noch an? Im Januar 2020 wurde Bruno Fernandes (26) verpflichtet, ein offensivstarker Mittelfeldspieler, der bislang viele Tore erzielte und vorbereiten konnte. Die individuelle Klasse ist hoch, die Homogenität im Kader aber nicht.

Im Sommer folgten weitere neue Spieler. Alex Telles (27) benötigt noch Akklimatisierungszeit, Facundo Pellistri (18) ist ein Perspektivspieler. Und Torjäger Edinson Cavani (33), ablösefrei verpflichtet, kann die strukturellen Probleme auch nicht lösen, sondern vielmehr kaschieren. Donny van de Beek (23), für viel Geld aus Amsterdam gekommen, ist indes auch nicht das Puzzleteil, das dieses Mittelfeld benötigt. Insbesondere in Anbetracht der Leistungsschwankungen von Superstar Paul Pogba (27) fehlt eine weitere ordnende Hand, die pressingresistent ist und das Spieltempo steuern kann. Stattdessen stehen viele offensivorientierte Box-to-Box-Player im Aufgebot, die die Hektik im Spiel eher noch befeuern.

Diese Ungleichheit im Kader ist hausgemacht. Solskjaer hat diese Transfers abgesegnet. Vielleicht mag es auch daran liegen, dass ein klassischer Sportdirektor fehlt oder dass intern vielleicht noch eine weitere Instanz fehlt, die ein Veto bei Transfers einlegen oder zumindest entscheidend mitdiskutieren kann.

Manchester United wartet auf den nächsten Schritt

Nun sind auch in der Saison 2020/21 die ersten Monate vergangen. Und das Bild der letzten Jahre zeichnet sich erneut ab. Während die Verantwortlichen auf den nächsten Schritt warten, wechseln sich auf dem Platz ordentliche Ansätze mit schwachen Spielen und teils unerklärlichen Aussetzern ab. Eine Mannschaft mit vielen individuell hochklassigen Spielern kann durch den Gegner teilweise durch einfachste Mittel dazu gebracht werden, in sich zusammen zu fallen. Gegen Tottenham verlor man zuhause mit 1:6, selbst Crystal Palace gewann mit 3:1 im Old Trafford. Gleichzeitig wurde in Paris (2:1) und deutlich gegen Leipzig (5:0) gewonnen. 

(Photo by Laurence Griffiths/Getty Images)

Und weiterhin ist vieles Stückwerk. Die individuelle Klasse kaschiert auch in diesen Monaten elementare strukturelle Fehler. Passt der Plan, den man sich zurechtlegte, nicht, fehlen die Mittel. Und Solskjaer? Der sorgt mit seinem Coaching in Spielen wie kürzlich zuhause gegen PSG (1:3) für Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Die Franzosen spielten etwas zurückhaltender, setzten auf Konter – und hatten Manchester United genau dort getroffen, wo es den Red Devils wehtut. Mit Ball wurde zu ungenau gespielt, Fehler waren die Folge. Und dass Solskjaer nach dem Spiel betonte, er hätte Fred (27) vor dessen Platzverweis lieber mal vom Platz genommen, sprach Bände. Denn der Brasilianer arbeitete rund 30 Minuten intensiv an seiner Herunterstellung. Das hätte man von Außen definitiv früher erkennen müssen.

Ole Gunnar Solskjaer und das Ablaufdatum

Die Frage, wofür Manchester United unter Ole Gunnar Solskjaer stehen will, kann nicht beantwortet werden. Nach knapp zwei Jahren im Amt ist das eigentlich schon ausreichend, um die Analyse zu beenden. Es fehlt an einer Idee, an einer Identität. Nicht einmal signifikante Überlegungen zur größeren Flexibilität im taktischen Bereich sind erkennbar. Trotz Kaderanpassungen und trotz eines reichhaltigen Angebotes an Talenten sind weiterhin große Leistungsschwankungen zu erkennen. Harry Maguire, einer der teuersten Transfers aller Zeiten, wandelt in der Innenverteidigung zwischen robustem Rückhalt und ungeschicktem Unglücksraben hin und her, Pogba wird teilweise nicht einmal mehr berücksichtigt oder trabt lustlos auf dem Feld umher.

(Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Bei den vielen offenen Fragen ist eine derzeit die entscheidende. Wie lange schaut sich die Vereinsführung das noch an? Am Dienstag könnte unter Umständen das Aus in der Champions League drohen, schon in der Gruppenphase. Vorher steht am Wochenende ein Auswärtsspiel bei einem sehr guten West Ham auf dem Programm. Vielleicht rettet sich Solskjaer wieder, vielleicht reicht die individuelle Klasse aus, damit der Trainer sich weiter über Wasser halten kann. Doch dass er bis zum Vertragende 2022 im Amt bleiben wird, darf angezweifelt werden. Ole Gunnar Solskjaer und Manchester United: Diese Zusammenarbeit hat ein Ablaufdatum…

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 (Photo by LINDSEY PARNABY/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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