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Verdrießlich ignoriert

22. September 2017 | Spotlight | BY Marius Merck

Im Sommer waren laut Medienberichten unzählige Klubs auf der Suche nach Verstärkungen für die Offensive. Einer der vielseitigsten und zurzeit besten Angreifer wurde dabei jedoch weitestgehend ignoriert.

 

Explosion mit fast 30 Jahren

Neymar, Romelu Lukaku oder Alvaro Morata sind einige prominente Namen, welche für Unsummen in diesem Sommer den Verein wechselten und im besten Fall ihren neuen Klub auf Anhieb in neue Sphären hieven. Andere bevorzugten die jüngere Variante und schmückten sich mit begehrten Youngstern wie Kylian Mbappé oder Ousmane Dembélé – ebenfalls für horrende Ablösen. Man kann damit festhalten: Ein guter Offensivspieler, egal ob in der Mitte oder auf dem Flügel, kostet bei den heutigen Verhältnissen ordentlich. Die Faktoren „Alter“ und „restliche Vertragslaufzeit“ (dieser Punkt wird neuerdings gerne wissentlich von den Spielern ein wenig ignoriert) treibt dann den Preis noch weiter nach oben.

In der Regel begründet sich das Interesse eines Klubs durch gewisse Leistungen der Spieler. Ein Offensivmann wird vor allem interessant, wenn er statistisch viele Tore und/oder Vorlagen aufweisen kann. So kann man beispielsweise davon ausgehen, dass zu einem amtierenden Torschützenkönig immer eine passable Nachfrage besteht.

Dries Mertens wurde in der abgelaufenen Saison zwar kein Torschützenkönig in der Serie A, aber ein gewisses Interesse sollte eigentlich auch der Zweite in dieser Kategorie auf sich ziehen. Vor noch einem Jahr war es eigentlich nicht zu erwarten, dass der Belgier ein ernsthafter Kandidat für diesen Titel sein könnte. Doch das vergangene Jahr war auch keine normale Saison für den 30-Jährigen.

Alles begann mit einer Verletzung von Arkadiusz Milik. Der junge Pole sollte beim SSC Neapel den Toptorjäger Gonzalo Higuain im Sommer 2016 ersetzen, doch nach wenigen Wochen riss sich der Stürmer das Kreuzband, weshalb in der Sturmmitte beim Vizemeister ein Vakuum herrschte. Die Transferperiode war allerdings vorbei, somit musste Trainer Maurizio Sarri eine interne Lösung finden – sie fiel auf den belgischen Nationalspieler.

Der 1,69m kleine Techniker ist eigentlich auf dem Flügel zu Hause. Über die Stationen FC Utrecht und PSV Eindhoven landete er zur Saison 2013/2014 in Süditalien. Wie bei den Klubs zuvor bekleidete Mertens auch bei Napoli den linken Flügel und legte dabei ordentliche Statistiken auf – z. B. elf Treffer und acht Vorlagen in seiner Debütsaison. Diese Werte sollten auch bis zur letzten Runde keine große Änderung erfahren.

Zu Beginn sah es auch nicht so aus, als würde sich Mertens in der Sturmmitte wohl fühlen. In seinen ersten fünf Spielen auf der Position traf er lediglich ein Mal, Mitte Dezember 2016 stand er bei mäßigen drei Toren in der Serie A. Dann folgte etwas, was sich eigentlich nur mit einem Wort beschreiben lässt: Explosion.

(Photo by Francesco Pecoraro/Getty Images)

In den nächsten Spielen gegen Cagliari und den FC Turin erzielte Mertens insgesamt sieben Treffer! Bis zum Saisonende traf der Belgier 28 Mal in der Serie A, am Ende hatte er einen Treffer weniger als Edin Dzeko vom AS Rom. Man mag sich gar nicht vorstellen, auf welche Quote er gekommen wäre, wenn er das über ganze Jahr diese Position bekleidet hätte.

Doch selbst nach diesem furiosen Jahr blieb das Interesse auf dem Markt relativ zurückhaltend. Der Spieler selbst stand zu diesem Zeitpunkt nur noch bis 2018 in Neapel unter Vertrag, laut den damaligen Medienberichten war er durchaus an einem Wechsel interessiert. Da Mertens im Mai 30 Jahre alt wurde, sollte es sein letzter großer Vertrag werden. Ende Mai unterschrieb er dann zu verbesserten Konditionen bei den Italienern bis 2020, mitsamt einer Ausstiegsklausel, welche allerdings nur für das Ausland gelten soll, wie der Präsident Aurelio De Laurentiis verriet. Diese greift ab dem kommenden Jahr.

Bei dieser Ausgangssituation war es logisch, dass sich kein Verein mehr im abgelaufenen Sommer um den Belgier bemühen würde. Jedoch war es dennoch überraschend, dass auch zuvor anscheinend kein Verein wirklich ernsthaftes Interesse an dem Stürmer hatte – und passt irgendwie in die Oberflächlichkeit der Branche der heutigen Zeit, wo bereits jede Bewegung gewisser Spieler auf den sozialen Netzwerken einen Zeitungsartikel kreiert („Ist das die neue Flamme von XY?“).

Andererseits wäre es kaum vorgekommen, dass ein Spieler im Frühherbst seiner Karriere quasi unter dem Radar von der internationalen Klasse in die Weltklasse aufsteigt – in einer der europäischen Top5-Ligen! Ob er in einem anderen System, als in dem durchaus speziellen von Sarri funktionieren würde, kann man natürlich nicht erahnen. Die Ignoranz des Marktes gegenüber diesen Leistungen ist trotzdem beachtlich.

Mertens scheint sich daran nicht stören: Durch die Ausstiegsklausel ist der Schritt zu einem (absoluten) Topklub im nächsten Jahr möglich. Seine bisher sechs Treffer in fünf Ligapartien in dieser Runde bestätigen seine enorme Klasse auf der (spät) gefunden Position. Vielleicht wird der Belgier im nächsten Jahr dann nicht verdrießlich ignoriert.

 

 

Marius Merck

Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.


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