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Weißt du noch..? 4. April 2002: BVB-Brasilianer sorgen für magischen Abend gegen Milan

4. Mai 2020 | Weißt du noch...? | BY Victor Catalina

Spotlight | In der Saison 2001/2002 wurde Borussia Dortmund zum ersten Mal nach der Ära Hitzfeld und zum sechsten Mal insgesamt Deutscher Meister. International folgte auf die Ernüchterung in der Champions League der Lauf bis ins Finale des UEFA Cups – mitsamt magischem Abend im Halbfinale.

Dortmund: Ernüchterung in der Champions League, Erfolg im UEFA Cup

Eine alte Regel besagt, es sei nicht wichtig, wie lange man auf dem ersten Platz stehe, sondern nur, dass man es am letzten Spieltag tut. Genau so verlief auch die Bundesligasaison 2001/2002 aus Sicht von Borussia Dortmund. Die gesamte Spielzeit war mehr oder minder ein Wechselspiel zwischen der Werkself und Schwarzgelb an der Tabellenspitze. Drei Spieltage vor Saisonende sprach nur wenig dafür, dass Dortmund noch der ganz große Coup gelingen würde, denn der Rückstand auf Tabellenführer Bayer Leverkusen betrug fünf Punkte.

Doch als es darum ging, den Titel klarzumachen, schlug der Mythos Vizekusen zu: Leverkusen unterlag Werder und Nürnberg, Dortmund schlug Köln und den HSV in einem dramatischen Spiel 4:3 und zog vorbei. Am letzten Spieltag sorgte Ewerthon mit seinem Siegtor gegen Bremen für die endgültige Entscheidung. Matthias Sammer wurde damit im Alter von 34 Jahren zum jüngsten Meistertrainer aller Zeiten und der BVB holte die erste Schale nach der Ära Hitzfeld.

(Photo by Bongarts/Getty Images)

Allerdings lief es nicht in allen Wettbewerben so rund. In der ersten Pokalrunde setzte es eine Blamage gegen die Zweitvertretung des VfL Wolfsburg, damals wie heute Regionalligist. Die Champions League hielt eine Gruppe mit dem FC Liverpool, Boavista – dem kleineren der beiden Namen aus Porto – sowie Valeriy Lobanovskiys Dynamo Kiev bereit. Nach zwei Siegen, Unentschieden und Niederlagen stieg die Borussia als Gruppendritter in den UEFA Cup ab.

Im Achtelfinale musste gegen Lille noch die Auswärtstorregel helfen, nach einem torlosen Remis im Viertelfinal-Hinspiel gewann Dortmund zuhause gegen Slovan Liberec 4:0. Das Halbfinale gegen Milan stand an. Die Mannschaft von Carlo Ancelotti hatte eine enttäuschende Saison 2000/2001 hinter sich und wurde lediglich Sechster. Heute wäre die Teilnahme an der Europa League für Milan als Erfolg zu werten, damals war es zu wenig für die hohen Ansprüche des Nobelklubs aus der Lombardei.

Die Aufstellungen

Borussia Dortmund: Lehmann – Wörns, Metzelder – Heinrich, Oliseh,
S. Reuter, Dede, Rosicky – Amoroso, Ewerthon – Koller
Trainer: Matthias Sammer

AC Milan: Abbiati – Kaladze, Maldini, Laursen, C. Contra – Ambrosini, Albertini, Gattuso – Pirlo – José Mari, Inzaghi
Trainer: Carlo Ancelotti

Amoroso macht noch vor der Pause alles klar

Dortmund ging mit einer 2:3-Niederlage gegen Stuttgart in die Partie. Lehmann, in der Bundesliga gesperrt, löste Philipp Laux im Tor ab. Sebastian Kehl kam im Winter als 22-jähriges Talent aus Freiburg und in der Bundesliga regelmäßig zum Einsatz. Da er aber für die europäischen Wettbewerbe nicht gemeldet war, nahm Sunday Oliseh seinen Platz im Mittelfeld ein. Zudem rückte Ewerthon für Evanilson ins Team.

Mit Andriy Shevchenko fehlte Carlo Ancelotti der Torgarant, Rui Costa blieb aufgrund von Adduktorenproblemen nur ein Platz auf der Bank. José Chamot und Alessandro Costacurta traten die Reise nach Dortmund gar nicht erst an.

Die Ausfälle machten sich sofort bemerkbar: Nach fünf Minuten lag der Ball zum ersten Mal im Mailänder Tor – die Fahne verwehrte dem Treffer die Anerkennung. Allerdings ließ sich die Borussia davon nicht beirren. Cosmin Contra brachte Amoroso im Strafraum zu Fall, der den folgende Elfmeter sicher im linken Winkel versenkte – 1:0 in Minute 8.

Dortmunds Doppelschlag

Anschließend wurde es brasilianisch. Dede lupfte den Ball mit beeindruckender Lässigkeit über José Mari und Gennaro Gattuso, bei Demetrio Albertini war jedoch Endstation. Wie es besser geht, zeigte wenige Augenblicke später Marcio Amoroso. Dortmunds tschechischer „Brasilianer“ Tomas Rosicky spielte in der 34. Minute den Ball nach einem Doppelpass mit Jan Koller an die Strafraumkante zu Amoroso. Der spätere Torschützenkönig der Bundesliga nahm den Ball gekonnt an, ließ Martin Laursen mit einem Lupfer ins Leere laufen und vollendete sicher vor Abbiati – 2:0.

Fünf Minuten später, Koller spielte einen Doppelpass, diesmal mit Ewerthon. Der flankte von der Grundlinie auf den zweiten Pfosten, dort vollendete Amoroso per Kopf unter die Latte – Hattrick und 3:0. Langsam wurde es ein bisschen heftig.

(Photo by Sandra Behne/Bongarts/Getty Images)

Was war eigentlich mit Milans Offensive? Die blieb ohne Shevchenko in der ersten Hälfte nahezu gänzlich abgemeldet. Rund um die bayrische Landeshauptstadt wird der Name Filippo Inzaghi gefürchtet, in diesem Spiel blieb auch er jedoch blass. Eine Schrecksekunde musste die Borussia vor der Pause aber noch überstehen, als Andrea Pirlo mit einem Freistoß den Pfosten traf. So blieb es bei der klaren 3:0-Führung.

In Hälfte zwei war Ancelotti gezwungen zu reagieren. Er brachte mit Serginho einen Außenbahnspieler für Mittelfeldspieler Demetrio Albertini. Noch mehr Tempo auf den Flügeln sollte her, dafür war Ancelotti bereit, einen seiner drei defensiven Mittelfeldspieler zu opfern. Nach einer Stunde kam Rui Costa für Gennaro Gattuso. Ein Wechsel der Marke: Klassik für Hard Rock.

Dortmund hatte aber noch nicht genug. Kurz nach Rui Costas Einwechslung schickte Koller Ewerthon auf der linken Seite, Maldini stand eine Autostunde vom Ball entfernt, so konnte der Brasilianer erneut bis an die Grundlinie laufen. Seine Hereingabe ging durch die Beine von Abbiati an den Pfosten und von da aus zu Jörg Heinrich, der leichtes Spiel hatte – 4:0.

Ricken beendet Milans Aufholjagd

Milan versuchte alles, um irgendwie an ein Auswärtstor zu kommen, aber weder Rui Costa noch Serginho wussten ihre Möglichkeiten zu nutzen. Auf der anderen Seite vergab der eingewechselte Evanilson die Chance zum 5:0. Es blieb beim klaren und verdienten 4:0 für Dortmund.

Im Rückspiel musste der BVB aber nochmal zittern. Inzaghi und Cosmin Contra, der im Hinspiel den Elfmeter an Amoroso verursacht hatte, halbierten in den Minuten 11 und 19 Dortmunds Vorsprung. Allerdings gelang es ab dort keiner Mannschaft mehr, etwas auf die Anzeigetafel zu bringen – bis zur Nachspielzeit. Metzelder foult Inzaghi im Strafraum und Serginho verwandelt sicher zum 3:0. Sollte das wirklich nochmal schiefgehen? Nein! Denn direkt im Gegenzug vollendete Lars Ricken einen BVB-Konter zum 3:1 – Game, Set and Match, Dortmund im Finale.

In Rotterdam trafen sie auf Feyenoord. Die Holländer waren gewillt, das Endspiel vor den eigenen Fans im De Kuip zu gewinnen. In der ersten halben Stunde erarbeitete sich der neue Deutsche Meister eine Reihe von Chancen, wusste diese aber nicht zu nutzen. So kam es, wie es kommen musste: Jürgen Kohler vertändelte am eigenen Strafraum den Ball gegen Jon Dahl Tomasson und wusste sich nur noch mit einer Notbremse zu helfen – Elfmeter und Rot.

Pierre van Hooijdonk nahm das Angebot dankend an und brachte Feyenoord in der 33. Minute in Führung. Der hart geschossene Strafstoß landete links unten. Dortmund hatte aber in Unterzahl die Chance zum Ausgleich: Zoetebier wehrte einen Freistoß von Rosicky mit der Faust ab, Evanilson brachte den Ball nochmal volley Richtung Tor, wo Tomasson per Kopf rettete.

Zwei Minuten später, Minute 40: Der junge Robin van Persie zieht einen Freistoß für Feyenoord aus etwas 22 Metern Entfernung. Der hohe Rat tagte – und van Hooijdonk versenkte den Freistoß humorlos unten links. Selbst der niederländische Kommentator sprach vom „Pierre-van-Hooijdonk-Abend“ – Doppelpack und 2:0.

Dortmund antwortet – Feyenoord auch

In der Innenstadt herrschte derweil ob des möglichen Heimtitels Ekstase. Die wusste Dortmund aber zu bremsen. Patrick Paauwe, der zwischen 2007 und 2009 57 Spiele für Borussia Mönchengladbach absolvierte, ging im Strafraum gegen Amoroso zu hölzern zu Werke, der verwandelte den Strafstoß gewohnt sicher – nur noch 2:1.

Kurz darauf ließ sich Dortmunds Hintermannschaft mit einem ganz einfachen Trick aushebeln. Mittelfeldspieler Shinji Ono spielte den Ball in der 50. Minute einfach mal steil nach vorne, alles achtete auf den passiv im Abseits stehenden van Hooijdonk, den startenden Jon Dahl Tomasson hatte aber niemand auf der Rechnung. Frei vor Lehmann stellte der Däne den alten Abstand wieder her – 3:1.

(Photo by Tim De Waele/Getty Images)

Das Spiel sollte noch Züge des Vorjahresfinals annehmen, als Liverpool Deportivo Alavés im Westfalenstadion per Golden (Own) Goal 5:4 besiegte. Marco Reus und Kevin Großkreutz waren damals Einlaufkinder. Hier dauerte es genau acht Minuten, bis Dortmund erneut zurückschlug. Jan Koller nahm den Ball 20 Meter vor dem Tor mit der Brust an und versenkte ihn schulbuchmäßig volley im linken Winkel. Marke: Tor des Monats. Torhüter Zoetebier blieb nichts anderes übrig, als das Unheil zu bestaunen, verhindern konnte er es nicht. 2001 führte Liverpool nach 48 Minuten 3:2, Feyenoord und Dortmund brauchten gerade einmal zehn Minuten länger für denselben Spielstand.

Dortmund versuchte alles und drückte, die Feyenoord-Defensive hielt den Angriffen aber stand, es blieb beim 3:2. Bert van Marwijk, der Juli 2004 Sammers Nachfolger wurde, holte mit Feyenoord den Titel. Das Double hatte Dortmund damit – vorerst – verpasst, denkwürdig war die Saison trotzdem. Der BVB entriss Leverkusen die sicher geglaubte Meisterschaft, zog ins Finale des UEFA Cups ein und feierte auf dem Weg dorthin einen Abend für die Geschichtsbücher.

(Photo by Sandra Behne/Bongarts/Getty Images)

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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