Wie gut war eigentlich…? Rodolfo Esteban Cardoso

Im Fokus | Rodolfo Esteban Cardoso landete eigentlich schon früh in Deutschland, doch nahm einen ungewöhnlichen Karriereweg, bis er dann beim HSV brillierte und sich in das Herz unseres Redakteurs Julius Eid spielte.
Freiburg, Bremen, Hamburg, Argentinien
Rodolfo Estaban Cardoso wurde im Jahre 1968 geboren. Genauer gesagt am 17.10.1968 in Azul, Argentinien. Damit ist er gut ein Jahr älter als mein Vater. Dies ist die erste überraschende Erkenntnis, welche die Recherche zu diesem Artikel mit sich brachte. 1987 begann die Profikarriere Cardoso beim argentinischen Verein Estudiantes. Aus der vereinseigenen Jugend wurde der damals 18-Jährige in das Profiteam berufen – und nur zwei Jahre später folgte der Ruf aus Deutschland.
Kommen wir zum nächsten, vielleicht überraschenden Detail: Der Ruf kam vom FC 08 Homburg. Drei Jahre spielte der Argentinier dort, dann wurde der Sportclub aus Freiburg auf ihn aufmerksam. Schon im Trikot des SC konnte man einiges bewundern, was den Spieler Cardoso ausmachte. Dies fiel auch Werder Bremen auf, die Norddeutschen verpflichteten den Linksfuß nach zwei Freiburger Jahren. Cardoso schien nun endgültig im deutschen Profifußball etabliert.

Doch nun folgten ein paar weitere, bemerkenswerte Wendungen: 24 Mal lief der offensive Mittelfeldspieler in der Bundesliga für die Grünweißen auf, 4 Mal im UEFA-Cup (der hieß damals noch so) und einmal im DFB-Pokal (der heißt immer noch so). Die dabei erzielten drei Tore und zwei Vorlagen wurden den Ansprüchen an der Weser allerdings nicht gerecht, und so entschied man sich Cardoso zu verleihen – an den Erzrivalen aus Hamburg. Ein Wechsel aus der Kategorie „sehr selten“: In 28 Ligaspielen für den HSV konnte der Argentinier neun Vorlagen und zwei Tore beisteuern.
Eine solide Bilanz, welche den HSV zum Kauf überzeugte. Für zwei Millionen Mark ging es von der Weser fest an die Elbe. Doch wer nun mit dem endgültigen Durchbruch rechnete, wurde eines Besseren belehrt. Nach einer halben Saison wurde der mittlerweile 28-Jährige zurück in seine Heimat verliehen, zu Boca Juniors. Nach einem halben Jahr dort, folgte eine weitere Leihe über ein Jahr zum Jugendverein Estudiantes. Als ein 30-Jähriger kehrte Cardoso zu den Rothosen im Sommer 1999 zurück. Und dann kam sie endlich, die große Saison des Rodolfo Esteban Cardoso.
Alleskönner mit dem gewissen Etwas
In der Saison 1999/2000 spielte Cardoso 28 Bundesligaspiele und lieferte starke neun Tore und sieben Vorlagen. Der HSV qualifizierte sich am Ende der Spielzeit für die Champions League und an diesem Erfolg war der offensive Mittelfeldspieler maßgeblich beteiligt. Es war das Jahr, in dem er sich mein Herz erspielte. Weder vor dieser Saison, noch im Anschluss konnte er jemals wieder eine solche Leistung abrufen, blieb in den folgenden beiden Jahren sogar immer im einstelligen Bereich, was seine Einsätze in der Liga anging. Verletzungen warfen den formstarken Argentinier zurück. In seinem vorletzten Jahr waren noch einmal 22 Spiele und sechs Torbeteiligungen drin.
Cardoso hatte keine wirkliche Schwäche. Schon beim SC Freiburg konnte man sehen, dass der Linksfuß aus Azul eine gute Ballführung hatte, im Dribbling für Gefahr sorgen konnte. Auch sein Vollspannstoß fiel positiv auf. Mit starker Technik war „REC“ auch bei Volleys immer gefährlich. Doch im richtigen Alter kam auch noch ein herausragendes Spielverständnis hinzu und zum wuchtigen Spannstoß gesellte sich das feine Füßchen. Cardoso traf per Kopf, schlenzte einen Freistoß aus 25 Metern in den Winkel und spielte einen Pass auf den Stürmer, der eine ganze Abwehr aushebelte.

Wenn man sich an diese Saison erinnert, kann man sich eigentlich nur zwei Fragen stellen. Wie gut war eigentlich Rodolfo Esteban Cardoso? Und wie ist es möglich, dass wohl nur eine Saison so wirklich in Erinnerung bleiben wird? Denn wie geschrieben, viele seiner Fähigkeiten waren schon früh ersichtlich. Es fehlte letztendlich die Konstanz beim Argentinier. Verletzungen und der verschlungene Karriereweg dürften auch ihren Teil beigetragen haben. Doch kommen wir zu dem Punkt, der Cardoso für mich ganz besonders macht.
Seine Befähigung auf der Position des „Zehners“, einer Position die ich immer verehrte, ist nämlich nur ein Grund, warum man in dieser Rubrik über den 1,78m großen Spielmacher sprechen muss. Alles was Cardoso tat, tat er mit einer gewissen Eleganz, einem Stil und Grazie. Die Aspekte, die einen Spieler ausmachen, wegen dem man sich in diesen Sport verliebt. Cardoso war ruhig, besonnen und auf dem Platz doch immer für den besonderen Moment zu haben. Dank seiner Vielseitigkeit konnte man nie wissen, auf welche Art er es in den Highlightclip einer Partie schaffen würde. Doch am Ende musste er drin sein, das war gewiss.
Hamburg blieb Heimat
Seine Karriere beendete Cardoso dann 2004 beim HSV und blieb dem Verein bis heute erhalten. Obwohl der Argentinier schon während seiner Zeit als Spieler zwischenzeitig zurück im Heimatland war, blieb die Stadt an der Elbe seine Heimat. Als Jugendtrainer übernahm Cardoso unter anderem die U19, die U16 und die zweite Mannschaft der Rothosen. Und auch in der Bundesliga konnte man Rodolfo Esteban Cardoso noch ein paar Mal sehen. In drei Fällen sprang er als Interimstrainer ein, in zwei weiteren nahm er die Rolle des Co-Trainers ein, zuletzt von Februar bis März 2018. Seit letztem Jahr ist Cardoso Techniktrainer der Jugendmannschaft, sein Vertrag soll in diesem Sommer auslaufen. Fast nicht vorstellbar, dass seine Zeit beim HSV dann vorbei ist.

In seiner Funktion als Jugendtrainer gab er auch Lehrgänge für Jugendtrainer im Amateurbereich. Hier kommen wir zum zweiten Mal in diesem Text auf meinen Vater zu sprechen: Denn der trainierte damals meine E-Jugend und war auf einem Seminar von Cardoso. Ich konnte es nicht fassen. Als dann auch noch ein Ball mit der Unterschrift meines Helden mit nach Hause gebracht wurde, stand fest: Wenn ich irgendwann mal über Fußball schreibe, dann auch über Rodolfo Esteban Cardoso.
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