Atletico vor der größten aller Herausforderungen gegen Liverpool

18. Februar 2020 | Champions League | BY Manuel Behlert

Vorschau | Die Champions League ist zurück! Im Achtelfinale trifft Atletico Madrid auf den FC Liverpool, im Wanda Metropolitano steht also ein absolutes Topspiel auf dem Programm. Doch die Rollen sind klar verteilt.

Anstoß der Partie ist am Dienstag, 21:00 Uhr. Die Partie ist Live auf Sky Sport zu sehen.

Die offenen Fragen rund um Atletico

Generell gilt Atletico Madrid als sehr unangenehm zu spielender Gegner, der über eine sehr gute Defensivstruktur verfügt und offensiv häufig sehr effizient ist. Doch in der laufenden Saison sind rund um Atletico mehr Fragen offen als beantwortet werden. Vor der Spielzeit wurden einige Anpassungen im Kader getätigt, der umworbene Offensivstar Joao Felix kam für weit mehr als 100 Millionen Euro von Benfica. Auch Transfers wie die von Marcos Llorente (30 Mio €, Real Madrid) oder Kieran Trippier (22 Mio €, Tottenham) sollten die Ansprüche, welche die Colchoneros hatten, untermauern. Doch den Zugängen standen auch prominente Abgänge wie Lucas Hernandez (Bayern), Rodri (Man. City) und Antoine Griezmann (FC Barcelona) gegenüber. 

Die Neuorientierung nach dem Verlust einiger zentraler Spieler war alles andere als einfach und dauert streng genommen noch immer an. Real Madrid und der FC Barcelona offenbaren in La Liga einige Schwächen, Atletico kann diese aber nicht nutzen. Trainer Diego Simeone, der das für die Rojiblancos typische Defensivkonzept entworfen hat, steht erstmals über einen längeren Zeitraum in der Kritik, insbesondere weil die offensive Weiterentwicklung nur sehr schleppend vorangeht. Trotzdem ist Atletico weit davon entfernt eine katastrophale Saison zu spielen, es funktionieren aber eben weniger Elemente des simeonesken Fußballs als es in den Jahren zuvor der Fall war. 

(Photo by JOSE JORDAN / AFP)

Die angesprochene Offensivproblematik zeigt sich auch beim Blick auf die Zahlen. In 24 Ligaspielen traf Atletico lediglich 25 Mal, in der Gruppenphase der Champions League waren die Rojiblancos in sechs Spielen acht Mal. Die Gründe für die geringe Ausbeute sind vielschichtig: Im Verlauf der Saison fielen einige Offensivspieler aus, was vor allem im Fall von Joao Felix ein Problem war. Der 20-Jährige kam nicht in seinen Rhythmus, dadurch fiel die Akklimatisierung deutlich schwerer.

Auch Diego Costa hatte lange Probleme mit der Bandscheibe, befindet sich derzeit in der Aufbauphase. Hinzu kommt, dass Thomas Lemar noch immer nicht zu seiner Topform gefunden hat. All das machte es Simeone nicht einfach eine entsprechende Offensivstruktur zu generieren, dennoch müssen Lösungen gefunden werden, wenn die Ziele in dieser Saison erreicht werden sollen. 

Simeone: Defensive als Trumpf?

Und trotzdem umschwebt Atletico Madrid eine ganz besondere Aura. Niemand ist außerordentlich glücklich, wenn er die Simeone-Elf als Gegner zugelost bekommt. Diesen Gedanken wird auch Jürgen Klopp gehabt haben, als die Lose Ende Dezember gezogen wurden. Denn auch wenn Atletico nicht am oberen Limit spielt, insbesondere nicht über einen längeren Zeitraum: Diese Mannschaft ist jederzeit in der Lage, in einem Topspiel über 90 Minuten hochkonzentriert aufzutreten. Es ist schwer zu beschreiben, aber vor allem im Wanda Metropolitano kann eine Atmosphäre entstehen, die jedem Spieler auf dem Feld die Kraft verleiht, noch einen Sprint mehr anzuziehen und noch eine Lücke zusätzlich zuzulaufen.

Simeone schafft es definitiv noch immer, mit seiner Philosophie und seinem Charakter in den Köpfen der Mannschaft anzukommen. Mit dem Liverpool FC kommt derzeit das Nonplusultra des europäischen Fußballs nach Mailand und Spieler wie Saul Niguez sind zuversichtlich und wissen ganz genau, dass sie einen Plan haben, wie man die „Reds“ vor Probleme stellen kann. „Wir wissen, wie wir Liverpool wehtun können, wir kennen ihre Stärken und ihre Schwächen. Wir können in großen Spielen zuhause immer eine gute Rolle spielen“, sagte der Mittelfeldspieler dem „Guardian“. 

(Photo by Denis Doyle/Getty Images)

Eben jener Saul Niguez könnte zu einer Schlüsselfigur werden, denn kaum jemand hat das Simeone-System derart aufgesogen wie er. Saul ist technisch versiert, kann schwierigste Situationen lösen und verfügt über die Gabe, auch nach Ballverlusten ganz schnell wieder seinen Platz im Defensivkonstrukt einzunehmen. Der Spanier hat bisher nicht selten in großen Spielen geglänzt, stellvertretend steht das überragende Solo-Tor vor einigen Jahren im Halbfinale gegen den FC Bayern. Der 25-Jährige scheint bereit zu sein, erneut ein großes Spiel abzuliefern.

Liverpool: Die Maschine rollt

26 Spiele in der Premier League, 25 Siege, ein Remis. Die Superlative, um die Saison des FC Liverpool zu beschreiben, gehen dem neutralen Betrachter mittlerweile allmählich aus. Der amtierende Titelverteidiger in der Champions League ist in der Liga auf Kurs und rechnet sich natürlich auch in Europa wieder einiges aus. Die Mannschaft umgibt in dieser Saison eine Aura der Unbesiegbarkeit, Liverpool kann, so hat man das Gefühl, einfach nicht viel falsch machen.

(Photo by KRUGFOTO/APA/AFP via Getty Images)

Liverpool ist längst nicht mehr die wild und überall auf dem Feld pressende Mannschaft, die einen Gegner auffrisst. Solche Elemente können die Reds“ insbesondere an der Anfield Road, natürlich noch immer in ihr Spiel integrieren, aber der Schlüssel zum großen Erfolg in dieser Saison ist die Balance. Der Champions League-Sieger ist mittlerweile in der Lage, ein Spiel zu beruhigen, das Tempo mehrfach in einer Partie zu variieren. Die Defensive ist eingespielt und stabil, das Mittelfeld sehr gut aufeinander abgestimmt und laufstark und das Offensivtrio bestehend aus Salah, Mane und Firmino findet gegen jede Defensive in Europa ein Mittel.

Die Gruppe E schloss der Titelverteidiger als Gruppensieger ab, landete am Ende knapp vor der SSC Napoli. Die vier Spiele gegen Genk und Salzburg gewannen die Reds allesamt, die Italiener, damals noch von Carlo Ancelotti trainiert, zeigten Atletico und der gesamten europäischen Elite, wie man gegen Liverpool etwas mitnehmen kann. Im altehrwürdigen San Paolo gewann Neapel mit 2:0, an der Anfield Road erreichten die Italiener ein 1:1. In beiden Spielen erreichte Liverpool nicht das Leistungsmaximum – und das wurde eiskalt ausgenutzt.

Klopp und der Traum von der Titelverteidigung

Klopp und der FC Liverpool träumen nicht nur von der Meisterschaft, auch der Titel in der Champions League ist nach der bisherigen Saison alles andere als ausgeschlossen. Der deutsche Trainer teilte zwar kürzlich mit, dass andere Klubs, darunter Juventus, eher zu den Favoriten zu zählen sind, die Zahlen sprechen aber für sich. Bis zum Titel sind noch einige Schritte zu absolvieren, die Vorfreude auf die Spiele gegen Atletico Madrid ist groß – auch bei den Anhängern der „Reds“.

„Persönlich freue ich mich seit Wochen auf die Partie mit Atletico Madrid. Nach knapp neun Monaten kehrt der Liverpool FC wieder an die Stätte zurück, in welcher der sechste Champions-League-Titel gewonnen und ausgiebig gefeiert wurde. Spieler und Fans sehen diesem Spiel mit Freude entgegen“, verriet uns Richard Köppe (Redmen Family).

(Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Trotz der grandiosen Saison ist Vorsicht geboten, denn der herausragende Lauf in der Liga nutzt auch nichts, wenn eines der entscheidenden K.O.-Spiele nicht mit vollumfänglicher Aufmerksamkeit angegangen wird. Klopp wird gefordert sein, seine Mannschaft auf den enormen Widerstand, der seitens Atletico zu erwarten ist, einzustellen.

Effizienz als Schlüssel?

Atletico will in den beiden Spielen gegen Liverpool zeigen, dass man auch in dieser Saison in der Lage ist, dem eigenen Ruf in K.O.-Spielen gerecht zu werden. Dafür müssen aber die Automatismen greifen, die im Ligaalltag oftmals nicht greifen. Der Schlüssel zum Sieg – und das gilt nicht nur für Atletico – könnte die Effizienz sein.

Das Prunkstück der Gastgeber ist natürlich die Defensive, auch Liverpool ist in der Abwehr enorm gefestigt. Das Hinspiel könnte also eine Art taktisches Schachspiel werden, denn die Reds zeigten oft, dass sie nicht viele und vor allem keine klaren Torchancen benötigen, um Treffer zu erzielen.

(Photo by Denis Doyle/Getty Images)

Dass Salah, Firmino, Mane & co. in der Lage sind die angesprochene Effizienz auf den Platz zu bringen, haben sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Bei Atletico, das voraussichtlich mit Angel Correa und Alvaro Morata im Offensivbereich beginnen wird, bestehen noch Zweifel. Wenn es aber jemandem gelingt, zu diesem wichtigen Zeitpunkt die letzten Prozentpunkte aus den Spielern herauszukitzeln, dann ist es natürlich „El Cholo“, Diego Simeone.

Nuancen werden also im Wanda Metropolitano entscheidend sein. Atletico muss aufgrund der Heimstärke des FC Liverpool mit zunehmender Spieldauer sukzessive das Risiko erhöhen, wenn es nicht gelingt, die Führung zu erzielen. Liverpool wird seinerseits sehr geduldig spielen müssen. Ein hektisches Spiel mit vielen Unterbrechungen und einer aufgeheizten Atmosphäre ist genau das, was Atletico will. Darauf darf sich die Mannschaft von Jürgen Klopp nicht einlassen.

Prognose

Wir haben Richard Köppe von der „Redmen Family“ um eine Prognose gebeten:

Sportlich wird es ein interessanter Wettkampf, denn Atletico Madrid ist und bleibt ein unangenehmer Gegner, gerade in der K.O-Phase. Jedoch sollte sich Liverpool gegen die kriselnden Colchoneros durchsetzen können. Die Rückkehr von James Milner, Fabinho und allen voran Mané sorgt wieder für mehr Qualität und ausgeruhte Beine im Kader. So verrückt es klingen mag, aber Liverpool hat trotz der Rekordsaison noch Luft nach oben. Atletico muss auf der anderen Seite auf einige verletzte Leistungsträger wie Costa und Kieran Trippier verzichten. Auch ein Einsatz von Joao Felix steht noch in den Sternen.

Einen Kantersieg in Madrid halte ich aber dennoch für unwahrscheinlich. Atletico weiß, wie man verteidigt und das körperbetonte Spiel, welches Simeone spielen lässt, könnte den temporeichen Angriff der Reds das ein oder andere Mal ausbremsen. Auf Dauer kann Liverpool aber nicht am Torerfolg gehindert werden. Ich erwarte deswegen ein ähnliches Spiel wie gegen Norwich am Samstag.

(Photo by KARIM JAAFAR / AFP) 

Zusätzlich haben wir noch unser eigenes Abwehrbollwerk. Alisson pariert seit Wochen stark und hat in dieser Saison jetzt schon mehr Spiele ohne Gegentor als jeder andere Keeper in der Premier League, obwohl er zu Beginn der Saison zwei Monate verletzt ausfiel. Virgil van Dijk und Joe Gomez haben wieder zueinander gefunden und haben im neuen Kalenderjahr bisher nur ein Gegentor zugelassen. Für mich kann Atletico nur durch Standards zum Torerfolg kommen.

Es wird eine unangenehme Aufgabe für Liverpool am Dienstag, aber ich gehe davon aus, dass Klopps Mannschaft mit 2:0 im Wanda Metropolitano siegen wird.

Mögliche Aufstellungen:

Atletico Madrid: Oblak – Arias, Gimenez, Felipe, Renan Lodi – Thomas, Koke, Saul, Carrasco (Llorente) – Correa, Morata

FC Liverpool: Alisson – Alexander-Arnold, van Dijk, Gomez, Robertson – Henderson, Fabinho, Wijnaldum – Salah, Mane, Firmino

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Manuel Behlert

(Photo by GABRIEL BOUYS/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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