Wohin führt das Hoch des HSV?

13. April 2017 | Nachspielzeit | BY Steffen Gronwald

Der Hamburger Sport Verein, bis Mitte der Hinrunde schon als ein sicherer Absteiger gehandelt, befindet sich aktuell mächtig im Aufwind. Doch wer steckt eigentlich hinter dem Aufwind und wo führt der Weg der Hanseaten hin?

 

 Die Personalie Markus Gisdol

Markus Gisdol ist seit dem fünften Spieltag für den Hamburger SV verantwortlich. Der Trainer kam mit dem Auftrag, den Dino zu retten und in stabile Gewässer zu führen. Dies klappte zunächst jedoch gar nicht. Es hagelte schon nach den ersten Auftritten haufenweise Kritik, es habe sich nichts verändert, die Mannschaft könne nichts und gehöre nun endlich in die zweite Bundesliga. Doch wer genau hinschaute, dem fiel auf, was Markus Gisdol veränderte. So langsam konnte man – nach langer Zeit wieder – ein taktisches System im Volkspark erkennen, es steckte eine Idee hinter dem Fußball, der dort gespielt wurde. Jedoch war die Verunsicherung der Spieler so groß, dass zu viele und vor allem einfache Fehler oft zu Gegentoren führten, diese besiegelten dann schlussendlich die Niederlagen. Und schon war Markus Gisdol unter Beschuss. Vor dem Nord-Derby in der Hinrunde forderten die ersten Kritiker bereits den Rauswurf. Das Spiel ging 2:2 aus, der HSV verspielte eine zweimalige Führung, doch es sollte der Anfang einer famosen Aufholjagd werden.

Die Spieler haben bis zum jetzigen Zeitpunkt das Spielsystem begriffen, spielen aggressives, teils permanentes Pressing. Zudem sorgen Nickligkeiten und eine harte Gangart für viele Unterbrechungen und einen stockenden Spielfluss, mit dem nicht viele Gegner zurecht kommen. Der Abstiegskampf wird in Hamburg nicht nur Ernst genommen, nein, seit einigen Monaten wird er wahrlich gelebt: Vom Trainerteam, von den Spielern und von den Zuschauern. Eine Einheit, die sich von Rückschlägen nicht einschüchtern lässt, die stets bis zur letzten Sekunde um entscheidende Punkte kämpft. Kein Wunder also, dass bei den Heimsiegen 2017 das Siegtor stets in den letzten 15 Minuten gefallen ist. Wie knapp und intensiv es meist ist, zeigen die neun Auftritte (alle ungeschlagen) im heimischen Volkspark, die entweder 1:0 (3x), 2:1 (4x) oder 2:2 (2x) ausgingen. Das Training gestaltet Markus Gisdol anders als sein Vorgänger Bruno Labbadia. Die Einheiten sind nun kürzer, jedoch intensiver. Die Mannschaft ist also fit, physisch wie psychisch.

 

Die Personalie Christian Spreckels

Kaum einer weiß mit diesem Namen etwas anzufangen, jedoch ist diese Personalie ein großer und immens wichtiger Faktor beim Kampf gegen den Abstieg. Spreckels ist diplomierter Sportwissenschaftler, Psychologe und leitet unter anderem verschiedene Kurse an der Uni Hamburg. Zunächst war er lediglich für den HSV-Nachwuchs gedacht. Klingt soweit recht unspektakulär, doch was er leistet ist laut Lewis Holtby enorm:

Er beobachtet und analysiert uns ganz genau, ist immer für uns da. Wir nutzen das jeden Tag und sprechen viel mit ihm. Er macht das hervorragend und hat einen großen Anteil daran, dass wir uns aus dem schwarzen Loch befreien konnten.

[Hamburger Morgenpost]

Ein Pluspunkt für den HSV also, wenn sich ein ausgeglichenes Spiel dem Ende neigt und die entscheidenden Minuten bevorstehen. Der Psychologe hält sich laut eigener Aussage während der Spiele meist im Innenraum oder in den Katakomben auf. Was in genau Spreckels mit den Profis bespricht, an was für Knöpfen er gedreht hat und wie man sich den Alltag beim HSV vorstellen kann, durfte und wollte er auf Nachfrage von 90Plus nicht verraten. Man habe die Vereinbarung mit dem Verein getroffen, in der aktuellen Situation sämtliche Medien-Anfragen abzulehnen.

 

Die Festung Volkspark

Was für ein Lärmpegel mittlerweile im Volkspark herrscht, ist kaum in Worte zu fassen. Die Explosivität von knapp 51.000 Hamburgern beim Siegtor von Lewis Holtby gegen Köln war absolut atemberaubend. Nicht umsonst werden die heimischen Fans schon beinahe obligatorisch in den Interviews nach Spielende als Faktor für den Sieg genannt. Dies musste auch Hoffenheim-Coach Julian Nagelsmann anerkennen, indem er zugab, dass die Zuschauer so laut gewesen seien, dass er mit seinen Anweisungen niemanden auf dem Feld erreichen konnte.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Wie geht es für den HSV nun weiter?

Zunächst einmal steigt am Ostersonntag das 106. Nord-Derby der Bundesliga, keine Partie wurde bislang öfter gespielt. Mit vier Punkten Vorsprung vor dem Relegationsrang 16 befürchten nicht wenige einen eventuellen Spannungsabfall und den Hang zur Nachlässigkeit bei den Hamburgern. Von solchen Fragen und Befürchtungen hält der Hamburger Trainer jedoch nicht viel:

Ich habe Nachlässigkeit bei dieser Mannschaft noch nicht festgestellt. […] Als Trainer würde ich diese Tendenzen schon während einer Trainingswoche erkennen. Ich finde deshalb, dass diese Frage unserer Mannschaft nicht gerecht wird.

[Kicker]

Gewinnt der HSV in Bremen, rückt der vorzeitige Klassenerhalt immer näher. Und auch wenn nicht, ein Vorteil sind die restlichen (Heim-)Spiele. Es geht nur noch gegen Vereine, welche ebenfalls im Abstiegssumpf stecken. Zu Hause trifft man unter anderem auf Schlusslicht Darmstadt, Mainz 05 und den VfL Wolfsburg. Der Hamburger SV hat – stand jetzt – alles in der eigenen Hand und sollte aufgrund der aktuellen Form den Klassenerhalt schaffen. Jedoch vorausgesetzt, dass die Mannschaft nicht erneut in ein Loch, wie zum Beispiel Wolfsburg in der jüngsten Zeit, fällt. Dass es dazu nicht kommt, werden Gisdol, Spreckels und der gesamte HSV zu verhindern wissen.

Steffen Gronwald

Steffen verfolgt primär den Vereinsfußball, fühlt sich im deutschen Ober- und Unterhaus zu Hause - verfolgt zugleich aber auch La Liga und die Premier League intensiv. Ob Offensivspektakel oder "park the Bus", fesseln tut ihn beides, zudem steht bei ihm auch der Schiedsrichter im Fokus. Seit 2016 bei 90PLUS.


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