EM 2021 | Deutschland nach dem Aus: Die Quittung für fehlenden Mut

30. Juni 2021 | Trending | BY Manuel Behlert

Spotlight | Die Ära Joachim Löw als Bundestrainer ist beendet, die deutsche Mannschaft aus der EM 2021 ausgeschieden. Mit 0:2 verlor die DFB-Auswahl im Wembley gegen England. Das hatte zahlreiche Gründe, hätte aber womöglich verhindert werden können.

  • Deutschland fehlt der Mut
  • England eiskalt, Deutschland ohne Druck
  • DFB-Team: Zeit für den Neustart

Deutschland scheidet gegen England aus

Sowohl die deutsche als auch die englische Nationalmannschaft sind mit herausragenden Fußballern besetzt. Ein Leckerbissen konnte im direkten Duell allerdings nicht erwartet werden. England spielte pragmatisch, setzte auf viel Arbeit gegen den Ball und versuchte lange, mit ruhenden Bällen zum Erfolg zu kommen. Die deutsche Mannschaft ging ebenfalls zu selten in das Risiko, obwohl sich früh zeigte, dass ein konsequentes Bespielen des Raumes zwischen der Dreierkette und den beiden defensiven Mittelfeldspielern für Unruhe sorgen kann. Doch zu diesen Situationen kam es zu selten. Am Ende gewann England mit 2:0. 

EM 2021 Deutschland

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Das bedeutet, dass schon nach dem Achtelfinale alle Teilnehmer der so genannten „Todesgruppe F“ ausgeschieden sind. Für Deutschland ist ein Aus bei der EM 2021 gegen England keine Vollkatastrophe, allerdings wirft das „wie“ Fragen auf. Fragen, die Joachim Löw (61) nach dem Spiel nicht beantworten konnte – oder wollte. Ja, England war nicht haushoch überlegen und das Spiel war über weite Strecken eng. Und Deutschland hatte zwei herausragende Möglichkeiten. Hätte man diese genutzt, dann hätte es womöglich für das Viertelfinale gereicht. Diese Argumentation ist aber zu einfach.

EM 2021: Der fehlende Mut bringt Deutschland das Aus

Denn je mehr Chancen sich eine Mannschaft im Verlauf eines Spieles herausarbeitet, desto weniger überlässt man Faktoren wie Zufall oder Effizienz. Deutschland hat die Spieler, um offensiv für Furore zu sorgen. Die Engländer reagierten auf die Fünferkette und die offensivstarken Wingbacks, spielten ebenfalls mit drei Spielern in der hintersten Reihe und setzten zwei dynamische Spieler auf der Außenposition davor. Das alleine ist aber nicht die Erklärung, warum die Löw-Elf so viele Probleme dabei hatte, Chancen zu kreieren. Solange es 0:0 stand, ging der Plan des Bundestrainers zumindest einigermaßen auf. Anschließend hätte aber schneller reagiert werden müssen.

Der erste Wechsel geschah noch vor dem Gegentor: Serge Gnabry (25) kam für Timo Werner (25). Ein positionsgetreuer Tausch. Noch stand es 0:0, das änderte sich aber bald, als Raheem Sterling (26) das Wembley Stadium erstmals zum Beben brachte. Eine sofortige Reaktion von der Trainerbank? Fehlanzeige. Deutschland hatte in den 75 Minuten zuvor keine einzige Phase, in der das Spiel über mehrere Minuten hinweg druckvoll gestaltet werden konnte. England wurde nicht einmal wirklich länger in die eigene Hälfte gedrückt. Und das muss sich die Mannschaft, aber auch der Trainer ankreiden lassen. Nach dem 1:0 und dauerte es Minuten, ehe Löw erneut reagierte. Leroy Sane (25) und Emre Can (27) betraten das Feld. Kevin Volland (28)? Fehlanzeige. Jamal Musiala (18), der gegen die Ungarn die Statik des Spiels veränderte und den Ausgleich entscheidend herbeiführte? Kam in der 92. Minute nach dem 0:2. 

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Das Risiko des geringen Risikos

Bleibt festzuhalten, dass Deutschland im Spiel nach vorne ein relativ geringes Risiko einging. Doch vielleicht war genau das ein Risiko. Dass England defensiv stabil ist, ist kein Geheimnis. Dass die DFB-Elf allerdings Probleme im Defensivbereich hat und in der Gruppenphase schon fünf Gegentore kassierte, ist ebenfalls vor dem England-Spiel bekannt gewesen. Vielleicht war es die Angst vor schnellen Gegenangriffen oder es lag ein anderer Grund vor, aber das Warten auf den entscheidenden Fehler anstatt ihn effektiv zu provozieren ist ein Element, das eigentlich nicht zu dieser Mannschaft passt. Dabei geht es noch nicht einmal um die Frage, ob Joshua Kimmich (25) im Zentrum oder rechts besser aufgehoben ist oder um Sinn und Unsinn einer Dreierkette.

Deutschland EM 2021

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Spätestens nach dem 0:1 hätten unmittelbar Signale von Außen kommen müssen. Natürlich ist ein Jamal Musiala unerfahren, aber nicht selten hilft die Unbekümmertheit eines Profis, der jung ist und sich vielleicht noch nicht so viele Gedanken macht, in einem solchen Spiel weiter. Er ist ein Spieler, der stark im 1-gegen-1 ist, Ideen hat, Kreativität ausstrahlt und Überzahlsituationen herstellen kann. Mit weiteren, frischen Offensivkräften hätte sich noch eine Schlussoffensive entwickeln können. Natürlich wäre das mit dem Risiko eines entscheidenden Konters verbunden gewesen, aber die Wahrscheinlichkeit auf eine eigene Großchance, die einem geplanten Ablauf entspringt, wäre höher gewesen. Und zur Erinnerung: Den Gegenangriff zum 0:2 kassierte die Mannschaft auch so.

Deutschland nach der EM 2021: Neustart mit Hansi Flick

Die „Ära Löw“ ist nun also beendet. Und diese ist differenziert zu betrachten. Vieles war gut, insbesondere in den Anfangsjahren. Spätestens 2018, nach dem enttäuschenden Turnier in Russland, wäre es aber für alle besser gewesen, wenn ein Schlussstrich gezogen worden wäre. Einen Neuanfang gibt es jetzt, nach der EM 2021, 1 1/2 Jahre vor dem nächsten großen Turnier, für das sich diese Mannschaft erst noch qualifizieren muss. Hansi Flick (56) übernimmt das Amt des Cheftrainers, einige Strukturen im Hintergrund bleiben aber gleich. Ob das sinnvoll ist, lässt sich an anderer Stelle diskutieren.

Ein „Weiter so“ wird es unter Flick sehr wahrscheinlich nicht geben. Er ist ein Trainer, der es liebt, das Maximum aus der Mannschaft herauszuholen, wenn es um offensive Abläufe und intensives Pressing geht. Wie schnell er beim FC Bayern essenzielle Fortschritte im Spiel erreichte, war beeindruckend. Über die Defensivabsicherung lässt sich streiten, diese war nicht ideal, als nicht alle Abläufe im Spiel des Rekordmeisters stimmten. Eines lässt sich über Flick aber definitiv sagen: Das Risiko im Spiel scheut er nicht. 

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Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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