EM 2021 | Tschechien im Viertelfinale: Keine zufällige Entwicklung

3. Juli 2021 | Global News | BY Manuel Behlert

Spotlight | Die tschechische Mannschaft steht im Viertelfinale der EM 2021. Im Achtelfinale gelang ein Sieg gegen die Niederlande. Diese Leistung ist kein Zufall, sondern die Folge guter Arbeit und kontinuierlicher Entwicklung. 

  • Nationen wie Tschechien holen auf
  • Eine neue „goldene Generation“?
  • Tschechien kann auch Dänemark bezwingen

EM 2021 Tschechien hat einen klaren Plan

Es war nicht nur das Achtelfinale gegen die Niederlande, das gezeigt hat, wie gut die tschechische Mannschaft ist. Schon in der Gruppe mit England, Schottland und Kroatien wusste Tschechien zu gefallen. Die Mannschaft verfolgt einen klaren Plan, ist sehr gut ausbalanciert und fand bisher fast gegen jeden Gegner Mittel, um offensiv Akzente zu setzen. Die Entwicklung in den letzten Jahren ist positiv, Trainer Jaroslav Šilhavý (59) hat einen großen Anteil daran. Doch nicht nur er verdient Aufmerksamkeit.

Natürlich ist es der Trainer, der die Ausrichtung auswählt und der ein System findet, das zu den vorhandenen Spielertypen passt. Aber die Spielertypen müssen auch irgendwo herkommen und eine taktische Ausbildung genießen, die es dem Trainer ermöglicht, einen Fußball geprägt von viel Disziplin und Ordnung zu spielen. Der klare Plan, den die Tschechen verfolgen und verfolgen können, kommt nicht von ungefähr. Große Spieler hatte diese Nation in der Vergangenheit häufiger, allerdings könnte der jüngst eingeschlagene Weg auch nachhaltig sein.

In Tschechien tut sich was

Blicken wir zurück in das Jahr 2018. Dort fand die Weltmeisterschaft in Russland statt – ohne Tschechien. Die Mannschaft scheiterte in der Qualifikationsphase als Drittplatzierter in einer Gruppe mit Deutschland und Nordirland. Nur vier der zehn Spiele konnten gewonnen werden. Daraus zog man im Verband Rückschlüsse, zumal auch die U21 in diesem Sommer nicht an der Europameisterschaft teilnahm. Jaroslav Šilhavý übernahm das Amt des Cheftrainers, profitierte aber auch davon, dass in Tschechien bereits ein Prozess im Gange war, der sich mittlerweile auch bei den Vereinsmannschaften zeigt.

Silhavy EM 2021 Tschechien

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Tschechische Mannschaften, ausgestattet mit jungen Spielern aus der Heimat, können international nämlich durchaus mithalten. Mit Viktoria Pilsen und Slavia Prag erreichten 2018/19 zwei Teams die K.O.-Runde der Europa League, für Slavia ging es sogar bis in das Viertelfinale. 2020/21 zeichnete sich ein ähnliches Bild ab, Slavia schlug Leicester City und die Glasgow Rangers, stand wieder im Viertelfinale. Auch das ist alles kein Zufall. Die Ausbildung und Einbindung junger Spieler funktioniert in Tschechien immer besser, gute Leistungen auch im Europapokal sind ein Sprungbrett für Talente. 

Eine gute Ausbildung hat höhere Qualität zur Folge

Vladimir Coufal (28, West Ham), Pavel Kaderabek (29, Hoffenheim), Tomas Soucek (26, West Ham), Jakub Jankto (25, Sampdoria), Antonin Barak (26, Hellas) und Patrik Schick (25, Leverkusen) sind nur einige Beispiele von Spielern, die den Sprung in eine der großen Ligen geschafft haben. Und Talente wie David Zima (20, Slavia) oder der heiß umworbene Adam Hlozek (18, Sparta) dürften in Kürze folgen. Eine bessere Ausbildung bedeutete höhere Qualität. Die höhere Qualität in der Liga bedeutet, dass die jungen Spieler besser gefördert werden. Das hat zur Folge, dass sie gegebenenfalls noch ein Jahr länger in ihren Vereinen bleiben. Dadurch steigt die potenzielle Summe, die die Klubs einnehmen können. Das Geld kann wiederum reinvestiert werden, ob in die weitere Verbesserung der Infrastruktur in der Jugend oder aber in Spieler, die das Niveau erhöhen (können).

In diesem Kreislauf, der zum Erfolg führen kann, befindet sich der tschechische Fußball gegenwärtig. Es ist keine Garantie, aber es können zumindest sehr gute Voraussetzungen geschaffen werden. Arbeiten die Klubs dann noch gut und verbessern sich die Strukturen in der Ausbildung und in den Leistungszentren weiter, können auch Nationen ohne eine „große Liga“ international aufholen. Zur Erinnerung: Tschechien steht nicht nur im Viertelfinale der EM 2021, die U21-Auswahl nahm auch an der Europameisterschaft teil und holte unter anderem einen Punkt gegen Italien. Auffällig: Fast alle Spieler dieser U21 spielen in der Heimat.

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EM 2021: Tschechien schlägt unaufgeregt zu

Doch zurück zur EM 2021, denn dort schreibt Tschechien auch positive Schlagzeilen. Vor dem Turnier wussten viele Experten nicht genau, was sie mit diesem Team anfangen sollen. Von „Überraschungskandidat“ bis „nicht die Rede wert“ gingen die Meinungen weit auseinander. Am ersten Spieltag glänzte Tschechien nicht, aber es gewann. Mit 2:0 gegen Schottland. Die Tschechen spielten effizient, nutzten die sich bietenden Räume und waren eiskalt zur Stelle, als Schottland etwas anbot. Gegen Kroatien zeigte sich ein ähnliches Bild. Auch hier gelang es, die Räume eng zu machen, kompakt zu sehen und die Lücken durch viel läuferische Arbeit zu schließend. Und erneut ging Tschechien in Führung, wieder durch den Leverkusener Schick, der zuweilen wie ein ganz anderer Spieler wirkt. Auch das ist ein Verdienst des Trainers, der die Qualitäten der Spieler für die gesamte Mannschaft nutzt, die Mannschaft aber auch so spielen lässt, dass sich die einzelnen Spieler wohl fühlen.

Tschechien EM 2021

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Der Plan der Tschechen ging über weite Strecken auch bei der Niederlage gegen England (0:1) auf. Die Three Lions hatten relativ wenig eigene Chancen. Die Silhavy-Elf schaffte es in dieser Partie lediglich nicht, in der Offensive die gewünschten Räume zu bespielen. England, ein individuell sehr gut besetztes Team, hatte zwar Mühe mit dieser Mannschaft, gewann am Ende aber. Das gelang der Niederlande, einer Mannschaft, die zwar ebenfalls gut besetzt ist, die aber schon in der Gruppenphase Probleme offenbarte, eben nicht. Zwar kam das Aus der Elftal mit Ansage, die Tschechen hatten aber einen enormen Anteil daran

Der Erfolg im Achtelfinale war der bisherige Höhepunkt der Silhavy-Ära. Tschechien bezwang einen Gegner, der individuell besser war, mit einer cleveren Taktik und einem Plan, den jeder Spieler umsetzte. Es war auch keinesfalls unverdient, denn schon zu Beginn des Spiels, als noch Gleichzahl herrschte, dachte Tschechien nach Ballgewinn offensiv. Die Analyse der Probleme von Oranje funktionierte und der Gegner fand kein Mittel. Tschechien gewann mit 2:0 und spielt nun das Viertelfinale gegen Dänemark. 

Tschechien: Wo kann die Reise hingehen?

Die Dänen werden ihr Spiel anders aufziehen, als es die Niederlande machte. Die Systematik ist grundsätzlich nicht unähnlich, allerdings könnte Dänemark mit der Wucht, die diese Mannschaft in ihrem Spiel hat und dem cleveren Pressing ein Gegner sein, der Tschechien sehr viele Probleme bereiten kann. Darüber hinaus sollten die Dänen sogar flexibler sein, als es die Niederlande im Achtelfinale waren. Und trotzdem ist die tschechische Auswahl entspannt. Weil sie weiß, dass ihr System funktioniert. Und weil sie weiß, dass auch von der Bank noch Qualität nachgelegt werden kann. Das beste Beispiel ist der Ausfall von Vladimir Darida (30) gegen die Niederlande, der vor der Partie als Katastrophe dargestellt wurde, während des Spiels aber kaum auffiel. 

Bleibt zu fragen, wo die Reise von Tschechien hingehen kann. Diese Mannschaft spielte bis dato ein gutes Turnier und sicher auch nicht jede Minute am Limit. Die Automatismen sind vorhanden, die Zahnräder greifen ineinander. Wenn eine Mannschaft dann noch merkt, dass sie mit großen Gegnern mithalten und diese sogar schlagen kann, ist vieles möglich. Ein Sieg gegen Dänemark? Ja, natürlich. Ein Weiterkommen gegen den Halbfinalgegner, der aus dem Spiel Deutschland/England gegen Schweden/Ukraine ermittelt wird? Warum denn nicht? Und plötzlich stünde diese Mannschaft im Endspiel. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Klar ist aber, dass aufgrund der Altersstruktur und der Entwicklung im nationalen Fußball der Weg – insgesamt betrachtet – gerade erst angefangen hat. 

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Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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