EM-Triumph 1992: Wie Danish Dynamite die Fußballwelt auf den Kopf stellte

3. Juni 2021 | Spotlight | BY Sarom Siebenhaar

Spotlight | Bei der EM 1992 machte Dänemark dem Schlachtruf „We are red, we are white, we are danish dynamite“ alle Ehre und stellte die Fußballwelt auf den Kopf. 

Dänemark als Einheit zum EM-Titel ’92

Als am 26. Juni 1992 der Schlusspfiff von Schiedsrichter Bruno Galler (74) ertönte, waren die Spieler und der Trainerstab der dänischen Nationalmannschaft nicht mehr zu halten. Soeben hatte man völlig überraschend den amtierenden Weltmeister Deutschland im Finale der Europameisterschaft mit 2:0 bezwungen und sich zum Europameister gekrönt. Für Dänemark war es der erste aber bisher einzige große Titel. „Wir sind ein kleines Land, vielleicht fünf Millionen Leute“, sagte Torhüter Peter Schmeichel (57) gegenüber BBC.  „Einfach fantastisch“ nannte der Keeper diesen Triumph.



Europameister-Coach Richard Möller Nielsen, 2014 im Alter von 76 Jahren verstorben, wusste von Vornherein um die Qualitäten seiner Mannschaft. „Wir hatten vielleicht nicht die absoluten Superstars“, gab er im Rückblick auf BBC zum Besten. „Aber zusammen, als Einheit, waren wir das beste Team“, erklärte er. Allerdings sei hier erwähnt, dass man mit Schmeichel einen, wenn nicht sogar den besten Torhüter der damaligen Zeit zwischen den Pfosten stehen hatte. „Die Leute erinnern sich immer noch dran“, sagte der 57-Jährige.

„Es ist unglaublich toll, Teil dieses Moments gewesen sein zu dürfen. Teilweise wirst du immer noch auf der Straße darauf angesprochen“, fügte der Schlussmann hinzu und machte deutlich, wie hoch der Erfolg von Danish Dynamite einzuordnen ist: „Es steht in keinem Verhältnis zu jeglichen anderen sportlichen Errungenschaften in der Geschichte Dänemarks!“ Die Freude in der Heimat war riesig, zehntausende Menschen strömten nach dem Erfolg die Innenstadt Kopenhagens und feierten bis in die Morgenstunden. Wie kam es dazu?

Dänemark Fans beim EM-Tirumph '92

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Jugoslawien von EM ’92 ausgeschlossen, Dänemark rückt nach

Neben Schmeichel war auch Brian Laudrup (52) eine der Führungsfiguren der damaligen Mannschaft. Laudrup offenbarte, dass es vor dem Finale eine Begegnung mit dem deutschen Capitano Stefan Effenberg (52) gegeben hat. „Wir haben miteinander gesprochen und abgemacht, nach dem Finale die Trikots zu tauschen“, erzählte Laudrup. „Ich konnte es an seiner Stimme hören. Dass es am Ende nur eine Frage sein würde, wie hoch sie (Deutschland, Anm.d.Red.) gewinnen würden“, sagte der ehemalige Offensivakteur. „Nach dem Abpfiff habe ich mich nach ihm umgeschaut. Ob er bereit ist, Trikots zu tauschen. Aber er war nirgends zu finden“, offenbarte Laudrup. „Ich habe ihn nie gesehen“, ergänzte er. Knapp einen Monat zuvor war mit diesem Szenario überhaupt nicht zu rechnen.

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Denn eigentlich hatte sich die dänische Nationalmannschaft sportlich nicht für die Endrunde im Nachbarland Schweden qualifiziert. In der EM-Qualifikationsgruppe 4 mit Nordirland, Österreich, den Färöer-Inseln und Jugoslawien belegte man am Ende nur den zweiten Platz. Zur Zeit der EM-Endrunde wüteten allerdings die Balkankriege in Jugoslawien, die letztlich auch im Zerfall des Staates mündeten. Zehn Tage vor Beginn der Europameisterschaft sahen sich die UEFA und FIFA letztlich gezwungen, Jugoslawien vom Turnier auszuschließen. Gleichzeitig gaben die Verbände bekannt, dass der Tabellenzweite Dänemark den Platz Jugoslawiens einnehmen würde.

Nationaltrainer Möller Nielsen von seiner Mannschaft überzeugt

„Ich bekam den Anruf, dass wir uns alle in Kopenhagen treffen würden und eine Woche Zeit haben, um uns vorzubereiten“, erklärte Laudrup. „Ich dachte mir, dass wir nicht den Hauch einer Chance haben werden“, ergänzte er. Dazu kam das Fehlen seines Bruders Michael Laudrup (56), der seinerzeit als der wohl talentierteste dänische Kicker galt, sich aber mit Trainer Möller Nielsen überworfen hatte. Außerdem wurde auch der eigentlich so wichtige Jan Mölby (57) nicht berücksichtigt. Dennoch war vor allem ein Mann vom Erfolg seiner Mannschaft von Beginn an überzeugt: Nationaltrainer Möller Nielsen. „Er stand bei unserem ersten Training in unserer Mitte und sagte uns ganz klar: Wir fahren nach Schweden, um den Wettbewerb zu gewinnen“, offenbarte Brian Laudrup. Das sorgte im ersten Moment für viel Unverständnis, „wir haben alle gelacht“.

Dennoch hatte Möller Nielsen seine Mannschaft offenbar zum Nachdenken gebracht. „Ich denke, in diesem Moment hat er die Träume und den Glauben in uns geweckt, dass wir das Unmögliche möglich machen können“, konstatierte Laudrup. In Gruppe 1 der EM-Endrunde von 1992 warteten mit Gastgeber Schweden, England und Frankreich aber schwierige Gegner. Zum Start bekam es Dänemark mit dem Mutterland des Fußballs zu tun. „Ich habe meinen Spielern gesagt: Wenn wir gegen England Unentschieden spielen, wissen wir, dass wir auf demselben Level sind“, sagte Möller Nielsen.

Flemming Povlsen und Torben Frank (beide Dänemark) jubeln

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Das 0:0 gegen die Three Lions bestätigte seine Meinung. Dennoch wäre gegen England mehr drin gewesen. „Wir waren am Ende komischerweise sogar enttäuscht“, sagte Schmeichel. Dem „guten“ Ergebnis folgte allerdings ein ernüchterndes 0:1 gegen Schweden. Auch hier war Dänemark eigentlich das bessere Team, frustrierte aber erneut mit einer schwachen Chancenverwertung. „Nach dem Spiel dachten wir, es wäre vorbei“, so Schmeichel. In der alles entscheidenden Partie gegen die Équipe Tricolore feierte Danish Dynamite am Ende einen verdienten 2:1-Sieg und war damit für das Halbfinale qualifiziert. Vor allem die Einstellung in dieser Begegnung stimmte. Grund dafür dürften auch die Kommentare und Überheblichkeit einiger Spieler Frankreichs gewesen sein. „Sie haben gesagt, dass wir nicht zu hart mit ihnen umspringen sollen. Sie hätten schließlich noch ein Halbfinale zu spielen“, erinnerte sich Schmeichel.

Hitchcock-Thriller im Halbfinale gegen die Niederlande

Im EM-Halbfinale wartete mit den Niederlanden der nächste große Titelfavorit auf Dänemark. Der Kader der Elftal war gespickt mit großen Namen. Ruud Gullit (58), Ronald Koeman (58), Marco van Basten (56) oder Dennis Bergkamp (52) sind nur ein paar der „großen“ Namen, die Oranje damals in ihren Reihen hatte. Van Basten sollte später noch zum tragischen Held des Duells werden. „Als wir im Tunnel stande,n habe ich mich nach ihnen umgeschaut“, sagte Laudrup. „Dann habe ich mir unsere Mannschaft angeschaut. Wir haben nicht wirklich wie die Besten ausgesehen“, gestand er. Aber auch auf ihren Gesichtern will Laudrup einen Hauch von Arroganz gesehen haben. „Jeder rechnete mit einem Finale zwischen Deutschland und Niederlande“, verriet er. Die folgenden 120 Minuten plus Elfmeterschießen waren wohl die besten des Turniers.

van Basten (Niederlande) Schmeichel (dänische Nationalmannschaft) im Elfmeterschießen

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Die Dänen gingen zweimal in Führung, Frank Rijkaard (58) markierte erst kurz vor Ende der regulären Spielzeit den späten Ausgleich. Dazu musste Dänemark den Verlust eines seiner besten Spielers wegstecken. „Die furchtbare Verletzung von Henrik Andersen (56) hat uns in gewisser Weise auch ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen“, erklärte Schmeichel. Anders als in den ersten 90 Minuten, blieb die Verlängerung torlos, das Elfmeterschießen musste her. „Wir wussten, dass wir eine gute Chance im Elfmeterschießen haben würden“, erklärte Laudrup. „Weil wir Schmeichel hatten, der immer gut für die eine Parade ist“, ergänzte er. Eben jene Parade trat bereits beim zweiten Elfmeter zutage, den van Basten kläglich vergab. 7:6 (2:2 n.V.) für Dänemark lautete am Ende das Ergebnis. Möller Nielsen sagte im Anschluss, dass selbst Thriller-Autor Hitchcock kein besseres Fußballmatch hätte schreiben können.

Schmeichel Garant für den EM-Triumph Dänemarks

Im Finale wartete schließlich die deutsche Nationalmannschaft, die zuvor im Halbfinale Gastgeber Schweden in einer eng umkämpften Partie mit 3:2 bezwungen hatten. Zwei Jahre zuvor hatte sich die deutsche Mannschaft in Mexiko zum dritten Mal zum Weltmeister gekrönt. Sieben der elf Spieler in der deutschen Startelf standen bereits 1990 beim WM-Triumph gegen Argentinien auf dem Platz. Wie die Anekdote von Laudrup und Effenberg zeigt, schien Deutschland (nicht zu Unrecht) die Sache mit dem Selbstverständnis eines amtierenden Weltmeisters anzugehen.

Dänemark Team jubelt nach Finaltriumph über Deutschland

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Das Problem: Auf dänischer Seite stand ein Mann namens Peter Schmeichel zwischen den Pfosten. Stefan Reuter (54), Karl-Heinz Riedle (55) oder Jürgen Klinsmann (56) – sie alle scheiterten am überragend aufgelegten dänischen Keeper. Schon während des gesamten Turniers hielt der Schlussmann seine Mannschaft immer wieder mit überragenden Paraden im Spiel. „Vielleicht war es das erste Mal, dass die Leute realisiert haben, was für einen grandiosen Torhüter wir haben“, sagte Laudrup. „Er war unglaublich!“ Die Tore von John Jensen (56), ein Schuss wie an einem Strich gezogen, und von Kim Vilfort (58) taten ihr Übriges.

Der EM-Triumph von ’92 bleibt sowohl bei Spielern als auch bei den Fans wohl ewig unvergessen. Es ist die so oft zitierte Underdog-Story, die immer wieder für Freude unter uns Fußballfans sorgt. Ob Dänemark ’92, die englische Meisterschaft von Leicester City 2016, der EM-Triumph Griechenlands 2004. Sie alle sind Momente, die den Fußball zu dem machen, was er ist.

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Sarom Siebenhaar

Die Oranje-Connection entfachte seine Leidenschaft für den HSV. Durch zahlreiche Tiefen schmecken die vereinzelten Höhen umso süßer. Schätzt attraktiven Offensivfußball genauso wie kämpferische Höchstleistungen. Internationaler Top-Fußball findet sich nicht nur in den Big Five. Seit 2021 bei 90PLUS.


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