EURO 2020 | 8:7 n.E.! Frankreich beißt gegen die Schweiz auf Granit

28. Juni 2021 | Global News | BY Victor Catalina

Spanien zündete beim 5:3 gegen Kroatien ein fußballerisches Feuerwerk. Nun wurde ihr Gegner gesucht, beim Spiel zwischen Frankreich und der Schweiz. Am Ende eines irrsinnigen Fußballabends gewann die Schweiz 9:8 n.E. – und steht erstmals in einem EM-Viertelfinale.

Seferovic schockt behäbiges Frankreich – Schweiz führt zur Pause

Frankreich gewann die Gruppe F vor Deutschland (1:0), Portugal (2:2) und Ungarn (1:1). Die Schweiz qualifizierte sich als drittbester Gruppendritter, nachdem sie gegen Wales (1:1), Italien (0:3) und die Türkei (3:1) alle möglichen Ausgänge eines Fußballspiels durchdeklinierten. In Bukarest trafen sie erstmals seit der vergangenen Europameisterschaft aufeinander, als die Schweiz den Franzosen ein torloses Remis abtrotzte.

Die Partie nahm sofort Fahrt auf. Nach nicht einmal einer Minute holte Kylian Mbappé einen Eckball heraus, den Raphael Varane nur knapp über das Tor der Eidgenossen köpfte. Frankreichs Nummer 4 feierte erst am Wochenende sein zehnjähriges Jubiläum bei Real Madrid.

 



 

Aber ansonsten tat sich der Weltmeister – wie schon gegen Ungarn – extrem schwer beim Herausarbeiten von klaren Torchancen. In den Anfangsminuten hatten sie zwar das Gros an Ballbesitz. Die Schweiz biss sich allerdings ins Spiel, kam zu einigen Halbchancen – und der größten Gelegenheit nach genau einer Viertelstunde: Ein Schuss des Ex-Frankfurters Haris Seferovic wurde geblockt. Der Ball kam links zum jetztigen Frankfurter Steven Zuber. Benjamin Pavard ließ ihn gewähren – und auch Clément Lenglet schaute Seferovic bei seinem perfekt platzierten Kopfball ins lange Eck nur interessiert zu – 0:1.

Frankreich enttäuscht – Schweiz zur Pause verdient vorne

Frankreich lag schon zum dritten Mal in diesem Turnier zurück – und konnte sich nun nicht mehr allein auf die eigene Konterstärke verlassen. Nach vorne zeigten sie sich durchaus bemüht, hatten in der 23. Minute eine Großchance, als Rabiot den Ball scharf nach innen brachte, aber Yann Sommer die Kugel noch so touchierte, dass Karim Benzema nicht einschieben konnte.

Trotzdem offenbarte der große Favorit vor allem defensiv immer wieder Anfälligkeiten. Benjamin Pavard sah man klar an, dass er die Dreierkette aus München nicht gewohnt ist. Medienberichten zufolge will Julian Nagelsmann in der kommenden Saison dahingehend Abhilfe schaffen.

Aber bis hierhin kamen die Schweizer über seine Seite durch. So wie auch in der 41. Minute, als der ehemalige Gladbacher Granit Xhaka den aktuellen Gladbacher Breel Embolo mit einem überraschenden Steilpass in den Strafraum schickte, doch die Schweizer Nummer 7 bekam den Ball nicht mehr kontrolliert, Chance vertan. Damit war das 1:0 zur Pause offiziell. Es war eine verdiente Führung. Weil die Schweiz defensiv kompakt stand – und man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte, dass sie ernsthaft gefordert werden. Frankreich präsentierte sich passiv und behäbig, fast schon selbstgefällig.

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Rodriguez vergibt, Benzema eiskalt – der dreifache Schock für die Schweiz

Um dem entgegenzuwirken, brachte Didier Deschamps zur Pause den Münchener Kingsley Coman für Clément Lenglet – und kehrte damit auch zur Viererkette zurück, voraussichtlich einem 4-2-4. Trotzdem blieb die Schweiz griffig und giftig. 52. Minute, Steven Zuber gewann auf der linken Seite das Laufduell gegen Benjamin Pavard, wurde vom Münchener im Strafraum zu Fall gebracht. Nach Rücksprache mit VAR Juan Martínez Munuera entschied der argentinische Schiedsrichter Fernando Rapallini auf Elfmeter. Der Ex-Wolfsburger Ricardo Rodriguez trat an – und scheiterte an Lloris. Entscheidung vertagt.

Federico Pestellini/Panoramic/imago

Und das war die Initialzündung für Frankreich. Im direkten Gegenzug vergab Kylian Mbappé noch eine Großchance auf den Ausgleich, als er den Ball nur knapp rechts vorbeischlenzte. Die nächste Chance saß aber. Mbappé leitete die Kugel in der 57. Minute nicht optimal zu Karim Benzema weiter. Der nahm sie aber noch artistisch mit der Hacke mit und chippte über Yann Sommer zum 1:1. Der zweite Tiefschlag – und auch der dritte ließ nicht lange auf sich warten. 59. Minute, Griezmann und Mbappé spielten einen traumhaften Doppelpass im Strafraum. Ersterer scheiterte aus kurzer Distanz an Sommer. Doch am zweiten Pfosten stand Benzema frei und köpfte locker zum 2:1 ein. Auch das ist Frankreich. Überzeugt von den eigenen Fähigkeiten, manchmal ein Stück zu sehr. Aber trotzdem mit unfassbar viel Kreativität, Spielwitz und Tempo ausgestattet.

Gavranovic setzt dem Wahnsinn die Krone auf – wieder 3:3 nach 90 Minuten

Die Schweiz musste diesen dreifachen Tiefschlag wegstecken und brachte Mario Gavranovic und den Wolfsburger Kevin Mbabu für Xherdan Shaqiri und Silvan Widmer. Frankreichs Antwort darauf? Ein geblockter Schuss von Benzema, der Rebound kam zu Paul Pogba – und der schlenzte sowas von maßgenau in den rechten Winkel. 3:1, 75. Minute. Rien ne vas plus?

Kroatien hatte sich nach genau demselben Spielverlauf noch aufgerichtet – und auch die Schweiz schien sich ein Vorbild daran zu nehmen. 81. Minute, der eingewechselte Christian Fassnacht setzte sich gegen Coman durch und leitete rechts zu Mbabu weiter. Der flankte direkt in die Mitte, einmal mehr verteidigte Frankreich einen hohen Ball mit zu viel Gottvertrauen, Seferovic durfte einköpfen. Nur noch 2:3. Und in der 85. Minute zog Ricardo Rodriguez aus 20 Metern einfach mal ab, Gavranovic stocherte die Kugel über die Linie. Aber die Schweizer Herrlichkeit war nur von kurzer Dauer. Der Ex-Schalker und -Mainzer stand abseits.

Trotzdem nutzte die Schweiz das Momentum. Mit dem Schlussgong spielte Granit Xhaka nach einem Ballverlust von Pogba einen herausragenden Steilpass in den Lauf von Mario Gavranovic. Der schlug noch einen Haken und knallte die Kugel in der 90. Minute zum 3:3 ins linke Eck. Wie schon Kroatien kam auch die Schweiz nochmal zurück. Aber die letzte Minute hatte es in sich. Zuerst misslang dem ebenfalls eingewechselten Admir Mehmedi eine Ballannahme, die ihn frei vor Hugo Lloris hätte stehen lassen, dann feuerte Coman aus linker Position im Sechzehner an die Latte.

Einatmen, ausatmen, Verlängerung.

Frankreichs Druckphase bleibt unbelohnt, Schweiz mit Einzelaktionen

Wenig überraschend dauerte es nur fünf Minuten, bis zur nächsten Großchance. Kingsley Coman setzte sich auf der linken Grundlinie durch und fand in der Mitte seinen Münchener Teamkollegen Benjamin Pavard – Sommer parierte herausragend. Nur zwei Minuten später setzte Mbabu zum Solo an, spielte den Ball scharf in die Mitte, wo Raphael Varane klärte. So lief Frankreichs Konter, erneut über Coman. Doch der donnerte die Kugel ans Außennetz. Jetzt war es Karneval im Nationalstadion von Bukarest und auch die Zuschauer feierten sich während einer Unterbrechung mit „România, România“-Sprechchören selbst. So plätscherte die erste Hälfte der Verlängerung dem Ende entgegen.

Doppelte Siegchance für Giroud – Sommer rettet das Elfmeterschießen

In den letzten 15 Minuten besonnen sich die Franzosen nochmal auf die Offensive. 109. Minute, Coman dribbelte sich über die linke Seite durch, legte zurück an die Strafraumkante zu Mbappé. Dessen Schuss strich knapp am rechten Pfosten vorbei. Nur eine Minute später wurde er von Pogba steil in den Strafraum geschickt, versuchte die Direktabnahme mit links und jagte diesen nicht nur in Richtung der bulgarischen Grenze, sondern zog sich dabei auch noch einen Krampf zu. Frankreich entwickelte nun eine allerletzte Druckphase. 114. Minute: Marcus Thuram, der für Coman ins Spiel kam, steckte von links an den Elfmeterpunkt für den ebenfalls eingewechselten Olivier Giroud durch. Die rettende Instanz für die Schweiz hieß Kylian Mbappé. Frankreichs Nummer 9 hatte in der 119. Minute noch eine Kopfballchance, die Sommer gekonnt aus dem linken Eck fischte.

Einatmen, ausatmen, Elfmeterschießen.

Ausgerechnet Mbappé! Schweiz im Viertelfinale gegen Spanien

Die ersten neun Schützen verwandelten allesamt sicher. Dann kam Kylian Mbappé, der talentierteste einer talentierten Mannschaft. Ein kurzer Anlauf – und Sommer parierte. Damit bekommt ein wahnsinniger Fußballabend ein unfassbares Ende. Die Schweiz besiegt Frankreich mit 8:7 nach Elfmeterschießen, steht erstmals im Viertelfinale einer Europameisterschaft und trifft dort auf Spanien.

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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