Mit 80 Spielen zur EM 2021: Die Belastung der Spieler in der Datenanalyse

25. Juni 2021 | Trending | BY 90PLUS Redaktion

Spotlight | Immer wieder wird über den engen Spielplan des vergangenen Jahres gesprochen. Wie wirkt sich die hohe Belastung der Spieler auf die EM 2021 aus? Datenjournalist Björn Rohwer mit einer Analyse, die einen weiteren Grund für Italien als Titelfavoriten liefert.

Bruno Fernandes reist mit 81 Pflichtspielen zur EM

„Die UEFA und FIFA bringen die Spieler um. Es ist zu viel.“ Im April trat Manchester-City-Coach Pep Guardiola (50) vor die Presse und kritisierte die Verbände scharf für die maßlos überfüllten Spielpläne. „Kein Spieler kann das durchhalten – weder physisch noch mental.“ Spätestens mit dem Zusammenbruch von Christian Eriksen (29) im Vorrundenspiel gegen Finnland wurde die Belastung der Spieler auch bei der aktuellen EM 2021 zum Thema. Zwar sind die Gründe für Eriksens Herzstillstand bislang unbekannt – seine Belastung war aber definitiv außerordentlich.

Insgesamt absolvierte der Däne seit Mai 2020, dem Ende der Corona-Unterbrechung, 65 Pflichtspiele. In einem normalen Jahr wäre dies schon einer der Spitzenwerte – bei der EM 2021 gibt es allerdings 52 Spieler, die in demselben Zeitraum noch mehr Partien absolvierten. Spitzenreiter ist der Portugiese Bruno Fernandes (26). In etwa einem Jahr hat er 81 Spiele mit 6.500 Spielminuten absolviert. Insgesamt standen fünf Feldspieler zwischen Mai 2020 und Juni 2021 mehr als 6.000 Minuten lang auf dem Platz.

Spitzenmannschaften besonders betroffen

Gesundheitliche Folgen dieser Überlastung sind vorprogrammiert. „Wenn es nicht zu einer Lösung oder einem besseren Regelwerk kommt, führt es weiterhin zu Verletzungen, von denen niemand profitiert und die letztlich die Karrieren der Spieler verkürzen.“, sagte Jonas Baer-Hoffmann, Generalsekretär der Spielergewerkschaft FIFPro, der Nachrichtenagentur AFP. Lassen sich aber auch kurzfristig bereits Folgen der Doppelsaison bei der aktuellen Europameisterschaft entdecken?

Besonders belastet sind wenig überraschend die Spitzenmannschaften, deren Spieler bei den Topteams Europas spielen. Bei fünf Nationen haben die Spieler der ersten Elf im Schnitt mehr als 60 Spiele seit März 2020 absolviert: Spanien, Frankreich, Portugal, Deutschland und Italien. Während die Spanier im Vergleich zur EM 2016 sogar etwas mehr liefen, ging bei den anderen vier Topteams die Laufleistung jeweils um etwa 3 Prozent zurück.

Auch insgesamt scheinen die stärker belasteten Teams etwas weniger zu laufen. 19 Teilnehmer der aktuellen EM waren bereits 2016 dabei. Aus den zehn Mannschaften mit den durchschnittlich meisten Saisonspielen pro Spieler der ersten Elf laufen 2021 acht Teams weniger als bei der vorherigen EM – hier ging die Laufleistung im Schnitt um 2 Prozent zurück. Von den übrigen neun Teams haben hingegen fünf Mannschaften mehr Kilometer in der Vorrunde zurückgelegt als 2016.

Dafür, dass es trotz dieser Überlastung zu keinen Überraschungen gekommen ist, sorgen gleich mehrere Faktoren. Zunächst gibt es natürlich keine eindeutige Korrelation zwischen Laufleistung und Erfolg – es ist nur ein Faktor, der das Spiel beeinflussen kann. Zudem waren die drei Teams mit der größten Belastung gemeinsam in einer Gruppe. Frankreich, Portugal und Deutschland konnten allesamt in der Vorrunde nur phasenweise überzeugen – trafen aber auch auf kein deutlich ausgeruhteres Team.

Italien rotiert am erfolgreichsten

Italien hingegen fängt die hohe Belastung mit einem sehr breiten Kader auf. Während die Spieler der ersten Elf im Turnierschnitt etwa 230 Minuten auf dem Platz standen, waren es bei Italien nur 180 Minuten. Einzig Belgien (189), Spanien (216) und Kroatien (217) lagen ansonsten noch bei unter 220 Minuten.

Es ist davon auszugehen, dass gerade für die wenig rotierenden Spitzenteams Deutschland, Frankreich und Portugal die K.o.-Runde besonders zäh werden kann – insbesondere, wenn die müden Knochen einen noch bis in die Verlängerung tragen müssen. Langfristig brauchen wohl alle Spitzenteams breitere, flexiblere Kader – denn auch nach dieser kräftezehrenden Doppelsaison ist kein Ende in Sicht: die Klub-WM wird aufgebläht, die WM 2022 verkürzt die Sommer- und Winterpausen in den kommenden Jahren und 2024 kommt dann auch die Champions-League-Reform.


Zur Methode:

 Als erste Elf werden im Artikel diejenigen elf Spieler bezeichnet, die in der Vorrunde die meisten Minuten für eine Nation auf dem Platz standen. Beim Blick auf die Entwicklungen von der EM 2016 zur EM 2021 ist die Stichprobe mit je drei Spielen aus zwei Turnieren natürlich zu klein, um statisch signifikante Ergebnisse festzustellen. Zudem beeinflussen deutlich mehr Faktoren die Laufleistung als nur die Belastung. Zu beachten sind hier Veränderungen im Spielstil, die Taktik der Gegner aber auch Außenbedingungen wie das Wetter oder die Konstellation, unter der eine Partie stattfindet. So brach 2016 die Laufleistung Italiens beim dritten Vorrundenspiel deutlich ein, nachdem das Team sich bereits nach zwei Spielen für das Achtelfinale qualifizierte. Die Aussagen zu Entwicklungen von der EM 2016 zur EM 2021 sind also nur Tendenzen – die hohe Belastung bleibt aber als Fakt.

Photo by Pedro Fiuza

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