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Aufstiegsaspirant und/oder Sorgenkind – Eine Bestandsaufnahme des Hamburger SV

22. April 2019 | Spotlight | BY Steffen Gronwald

Spotlight| Lange Zeit galt der Hamburger SV als großer Favorit um den Aufstieg in die Bundesliga. Doch in der Rückrunde – und vor allem in den vergangenen Wochen – ist reichlich Sand ins Getriebe der Hamburger geraten. 90PLUS-Redakteur Steffen Gronwald fasst die aktuelle Situation zusammen, wagt einen Erklärungsversuch und blickt auf den kommenden Saisonendspurt.

Vom Aufstiegsaspiranten zum Sorgenkind

Der HSV spielte in seiner ersten Saison als Zweitligist eine, alles in Allem, sehr gute Hinrunde. Nach 17 Spielen belegte man den ersten Platz in der Tabelle, hatte 37 Punkte auf dem Konto und brillierte meist mit einer bärenstarken Defensive. Im heimischen Volkspark setzte es zwei Niederlagen und drei Unentschieden, auf fremdem Grün spielte man lediglich einmal Remis, ansonsten konnten alle Partien gewonnen werden. Der Hamburger SV erwies sich zurecht als Aufstiegsaspirant und die eigene Anhängerschaft hatte endlich wieder Grund zum Jubeln.

(Photo by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Doch bereits das erste Rückrundenspiel ging verloren. Holstein Kiel erwies sich als Angstgegner und besiegte den HSV verdient mit 3:1, das sollte der HSV-Freude über Weihnachten und die Winterpause allerdings keinen Abbruch tun. Wie hart der Weg in Richtung Aufstieg werden würde, zeigte allerdings der Start ins Pflichtspieljahr 2019. Gegen Sandhausen brillierte man über weiter Strecken mit ansehnlichen Passstafetten, vielen herausgespielten Chancen und ließ dem Gegner eigentlich keine Chance. Dennoch musste man phasenweise zittern, denn die Chancenverwertung der Hanseaten war schlicht grausam. Doch während man sich zu Hause drei knappe Siege in Folge erkämpfte, setzte es auswärts teils herbe Rückschläge. In Bielefeld und Regensburg verlor man durch vermeidbare Platzverweise, in Heidenheim kam man nicht über ein 2:2 hinaus.

Was nun folgen sollte ist eigentlich kaum in Worte zu fassen. Zunächst gab es einen, auch in der Höhe verdienten 4:0 Derbysieg beim FC St. Pauli, direkt gefolgt einer peinlichen Schlappe gegen Darmstadt. Nach furiosem Beginn und einer 2:0 Führung stellte der HSV das Fußballspielen ein und ließ harmlose Darmstädter gewähren. Diese machten aus wenigen Chancen sehr viel und gewannen durch einen Treffer in der letzten Minute mit 3:2. Ein 0:0 in Bochum ließ eine erneute Heimniederlage folgen. Diesmal führte man früh gegen Magdeburg, wieder fand man aber über weite Strecken nicht statt, wieder setzte es eine mehr als vermeidbare Niederlage. Doch der HSV zeigte Moral, erkämpfte sich vor sieben Tagen in Köln eine vollkommen gerechtes Unentschieden. Die Kritik der vergangenen Wochen schien wie weggeblasen, Hoffnung auf einen Turnaround keimte auf. Pustekuchen. Am Ostersamstag kam die Mannschaft aus Aue in den Volkspark und zeigte, was es heißt zu kämpfen. Mit einem sehr unangenehmen Auftreten, cleveren Fouls und einem defensiven Bollwerk erbeutete man einen Punkt gegen meist harmlose Rothosen.

So steht der HSV, vier Spieltage vor Saisonende, auf dem zweiten Platz in der Tabelle, hat sechs Zähler Rückstand auf Köln und zwei Punkte Vorsprung auf Verfolger Paderborn. Doch wie konnte es zu diesem Formabsturz kommen?

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Verletzungspech, falsche Personalentscheidungen oder ein Kopfproblem?

Ansätze zur Problemfindung gibt es einige. Was nicht von der Hand zu weisen ist: Der HSV kämpft die komplette Saison über mit dem Verletzungspech. Immer wieder fallen eingeplante Leistungsträger weg, immer wieder muss Trainer Hannes Wolf rotieren und umstellen. So kommt Kapitän Aaron Hunt lediglich auf 20 Einsätze, fehlte in der Rückrunde bei acht Partien verletzungsbedingt. Die fest eingeplanten Jairo und Jung fallen, beziehungsweise fielen monatelang aus und sind derzeit nur bedingt in der Lage ihrem Verein zu helfen. Erst jetzt zum Saisonendspurt verkleinert sich das Lazarett stetig, gegen Aue konnte man zurecht davon sprechen, die am besten besetzte Bank des Jahres gehabt zu haben. Ein Pluspunkt für die kommenden Aufgaben?

Doch auch falschen Personalentscheidungen seitens Trainer Hannes Wolf gilt es ein Augenmerk zu schenken. Zwar überraschte der Übungsleiter immer wieder mit mutigen Formationen und Besetzungen, hielt phasenweise aber auch zu lange an diesen Überlegungen fest, auch dann, wenn nichts mehr dafür sprach. Als Beispiel hierfür dient unter anderem, dass Orel Mangala in Regensburg schon weit vor seinem Platzverweis hätte ausgewechselt werden müssen. Oder das Wagnis Dreierkette gegen Magdeburg: Der HSV zeigte mit dieser Defensivformationen zwar Paderborn die Grenzen auf, gegen Magdeburg hätte hier aber bereits zur Halbzeit umgestellt werden müssen, so grausam war die erste Hälfte anzusehen. Und auch bei Auswechslungen machte der Übungsleiter nicht immer eine glückliche Figur. So durften scheinbar sichtlich überspielte Spieler über die volle Distanz ran, während die vermeintlich belebenden Joker überhaupt nicht ins Spiel fanden.

Nicht zu vergessen ist aber auch, dass der HSV eine extrem junge Mannschaft hat, welche auch mit Kopfproblemen in solchen Drucksituationen zu kämpfen hat. Man merkt der Truppe immer wieder die Verunsicherung an, dennoch zeigt sie in Spielen gegen Paderborn und Köln, zu was sie in der Lage ist. Dieses Kopfproblem gilt es in den kommenden Spielen zu überlisten, die Hanseaten dürfen sich keine weiteren Ausrutscher mehr erlauben. Hier ist Hannes Wolf gleich doppelt gefragt. Wie schafft er es, seine Jungs zu entlasten, aber dennoch der Situation angemessen performen zu lassen?

Zittern, Bangen und Hoffen bis zum Schluss – Was spricht für den HSV?

Doch es spricht nicht alles gegen den Hamburger SV. Derzeit haben die Rothosen alles in der eigenen Hand, sie spielen noch gegen zwei direkte Konkurrenten und haben am letzten Spieltag 57.000 Zuschauer (abzüglich der mitgereisten Duisburger) hinter sich. Das Lazarett lichtete sich zuletzt merkbar, die Kaderqualität und -quantität wurde dadurch spürbar erhöht. Mit Kapitän Hunt kehrte der Punktegarant zurück in den Kader der Hamburger. Der 32-jährige riss gegen Aue das Spiel direkt an sich, zeigte sich spielfreudig und entlastete seine Mitspieler zusehends. Er übernahm Verantwortung, pushte seine Mannschaft nach vorne und zeigte sich als spielstarker Taktgeber. Und ebendieser Aaron Hunt kann der entscheidende Mann im Kampf um den Aufstieg sein. Mit seiner Art und Weise Fußball zu spielen, seinem Spielverständnis und seiner Qualität bei Freistößen haben die Hamburger den Klassenunterschied auf ihrer Seite.

Nichts desto trotz wird den Anhängern ein Saisonendspurt ohne Zittern nicht erspart bleiben. Die Fans werden sich darauf einstellen müssen, dass die Heimspiele gegen Ingolstadt und Duisburg schwerer werden können, als die Auswärtsspiele in Berlin und Paderborn. So gereizt die Anhängerschaft auch ist, auf sie kommt es in den kommenden vier Wochen ebenso an, wie auf die Mannschaft. Ab sofort muss man nur noch mehr als Einheit agieren und den Gegnern wieder das fürchten lehren. Dann kommen die Siege auch wie von alleine zurück!

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Als Fan des HSV behaupte ich, dass der HSV den Aufstieg in die Bundesliga am letzten Spieltag sichert. Nach sieben Zählern aus den nächsten drei Spielen punktet der HSV fast schon zuverlässig gegen die direkte Konkurrenz und macht mit einem Heimsieg gegen Duisburg letztlich alles klar. Doch es wäre nicht mein HSV, wenn wir Fans nicht doch noch überrascht werden, ob positiv oder negativ…

Der Hamburger SV kann scheinbar weder auf Dramatik, noch auf Spannung und Nervenkitzel verzichten. Wieder einmal werden die Anhänger auf eine harte Probe gestellt, wieder einmal herrscht im Saisonabschluss eine große Unruhe. Doch im Gegensatz zum letzten Jahr hat der HSV diesmal alles in der eigenen Hand. Erfolgt noch ein kleiner Turnaround, der den direkten Aufstieg sichert oder patzt sich der HSV in die Relegation oder gar außerhalb der Aufstiegsränge?

Steffen Gronwald

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Steffen Gronwald

Steffen verfolgt primär den Vereinsfußball, fühlt sich im deutschen Ober- und Unterhaus zu Hause - verfolgt zugleich aber auch La Liga und die Premier League intensiv. Ob Offensivspektakel oder "park the Bus", fesseln tut ihn beides, zudem steht bei ihm auch der Schiedsrichter im Fokus. Seit 2016 bei 90PLUS.


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