Cagliari, Wolfsburg, Podgorica | Allgegenwärtiger Rassismus – Wir müssen weiterkämpfen

17. April 2019 | Nachspielzeit | BY Julius Eid

Nachspielzeit | 2019 hat fußballerisch schon für einige Highlights gesorgt. In der Champions League spielt Ajax überraschend stark auf und in England und Deutschland zieht ein enorm spannender Meisterkampf die Menschen in ihren Bann. Doch 2019 hielt in den ersten vier Monaten auch die Schattenseiten des Sports bereit. In schockierend regelmäßigen Abständen kam es zu rassistischen Vorfällen.

Besser als vor 20 Jahren?

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich gerade in diesem Jahr die ekelhaften, rassistischen Vorfälle in Stadien wieder zu häufen scheinen. Während des Länderspiels der deutschen Nationalmannschaft kam es zu Ausfälligkeiten gegen Leroy Sané, der Sportjournalist André Voigt machte in einem emotionalen Statement darauf aufmerksam. Beim Auswärtsspiel des italienischen Rekordmeisters Juventus Turin bei Cagliari wurden der 19-jährige Moise Kean und sein Mannschaftskollege Blaise Matuidi Opfer von Beleidigungen der Heimfans. Und auch die englische Nationalmannschaft um Callum Hudson-Odoi, Danny Rose und Raheem Sterling hatte mit diesen Vorfällen im Zuge des Auswärtsspiels gegen Montenegro zu kämpfen. Rassismus in den Stadien ist ein widerliches Phänomen, das es immer irgendwo gab. Und dennoch drängt sich die Befürchtung auf, dass es wieder schlimmer wird. Hierfür gibt es mehrere Erklärungen. Eine macht Hoffnung, eine Angst. Und am Ende steht sowieso nur ein Lösungsweg.

Die hoffnungsvolle Erklärung hat 11-Freunde-Redakteur Philipp Köster vor einigen Tagen gut auf Twitter zusammengefasst. So seien die Schlagzeilen über „einzelne rassistische Rufe in den Stadien“ und das damit verbundene Gefühl, dass es gehäuft zu rassistischen Vorfällen kommt, im Endeffekt Ergebnis einer positiven Entwicklung. So war es noch in den Neunzigern gang und gebe, dass ganze Fankurven sich solche Ausfälle leisteten, es ist also nur besser geworden in den letzten Jahren. Nur die Aufmerksamkeit und Sensibilität der Öffentlichkeit hat sich in die richtige Richtung verschoben und deshalb löst jeder dieser Vorfälle zurecht ein großes Echo und eine entsprechende Bestürzung aus. Eine Erklärung, die durchaus den einen oder anderen richtigen Punkt enthält, nur leider auch Wichtiges verkennt. Es geht nicht nur um Einzelfälle, wie es wohl in Wolfsburg der Fall war. In Montenegro und Cagliari waren die Ausfälle deutlich wahrzunehmen und hatten einen sichtbaren Einfluss auf Spieler wie Danny Rose und Blaise Matuidi, die völlig aufgelöst schienen. Ob 1990 noch mehr Menschen diese infamen Geräusche und Beleidigungen von sich gegeben hätten, ist unwichtig. Zudem ist zu beachten: Das Schweigen der Menge im Stadion zeigt, wie viel Arbeit noch vor uns liegt.


Enrico Locci /
Getty Images Sport

Keine Akzeptanz

Denn die zweite Erklärung für die gehäuften Vorfälle des Rassismus in Stadien ist in der Gesellschaft selbst zu suchen und setzt sich im Stadion fort. Die Verrohung der Sprache in der Politik, das ständige Übertreten von ehemals festen Grenzen durch populistische Parteien sind Gründe. Dies setzt sich in einer Gesellschaft fort. Die Einladung von rechtspopulistischen Politikern in Talkshows, die Plattform, die Boulevardmedien für den neuen Duktus bieten, sorgen dafür, dass sich die „Vollidioten“ wieder trauen Sachen laut auszusprechen, die sie in den letzten Jahren für sich behalten hätten. Dasselbe gilt im Stadion. Von Politikern, die Mesut Özil öffentlich beleidigen, die Jerome Boateng nicht als Nachbarn wollen, ist es nicht weit bis zu Leroy Sané. Der Rassismus findet gerade seinen Platz in der Gesellschaft wieder, weil wir zuschauen und es geschehen lassen. Aussagen wie von Leonardo Bonucci über Moise Kean, der dem Youngster durch seine Provokation eine Mitschuld an den Vorkommnissen gab, sind verheerend. Verständnis für Rassisten ermöglicht Akzeptanz und ist niemals der richtige Weg. Was André Voigt nach dem Spiel in Wolfsburg wirklich deutlich getroffen hatte, war, dass niemand sonst aufstand und die jungen Männer zurechtwies, ihnen zu verstehen gab, dass ein solches Verhalten nie zu tolerieren ist. Und genau dies ist die Aufgabe aller Fußballfans. Es ist unerheblich ob der ganze Block in den Neunzigern Affenlaute von sich gab und jetzt nur noch ein kleiner Teil, wenn der größere schweigt.

Alexander Hassenstein / Bongarts

Weiterkämpfen ist Pflicht

Fußball ist ein Sport, für viele sogar mehr als das. Der Fußball sowie das Publikum in den Stadien können ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Doch ein Stadion ist nur ein Mikrokosmos und leichter zu kontrollieren als eine Welt mit 8 Milliarden Menschen. Es ist deutlich einfacher sich seinen Fußball, sein Stadion zurückzuholen von all den Rassisten. Es ist unsere Aufgabe jedem Menschen, der ein Stadion betritt klar zu machen, dass er hier nur Akzeptanz findet, wenn er Toleranz lebt. Die FIFA wagte jüngst einen Vorstoß, sprach von der Möglichkeit Spiele bei wiederholten Vorfällen abzubrechen, Jürgen Klopp forderte lebenslanges Stadionverbot für Täter. Das sind sicher gute und vernünftige Kontrollmittel, die sicherlich ihre Wirkung nicht verfehlen werden. Doch der Rassismus ist damit noch nicht besiegt. Erst wenn der letzte dieser Idioten zumindest den Mund geschlossen hält, haben wir gewonnen. Und dies liegt in der Verantwortung der Fans, der Stadionbesucher. Kämpft weiter.

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Julius Eid

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.