Frankreich | Vereinte Individualität – Ein verdienter Weltmeister

16. Juli 2018 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Durch ein 4:2 über Kroatien ist Frankreich nach 1998 zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister. Trotzdem war die regnerische Titel-Zeremonie in Moskau sinnbildlich für die Kritik, die die Mannschaft ernten musste. Die Équipe Tricolore, so der Tenor, habe nicht überzeugend gespielt und hinkte den Erwartungen gemessen an der außergewöhnlichen individuellen Klasse hinterher. Dabei überzeugte das Team gleich in vielerlei Hinsicht…

Die Mischung macht’s

Auch wir bemängelten nach der Gruppenphase die schwachen Auftritte der Mannschaften mit großer individueller Klasse, wozu auch die Franzosen gehörten. Deutlich schwächer besetzte Teams, wie beispielsweise Südkorea oder der Iran, überkamen ihre Defizite durch taktische Disziplin, Kompaktheit und mannschaftliche Geschlossenheit. Das unterstrich eindrucksvoll, was für ein Mannschaftssport der Fußball ist und bleibt. Was passiert aber, wenn ein Team seine herausragende individuelle Klasse mit genau diesen Eigenschaften paart? Sie wird Weltmeister.

Zwei Jahre nachdem man trotz des besseren Spielermaterials gegen das so pragmatische Portugal im EM-Finale das Nachsehen hatte, wählte der vielkritisierte Didier Deschamps eine andere Ausrichtung. Ganz nach Per Mertesackers Wutrede nach dem 1:1 gegen Algerien bei der WM 2014, “Wollen Sie eine erfolgreiche WM oder wollen Sie, dass wir wieder ausscheiden und schön gespielt haben?”, setzte Deschamps seine technisch begnadeten Einzelakteure ganz unspektakulär und zielorientiert in Szene. Frankreich verzichtete auf Spielanteile und attraktiven Hurra-Fußball, zu dem das technisch versierte Team zweifelsohne in der Lage ist.


Die immense Qualität der weltbekannten Protagonisten kam dennoch zur Geltung, sowohl in der besten Innenverteidigung des Turniers als auch bei den fast schon chirurgisch aufgeführten Gegenangriffen. Sie diente dabei jedoch nicht der Unterhaltung, sondern dem Erfolg. Dass die Spieler der regelrechten Kastration ihrer Künste zustimmten, führt uns zu dem Motto, das vor dem Turnier in den Trikots der Spieler verewigt wurde:

„Unsere Unterschiede vereinen uns“!

Es ist natürlich klar, dass dies eine Botschaft ist, die sich auf etwas weitaus Größeres als den Sport bezieht. Gleichzeitig ist dieser Spruch sinnbildlich dafür, was diese Mannschaft in Russland so auszeichnete.

Eine Gruppe von Männern mit unterschiedlichen Wurzeln, mit komplett unterschiedlichen Charakteren, ob mit Star-Allüren eines Paul Pogba oder der Bescheidenheit eines N’Golo Kanté, vereinte sich und ordnete sich dem großen Ziel unter: Dem Gewinn der Weltmeisterschaft.

Der auf dem Prüfstand stehende Deschamps reagierte nicht auf die Kritik, dass sein Fußball zu pragmatisch sei. Im Gegenteil, er verlieh seinem Team durch die Hereinnahme von Blaise Matuidi sogar mehr Physis und Erfahrung, verzichtete damit noch mehr auf spielerischen Glanz, weil er der Ansicht war, dass die Mannschaft davon profitieren würde.

Der polarisierende Paul Pogba, der sicherlich am liebsten offensiver und ohne taktische Zwänge aufgespielt hätte, stellte sich diszipliniert in deutlich defensiverer Ausrichtung in den Dienst der Mannschaft. Auf der ganz großen Bühne wusste er sein enormes Talent zu bündeln und in den entscheidenden Momenten einzusetzen.

Auch Antoine Griezmann verzichtete, ähnlich wie bei Atlético Madrid, auf Spielanteile in der Offensive. Trotzdem war der Angreifer, sei es durch perfekt maßgeschneiderte Standards oder Nervenstärke bei Elfmetern, stets da, wenn ihn sein Team brauchte. Gleiches gilt für Olivier Giroud. Der Stoßstürmer wurde für seine 0 Torschüsse oft belächelt, hatte aber nicht nur wegen seines Talents, Verteidiger zu binden und Mitspieler glänzend einzusetzen, einen enormen Anteil am Titelgewinn seiner Mannschaft. Giroud kämpfte unermüdlich, machte gerade ohne den Ball unglaublich viele Meter und war in Sachen Einsatz ein absolutes Vorbild für seine Teamkollegen.

Vereinte Individualität

Individuelle Klasse ist wichtig, sie kann in den entscheidenden Momenten eines Spiels den Unterschied machen. Sie bestimmt oftmals, ob ein Zweikampf gewonnen oder verloren wird, ein Pass ankommt oder nicht, und letztendlich, ob ein Schuss ins Tor oder doch vorbei geht.

Damit diese individuelle Klasse auch zum Titel führt, müssen Trainer und Spieler uneigennützig im Sinne der Mannschaft handeln und sich zu einer Einheit formen.

Genau deshalb war Frankreich die beste Mannschaft des Turniers und damit auch der verdiente Weltmeister. Kritik kennen die Protagonisten zu Genüge. Dieser trotzen sie mittlerweile ebenso, wie dem Wolkenbruch von Moskau, als sie die Trophäe jubelstrahlend in den Himmel reckten.

(Photo GABRIEL BOUYS/AFP/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


Ähnliche Artikel