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Größenwahn und Selbstüberschätzung – Schalke auf den Spuren von Stuttgart, Hamburg und Bremen

1. Juni 2020 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion

Der FC Schalke 04 befindet sich in einer sportlichen Krise und die Zukunft des Vereins steht vor wegweisenden Entscheidungen. René Kabak, Mitglied bei den Königsblauen, schreibt in diesem Kommentar über Parallelen zu anderen Vereinen und thematisiert eine mögliche Ausgliederung der Profiabteilung. Was sind die Vor- und Nachteile?

Schalke: Sportlicher Niedergang

Schalke 04 ist mit über 160.000 Mitgliedern der zweitgrößte Sportverein Deutschlands. Daraus leiten viele Schalker ab, dass man deswegen auch der zweitbeste Fußballverein Deutschlands sein müsste und den Anspruch haben sollte, jedes Jahr in der Champions League vertreten zu sein. 

Und da ist schon das erste Problem. Schalke ist meilenweit davon entfernt sportlich ein Spitzenclub zu sein. Was den Fans der Königsblauen noch mehr wehtut: die sportliche Distanz zum Erzrivalen Borussia Dortmund. Diese Lücke wird von Jahr zu Jahr größer. Das Problem ist jedoch, dass der Klub es nicht wahrhaben möchte, dass dem so ist. Auch wenn man sich inzwischen weitestgehend einig ist, dass Schalke kein Spitzenverein mehr ist, ist in den Köpfen der Anhänger die Vorstellung verankert, dass es sich aktuell lediglich  einen Ausnahmezustand handelt und S04 ein „schlafender Riese“ sei. Der Glaube, nur einen guten Trainer davon entfernt zu sein, wieder oben mitzuspielen, ist unter den Fans weit verbreitet. Von diesem Gedanken sollte man sich lösen, auch wenn dies schwer fällt. Der Klub wurde von der Konkurrenz überholt und ist auf dem besten Wege, den Anschluss zu verlieren. Man sollte sich dessen bewusst sein und den sportlichen Niedergang ins Bewusstsein rufen.

(Photo by Martin Meissner/Pool via Getty Images)

Schalke: Parallelen zu Bremen, Hamburg und Stuttgart

Der stolze Verein Schalke 04 befindet sich in einem Freifall und droht so zu enden wie Werder, Hamburg und Stuttgart. Das heißt nicht, dass es in der nächsten Saison Abstiegskampf gibt, aber man läuft Gefahr, mittelfristig in diesen Gefilden anzukommen.  Stuttgart wurde 2007 Meister, Hamburg und Bremen waren bis 2010 regelmäßig international vertreten und waren Vereine, die sich jede Saison leise Hoffnungen gemacht haben da sein zu können, wenn die Bayern schwächeln sollten. Genau wie es Schalke in der Vergangenheit tat. Doch in der Realität erreichten alle drei Vereine irgendwann einen toten Punkt und begannen abzudriften. Es gab immer mal einen Ausreißer nach oben, aber die sportliche Tendenz ging klar nach unten. Das wollte allerdings niemand wahrhaben.

Deswegen wurden Spieler, Trainer und Manager verschlissen, in der Hoffnung, dass der Nächste den „Normalzustand“, der zu dem Zeitpunkt jedoch schon längst Vergangenheit gewesen war, wiederherstellen könnte. So gerieten diese drei Vereine, geblendet von der glorreichen Vergangenheit, in eine Abwärtsspirale, die für den HSV und dem VfB in der 2. Liga endete, während Bremen, die 2010/11 letztmals international vertreten waren, seit Jahren zwischen Mittelfeld und Abstiegskampf pendeln. Die Muster waren aber dieselben, wobei Bremen sich hier deutlich kontinuierlicher zeigten was das Personalmanagement angeht und meines Erachtens deswegen bisher den „freien Fall“ im Vergleich zu Stuttgart und dem HSV verlangsamen konnte. Vergleicht man jedoch die Kader der drei Clubs der letzten drei bis fünf Jahre mit denen, die sie jeweils vor zehn bis 15 Jahren hatten, sieht man ganz klar einen qualitativen Zerfall. 

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Genau dies ist auch auf Schalke der Fall, wenn auch auf einem anderen Niveau. Die Mannschaft verliert Jahr für Jahr an Qualität, was man jedoch immer noch nicht wahrhaben will. Wenn man sich mal den Spaß macht und die Kader aller Saisons seit 2011/12 ansieht, erkennt man dies deutlich. Hierbei will ich allerdings nicht auf Namen oder einzelne Positionen eingehen. Das Problem ist, dass man zwischen 2011 und 2015 einen Kern der Mannschaft hatte, von dem der Klub in dieser Zeit gezehrt hat, ohne die innere Uhr der Spieler oder deren Vertragssituationen zu berücksichtigen. Das Ergebnis waren drei CL- und zwei EL-Qualifikationen in fünf Jahren und ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Ablösefreie Wechsel als Schalker Problem

Die sportliche Qualität des Kaders wurde durch Riesentalente aus der Knappenschmiede noch ein paar Jahre aufrecht erhalten, ist dann aber auch zerfallen, da diese Spieler irgendwann zu gut für Schalke waren und weiterzogen, meistens ablösefrei. Und diese ablösefreien Abgänge sind, auch wenn sie durch den Managerwechsel 2016 teilweise unglücklich waren, auch auf den Größenwahn von Schalke zurückzuführen. Der Klub dachte, dass man eine Chance hätte, diese Spieler doch noch zu halten oder mit ihnen im Kader noch die Qualifikation für die Champions League zu schaffen, sodass die nötigen Einnahmen trotzdem generiert werden. Dies klappte nur einmal. Unter Domenico Tedesco. 

Ohnehin hätte man zwei Jahre vor Ablauf der jeweiligen Verträge handeln müssen. Wenn ein Spieler mit weniger als zwei Jahren Restvertrag in eine Saison geht, ist es schon zu spät. Und das ist etwas, was sich der Klub am besten in die Vereinssatzung schreiben sollte. Denn hätten man für Matip, Goretzka, Meyer, Kolasinac und sogar Neustädter, Huntelaar, Aogo sowie jetzt noch Nübel Ablösen kassiert, hätten Schalke bis vor ein paar Wochen wahrscheinlich nicht um seine Existenz bangen müssen. Wobei es darauf keine Garantie gegeben hätte. Die Arbeit der Vereinsführung in den letzten Jahren lassen bei einem solchen Gedankenspiel Zweifel aufkommen.

(PATRIK STOLLARZ/AFP via Getty Images)

Schalke: Wohin führt der Weg?

Abschließend ist also festzuhalten, dass Schalke von Größenwahn und Selbstüberschätzung angetrieben wird und sich dadurch zu rücksichtslosen, vorschnellen und dummen Entscheidungen verleiten lässt. Und genau diese Entscheidungen tragen dazu bei, dass die Königsblauen, wie bereits erwähnt, ähnlich wie andere Vereine über Jahre hinweg schleichend zerfallen, bis man irgendwann wach wird und die Realität den gesamten Klub einholt. Wann dies jedoch passiert, ist offen. Schaut man auf andere Traditionsvereine kommt dieser Punkt teilweise mal früher oder gar rechtzeitig, in der Regel jedoch erst wenn es entweder schon zu spät (Stuttgart, Hamburg) oder viel zu spät (siehe Kaiserslautern) ist. Hier gibt es zwar auch Vereine, die nach einem Zerfall den Turnaround noch geschafft haben (z. B. Gladbach, Dortmund, Frankfurt), aber auch Clubs die es nicht ganz geschafft haben, eine Wende einzuleiten und entweder mittlerweile Fahrstuhlvereine sind oder graue Mäuse (z. B. Hertha, Nürnberg, Köln). 

Dieses Risiko würde ich nicht eingehen wollen. Aus Ignoranz abzusteigen und dann gegebenenfalls selbst zu solch einem Verein zu werden oder gar völlig unterzugehen wie der 1. FC Kaiserslautern sind Albtraum-Szenarien. Auch der zweitgrößte Sportverein Deutschlands ist nicht immun gegen so ein Schicksal. Deswegen ist es wichtig, dass sich der Klub dessen bewusst ist und aus den Fehlern der eigenen Vergangenheit, aber auch aus denen eben jener Vereine lernt und es gar nicht erst so weit kommen lässt. Je früher man diese Situation akzeptiert, desto reversibler der Schaden, wobei man sich auf Schalke schon länger im Bereich der Schadensbegrenzung bewegt. Denn zu spät ist es schon seit einigen Jahren. 

Eingetragener Verein – Gestern. Heute. Für immer?

Eine der Lösungen, die von vielen inzwischen in Betracht gezogen wird, ist eine Ausgliederung. Auf Schalke lange Zeit ein absolutes Tabu-Thema gewesen, wurden die Rufe danach zuletzt immer lauter. Also – Reden wir über eine Ausgliederung.

Zunächst allgemein: Eine Ausgliederung ist die Umwandlung der Profiabteilung in eine andere Rechtsform (z. B. AG oder GmbH) und somit in ein separates Unternehmen. GmbHs gibt es auf Schalke schon, z. B. die Schalke Catering GmbH. Die Profimannschaft ist jedoch noch Teil des e.V. womit Schalke einer der wenigen „echten“ Vereine der Bundesliga ist. Die Knappen sind sogar der größte Verein in Deutschland, der diesen Schritt noch nicht gewagt hat und sich das inzwischen auch stolz auf die Fahne schreibt. 

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Um eine Ausgliederung umzusetzen sind laut Schalker Vereinssatzung 75% der Stimmen der MV notwendig. Es ist durchaus zeitgemäß auszugliedern. Vereine, die dies tun, sind deswegen nicht weniger wert oder verstoßen gegen irgendwelche Regeln. Fakt ist aber auch, dass eine Ausgliederung keine Garantie für sportlichen Erfolg ist, was zahlreiche Beispiele zeigen, dazu aber später mehr. Durch eine Ausgliederung würde Schalke einen großen Teil seiner Identität verlieren und wahrscheinlich würde dies auch zu enormen Diskussionen, Unruhen und Nebenkriegsschauplätzen im ohnehin schon schwierigen Schalker Umfeld führen. Das sind beides Argumente, die auf Schalke nicht zu verachten sind. Wenn es zu einer Ausgliederung kommen sollte knallt es richtig. Vor allem die Ultras wären alles andere als erfreut und was die Konsequenzen davon wären, hat man z. B. bei den wöchentlichen Unruhen und Protesten beim VfB Stuttgart gesehen. Das wirkt sich auch auf die Mannschaft aus. Welchen Einfluss der Support der Fans auf Spieler hat, erleben wir jetzt gerade durch die Geisterspiele deutlicher denn je.

Auf der anderen Seite würde Schalke durch eine Ausgliederung natürlich wirtschaftliche Vorzüge genießen und um nichts anderes geht es hierbei. Diese Geldmittel können, wenn sie klug eingesetzt werden, positiven Einfluss auf das sportliche Abschneiden eines Vereins haben. Als Beispiel dafür würde ich Eintracht Frankfurt anführen, die durch enorm kluges Wirtschaften in den letzten Jahren zuletzt die erfolgreichste Zeit ihrer jüngeren Vereinsgeschichte genießen durfte. Auf der Gegenseite gibt es aber auch Beispiele wie den HSV, bei dem die Ausgliederung eher zu einem Katalysator für den Misserfolg wurde und den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte mitverursachte, anstatt ihn zu verhindern. Ein Extrembeispiel wäre 1860 München. Der Klub ist durch einen extrem inkompetenten Investor bis in die Regionalliga gefallen sind. Aber es gibt auch eine dritte Möglichkeit, nämlich dass sich einfach gar nichts ändert, wie z. B. beim 1. FC Köln, der seit der Ausgliederung 2011 wie zuvor schon weitestgehend ein Fahrstuhlverein blieb.

Die Rolle von Tönnies im Kontext einer möglichen Ausgliederung

Bleibt die Frage, welchen Einfluss könnte eine Ausgliederung auf den FC Schalke 04 haben? Welche von den drei Möglichkeiten eintreten würde, ist davon abhängig wie genau die Ausgliederung gestaltet werden soll, also in welche Rechtsform umgewandelt wird, wer wieviel Geld gibt und wieviele Anteile man dafür erhält. Und genau hier ist der Knackpunkt. Schalke 04 ist nichts anderes als ein Millionengrab. Eine hochverschuldete Geldverbrennungsmaschine. Kein Mensch würde aus wirtschaftlichem Interesse in ein solches Konstrukt investieren. Bleibt also jemand mit anderen Motiven. Infrage kämen grundsätzlich langjährige und treue Sponsoren, die sicher bereit wären Anteile zu kaufen, jedoch sind die meisten Unternehmen durch die derzeitige Pandemie wirtschaftlich ziemlich angeschlagen und haben sicher besseres zu tun als in absehbarer Zeit Anteile eines Fußballvereines zu kaufen. Bleibt also eine Privatperson mit viel Geld, die hauptsächlich investiert um dem Verein aus „Vereinsliebe“ zu helfen und (oder) um (noch) mehr Macht innerhalb des Vereins zu erhalten.

Letzteres trifft sicherlich auf Clemens Tönnies zu. Warum genau Tönnies aus meiner Sicht ein Problem ist, werde ich im nächsten Teil erläutern. Zum Thema Ausgliederung und Tönnies sei nur gesagt, dass er das Gesicht des von mir bereits erwähnten „Zerfalls“ ist. In einem Verein, in dem jedes Jahr ein neuer Trainer an der Seitenlinie steht, alle vier Jahre ein neuer Manager auf der Tribüne sitzt und alle zwei Jahre die Mannschaft komplett ausgetauscht wird, um eine neue Ära mit dem nächsten Umbruch einzuleiten, während der sportliche Erfolg zunehmend schwindet, war Clemens Tönnies die Konstante (neben den Schulden und den zu hohen Ambitionen). Allerdings hat Tönnies laut Satzung als AR-Vorsitzender keine Möglichkeit direkt in das operative Geschäft einzugreifen, sondern in der Theorie nur eine Kontrollfunktion inne. Dies würde sich aber ändern, wenn er Anteile am Fußballunternehmen von Schalkes Profimannschaft kauft. Mit anderen Worten, er hätte noch mehr Macht und Einfluss als ohnehin schon. Wie viel Macht, ist abhängig davon wie das Modell der Ausgliederung aussehen würde, weswegen es müßig wäre hier jetzt anzufangen irgendwelche Eventualitäten auszuführen.

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Fakt ist, dass eine finanzielle Abhängigkeit von Tönnies entstehen würde, der als Geldgeber dadurch aktiv in das operative Geschäft eingreifen kann, indem er, wie beispielsweise Kühne beim HSV, Druck ausüben könnte. Und das wäre Gift für Schalke, denn wenn Clemens Tönnies in der Vergangenheit als AR-Vorsitzender eines bewiesen hat, dann ist es fehlende Kompetenz, was eben das operative Geschäft eines Fußballvereines angeht. Jedoch gibt es, wie bereits erwähnt, nicht nur das Modell Tönnies, sondern unzählige Möglichkeiten, wer Anteile von Schalke 04 erhalten kann, jedoch ist es mehr als wahrscheinlich, dass er seinen Hut in den Ring werfen würde.

Abschließend möchte ich noch klar machen, dass der e.V. nicht der Grund für die derzeitige sportliche Entwicklung ist. Diese ist ausschließlich auf schlechte Arbeit der Vereinsführung zurück zu führen, denn die wirtschaftlichen Möglichkeiten waren trotz Schulden da. Ich möchte hier keine Werbung für eine Ausgliederung machen. Ich persönlich bin pro e.V., würde mich aber dennoch mit Modellen einer möglichen Ausgliederung intensiv auseinandersetzen, weil ich es als meine Pflicht als Mitglied von Schalke 04 sehe. Deshalb bitte jedes andere Mitglied dasselbe zu tun und einer Ausgliederung gegenüber offen, sich aber auch der Bedeutung des e.V. bewusst zu sein, wenn der Tag kommen sollte. Und davon gehe ich aus.

Morgen erscheint der zweite Teil dieses Kommentars. Darin wird sich intensiv mit Clemens Tönnies beschäftigt.

René Kabak (Folgt ihm auf Twitter)

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(Photo by MARTIN MEISSNER/POOL/AFP via Getty Images)


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