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Ultras, DFB & co.: Was wollen wir?

3. März 2020 | Spotlight | BY Julius Eid

Nachspielzeit | Die Ultras haben sich in der Wortwahl ihres Protestes verrannt, der DFB den Konflikt bewusst eskalieren lassen. Die Stadionkultur steht an einem Scheideweg und wir müssen uns alle fragen: Wie soll der Fußball in Deutschland zukünftig aussehen?

Auch berechtigte Kritik verliert Stimme

Der Konflikt zwischen den Ultraszenen und dem DFB hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Um Dietmar Hopp geht es nur vordergründig, wenn die Fanszenen die mehr als genug besprochenen Banner in den Stadionhimmel strecken. Es geht vielmehr um den lange schwelenden Konflikt zwischen den aktiven Fans und dem DFB und der DFL. Die Ultras wählten den Weg der maximalen Aufmerksamkeit und griffen immer wieder „Hurensohn“ und Fadenkreuz auf, vielleicht auch, weil kritische Aktionen gegen vorherrschende Zustände ohne diese Reize oft einfach untergingen. Sie haben sich hierbei verrannt. Wenn man die Reaktionen vieler Stadionbesucher und Fußballfans deutet, sind auch sie nicht mit der Wortwahl einverstanden. Der DFB instrumentalisiert diese Empörung.

Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Wenn Karl-Heinz Rummenigge Ultragruppierungen wie die Schickeria angreift, dann greift er eben nicht jene Fans an, die finden, dass Dietmar Hopp ein Hurensohn ist. Er wird Fans los, die nicht stillschweigend jedwede Windung des modernen Fußballs hinnehmen. Fans, die gegen die enge Verbandelung mit Katar lautstark protestieren. Fans, die über jegliche Vereinsgrenzen hinaus Solidarität mit den Dortmundern zeigten, um gegen Kollektivstrafen zu protestieren. Fans, die im Endeffekt für den emotionalen Aspekt des Fußballs Sorge tragen, für die hochgelobte Stimmung in deutschen Stadien.

Korrektiv und Stimmungsmacher

Oft geht in der Auslegung der Hopp-Proteste der Ultraszene ein wichtiger Faktor unter: Die angesprochenen „Übeltäter“ stehen nicht für alle Verfehlungen im Stadion. Das Framing der Banner als „Morddrohung“, als „Hass“ und als mit rassistischen, homophoben oder sexistischen Schmähungen vergleichbar wird von Funktionärsseite so bewusst und konsequent durchgeführt, dass es nicht schwerfällt, einen Plan zu vermuten. Den Tatsachen entspricht dies oft nicht. Bleiben wir beim Beispiel Schickeria. Diese Ultragruppierung positionierte sich immer wieder öffentlich gegen Rassismus, Antisemitismus und die fragwürdigen Kontakte des eigenen Vereins. Sie lassen nicht alles durchgehen, sind eine Art Korrektiv oder legen zumindest den Finger in die Wunde.

Das sollte den Fußball nicht kaputtmachen. Viel eher hingegen dürfte es dem deutschen Fußball schaden, wenn die Ultraszenen komplett aus den Stadien verschwinden. Denn nicht nur die vielleicht letzte, kritische Stimme im definitiv kritikwürdigen, turbokapitalistischen Fußballgeschäft würde verstummen. Auch die Emotionalität und die Einzigartigkeit eines Stadionerlebnisses wäre verloren. In mühevoller Arbeit werden genau von dieser aktiven Fanszene beeindruckende Choreos erstellt, von den Stehplätzen geht die Stimmung aus, wegen denen Menschen aus allen Ländern der Welt sich einen Stadionbesuch in Deutschland ermöglichen wollen. Es sei keinem vorgeworfen, wenn er Aktionen der Ultras nicht gutheißt, ihre Sprache nicht mag oder versteht. Doch es bleibt die Frage, ob man diese nicht in Kauf nehmen sollte, wenn man sich bewusst macht, was ein Ende dieser Szene bedeuten würde.

Photo by Alexander Scheuber/Bongarts/Getty Images

Eine Frage an jeden

Diese Frage stellt sich jedem Stadionbesucher, jedem Fußballzuschauer. Aufgrund des jetzt eskalierenden Konflikts ist sie dringender denn je. Man muss nicht jede Aktion, jeden Protest gutheißen. Aber man sollte sich bewusst machen, dass der Ausschluss der Ultraszene ein riesiger Schritt in Richtung eines klinischen, durchgestylten Produkts wäre. Vereine und Verbände könnten den Weg des Geldes, der Doppelmoral und der Entfernung von Faninteressen (Montagsspiele, teure Eintrittskarten, keine Stehplätze etc.) deutlich ungestörter weitergehen. Das wird am Ende jeden Fußballfan auf die eine oder andere Art treffen. Ob es die weiter steigenden Preise sind, die irgendwann auch den Normalverdiener vom regelmäßigen Stadionbesuch abhalten werden, oder ob es die fehlende Emotionalität ist.

Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Fußball ist ein Volkssport in Deutschland. Dazu trägt unter anderem auch der breite Amateurbereich bei. Der Profifußball an sich hingegen entfernt sich immer weiter vom „Volk“. Es sind die Choreos, die großen Symbole der Ultras, ja, sogar die ungeliebten Pyros, die zumindest noch ein bisschen die Kraft ausstrahlen, die der normale Fan in diesem Business haben kann. Die uns vor völliger Seelenlosigkeit bewahren.

Film oder Feeling

Dieser Artikel soll hierbei gar keine Wertung vornehmen. Jeder Betrachter des Sports hat eine persönliche Sichtweise darüber, was ihn zum Konsum bewegt und zum Fan macht. Es ist in Ordnung, wenn man Fußball wie einen Film oder eine Samstagabendshow genießen will. Doch sollte man sich bewusst machen, dass es dann irgendwann auch wirklich nicht mehr mehr als das sein wird. Nicht  nur was die Ultrabewegung angeht muss man sich entscheiden und sich den Konsequenzen bewusst sein. Will ich, dass die größten Stars und Trainer in Deutschland aktiv sind? Oder will ich, dass für meinen Verein Spieler auflaufen, die sich wirklich noch mit dem Verein identifizieren? Will ich, dass die deutschen Vereine international um Titel mitspielen oder will ich eine heimische Liga die nicht so klinisch ist wie die in England? Will ich die größte, spektakulärste WM aller Zeiten oder einen Fußball der sich klar gegen Verletzungen des Menschenrechts positioniert?

Diese und unzählige weitere Fragen werden über die Zukunft des Fußballs entscheiden. Wir alle müssen sie beantworten und sollten dies am Besten nicht im Affekt tun, sondern verstehen, dass wir diese Verantwortung haben.

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Julius Eid

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


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