WM-Geheimfavoriten | Senegal – Die Fluchbrecher?

10. Juni 2018 | Nationalelf | BY Marius Merck

Seit Mitte der 1990er Jahre wird bei nahezu jeder Weltmeisterschaft ein afrikanisches Team als einer der Geheimfavoriten gesehen. Hierbei sind vor allem Nigeria bei der Endrunde 1998 und die Elfenbeinküste bei dem Turnier 2006 hervorzuheben. Doch trotz aller Vorschusslorbeeren schaffte es bis heute (!) noch nie eine Mannschaft von dem Kontinent ins Halbfinale! Am Nähsten kamen diesem Unterfangen noch Kamerun 1990, Senegal 2002 und Ghana 2010 (Aus durch eine Glanzparade von Luis Suarez), welche allesamt auf ziemlich unglückliche Weise im Viertelfinale scheiterten. Dem zweitgenannten Team ist auch bei der WM 2018 einiges zuzutrauen – doch wieso könnte gerade Senegal der besagte Fluchbrecher werden?

 

Die Qualifikation

Die Senegalesen können bis heute nur auf eine einzige Teilnahme bei einer Endrunde zurückblicken – doch bei der WM 2002 in Japan & Südkorea erzielte man gleich das (mit-)beste Resultat eines afrikanischen Teams in der WM-Historie. Die Stars hießen damals unter anderem El-Hadji Diouf und Papa Bouba Diop, letzterer erzielte im Auftaktspiel gegen Titelverteidiger Frankreich um den damaligen Weltfußballer Zinedine Zidane den entscheidenden Treffer. Die Franzosen schieden übrigens sang- und klanglos als Gruppenletzter aus, während die Afrikaner als Gruppenzweiter hinter Dänemark und vor Uruguay in die KO-Runde einzogen. Senegal schlug im Achtelfinale dann auch die favorisierten Schweden (mit einem blutjungen Zlatan Ibrahimovic), bevor im Viertelfinale dann gegen die Türkei Endstation war.

Seit diesem Überraschungserfolg gelang jedoch keine weitere Qualifikation – bis nun eben zur Endrunde in Russland. In einer Gruppe mit Burkina Faso, Kap Verde und Südafrika setzte sich die Mannschaft von Trainer Aliou Cissé souverän als Gruppensieger durch. Mit vier Siegen und zwei Remis sicherte man sich den Gruppensieg vor Burkina Faso, gegen welche man auch als einzigen Gegner bei zwei Unentschieden Punkte ließ. Die ersehnte Qualifikation war somit geschafft.

 

Der Kader

Die auswählten 23 von Coach Cissé müssen sich zumindest marktwerttechnisch hinter den wenigsten Teilnehmern bei der WM verstecken. Laut transfermarkt.de stellen die „Löwen von Teranga“ den elftteuersten Kader aller 32 Teilnehmer.

Torhüter

Wenn die Senegalesen  im internationalen Vergleich am ehesten etwas verstecken sollten, dann die Besetzung zwischen den Pfosten. Höchstwahrscheinlich wird man mit Khadim N´Diaye (33/Horoya AC, Guinea) oder Abdoulaye Diallo (26/Ersatzkeeper bei Stade Rennes) in das Turnier gehen. Dabei hat man mit Alfred Gomis (24/SPAL Ferrara) noch einen Mann in der Hinterhand, welcher in der abgelaufenen Runde immerhin 26 Spiele in der Serie A bestritt. Im letzten Freundschaftsspiel gegen Kroatien (1:2) bekam Diallo den Vorzug, wohl auch ein Zeichen von Cissé, mit welchem Keeper man letztendlich ins Turnier gehen wird.

Abwehr

Im Frühjahr hat Cissé unter anderem auch die Fünferkette ausprobiert, wobei diese Variante zu viel Kritik geführt hat. Im letzten Testspiel gegen die Kroaten wählte der Auswahltrainer daher eine Viererkette. Dabei kann der 27. der FIFA-Weltrangliste auf zwei absolute Topleute zurückgreifen. Kalidou Koulibaly (26/SSC Neapel) war in der abgelaufenen Saison womöglich der beste Innenverteidiger in der kompletten Serie A, er hatte einen großen Anteil daran, dass sein Klub ganz dicht am Gewinn der Meisterschaft dran war. Auch sein Partner und zukünftiger Schalker Salif Sané (27/Hannover 96) kann auf eine herausragende Runde zurückblicken, die Hannoveraner hatten als Aufsteiger vor allem wegen seinen Leistungen nichts mit dem Abstieg zu tun. Die Besetzung in der Zentrale wird von Kara (28/RSC Anderlecht) komplettiert.

Auf der rechten Außenposition dürfte der erfahrene Lamine Gassama (28/Alanyaspor) starten, welcher auf mehrere Meisterschaften mit Olympique Lyon zurückblicken kann. Als linker Verteidiger wird Youssouf Sabaly (25/Girondins Bordeaux) den Vorzug erhalten, an welchem zahlreiche Topmannschaften interessiert sein sollen. Der etatmäßige Rechtsverteidiger hat eine starke Saison in der Ligue 1 abgeliefert.

(Photo by MARCO BERTORELLO/AFP/Getty Images)

Mittelfeld

Auch bei den gewagten Versuchen mit Fünferkette bot Cissé in der Regel zwei defensive Mittelfeldspieler auf. Im Text gegen die Kroaten sollte sich daran im etatmäßigen 4-2-3-1 auch nicht viel ändern. Absolut gesetzt ist dabei Cheikhou Kouyaté (28/West Ham United). Der Mannschaftskapitän ist nun seit bereits vier Jahren Stammspieler in der Premier League und aufgrund seiner herausragenden Zweikampfstärke unersetzlich. Ihm zur Seite steht in der Regel Idrissa Gueye (28/Everton), welcher vor allem in den letzten 18 Monaten eine fantastische Entwicklung bei den „Toffees“ nahm.

Daneben besitzt Cissé mit Badou Ndiaye (27/Stoke City), Alfred N´Diaye (28/Wolverhampton) und Cheikh N´Doye (32/Birmingham City) durchaus qualitativ hochwertige Alternativen, welche sich im internationalen Vergleich nicht kaum verstecken müssen. An der Wahl des eingangs erwähnten Duo sollte allerdings nicht zu rütteln sein.

(Photo by LIONEL MANDEIX/AFP/Getty Images)

Angriff

Der größte Star des Teams tummelt sich in der Offensive: Sadio Mané (26/FC Liverpool). Im Gegensatz zu seiner Rolle bei den „Reds“ startet der Torschütze aus dem Champions League-Finale bei Senegal häufig in zentraler Position. Auf den Flügeln hat Cissé die Qual der Wahl: Im Normalfall würde auf der linken Außenbahn Keita Baldé (23/AS Monaco) gesetzt sein, der Angreifer geht jedoch angeschlagen in das Turnier. Er wird zumindest zu Beginn des Turniers wahrscheinlich von M´Baye Niang (23/FC Turin) ersetzt, das „ewige Supertalent“ kann jedoch genauso gut als zentraler Mittelstürmer eingesetzt werden. Auf der rechten Außenbahn dürfte kein Weg an Shootingstar Ismaila Sarr (20/Stade Rennes) vorbeiführen.

In der Sturmmitte tummeln sich sogar noch mehr Kandidaten für die Startelf: Den meisten Beobachtern dürfte Mame Diouf (30/Stoke City) noch aus der Bundesliga bei Hannover 96 bekannt sein. Neben den bereits erwähnten Niang stehen weiterhin Moussa Konaté (25/SC Amiens) und Diafra Sakho (28/Staden Rennes) zur Verfügung. Zudem hat Cissé noch einen wahren Trumpf in der Hinterhand: Keiner dürfte in den vorderen Reihen mehr Erfahrung als Moussa Sow (32/Bursaspor) aufweisen.

Gegen Kroatien startete Sakho an vorderster Front – mit mäßigen Erfolg.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

 

Die Gruppe & möglicher Turnierverlauf

Die Afrikaner sind wahrscheinlich in der ausgeglichensten Konstellation in der ganzen Endrunde gelandet. In der Vorrunde trifft Senegal auf Kolumbien, Polen und Japan. Zumindest auf dem Papier ist keine der genannten Mannschaften der Gruppe H zwingend stärker, lediglich Polen kam als WM-Dritter überhaupt nur als einziges Team bei einer Weltmeisterschaft jemals weiter, als die Senegalesen bei ihrer einzigen Teilnahme am einer Endrunde. Ein Weiterkommen in der Gruppe ist auf jeden Fall möglich, wobei dies wohl vor allem auf die direkten Duelle mit Polen und Kolumbien ankommen wird.

Im Achtelfinale würde man auf einen Gegner aus der Gruppe G treffen, dort kann man ganz klar Belgien und England als die favorisierten Teams erachten. In jedem möglichen direkten Duell mit einem der beiden potentiellen Gegner würde man als Underdog in die Partie gehen. Dennoch könnten auch die beiden Favoriten gestürzt werden, weder Belgien noch England haben in den letzten Jahren als herausragende Turniermannschaft von sich reden gemacht. Zum Vergleich: Bei der Europameisterschaft 2016 schied Belgien gegen Wales aus, die Engländer blamierten sich bis auf die Knochen gegen Island.

In einem möglichen Viertelfinale könnten dann echt Kracher warten. Im Falle eines Weiterkommens warten hier wahrscheinlich Titelverteidiger Deutschland oder Brasilien. Bei günstigerer Lage könnten die Gegner aber auch Serbien, Mexiko, Schweden oder Schweiz heißen, was ausgeglichenere Duelle versprechen würde, aber nicht gerade als wirklich realistisch zu erachten ist. In der Runde der letzten Acht stoßen die „Löwen von Termuda“ womöglich an ihre Grenzen – wobei in einem einzigen Spiel vieles möglich ist – gerade, wenn die Mannschaft bis dahin gekommen sein sollte und dem dadurch entstandenen Selbstvertrauen.

 

Fazit

Zumindest auf dem Papier reisen die Senegalesen als die stärkste Mannschaft aus Afrika an: Mit der Innenverteidigung, dem defensiven Mittelfeld sowie dem offensiven Bereich sind elementare Teile des Kaders qualitativ hochwertig besetzt (mit Ausnahme der Torhüter-Position). Daneben ist das Team von Coach Cissé in der ausgeglichensten Gruppe des Turniers gelandet, ein Weiterkommen wäre keine dermaßen „riesige „Überraschung. Im Achtelfinale würde dann wahrscheinlich mit England oder Belgien der erste richtige „Brocken“ warten, beide Nationen gelten jedoch keineswegs als Turniermannschaften. In der Runde der letzten Acht könnte der Viertelfinalist von 2002 dann an seine Grenzen stoßen – wobei in einem einzigen Spiel natürlich alles möglich ist.

Als 27. der Weltrangliste wäre ein Erreichen der besten acht Teams der Welt sowieso ein riesiger Erfolg. Mit einer gehörigen Portion Glück gelingt dann vielleicht sogar der Sprung ins Halbfinale… dann wäre Senegal tatsächlich der zitierte „Fluchbrecher“, wobei dies aufgrund des zu erwarteten Szenarios im Viertelfinale wenig realistisch erscheint.

 

Mögliche Startaufstellung

Diallo – Gassama, Koulibaly, Sané, Sabaly – Kouyaté, Gueye – Sarr, Mané, Keita Baldé – Sow

(Photo by KHALED DESOUKI/AFP/Getty Images)

 

Marius Merck

Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.


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