Hauptsache, der Ball rollt | China – der schlafende Riese

9. Mai 2022 | Trending | BY Florian Weber

Eine Kolumne über den chinesischen Fußball und wieso der Traum von Xi Jinping, dass China Fußballweltmeister werden wird, trotz aller Probleme der letzten Jahre in Erfüllung gehen wird.


„Hauptsache, der Ball rollt“ erscheint künftig wöchentlich. Jeden Montag als Rückblick darauf, welche wechselseitigen Auswirkungen von Fußball und Politik in der vergangenen Woche wichtig waren. Um die Mär, Fußball sei unpolitisch, der noch immer einige Funktionäre hinterhersinnen, zu widerlegen.


Geht es nach einem Mann, soll die chinesische Nationalmannschaft bis 2050 die beste Fußballmannschaft der Welt sein. Der Name des Mannes? Xi Jinping, der chinesische Staatspräsident. Ein Plan, der für Fußballdesinteressierte durchaus plausibel klingen mag: China ist mit 1,4 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Welt. Bei den vergangenen Olympischen Sommerspielen waren sie das zweiterfolgreichste Land hinter den USA. (Ein möglicher Indikator dafür, wie leistungssportbegeistert ein Land ist.) Wieso also nicht die Nummer eins im Fußball werden?

China: Der Traum ist aus?

Die Antwort darauf kann jeder geben, der in den letzten Jahren den Fußball verfolgt hat. Fragen Sie doch mal jemanden nach der Nationalmannschaft China. Nach Spielern, dem Trainer, den Erfolgen oder gar der Spielweise. Antworten werden Sie darauf wahrscheinlich kaum bekommen. Und genau das ist die Antwort. Zuletzt hat sich die chinesische Nationalmannschaft 2002 für eine Weltmeisterschaft qualifiziert, schied aber in der Gruppenphase aus, nachdem sie alle drei Spiele gegen die Türkei, Brasilien und Costa Rica verloren hatte.



Und auch der Blick in die jüngere Geschichte macht ratlos. Nach Niederlagen gegen Japan und Vietnam unterlag die chinesische Fußballnationalmannschaft im März dem Oman mit 0:2 und hat sich damit auch nicht mehr für die bevorstehende FIFA-Weltmeisterschaft in Qatar qualifiziert.

Ein großes Scheitern. Für die Spieler. Für die Fans. Für Xi Jinping.

Denn der Staatspräsident hat den Fußball in China zur Chefsache erklärt. Erstmals 2011. Damals, ein Jahr bevor er Präsident wurde, sagte er zu einem südkoreanischen Diplomaten, dass er drei Wünsche habe: China solle sich für die Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren, ein Turnier ausrichten und schließlich Weltmeister werden.

Diese Aussage zeigt, was bereits zahlreich berichtet wurde: Xi Jinping ist ein großer Fußballfan. Politisches Handeln folgte aber nicht unmittelbar. Erst 2015 leitete die Regierung unter Xi Fußballreformen ein. Fußball wurde als Pflichtfach in den nationalen Lehrplan aufgenommen und für gewisse Studienfächer Teil der Universitätsaufnahmeprüfung. Dies sollte bildungsorientierten chinesischen Eltern dazu bewegen, ihr Kind Fußball spielen zu lassen. Außerdem wurde die Infrastruktur enorm ausgebaut. Damals gab es nur 5.000 Schulen mit Fußballplatz. Etliche wurden seitdem gebaut, mittlerweile gibt es ein Vielfaches davon – und bis 2025 sollen 50.000 Schulen einen Fußballplatz bekommen.

Fußball soll offiziell der Nationalsport Chinas werden.

Parallel dazu fand im chinesischen Fußball eine weitere Entwicklung statt. Klubs, die unter anderem durch Staatskonzerne und ansässige Investoren unterstützt wurden, warfen mit Geld um sich. Oscar, Hulk, Paulinho. 60 Millionen Euro. 55 Millionen Euro. 42 Millionen Euro. Das Talentlevel sollte mit Zukäufen aus dem Ausland gesteigert werden. Der Wert der Liga stieg enorm. Laut „ABC“ stieg der Umsatz der Liga bis 2018 auf über 3,1 Milliarden Euro. (Zum Vergleich: Die Bundesliga machte im gleichen Jahr etwa eine Milliarden Euro mehr Umsatz.) Die Strahlkraft der Liga stieg, die Umsätze ebenfalls. Rentabel waren die horrenden Investitionen trotzdem nicht.

Chinese Super League: Wo ist das Geld hin?

Außerdem entsprachen die Investitionen in ausländische Spieler nicht der Linie der Regierung. Deren Plan sah vor, das Talentlevel innerhalb des Landes zu steigern. Deshalb wurde vor vier Jahren, 2018, eine Transfersteuer eingeführt. Und was für eine! Chi­ne­si­sche Ver­eine müssen seitdem 100 Pro­zent der Trans­fer­summe für Spieler aus dem Aus­land zusätz­lich an den Staat zahlen. Davon erhoffen sich die Gefolgsleute von Xi Jinping, dass die Vereine ihr Geld in die Nachwuchsförderung investieren, statt renommierte ausländische Spieler zu verpflichten.

Kurzfristig ändert dies nichts an der Strategie der Vereine. Auch deswegen verhängte die Regierung vor zwei Jahren, 2020, eine weitere Maßnahme: eine Gehaltsobergrenze. Ausländische Spieler dürfen seitdem maximal drei Millionen Euro jährlich verdienen. In einer Zeit, in der die meisten Ausländer, die in der Chinese Super League spielten, deutlich mehr verdienten. Vor einem Jahr, 2021, folgte der nächste Eingriff: Sponsorennamen dürfen seitdem nicht mehr in Vereinsnamen geführt werden.

Die Regierung änderte also ihren Kurs. Eine große Linie war zu erkennen: Gelder wurden aus Fußballmarkt abgezogen. Etwas, was in aufgeblähten Märkten nicht ohne Folgen bleiben kann. Die viel zu hohen Ausgaben konnten nach dem Rückzug zahlreicher Sponsoren und Investoren nicht mehr gedeckt werden. Vereine lösten sich auf, Spieler wurden entlassen. Die kurze Phase, in der Geld in der Chinese Super League keine Rolle spielte, ist vorbei. Chinesische Medien berichteten gar, dass mehr als die Hälfte der Profifußballvereine des Landes ihre Spieler im vergangenen Jahr aufgrund finanzieller Probleme nicht bezahlen konnten. Die finanzielle Misere hat sich während der Corona-Pandemie weiter verschärft.

Doch was ist nun aus dem Plan von Xi Jinping geworden? China sollte doch zur Nummer eins im Fußball werden. Dieses Ziel formulierte er öffentlich seit Jahren nicht mehr. Allgemein spricht er deutlich seltener über Fußball als noch vor fünf Jahren. Er scheint den Plan geändert zu haben. Die Nachwuchsförderung soll verbessert werden, um die Nationalmannschaft langfristig dem Ziel näher zu bringen.

Alles nur eine Frage der Zeit

Bis 2025 soll 50 Millionen Schüler der Fußball gelehrt werden. Dies wäre eine Verdoppelung innerhalb von sechs Jahren. Dazu werden Trainer benötigt, die aktuell unter anderem mit der Unterstützung des Deutschen Fußballbundes ausgebildet werden. Überall im Land entstehen neue Fußballakademien. Bis diese Entwicklung allerdings Ergebnisse hervorbringt, wird es wohl noch dauern. Die „Deutsche Welle“ hat mit dem chinesischen Fußballkommentator Ma Dexing gesprochen, der davon ausgeht, dass es noch zehn bis zu 15 Jahre dauern wird, bis China bessere Spieler hervorbringt. Ähnliches sagte Sportökonom Simon Chadwick: „Auf dem Spielfeld werden wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts erste Fortschritte sehen, obwohl es wahrscheinlich ist, dass es mindestens noch bis 2035 dauern wird, bis China in der Rangliste des Fußballs nachhaltig aufsteigt.“

Und auch wenn die heimische Liga in den letzten Jahren radikal entkommerzialisiert wurde, investiert die chinesische Regierung weiterhin in den Fußball. Internationale Großereignisse werden großzügig gesponsert. Von den zwölf wichtigsten Sponsoren bei der letztjährigen Europameisterschaft kamen vier aus China. Außerdem versuchen europäische Spitzenklubs in den letzten Jahren vermehrt, den chinesischen Markt dafür zu nutzen, die eigenen Einnahmen zu steigern. Reisen, Freundschaftsspiele, Sponsoring. Fanaktionen oder Merchandising. Alle Mittel werden genutzt. Davon profitieren natürlich zuvorderst die Vereine. Aber auch die Pläne Chinas werden dadurch vorangetrieben. Die Bevölkerung begeistert sich für den Sport. Der durchschnittliche Fußballfan in China ist jung. Anders als in vielen anderen Ländern, wo das Interesse am Fußball laut verschiedener Umfragen tendenziell nachlässt.

Der Traum von Xi Jinping ist trotz aller Schwierigkeiten in den letzten Jahren wohl nur eine Frage der Zeit.

(Photo by FRED DUFOUR/AFP via Getty Images)


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