Arsenal | 5 Gründe, warum Unai Emery vor dem Aus stehen sollte…

28. Oktober 2019 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Nachspielzeit | 0:1 bei Aufsteiger Sheffield United, 2:2 nach 2:0-Führung zuhause gegen Crystal Palace. Der Rückstand auf die anvisierten Top-Four beträgt vier Punkte. Schlimmer als die Ergebnisse oder die tabellarische Konstellation ist allerdings das, was beim FC Arsenal auf und vor allem abseits des Platzes geschieht.

Emery in der Pflicht

Nachdem es vergangene Spielzeit in der Liga sowie über den Umweg Europa League knapp scheiterte, gab Arsenal 2019/2020 die Rückkehr in die Champions League als Saisonziel vor.

Um das zu realisieren, stellte der Klub aus Nordlondon seinem Trainer trotz angespannten Budgets knapp 150 Millionen Euro für neue Spieler zur Verfügung. Kieran Tierney, Dani Ceballos, Rekordneuzugang Nicolas Pépé und mit Abstrichen sogar David Luiz stellen allesamt logische und qualitativ gute Verstärkungen dar. Man könnte behaupten, dass Arsenal diese Saison nicht nur den besten Kader, sondern dank der schwächelnden Konkurrenz auch die besten Chancen der letzten drei Jahre hat, über die Liga in die Top-Four zurückzukehren.

Der Verein stellte die Rahmenbedingungen. Nun liegt es an Unai Emery, nach einer durchwachsenen Debütsaison auch zu liefern. Doch das droht aus fünf Gründen zu scheitern…

Grund 1) Kastrierte Offensive

„Als ich hier ankam, war die Kreativität mehr oder weniger gut, aber die ‚competitiveness‘ war schlechter, es war nicht genug. Jetzt sind wir ‚competitive’“, betonte Emery letzte Woche auf einer Pressekonferenz, „die Kreativität haben wir vielleicht etwas verloren, aber ich weiß sie kommt zurück. Ich will beides.“

Für „competitive“ gibt es im Deutschen keine ideale Übersetzung. Der Spanier nutzte diesen Ausdruck binnen 15 Minuten neun Mal. Damit meinte er mehr als nur „wettbewerbs- oder konkurrenzfähig“. Er meint Intensität, Aggressivität, Kampf, Laufarbeit und vor allem Siegermentalität. Legitime Verbesserungspunkte, doch bis zu welchem Grad und zu welchem Preis?

Die Kreativität hat, wie auch Emery nicht entgangen ist, unter der neuen Devise erheblich gelitten. Nicht nur das, der 47-Jährige scheint seine Mannschaft hinsichtlich ihrer größten natürlichen Stärke regelrecht kastriert zu haben. Dabei weist nur ein Blick auf das Personal auf, worunter sich mit Pierre-Emerick Aubameyang und Alexandre Laczatte zwei der besten Stürmer Europas befinden, dass die Offensive das Steckenpferd sein sollte.

(Photo by Dan Mullan/Getty Images)

Von einstudierten Angriffen, Kreativität, Ideen, Automatismen, Passstafetten, geschweige denn einem offensiven Plan, ist allerdings keine Spur. Und wenn es einen gibt, dann scheint ihn die Mannschaft nicht zu verstehen.

Der offensive Output hat sich nicht nur im Vergleich zur letzten Saison unter Wenger verschlechtert, sondern sogar zur Debütsaison unter Emery. Die 1,42 expected Goals, die sich Arsenal 2019/2020 pro Partie erspielt, gleichbedeutend mit Rang acht in der Premier League, sind 0,29 weniger als im Vorjahr und sogar 0,54 weniger als unter Wenger 2017/2018. Dabei ist das Personal mindestens ebenbürtig.

Das Angriffsspiel unter Emery basiert auf Zufallsprodukte, wie die zwei Abstauber nach Standardsituationen gegen Crystal Palace zeigen und vor allem: individuelle Qualität. Immer wieder täuschen Einzelmomente, wie die zwei Freistoßtore Pépés in der Europa League beim 3:2-Krampf über Victoria SC, oder die übereffizienten Goalgetter Aubameyang und Lacazette über das erschreckend leblose und unkreative Offensivspiel hinweg.

Grund 2) Unverbesserte Defensive

Würde man weniger Gegentore kassieren, wäre ein limitiertes Offensivspiel auch kein Problem und der Ansatz des Trainers plausibel. Das ist allerdings nicht der Fall.

Kassierte Arsenal unter Wenger noch 1,28 „expected Goals Against“ pro Spiel, waren es 2018/2019 unter Emery 1,51. 2019/2020 sind es Stand heute gar 1,6 xGA, gleichbedeutend mit Rang elf der Premier League. Hätten die Gunners und ihre Gegner ihre Chancen gemäß expected Goals verwandelt, stünde Arsenal in der Tabelle auf Platz elf.

(Photo MARK RALSTON/AFP/Getty Images)

Defensive Abstimmungsprobleme und suspekte Raumverantwortung sind auch nach eineinhalb Jahren Emery weiterhin an der Tagesordnung.

Fragt sich also, was diese angeblich verbesserte „competitiveness“ bringt, wenn man weniger Tore schießt und mehr kassiert?

Grund 3) Fragliche Personalentscheidungen

Nicht nur die spielerische Ausrichtung, sondern auch die Personalentscheidungen Emerys sind teilweise schwer nachvollziehbar.

Calum Chambers & Rob Holding

Da David Luiz erst kurz vor Transferschluss verpflichtet wurde und Rob Holding nach Kreuzbandriss noch ausfiel, erhielt Leih-Rückkehrer Calum Chambers am ersten Spieltag gegen Newcastle in der Innenverteidigung das Vertrauen.

Arsenal gewann auswärts mit 1:0. Das ist tatsächlich außergewöhnlich, denn 2018/2019 behielten die Gunners in 18 Versuchen auf fremden Terrain lediglich einmal eine weiße Weste. Dass dies 2019/2020 bereits im ersten Anlauf gelang, war vor allem Chambers zu verdanken. Mit viel Ruhe und Zweikampfstärke ragte er heraus. Es war bis heute der beste Auftritt eines Arsenal-Innenverteidigers in dieser Saison. Denn obwohl Luiz und Sokratis in den letzten neun Spielen alles andere als sattelfest wirkten, würde Chambers kein weiteres Mal für die Innenverteidigung berücksichtigt werden.

Gleiches gilt übrigens für Rob Holding. Während die Vorgaben aus der medizinischen Abteilung nicht bekannt sind, ist es ebenso fragwürdig, dass der Engländer bereits seit September in Ligapokal und Europa League eingesetzt wird, in der Premier League aber weiterhin nur auf der Bank sitzt. Letzte Saison war Holding immerhin der wohl beste Innenverteidiger des FC Arsenal.

(Photo BEN STANSALL/AFP/Getty Images)

Lucas Torreira

Eine weitere Sache, die von außen nur schwer zu begreifen ist, ist der Umgang mit Lucas Torreira. Letzte Saison noch einer der absoluten Leistungsträger, ist der Mann aus Uruguay derzeit außen vor.

Granit Xhaka, dessen große Stärke, das Taktgeben, durch die spielstarken Luiz und Guendouzi immer weniger benötigt wird, erhält im defensiven Mittelfeld den Vorzug. Dabei fällt der Schweizer immer wieder durch Stellungsfehler sowie Unachtsamkeiten auf und trägt somit zur allgemeinen Instabilität bei.

Torreira drück jedoch weiterhin die Bank. Wenn er spielt, dann auf der Zehn, laut Emery um dort das Pressing zu beleben. Das ist übrigens trotz anfänglicher Priorisierung mittlerweile kaum noch existent. Torreiras Stärken werden also komplett verschenkt und das obwohl er 2018/2019 durch Zweikampfstärke, Energie und defensives Verantwortungsbewusstsein dem Mittelfeld langersehnte Balance einhauchte und die Defensive entlastete.

(Photo by Naomi Baker/Getty Images)

Mesut Özil ist hier ebenfalls zu erwähnen. Doch der Ex-Nationalspieler fällt sogar eher unter Grund 4.

Grund 4) Fragliche Führung

Wahl des Kapitäns

Die Rolle des Spielführers ist eine von besonderer Bedeutung. Ein Kapitän soll nicht nur als Anführer des Klubs, sondern als verlängerter Arm des Trainers fungieren. Um so verwunderlicher ist es, auf welche Art und Weise Emery die Ernennung des Kapitäns 2019/2020 handhabte.

Er wies die Verantwortung quasi komplett von sich. Erst Ende September, also sechs Wochen nach Saisonstart, ließ Emery eine Wahl abhalten, um leichter und endlich zu einer Entscheidung zu kommen. Er vertraute seinen Spielern und ernannte gemäß der Abstimmung Granit Xhaka zum Spielführer. Eine zweifelhafte Wahl, denn obwohl der 27-Jährige in der Mannschaft sehr beliebt sein soll, ist alleine schon seine Daseinsberechtigung als Stammspieler sehr umstritten.

Die Causa Özil

Ein weiteres kurioses Resultat der Spielwahl war die Ernennung Mesut Özils zu einem Mitglied des fünfköpfigen Führungskomitees. Auch er gilt als beliebt. Doch der 31-Jährige wurde im Vorjahr nur spärlich eingesetzt und ist in dieser Saison endgültig sowie schonungslos aufs Abstellgleis gelangt.

Öffentlich begründete der Trainer unter Rückendeckung der Vereinsführung die Nichtberücksichtigung des Top-Verdieners durch Defizite hinsichtlich Arbeitsmoral und im Spiel ohne den Ball. Eine Erklärung, die gerade in Anbetracht der offensiven Tristesse im Spiel der Gunners erheblich angezweifelt wurde.

(Photo by Julian Finney/Getty Images)

Doch es scheint mehr dahinter zu stecken. Emery sagte am Donnerstag, dass jetzt “nicht der Moment” sei, über die Gründe zu sprechen. Was auch immer die Ursache ist und wer dafür verantwortlich ist, die Art und Weise, wie nicht nur Emery sondern die gesamte Vereinsführung mit dieser Situation umgehen, ist fahrlässig.

Das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen dem Trainer und den Fans, bei denen der Edeltechniker weiterhin einen hohen Stellenwert genießt, wurde somit zusätzlich belastet. Was uns zum nächsten Punkt führt…

Grund 5) Toxische Atmosphäre

Als Arsenal unter Arsene Wenger zu stagnieren begann, entwickelte sich eine toxische Atmosphäre im Emirates Stadium. Kritiker und Befürworter des Trainerurgesteins begannen sich regelrecht zu bekriegen. Ein Jahr nach seinem Rücktritt blickte Wenger darauf zurück: „Das Bild, das wir von uns als Klub abgaben, ist nicht zutreffend und nicht, was ich mag. Es war nicht das Bild der Gemeinsamkeit, das ich mir auf der Welt wünsche und das tut weh.“

Nur eineinhalb Jahre nacht dem Ende der Ära Wenger hat die Stimmung im Norden Londons einen ähnlichen Tiefpunkt erreicht. „Emery Out“ – Schilder sind immer häufiger im Stadion zu finden. Die Spielweise, (ausbleibende) Resultate, Personalentscheidungen und die kontroverse wie undurchsichtige Handhabung der Causa Özil führen bei den Fans zu Streitigkeiten und enormen Frustrationen.

Mittlerweile äußert sich das nicht nur in der Abneigung zum Trainer, sondern zu den eigenen Spielern. Diese hinken zwar großteils ihrer Form hinterher, werden aber auch weitestgehend nicht ihren Stärken entsprechend eingesetzt (Pépé, Ceballos, Torreira und Co.) oder in unpassende Rollen gedrängt (Xhaka).

Am Sonntag, beim 2:2 gegen Crystal Palace, wurde die Auswechslung Xhakas hämisch gefeiert. Dem Spielführer, der zweifelsohne nicht in der besten Verfassung ist, allerdings in den sozialen Medien unverhältnismäßig als Sündenbock deklariert wurde, platzte der Kragen. Als er vom Platz ging, beleidigte er die Zuschauer und riss sich das Trikot vom Leib. Emery wurde desinteressiert und fast schon vorwurfsvoll abgeklatscht.

(Photo by GLYN KIRK/AFP via Getty Images)

Vor dem Aus?

Ob zwischen Fans und dem Trainer, Trainer und der Mannschaft, Mannschaft und den Fans: Von einem Einheitsgefühl war am Sonntag im Emirates Stadium nichts zu sehen. Und das war letztendlich ein großer Faktor, warum der Fußballromantiker Arsene Wenger nach fast 22 Jahren seine große Liebe letztendlich aufgab.

Obwohl sich die Ergebnisse zuletzt nach und nach den tatsächlichen Leistungen anpassten, soll Unai Emery noch die Rückendeckung der sportlichen Führung genießen. Doch das, was derzeit auf und vor allem abseits Platzes passiert, könnte, nein muss eigentlich schon bald zu einem Umdenken führen.

Nach den nächsten drei Spielen, auswärts gegen Liverpool im Ligapokal, zuhause gegen Top-Sechs-Schreck Wolverhampton und auswärts bei Überraschungsteam Leicester, könnte es bereits soweit sein…

Chris McCarthy

(Photo by GLYN KIRK/AFP via Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


Ähnliche Artikel