Arsenal | Emery sucht Balance…dabei sitzt sie wenige Plätze hinter ihm

21. September 2018 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Sechs Pflichtspiele ist die Ära „Unai Emery“ nun alt. Die Bilanz: Vier Siege, zwei Niederlagen, 14:11 Tore. Nach einem schweren Auftakt mit Niederlagen gegen Manchester City und Chelsea, verhalf der leichtere Teil des Spielplans den „neuen“ Gunners in die Spur. Während die Offensive runder läuft, Automatismen greifen und immer mehr die Handschrift des neuen Trainers zu erkennen ist, erobert die schwache Defensive weiterhin die Schlagzeilen. Emery sucht Balance…dabei sitzt sie wohl genau hinter ihm.

 

Suche nach Balance

Dass das Transferfenster des FC Arsenal nicht hundertprozentig durchdacht war, wurde bereits im Vorfeld der Saison genügend in den Medien diskutiert. Spätestens jetzt, nach elf Gegentoren in sechs Spielen, herrscht Klarheit.

Obwohl Unai Emery gerne presst, mit einer hohen Verteidigungslinie agiert und das Spiel über die Innenverteidiger aufbaut, wurde genau diese für das System des Spaniers so wichtige Position im Sommer nicht adäquat adressiert. Erst recht, wenn man in Betracht zieht, dass der am ehesten maßgeschneiderte Kandidat für diese Rolle, Laurent Koscielny, nicht mehr der Jüngste ist und bis Jahresende ausfällt. Einzig Sokratis kam, doch obwohl seine Leistungen bisher vielversprechend waren, ist auch er wohl kaum der Prototyp eines Emery-Innenverteidigers. Weder der Grieche noch Shkodran Mustafi sind passsicher, geschweige denn die größten Techniker. Beide sind nicht die Gedankenschnellsten. Beide agieren eher körperbetont als strategisch und beide tun sich mit der Spielphilosophie des neuen Trainers, sowohl defensiv als auch offensiv, sichtbar schwer.

Doch das ist nun mal das System des Spaniers. So kann er am effektivsten das Spiel aufbauen lassen und somit Torchancen ermöglichen. Offensiv trägt das auch immer mehr Früchte. Solange aber die Probleme in der Hintermannschaft bestehen, dürfte es für den FC Arsenal schwer werden, nach zwei Jahren Abwesenheit in die Königsklasse zurückzukehren. Also was tun?
Emery muss Balance finden. Er muss einen Weg finden, die Defensive zu stabilisieren, ohne den offensiven Spielfluss einzuschränken. In Form von Neuzugängen ist dies bis Winter nicht möglich. Das Transferfenster ist geschlossen. Dabei muss der Wenger-Nachfolger gar nicht so weit suchen…

(Photo IAN KINGTON/AFP/Getty Images)

 

Beispiel Leicester

Blicken wir drei Jahre zurück. Es war wohl die größte Sensation in der Geschichte der Premier League. Das kleine Leicester setzte sich gegen die übermächtigen „Top-6“ des englischen Fußballoberhauses durch und wurde total unerwartet Meister. Claudio Ranieri legte ein Trainer-Meisterwerk hin, sorgte für pure Effizienz und Homogenität. Jamie Vardy knipste nach Belieben. Riyad Mahrez avancierte durch seine Kreativität zum Spieler des Jahres. Bisher eher unterdurchschnittlich eingestufte Innenverteidiger verteidigten kompakt und resolut.

Maximal durchschnittlich sind auch die Verteidiger des FC Arsenal. Warum wuchsen also Wes Morgan und Robert Huth bei den Foxes über sich hinaus? Ohne es despektierlich zu meinen oder ihre starken Leistungen zu schmälern, sie hatten deutlich weniger zu tun. Das lag primär an dem heimlichen Spieler der Saison 2015/2016: N’Golo Kanté. Der Franzose, mittlerweile einer der besten Sechser der Welt, agierte als Bindeglied zwischen Angriff und Defensive. Viel wichtiger noch, er entlastete den Abwehrverbund wie sonst keiner in Europa. Kanté fing in der Meistersaison von allen Spielern der Premier League die meisten Bälle ab (4,2 pro Spiel) und beging die meisten Tacklings pro Partie (4,7). Darüber hinaus initiierte der Mittelfeld-Dynamo durch sein exzellentes Spielverständnis und sauberes, gezieltes Passspiel zahlreiche effiziente Gegenangriffe.

Genau der Spieler, den wohl jeder Verein der Welt, aktuell aber wohl vor allem der FC Arsenal in seiner aktuellen Lage gebrauchen könnte.

(Photo by Michael Regan/Getty Images)

 

Personifizierte Balance

Genauso einen Spielertyp hat Emery eigentlich in seinen Reihen. Lucas Torreira, im Sommer für 30 Millionen Euro aus Sampdoria geholt, personifiziert womöglich genau die Balance, die Arsenal derzeit so schmerzlich sucht. In den letzten zwei Jahren konnte kein Spieler der Serie A mehr Tacklings gewinnen oder mehr Bälle abfangen als der 22-Jährige. Zufälligerweise genau die statistischen Bereiche, in denen eben jener N’Golo Kanté in den letzten Jahren die Premier League dominiert.

Doch kann das Torreira auch in der Premier League? Bisher setzte ihn sein Trainer nach einer kraftintensiven Weltmeisterschaft mit Uruguay verhältnismäßig spärlich ein. Nach fünf Spieltagen wartet der kleingewachsene Mittelfeldspieler noch immer auf seinen ersten Startelfeinsatz in der Liga und das, obwohl seine Einwechslung jedes Mal einen positiven, manchmal sogar spielentscheidenden Einfluss auf die Partie hatte. Ob er durch hervorragende Antizipation und defensives Verantwortungsgefühl, den offensiv so wichtigen aber defensiv nachlässigen Granit Xhaka entlastete, oder als zielorientierter Passgeber im Aufbau, Lucas Torreira verbesserte das Gesamtspiel der Gunners auf Anhieb.

Statistisch ist so etwas natürlich schwer zu belegen. Umso aussagekräftiger ist dafür die wohl wichtigste Statistik des Sports: Tore. Torreira stand in seiner noch jungen Arsenal-Karriere genau 221 Minuten auf dem Platz. In dieser Zeit erzielte Arsenal 8 Treffer und kassierte lediglich 2! Ohne ihn erzielten die Nordlondoner in 319 Minuten nur 6 Tore, kassierten dafür aber stolze 11!

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Lucas Torreira ist nicht N’Golo Kanté, aber in der aktuellen Situation des FC Arsenal könnte er einen ähnlichen Effekt auf seine Mannschaft haben. Er wird nicht alle Probleme im Alleingang beheben, doch nach den zugegebenermaßen noch wenigen Eindrücken der jungen Saison, scheint er derzeit vor allem für eines zu stehen: Balance. Balance die Emery derzeit so verzweifelt sucht, obwohl sie in Person von Lucas Torreira nur wenige Plätze hinter ihm auf der Bank des FC Arsenal sitzt.

(Photo FRANCK FIFE/AFP/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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