Hauptsache der Ball rollt | Die Gazprom-Schande
28. Februar 2022 | Trending | BY Florian Weber
Eine Kolumne über Gazprom und wie der FC Schalke 04 und die UEFA jahrelang Geschäfte mit einem Kriegstreiber gemacht haben. Ungeachtet sämtlicher Invasionen und dem Wissen um die Plattform, die man den russischen Gas-Lobbyisten geboten hat.
„Hauptsache der Ball rollt“ erscheint künftig wöchentlich. Jeden Montag als Rückblick darauf, welche wechselseitigen Auswirkungen von Fußball und Politik in der vergangenen Woche wichtig waren. Um die Mär, Fußball sei unpolitisch, der noch immer einige Funktionäre hinterhersinnen, zu widerlegen.
Der Entschluss, eine Kolumne zu den Auswirkungen der Politik auf den Fußball und umgekehrt (des Fußballs auf die Politik) zu schreiben, steht redaktionsintern schon einige Wochen fest. Jeden Montag ein informierender und kommentierender Überblick der Ereignisse der vergangenen Woche. So lautete die Idee, an der wir nur einen Zweifel hatten: Wird es genügend Themen geben? Dass nun, in der Woche, von der die erste Aufgabe der Kolumne handelt, ein Krieg ausbrechen würde, ahnten wir damals natürlich nicht.
Die politische Lage wirkte sich in der vergangenen Woche so gravierend auf den Fußball aus, wie im gesamten vergangenen Jahr nicht. Die Verlegung des Champions-League-Finales von St. Petersburg nach Paris, der Ausschluss Russlands von der WM durch die FIFA, das Freilos für RB Leipzig in der Europa League, der „Rückzug“ Roman Abramovichs vom FC Chelsea. Die Aufzählung ließe sich wohl ewig fortsetzen. Eine vollständige Übersicht der Ereignisse der vergangen Woche ist schlicht nicht möglich. Stattdessen soll es in der ersten Ausgabe von „Hauptsache der Ball rollt“ um einen Themenkomplexe gehen: die Gazprom-Schande des Fußballs.
Die Gazprom-Schande des Fußballs
Gazprom und der Fußball – viel wurde in der vergangenen Woche über diese schmutzige Verbindung geschrieben und gesprochen. Auf Seiten des Fußballs waren vor allem zwei im Fokus: der FC Schalke 04 und die UEFA. Um zu verstehen, wieso die Verbindungen so schmutzig sind, ist es vielleicht ratsam, nochmal einen Schritt zurückzutreten und kurz zu begreifen, was Gazprom eigentlich ist, abgesehen davon, dass es das größte Erdgasförderungsunternehmen der Welt ist.
Es ist nicht nur eine Floskel: Gazprom gehört Russland und damit dem – man muss ihn mittlerweile so nennen – Diktator Wladimir Putin. Denn: Der russische Staat hält 50 Prozent und eine Aktie des Unternehmens und im Aufsichtsrat die Mehrheit der Sitze. Janis Kluge, der als Russlands-Experte der „Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin“ gilt, sagte gegenüber der „Tagesschau“ unmissverständlich: „Die unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrats erfüllen eine rein dekorative Funktion. Der Gazprom-Aufsichtsrat setzt die Entscheidungen des Kremls um.“ Chef von Gazprom ist zudem seit 20 Jahren Alexej Miller. Ein Vertrauter, Freund und enger Gefolgsmann Putins seit den 1990er Jahren. Ein weiterer gewichtiger Faktor: Mit fast 500.000 Mitarbeitenden ist Gazprom einer der größten Arbeitgeber Russlands. Geht es Gazprom gut, profitiert Russland und damit Putin erheblich davon. Es ist also keine Polemik, zu sagen: Geschäfte mit Gazprom sind Geschäfte mit dem Kriegstreiber Wladimir Putin.
„Die Mannschaft würde gerne einmal den Kreml sehen“
Der Schalke 04 machte seit 2007 Geschäfte mit Putin. Der Kriegstreiber war Hauptsponsor und Hauptgeldgeber des Klubs – bis die Partnerschaft am Montagmorgen ohne Angabe von Gründen beendet wurde. Die Gründe sind offensichtlich, trotzdem ist es bemerkenswert, dass sie nicht genannt wurden. Als Schalke vor vier Tagen bereits verkündet hatte, künftig nicht mehr den „Gazprom“-Schriftzug auf dem Trikot zu tragen, hieß es lediglich: Die Entscheidung sei „mit Blick auf die Ereignisse, Entwicklung und Zuspitzung der vergangenen Tage“ gefallen.
Interessant ist diese Verschwiegenheit über die Gründe auch, weil es in der Vergangenheit beim FC Schalke alles andere als eine Selbstverständlichkeit war, dass Verflechtungen des Hauptsponsor in Kriegstreiberei auch nur irgendwelche Konsequenten für den Klub habe. Als Putin 2008 Georgien bombardierte, bezeichnet Geschäftsführer Peter Peters Gazprom als einen „ganz normalen Hauptsponsor“ und einen „guten und verlässlichen Partner“, wie die „F.A.Z.“ nun nochmal hervorbrachte. Empathie, eine Kategorie, die ein Gro der Fußballfunktionäre sowieso bei Giovanni Infantino gelernt zu haben scheint, löste auch ein hautnah erlebtes persönliches Schicksal nicht aus. Levan Kobiashvili spielte damals für die Königsblauen und bangte um das Leben von Familienmitgliedern, die noch in seiner georgischen Heimat gewohnten.
2014, kurz nachdem Putin die Krim annektiert hatte und Tote dort billigend in Kauf nahm, regte der sonst stets moralisch integre langjährige Schalke-Aufsichtsratschef Clemens Tönnies einen Besuch der Mannschaft im Kreml an. Als Kritik an dieser Idee aufkam, sagte Tönnies, der Putin seinen Freund nennt, dem „Handelsblatt“: „Es geht doch nicht alleine um den Präsidenten. Die Mannschaft würde gerne einmal den Kreml sehen und interessiert sich für Moskau. Und der russische Präsident ist an Schalke interessiert. Wir sind Sportsleute keine Weltpolitiker.“ Wladimir Putin in Schalke-Kutte und Leon Goretzka, Kevin-Prince Boateng und Co. am längsten Tisch der Welt – Tönnies‘ Phantasie müsste man haben.
Nicht Schalke, sondern Putin beendete diesen Deal
Diese Partnerschaft ist nun beendet. Verkündet von Schalke, hat den aktiveren Part in dieser Trennung Putin eingenommen. Derjenige, der der Welt, der NATO und damit Deutschland mit Atomschlägen droht, weiß, dass er nicht weiter Partner ebendieser sein kann. Doch wieso klammerte Schalke bis zuletzt bis zuletzt wie ein Embryo am russischen Bären?
Der seit einigen Jahrzehnten stets zur Megalomanie neigende Klub kämpft um das blanke Überleben. Mit roten Zahlen in Höhe von 237 Millionen Euro ist der FC Schalke der höchstverschuldete Verein in Deutschland. Gazprom zahlte dem Klub auch in der 2. Bundesliga neun Millionen Euro pro Jahr. Ein Betrag, der die üblichen Marktpreise für Sponsoren von Zweitligaklubs um astronomische Höhen übersteigt. Die Abhängigkeit war zu groß, um der Gazprom-Schande ein selbstbestimmtes Ende zu setzen.
Denn dieses Ende könnte auch für die Königsblauen das Ende bedeuten. Die „F.A.Z.“ schrieb am Wochenende: „Sollte ein neuer Sponsor künftig nur noch die Hälfte überweisen, wären die Lizenz fürs kommende Jahr, der sportliche Genesungsprozess und vieler der 600 Jobs bei FC Schalke in Gefahr.“ Aber ein Helfer in der Not steht schon bereit. Ausgerechnet und ironischerweise der Chef vom Erzrivalen Borussia Dortmund: Hans-Joachim Watzke.
Gazprom: Augen zu, das Geld fließt
Doch nicht nur der FC Schalke 04, auch die UEFA wurde in den letzten Jahren mit üppigen Summen von Gazprom gesponsert. Die endlose Bandenwerbung des Unternehmens an Rande von Champions-League-Spielen ist nur ein Auswuchs dessen. 50 Millionen Euro jährlich fließen laut unbestätigten, aber übereinstimmenden Medienberichten von Putins Gas-Vasallen zur UEFA. Dies machen sie nicht, damit jeder europäische Fußballfan den „Gazprom“-Schriftzug kennt. Als europäischer Endverbraucher ist es weitgehend gar nicht möglich, Kunde von Gazprom zu werden.
Der Grund, wieso das Unternehmen trotzdem horrende Summen in diesen Markt pumpt, hat mit dem in der Fußballberichterstattung mittlerweile zur Floskel verkommenden Begriff der „soft power“ zu tun. Ein Begriff, der sicherlich einmal eine längere Erklärung bedarf. An dieser Stelle muss aber ein kurze und – zugegeben – etwas trockene und abstrakte Erklärung genügen: „soft power“ ist die Möglichkeit der Beeinflussung zu Gunsten eigener politischer Ziele, ohne dass dazu aktiv wirtschaftliche oder militärische Mitteln eingesetzt werden.
Das Wort „aktiv“ ist dabei wichtig, denn indirekt setzt Gazprom als Sponsor natürlich wirtschaftliche Mittel ein. Aber nur, um in die komfortable Lage zu kommen, „soft power“ ausüben zu können. Erstens dadurch, dass das Image des Unternehmens durch die enge Verbindung mit der bei vielen Menschen positiv konnotierten Champions League an Ansehen gewinnt. Ein zahlreich wissenschaftlich belegter Effekt. Und zweitens dadurch, dass Gas- und Russlandlobbyisten uneingeschränkten und unkomplizierten Zugang zu sämtlichen VIP-Logen in Stadien bekommen – und damit zu wichtigen Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft. Trotz der russischen Gewaltherrschaft und wissend über die missbräuchlichen Motive der Gazprom duldete die UEFA dies. Noch im Mai 2021 wurde der Vertrag gar um drei Jahre verlängert.
Ein schmutziges Geschäft, das nun beendet ist. Die UEFA hat die Zusammenarbeit mittlerweile auch offiziell beendet, was sich bereits andeutete, aber seitens der UEFA auf eine Anfrage der „Sportschau“ nur in feinster Bürokratensprache kommentiert wurde: „In Kürze werden weitere Sitzungen des UEFA-Exekutivkomitees stattfinden, bei denen zusätzliche Angelegenheiten behandelt werden.“
(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)