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Nachspielzeit | Das unschöne Spiel – Warum es keineswegs die beste WM aller Zeiten war

16. Juli 2018 | Spotlight | BY Christoph Albers

FIFA-Präsident Gianni Infantino bezeichnete die Weltmeisterschaft in Russland pflichtbewusst als die beste WM die jemals stattgefunden hätte. Doch selbst er dürfte seinen Worten nicht so wirklich Glauben schenken, dafür gab es einfach zu viele Störfaktoren, die dieses Turnier mit sich brachte. Ich möchte an dieser Stelle auch nicht alles pauschal schlecht machen, doch auch die negativen Seiten verdienen eine gewisse Aufmerksamkeit, bevor wir in die kollektive romantische Verklärung dieser keineswegs rosaroten WM übergehen. 

Die Fan-Problematik

Leere Stadien, schlechte Stimmung und eine kuriose Politik seitens der FIFA sorgten für sehr eigenwillige Eindrücke bei dieser WM. Das beste Beispiel für die durchaus auffällige Problematik lieferte das erste Halbfinale zwischen Frankreich und Belgien. Auf dem Papier eine der spektakulärsten Paarungen des Turnier und für Belgien zudem die Möglichkeit erstmal in ein WM-Finale einzuziehen. Ein Spiel, das die Mengen eigentlich elektrisieren und zu einem echten Hexenkessel im Stadion führen sollte. Die Realität präsentierte aber ein ganz anderes Bild. In St. Petersburg fand sich nur 1000 Belgier und 1500 Franzosen im gut 65.000 Zuschauer fassenden Stadion wieder, die Stimmung eher mau und irgendwann waren schließlich auch nur noch die „Rassiya“-Rufe der russischen Fans zu hören – WM-Stimmung geht anders.

Die Berichterstattung im Vorfeld, über Hooligans, Gewalt und den russischen Staat an sich dürften vor allem die westeuropäischen Fans abgeschreckt haben, einige haben vermutlich auch boykottiert, dennoch ist es ein Armutszeugnis, das nicht zuletzt die Veranstalter zu verantworten haben. Denn: um einzureisen brauchten die Fans ein Visum, das über eine Fan-ID leicht zu bekommen war, doch ohne Ticket keine Fan-ID und folglich auch kein Visum. Für Fans, die erst vor Ort ein Ticket hätten kaufen wollen, gab es also keine Möglichkeit den Spielen beizuwohnen. So kam es zu etlichen leeren Plätzen und einer völligen Unterrepräsentierung der Fans der Mannschaften in der K.o-Runde. So kam es nur in seltenen Fällen zur wirklichen Extase im Stadion, die den Fußball und die WM eigentlich zu etwas ganz Besonderem werden lassen sollte. Schade.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Schwaches sportliches Niveau

Auch sportlich gesehen war das Begeisterungspotenzial mitunter sehr gering. Das Niveau war teilweise sehr überschaubar, was nicht zuletzt an der sehr destruktiven Spielweise der Mannschaften lag. Kaum ein Team war wirklich dazu im Stande spielerische Lösungen zu finden und ansehnlichen Offensivfußball zu präsentieren, vielmehr lag der Fokus auf einer stabilen Defensive und einem halbwegs soliden Umschaltspiel, wobei die Hoffnungen in der Regel vor allem auf den Standards ruhten. Schön ist das nicht und wenn auch den vermeintlich „großen“ Teams nicht mehr einfällt, ist es einfach nur bedauerlich.

Die Entwicklung hin zum immer destruktiveren Stil ist ein Trend, der sich nun schon seit Jahren abzeichnet. Vor allem der Gewinn der Europameisterschaft Portugals 2016 ist ein Beleg dafür, ebenso wie das Auftreten vieler Bundesliga-Teams in der abgelaufenen Saison, wie z.B. Schalke 04. Grundstein dessen ist die einfache Erkenntnis, dass das Verteidigen immer leichter ist als das Angreifen. Die hohe Kunst des schönen Spiels streben die meisten Teams daher gar nicht mehr an und der Erfolg gibt ihnen auch noch recht. Doch Begeisterung und wahre Bewunderung werden so nicht entstehen.

Ein weiterer Faktor für über weite Strecken sehr überschaubare Niveau des Turnier war dabei natürlich auch das schwache Abschneiden der vermeintlichen Favoriten, wie zum Beispiel Deutschland, Spanien und Argentinien, die zumindest mal andeuteten, dass sie gerne offensiven und ballbesitzorientierten Fußball spielen wollen. Das frühe Scheitern könnte nun aber leider dazu führen, dass selbst diese Nationen davon abrücken werden. Eine triste Aussicht für die nahe Zukunft.

Dazu kommt, dass einige Teams einfach viel zu schwach sind, wie z.B. Saudi Arabien. Ihre Darbietung im Eröffnungsspiel gegen Russland war nichts anderes als erbärmlich. Auch Teams wie Panama oder Tunesien haben auf diesem Niveau eigentlich nichts verloren. Die Vorstellung der möglichen Erweiterung auf 48 Teams ist daher eigentlich ein schlechter Witz.

Fehlender Mut, fehlende Klasse, teilweise sehr schwaches Niveau. Sportlich die beste WM aller Zeiten? Mitnichten.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Zeitspiel, Schauspielerei und Torjubel

Zu allem Überfluss gab es daneben auch noch einige Unsportlichkeiten, die in diesem Turnier eine mehr als unangenehme Präsenz hatten. Allen voran das ausgiebige Zeitspiel, das viele Teams bis zur absoluten Schmerzgrenze ausreizten. Es begann oft schon früh in der zweiten Hälfte und wurde in nahezu jeder Spielunterbrechung praktiziert. Die Folge: Zähe Spiele, ewig lange Unterbrechungen und genervte Zuschauer. Der Grundcharakter des ansonsten so flüssigen Spiels Fußball wird so bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, um es mal drastisch auszudrücken. Die Nachspielzeit, die mittlerweile gerne mal fünf Minuten umfasst, reicht dabei lange nicht mehr aus, um die verlorene Zeit auszugleichen. Eine Diskussion rund um die Einführung einer Netto-Spielzeit wäre folgerichtig. In jedem Fall muss aber das Problem des Zeitspiels ernsthaft angegangen werden, um diesen Trend aufzuhalten.

Eine weitere dieser Unarten stellt die elende Schauspielerei einiger Akteure dar, allen voran sind hier die beiden PSG-Akteure Neymar und Mbappe zu nennen. Vor allem Neymar, der bekanntermaßen zu großer Theatralik neigt, bekam dafür zurecht große Häme zu spüren (hier zeigte die Fußball-Gemeinde eine gute Rekation), doch eine kurzfristige Änderung bewirkte das auch nicht. Diese Anfälle treten das Fairplay mit Füßen und sind ein plumper Betrugsversuch gegenüber den Schiedsrichtern, den Fans und den Gegnern. Daher ist eine angemessene Bestrafung und eine Ächtung der Spieler mehr als angebracht. Auch Kylian Mbappe, der vor allem sportlich Schlagzeilen schrieb, schreckte nicht zurück und zeigte eine hässliche Seite des Fußballs. Mir persönlich fällt es vor diesem Hintergrund schwer ihn als Fußballer schätzen zu können. Ein großer Sportler, wie es zum Beispiel Andres Iniesta ist, sieht anders aus. Dass Antoine Griezmann im Finale den Freistoß vor dem 1:0 mit einer Schwalbe im wahrsten Sinne des Wortes herausholte, ist dabei nur die Kirsche auf der Sahne.

Wo wir gerade bei Antoine Griezmann sind, können wir auch gleich zum letzten Punkt übergehen: Die Torjubel. Griezmann mittlerweile recht berühmter „L“-Torjubel sorgt vielerorts für große Verstimmung – zurecht wie ich finde. Ihm wird vorgeworfen sich respektlos gegenüber dem Gegner zu verhalte und da ist etwas dran. Die „L“-Geste steht für das Wort „Loser“, so ist allgemein bekannt.  Für mein Empfinden ist das etwas, was man dem Gegner, nachdem man ein Tor gegen ihn erzielte, nicht unter die Nase reiben sollte. Das ist schlichtweg unsportlich und stillos. Die Erklärung, dass der Jubel aus dem Videospiel „Fortnite“ entnommen wurde ist dabei meiner Meinung nach völlig unerheblich. Darüber hinaus finde ich es mehr als fragwürdig, dass ein Tor mittlerweile eher durch einen choreographierten Torjubel gefeiert wird, um die eigene Markenbildung voranzutreiben, anstatt der spontanen Freude Ausdruck zu verleihen. Aber was erwartet man auch von Spielern, die nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft vor allem daran denken eine coole Instagram-Story online zu stellen, anstatt sich wahrhaftig über den Triumph zu freuen und sich der Euphorie hinzugeben. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu romantisch veranlagt.

(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

Ein unwürdiger Weltmeister

Mit dieser These werde ich sicherlich auf reichlich Widerstand treffen, doch für mich ich Frankreich ein unwürdiger Weltmeister.

Klar, die Mannschaft war gnadenlos effektiv und hat Größen wie Argentinien, Uruguay und Belgien ausgeschaltet, doch sind sie deshalb gleich ein verdienter Weltmeister? Schauen wir mal genauer hin. In der Gruppe hatten sie es mit Australien, Dänemark und Peru zu tun – eine vergleichsweise einfache Gruppe, in der sie keineswegs glänzen konnten. Zum Auftakt siegten sie glanzlos und mit viel Glück gegen ein sehr biederes Australien und brauchten dafür sogar ein Eigentor (bzw. ein schwer abgefälschter Pogba-Schuss). Im zweiten Spiel gewannen sie, abermals glanzlos und teilweise glücklich, mit einem äußerst uninspirierten Auftritt gegen ein aufopferungsvoll kämpfendes Peru, das u.a. mit einem Lattenschuss durchaus Pech hatte. Im letzten Spiel der Gruppenphase trennte sich die Mannschaft von Didier Deschamps dann mit einem 0:0 von Dänemark und ließ Erinnerungen an die „Schande von Gijon“ wach werden. Weltmeisterlich? Von wegen.

Und auch in der Gruppenphase war das Auftreten der Franzosen alles andere als glamourös. Gegen ein sehr, sehr schwaches Argentinien, das spätestens in der zweiten Hälfte das Verteidigen komplett einstellte und sich offenbar gegen den Plan von Trainer Sampaoli auflehnte, gerieten sie zwischenzeitlich in arge Bedrängnis und sogar in Rückstand. (Auch wenn ich an dieser Stelle nicht in Abrede stellen möchte, dass der Sieg verdient war.) Und auch das Viertelfinale gegen Uruguay können die Franzosen durchaus von Glück sprechen, dass Edinson Cavani verletzt ausgefallen war. Ein schnöder Standard reichte schließlich aus, weil Uruguay, nach einer guten Anfangsphase in der Offensive nichts mehr zustande brachte.

Im Halbfinale konnten die Franzosen mich dann erstmals richtig überzeugen, gegen ein ansonsten sehr starkes Belgien reichte ihre starke Defensive und abermals ein Standard-Tor aus, um ins Finale einzuziehen. Hier muss man in erster Linie die Disziplin und die Abgebrühtheit hervorheben. Spielerisch war aber auch dieser Auftritt alles andere als brillant. Ein Bild, das sich auch im Finale zeigte. Gerade in der ersten Halbzeit waren die Kroaten dort die deutlich aktiviere und bessere Mannschaft, die Franzosen gingen dank eines Eigentores, das nach einem Freistoß, der bezeichnenderweise durch eine Schwalbe von Griezmann enstand, und eines strittigen Elfmeters mit einer 2:1-Führung in die Pause. Sehr schmeichelhaft, vor allem wenn man bedenkt, dass sie nur einen eigenen Torschuss bei zwei Toren vorzuweisen hatten. Nach der Pause war der Sieg dann natürlich verdient, weil die platten Kroaten dem Rückstand hinterher liefen und zu wenig entgegenzusetzen hatten. Doch auch dieser Sieg beruht auch zu guten Teilen auf Glück und schmeichelhaften Entscheidungen. Und das ist nicht abzustreiten.

(Photo by ALEXANDER NEMENOV/AFP/Getty Images)

Daher fällt es mir sehr, sehr schwer Frankreich als verdienten Weltmeister anzuerkennen. Eine Mannschaft, die sich in einem sehr destruktiven Spiel übte, vor allem nach Standards und Kontern gefährlich war und viel Glück („Glück“) im Verlauf des Turniers hatte. Darüber hinaus kann ich es nicht gut finden, wenn ein Trainer eine Mannschaft, die über alle Maßen mit spielerischer Klasse und tollen Einzelspielern gesegnet ist, in ein so defensives Spiel drängt und damit auch noch Erfolg hat. Das hat nichts mit dem schönen Spiel und den ehrenvollen Absichten eines wahren Champions zu tun. Aber das ist vielleicht auch nur meine Meinung. Die Nebengeräusches des vorherigen Abschnitts bestärken mich dabei zusätzlich.

Kroatien wäre für mich in vielen Hinsichten ein würdigerer Weltmeister.

Politik

Zu guter Letzt darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass auch die politischen Umstände im Land eine sehr negative Seite des Turniers darstellen. Doch dazu haben andere schon genug gesagt. Ich möchte diese Ausführung und diese Thema mit einem Bild beenden, das womöglich mehr sagt als tausend Worte:

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

(Photo credit should read GABRIEL BOUYS/AFP/Getty Images)

 

Christoph Albers

Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.


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