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Favoritencheck U21-Europameisterschaft

15. Juni 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Am Freitag beginnt die U21-EM in Polen. Erstmals nehmen 12 Mannschaften an diesem Turnier teil, es gibt drei Gruppen mit je vier Mannschaften. Für die K.O.-Runde qualifizieren sich lediglich die drei Gruppensieger und der beste Gruppenzweite. Das bedeutet für die Gruppenphase, dass bereits von Spieltag 1 an ein enormer Druck auf den Teams herrscht. Gastgeber Polen und ein starkes England in Gruppe A, Spanien und Portugal in Gruppe B, Deutschland und Italien in Gruppe C – hervorragende Mannschaften kämpfen um einen der begehrten Plätze im Halbfinale.

Der absolute Topfavorit – Spanien

Die spanische Mannschaft ist in allen Mannschaftsteilen hervorragend besetzt. Vom Torhüter Kepa, über die Außenverteidiger Bellerin und Gaya, das Mittelfeld um Saul Niguez und Llorente oder die Offensive mit Asensio und Inaki Williams – der spanische Nachwuchs ist nominell kaum zu übertreffen. Die U21 genießt bei den Spaniern in diesem Sommer höchste Priorität, nachdem man weder bei der U20-WM dabei war, noch für die U19-EM im Juli qualifiziert ist. Aus dieser Truppe könnten in den kommenden Jahren einige Spieler in die A-Nationalmannschaft aufsteigen, der ein oder andere hat dort bereits Erfahrungen gesammelt. Spanien hat es in seiner Gruppe mit Portugal, Mazedonien und Serbien zu tun, eine interessante Gruppe mit Stolpersteinen, die nicht unterschätzt werden sollten. Gerade die Portugiesen sind auch individuell in der Lage den Spaniern wehzutun, die Serben wurden 2015 Weltmeister bei den U20-Junioren.

Wichtig wird der Auftakt gegen Mazedonien. Gewinnen die Spanier gegen den Underdog und überzeugen, kann sich eine Dynamik aus Rhythmus und Selbstvertrauen entwickeln, die positive Kräfte freisetzt. Man will es keinesfalls darauf ankommen lassen, sich als bester Gruppenzweiter zu qualifizieren, das Ziel ist ganz klar der Gruppensieg, im Idealfall mit 9 Punkten. Trainer Albert Celades, der als Spieler sowohl für den FC Barcelona als auch für Real Madrid aktiv war, hat bei der Aufstellung die Qual der Wahl, besonders im Mittelfeld gibt es viele Möglichkeiten. Neben Llorente, Saul und Denis Suarez oder Ceballos, die wohl zu Beginn das Mittelfeld bilden werden, stehen auch noch Dortmunds Mikel Merino und Valencias Shootingstar Carlos Soler zur Verfügung.

(Photo by CURTO DE LA TORRE/AFP/Getty Images)

Die Spanier verfügen über eine technisch hervorragende Mannschaft, schlugen bei den Freundschaftsspielen im März sowohl Dänemark als auch Italien und liefen jeweils im 4-3-3 auf. Dieses System favorisiert Trainer Celades. Beeindruckend ist bei den Spaniern auch die Tiefe im Kader. Sollte ein Außenverteidiger ausfallen, rückt beispielsweise Jonny Castro in die Mannschaft, das Mittelfeld wurde bereits thematisiert, in der Offensive stehen mit Oyarzabal, Inaki Williams, Asensio, Sandro, Borja Mayoral und Deulofeu gleich sechs hochkarätige Spieler im Aufgebot. Die U21 der Iberer ist also unberechenbar, kann jederzeit das Tempo variieren, für Torgefahr sorgen. Nach dem Ausfall von Yeray Alvarez in der Innenverteidigung könnte allerdings genau hier eine kleine Schwachstelle liegen. Jesus Vallejo, der in der vergangenen Saison überragend für Eintracht Frankfurt spielte, laborierte zu Saisonende an einer Oberschenkelverletzung, gab sein Comeback erst im Pokalfinale und muss erst noch seinen Rhythmus finden und sich mit Jorge Mere einspielen. Trotzdem, der Titel führt wohl nur über die Spanier.

Homogenität und individuelle Klasse – Italien

Die Italiener sind, selbst wenn sie nicht wie bei diesem Turnier mit namhaften Spielern ausgestattet sind, immer eine Mannschaft, die man auf der Liste haben muss. Doch der diesjährige Kader der italienischen U21 besticht durch individuelle Klasse und ist gespickt mit Spielern, die bereits Stammkräfte in ihren jeweiligen Vereinsmannschaften sind. Angefangen im Tor, das Supertalent Donnarumma, Stammkraft beim AC Mailand, hütet. Für den 18-jährigen ist die U21-EM das erste große Turnier in seiner Karriere und er will unter Beweis stellen, dass die europäischen Spitzenklubs vollkommen zurecht hinter ihm her sind. Mit Caldara und Rugani stehen in der Innenverteidigung wohl zukünftige Stammspieler bei Juventus Turin im Aufgebot. Beide ergänzen sich hervorragend, spielen schon jetzt auf einem extrem hohen Niveau.

Die Außenverteidigerpositionen mit Conti und  Barreca sind mindestens gut besetzt, im Mittelfeld hat man eine breite Auswahl an laufstarken, technisch versierten und offensiv ausgerichteten, dynamischen Spielern. Benassi, Gagliardini, Pellegrini, Cataldi, Locatelli und Grassi verkörpern verschiedenste Elemente, die im Mittelfeld wichtig sind. Trainer Luigi di Biagio, der seit 2013 im Amt ist, favorisiert ebenso wie der spanische Coach ein 4-3-3-System, das sehr fluide ist und unterschiedlich interpretiert werden kann. Was den Italienern vielleicht etwas abgeht, ist ein optimaler Spielertyp im Sturmzentrum. Petagna und Cerri verfügen über Klasse, aber fallen im Gegensatz zu Bernardeschi, Berardi oder Chiesa, die die Offensive auf dem Flügel ergänzen, qualitativ etwas ab. Allerdings ist es nicht undenkbar, dass di Biagio an einer Variante ohne den klassischen Mittelstürmer und mit Berardi als dynamischen, sich zurückfallen lassenden Angreifer arbeitet oder dies zumindest punktuell in Erwägung zieht.

(Photo by Paolo Bruno/Getty Images)

Italien trifft auf Deutschland, Tschechien und Dänemark in einer guten Gruppe und ist dort leicht favorisiert, auch wenn die DFB-Auswahl zumindest gut mithalten kann. Der Gruppensieg könnte sich im direkten Duell entscheiden. Auch wenn die Italiener offensivstark sind und auch einen offensiv ausgerichteten Fußball spielen können, wird traditionell viel Wert auf die Defensive gelegt. Calabria, Rugani, Caldara und Conti werden wohl die Viererkette bilden und in der Rückwärtsbewegung vom ein oder anderen Akteur aus dem Mittelfeld unterstützt. Auch diese italienische U21-Auswahl ist, wenn sie einmal in Führung liegt, nur sehr schwer zu knacken. Mit dieser extrem guten Defensive und dem homogenen Kader kann Italien Turnierfavorit Spanien durchaus gefährlich werden.
Die restlichen Kandidaten – Deutschland, Portugal, England

Neben den beiden Topfavoriten gibt es noch weitere Kandidaten, die bei einem optimalen Turnierverlauf eine Chance haben. Während Deutschland und Portugal sehr hart für das Halbfinale kämpfen müssen, wird England in seiner Gruppe der Favoritenrolle gerecht werden wollen. Mit Polen, der Slowakei und Schweden haben die Briten eine vergleichsweise machbare Gruppe erwischt, aber genau das könnte zu Schwierigkeiten führen. Jeder erwartet von England den Gruppensieg, jeder erwartet 7 oder gar 9 Punkte. England wird das Spiel machen und sich gegenüber den gegnerischen Kontern entsprechend absichern müssen. Gewinnt man die Gruppe, sollte mit dem gestiegenen Selbstvertrauen definitiv etwas möglich sein. Einmal im Halbfinale angekommen, ist generell alles möglich. Spieler wie Redmond, Grealish, Hughes oder auch Holding und Chambers haben die Qualität, um jeden Gegner vor Probleme zu stellen. Die Engländer müssen diszipliniert agieren, um nach dem Erfolg bei der U20-WM ein weiteres, gutes Juniorenturnier zu absolvieren.

Deutschland spielt natürlich auch immer eine Rolle. Der Kader des DFB hätte ohne den Confed-Cup noch deutlich stärker sein können, unter anderem könnten Sané, Goretzka, Brandt, Henrichs und Süle noch für die deutsche Auswahl spielen. Dass diese Spieler fehlen und sich überdies auch noch Jonathan Tah verletzt hat, ist ein kleiner Dämpfer für die Mannschaft von Stefan Kuntz. Der Trainer der deutschen Mannschaft, der sich in Polen auch für einen neuen Vertrag empfehlen will, muss also im Defensivzentrum improvisieren, wird voraussichtlich auf ein Duo aus Stark und Kempf bauen. Ansonsten ist das deutsche Team gut besetzt, gerade in der Offensive verfügt man mit Gnabry und Philipp über viel Tempo, Meyer ist ein technisch versierter Instinktfußballer, Dahoud und Arnold können verschiedene, wichtige Rollen im Mittelfeldzentrum übernehmen und Selke, der bereits bei der U19-EM glänzen konnte, ist ein bulliger, wuchtiger Stürmer, der ebenfalls einige technische Elemente besitzt. Alles in Allem wird die DFB-Auswahl eine gute Chance auf das Halbfinale haben, sei es als Gruppensieger oder als bester Gruppenzweiter, danach ist alles möglich.

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Alles möglich ist auch für eine gute portugiesische Mannschaft. Die Defensive fällt individuell vielleicht noch etwas ab, obwohl mit Cancelo und Ruben Semedo zwei Stammspieler von Valencia und Sporting im Aufgebot stehen. Das Mittelfeld um Ruben Neves und Renato Sanches besitzt Dynamik, Laufstärke und technische Elemente, die Offensive mit Bruno Fernandes, Bruma, Gonzalo Guedes und Diogo Jota ist zudem gespickt mit dribbel- und abschlussstarken Spielern, die über eine Menge Potenzial verfügen. In den letzten Jahren spielten die Portugiesen häufig eine sehr ordentliche Rolle bei Juniorenturnieren, das soll auch dieses Mal der Fall sein. Auch Portugal muss, wie Deutschland, bedingt durch den Confed-Cup auf den ein oder anderen Spieler verzichten. So fehlen beispielsweise Stürmer Andre Silva oder Offensivstar Gelson Martins, der auch noch hätte auflaufen können. Trotzdem geht Trainer Rui Jorge optimistisch in dieses Turnier. Der Auftakt gegen Serbien muss gelingen, gegen Spanien ist man dann in einer Rolle, in der man mit Konterfußball und schnellem Umschalten seine Chance ergreifen will. Die individuelle Klasse, die Schnelligkeit in der Offensive und ein im Juniorenbereich erfahrener Trainer könnten eine sehr gute Kombination sein.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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